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GESCHICHTE/483: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 278 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 49 / 2. Dezember 2014
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

2001/X: Olympiabewerbung: Chance für die Gesamtentwicklung des Sports
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 278) *

Eine Serie von Friedrich Mevert



DSB-Präsident Manfred von Richthofen beleuchtete beim 3. Stuttgarter Sportkongress am 9. November 2001 in Stuttgart in einem Vortrag die Möglichkeiten einer deutschen Olympiabewerbung als Impulsgeber für die Gesamtentwicklung des Sports. Dabei sagte er:

"Seit einigen Tagen ist klar: Deutschland wird sich um die Olympischen Sommerspiele 2012 bewerben. Diese Entscheidung traf die Mitgliederversammlung des NOK in Harnburg mit der erwarteten Einstimmigkeit. Der deutsche Sport hat also die erste vorolympische Hürde mit Bravour genommen. Doch wir sollten uns nichts vormachen - das war auch eine der leichtesten Übungen. Was jetzt kommt, wird wesentlich problematischer. Es gilt nämlich, einen Bewerbungsparcours von höchsten Schwierigkeitsgraden zu überwinden. Und das trifft bereits auf die nationale Ebene zu. Denn die Qual der Wahl hat zunächst einmal eine deutsche Variante von außergewöhnlicher Brisanz. Es dürfte jedenfalls nicht oft vorkommen, dass sich fünf oder vielleicht sogar sechs Städte und Regionen um die Ausrichtung des Weltsportereignisses Nr. 1 bemühen.

Man kann sogar, wenn man die Aspiranten Hamburg, Düsseldorf/Rhein-Ruhr, Frankfurt/Rhein-Main, Stuttgart, Leipzig und möglicherweise noch Berlin Revue passieren lässt, von einem bundesweit flächendeckenden Interesse sprechen. Und dieses Interesse nun in die richtigen Bahnen zu lenken, da ist nicht zuletzt der organisierte Sport gefordert. Ich denke in dem Zusammenhang an eine überzeugende gesamtkonzeptionelle Linie, an der wir uns orientieren müssen.

Genau hier sehe ich große Chancen für die Gesamtentwicklung des Sports. Es liegt an uns, sie überzeugend zu nutzen. Von dem sich ab sofort immer schneller drehenden Bewerbungskarussell müssen Impulse ausgehen, die überall in der Sportlandschaft zu spüren sind. Allerdings sollten wir mit dazu beitragen, dass die Beschleunigungseffekte die Kernanliegen nicht außer Kontrolle geraten lassen.

Das NOK für Deutschland hat umfassende Orientierungshilfe mit einem Bewerbungsleitfaden angekündigt und vorab schon mal den fairen Wettbewerb angemahnt. Das kann man nach allem, was man in den letzten Jahren an Verwerflichkeiten im olympischen Dunstkreis - gerade auf internationaler Ebene - serviert bekam, nur mehrfach unterstreichen. Jeder Bewerber muss wissen: Unregelmäßigkeiten zur eigenen Vorteilsnahme, welcher Art auch immer, senken nach Bekanntwerden die Chancen auf den Nullpunkt. Wir können nichts weniger gebrauchen als einen olympischen Skandal schon im Vorfeld der eigentlichen internationalen Bewährungsprobe.

Es gibt viel erfolgsversprechendere Kriterien im Konkurrenzkampf der nationalen Olympia-Aspiranten. Ich will noch einmal hervorheben, was der Deutsche Sportbund schon vor Monaten per Präsidiumsbeschluss festlegte und was ich auch bei der NOK-Mitgliederversammlung deutlich gemacht habe. Eine erfolgreiche deutsche Olympiabewerbung muss sich zunächst an vier Kriterien messen lassen. Ich nenne als erstes den Schulsport, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass eine Stadt oder Region den olympischen Zuschlag erhält, wo auf diesem Gebiet desolate Zustände zu beklagen sind und wo dem Bundesland und seinen Kultusbehörden Defizite nachgewiesen werden.

Wer ernsthafte olympische Ambitionen hat, der sollte in der Bewegungserziehung nicht nur Selbstverständlichkeiten der amtlichen Stundentafeln erfüllen. Der sollte vielmehr vorbildlich sein und bundesweit Zeichen setzen für das notwendige Zusammenspiel von wirkungsvoller Basisarbeit und sportlicher Spitzenleistung. Dazu kommt auch noch ein gesundheitspolitischer Aspekt, der immer bedeutender wird. Was nützen die schönsten Träume und die kühnsten olympischen Planspiele, wenn die Meldungen über den Gesundheitszustand unserer Kinder und Jugendlichen dank Bewegungsmangel, falscher Ernährung und Reizüberflutung immer besorgniserregender werden?

Warum sollten wir uns also um die ganz großen Dimensionen des Weltsports kümmern, wenn wir die selbstverständlichsten und dringendsten Bewegungsangebote für unsere jungen Menschen schuldig bleiben müssen? Ich will ein zweites wichtiges Kriterium für eine Olympiabewerbung mit Substanz nennen. Wenn wir die spitzensportliche Zukunft beleuchten und unseren eigenen hohen Ansprüchen einer Spitzenposition im weltweiten Leistungsvergleich genügen wollen, dann müssen wir uns in optimaler Weise um unseren hoffnungsvollen Nachwuchs kümmern.

Dazu gehört als solide und mittlerweile auch unverzichtbare Basis das System der Eliteschulen. Auf diesem Sektor hat vor allem der Westen unseres Landes noch enormen Nachholbedarf. Eine Stadt oder Region mit hochfliegenden Olympiaplänen tut also gut daran, auch hier ihre Möglichkeiten auszuloten und so einen wichtigen Beitrag zur Beseitigung weißer Flecken auf der Landkarte des Sports zu leisten. Das Streben nach sportlicher Höchstleistung ist im härter werdenden internationalen Konkurrenzkampf nur noch zu verantworten, wenn auch die Rahmenbedingungen allerhöchstem Level entsprechen.

Und da werden die Eliteschulen des Sports zweifellos immer bedeutsamer. Sie garantieren nämlich neben der optimalen sportlichen Förderung und Betreuung der Talente in gleicher Weise auch das Optimum an gesamtschulischer Bildung. Und dieses intellektuelle Angebot den jungen Menschen vorzuenthalten, wäre bei aller Sportbegeisterung sträflich und unverzeihlich.

Ich komme auf ein drittes Kriterium, das die vorolympischen Planspiele geradezu zwingend begleiten muss. Das ist unser gemeinsamer Kampf an der Anti-Doping-Front. Hier sind wir zwar mit der baldigen Einrichtung der unabhängigen Nationalen Anti-Doping-Agentur auf einem guten Wege. Doch es bleibt ein weites Arbeitsfeld, das uns leider ohne Aussicht auf eine völlige Trockenlegung dieses Sumpfes sportlicher Fehlentwicklung permanent herausfordern wird.

Umso wichtiger ist, dass wir die Finanzen der NADA langfristig sichern und keine Mühe scheuen, überzeugende Aufklärung überall da zu treiben, wo man die Sonnenseiten des Sports ins Blickfeld der Öffentlichkeit rücken will. Ich denke, das ist ein ebenso sinnvoller wie zwingender Auftrag auch für alle Planer, die Olympia ins Visier nehmen. Wenn eine deutsche Bewerbung begleitet wird von einer Spitzenstellung in der internationalen Anti-Doping-Phalanx, dann sollte das eigentlich keine schlechte Botschaft an die olympische Welt sein.

Ein viertes Kriterium für die angemessene Beurteilung deutscher Olympia-Ambitionen ist für mich das Thema Sportstätten. Natürlich gibt es keinen Zweifel daran, dass man in den Städten und Regionen die vorgesehene olympische Infrastruktur auf dem Reißbrett im besten Glanz erstrahlen lassen wird. Doch es gibt bekanntlich noch eine zweite Sportstätten-Ebene, die den Sportalltag der Menschen und Vereine bestimmt. Und von dieser Verpflichtung für die Basis können die Olympia-Aspiranten nicht entbunden werden.

Es wäre ja auch ein Unding, wenn auf der einen Seite sportliche Opern und Paläste geplant, aber im Kontrast dazu Vereinen Nutzungsgebühren für kommunale Hallen und Bäder abverlangt würden. Hier müssen großzügige Zeichen für den Sport insgesamt gesetzt und wesentliche Hilfen für die Arbeit der Verbände und Vereine langfristig gewährt werden. Dass diese Strategien bis zur Ausstattung und zum Betrieb der Olympiastützpunkte reichen, versteht sich von selbst.

Wesentliche und unverzichtbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Olympiabewerbung ist bekanntlich der hohe Rückhalt in der Bevölkerung. Und der wird nicht gerade in unbedeutender Art und Weise vom Netzwerk des organisierten Sports beeinflusst. Olympische Aufbruchstimmung und vielleicht sogar Euphorie gibt es zunächst dort, wo der Puls des Sports am spürbarsten schlägt: in den Vereinen und Verbänden. Hier ist auch ein fruchtbarer Boden für die Saat von olympischer Ethik und Erziehung, auf die wir beim deutschen Bewerbungsmarathon bis in die Schulen hinein nicht verzichten sollten. Dass dies natürlich auch die kritische Auseinandersetzung mit der Diskrepanz zwischen den olympischen Idealen und der spitzensportlichen Realität beinhalten muss, sollte nicht unerwähnt bleiben.

Mein Fazit: Die deutsche Olympiabewerbung kann zum wichtigen Impulsgeber für die gesamte Sportentwicklung im Lande werden, wenn wir die Weichen richtig stellen und unsere Signale noch verstärken.

Den Bewerber-Städten und Regionen also ins Auftragsbuch: Orientieren Sie sich an sportlichen und olympischen Inhalten und nicht ausschließlich an bunter Verpackung und schriller Fassadenkleisterei. Lassen Sie die Werbemillionen nicht in Kanäle abfließen, wo sie schlicht versickern. Tun Sie sich mit dem organisierten Sport zusammen und sorgen Sie für Pläne und Konzepte mit nachhaltiger Wirkung. Unter solchen Vorzeichen werden nämlich am Ende des nationalen Kräftemessens selbst die Unterlegenen keine Verlierer sein. Wir dürfen uns im Gegenteil dann alle freuen, weil der Sport gewonnen hat."


* Anmerkung der DOSB-Redaktion:
Seit den 1990-er Jahren sind verschiedene sportpolitische Dokumente wie Sportberichte der Bundesregierung, Veröffentlichungen der Sportministerkonferenz der Länder, des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp), des Deutschen Sportbundes oder von anderen Institutionen und auch Personen zunehmend im Internet dokumentiert und einsehbar. Sie wurden im Rahmen der Serie nicht mehr ausführlich zitiert.

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 49 / 2. Dezember 2014, S. 35
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2014