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GESCHICHTE/484: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 279 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 50 / 9. Dezember 2014
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

2002/I: "Sport im Fernsehen - nicht nur ein Wanderzirkus der Sensationen" Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 279) *

Eine Serie von Friedrich Mevert



DSB-Präsident Manfred von Richthofen unterstrich bei der Tagung "Sport im Fernsehen" am 11. März 2002 in Mainz in einem Statement zum wiederholten Mal die Forderungen des organisierten Sports an die öffentlich-rechtlichen Anstalten.
Dabei sagte er unter anderem:

"Zwischen Katastrophenstimmung und Euphorie war in den letzten Wochen der Grundtenor auszumachen, wenn es um den Sport in der Medienlandschaft ging. Leo Kirch und die Folgen beherrschten die Negativ-Schlagzeilen in einem Maße, dass man nicht nur den Zusammenbruch eines Imperiums, sondern gleichzeitig um das Überleben ganzer Sportbranchen fürchten musste.

In Superlativen konnten dagegen die öffentlich-rechtlichen Anstalten schwelgen, weil ihnen die Olympiabegeisterung in Deutschland Traum-Einschaltquoten bescherte und sogar die vielgeschmähten Randsportarten ins Zentrum des allgemeinen Interesses rückte. Man stelle sich nur mal vor: Da wird auf die Live-Übertragung eines Fußballspiels der europäischen Spitzenklasse zu Gunsten von Skilanglauf bei Olympia verzichtet und die Fernsehgemeinde klatscht symbolisch Beifall.

Eigentlich unglaublich, wenn man sich die landläufig bekannten Argumente in Erinnerung ruft, mit denen die TV-Strategen normalerweise ihren eingeschränkten Aktionsradius begründen. Es geht also doch mit den sportlichen Mauerblümchen, so darf man schlussfolgern, selbst wenn man einräumen muss, dass Olympia natürlich eine Sondersituation schafft. Doch der olympische Glanz ist es nicht alleine, der das Publikumsinteresse steuert. Es hat auch etwas mit der Präsentation von Sportarten zu tun, die sonst nie im Rampenlicht stehen.

Mir fällt das Beispiel Curling als besonders bemerkenswert ein. Dass sich hier 4 bis 6 Millionen Zuschauer in die Geheimnisse dieses ästhetisch-sanften, aber manchmal auch lauten Wintersports einweihen lassen wollten und auch in der Wettkampffolge treue Kunden blieben, sollte auch für nicht-olympische Gelegenheiten zu denken geben.

Die Randsport-Beispiele von den Winterspielen ließen sich beliebig fortsetzen. Sie haben gezeigt, welch unverbrauchtes Potenzial in vielen Sportarten steckt, die noch nicht überprofessionalisiert und überkommerzialisiert sind. Wo noch keine Millionäre und Multiverdiener die Szene bestimmen und durch Dauerpräsenz auf dem Bildschirm den Sättigungsgrad von TV-Konsum regelmäßig überstrapazieren.

Der sportinteressierte Zuschauer goutiert durchaus die tollen Leistungen sympathischer Athletinnen und Athleten aus Bereichen, die im Schatten der großen Quotenbringer nur ganz selten wahrgenommen werden. Denn dieser Zuschauer hat ein untrügliches Gespür für echten sportlichen Glanz und ehrliche Freude darüber, dass ein Sieg auf saubere Art und Weise zustande kam. Ich halte also hier ganz bewusst ein Plädoyer für die wahre Größe der Kleinen in der Hierarchie der Sportarten. So betrachtet können die Olympischen Winterspiele von Salt Lake City auch als ein Lehrstück für die Fernsehberichterstattung ganz allgemein betrachtet werden. Denn ich denke, wir stehen immer noch da, wo wir uns im Herbst 2000 ebenfalls hier in Mainz inhaltlich verabschiedet haben. Es hat sich wenig getan seither, obwohl es an flammenden Appellen auch damals nicht gefehlt hat.

Die seinerzeit beklagten Misstände bezüglich geringer Sendezeiten für viele der sogenannten Randsportarten sind weiterhin vorherrschend. Wir mahnen nach wie vor an, dass die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, für die die Bürger Gebühren zahlen, ihrem umfassenden Informationsauftrag, den sie auch im Sport haben, nur höchst unzureichend nachkommen. Vor zwei Jahren haben wir gutachterlich feststellen lassen, dass die weitgehende Finanzierung der "Öffentlich-Rechtlichen" durch besagte Gebühren eben die übergreifende Informationspflicht zur Folge hat.

Also: Nicht nur Quotenrenner sind das Maß aller Dinge, ins Programm von ARD und ZDF gehören auch Inhalte ohne Erfolgsgarantie in der Form von Millionen-Zuspruch. Mit anderen Worten: Sportarten selbst für Minderheiten können nicht dauerhaft und flächendeckend ausgeblendet bleiben. Sie haben ihre Daseinsberechtigung auch im Fernsehen. Ich appelliere einmal mehr an ARD und ZDF, ihrem öffentlich-rechtlichen Auftrag zu entsprechen. (...)

Und ich will nicht unerwähnt lassen, dass es im Schattendasein der Randsportarten durchaus auch Lichtblicke gibt. Da sind vor allem die Dritten Programme der ARD zu nennen, eine Sendeplattform, die das ZDF in Ermangelung vergleichbarer Möglichkeiten hin und wieder durch andere Formen ersetzt. Die Fairness im Umgang miteinander gebietet es, solche Bemühungen nicht zu unterschlagen. Doch das ist aus der Sicht des organisierten Sports eindeutig zu wenig.

Wir werden auch künftig unseren Forderungen nach angemessener Berücksichtigung der sportlichen Vielfalt und der gesellschaftspolitischen Bedeutung des Sportgeschehens auf den Bildschirmen Nachdruck verleihen. Wir werden unsere Vertreter in den Rundfunkräten in dieser Richtung neu motivieren. Und wir werden schließlich mit einer großen Gesellschaftskampagne des Sports, die in diesem Frühjahr unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten startet, unsere Argumentationskette ein deutliches Stück verlängern.

Der Sport hat letztlich mehr zu bieten als Quotenbringer und Kassenschlager, als Millionen-Events und Millionärsparaden. Um die Dauerhits im Wanderzirkus der Sensationen mögen die privaten Fernsehsender meistbietend buhlen. Von den öffentlich-rechtlichen Anstalten müssen wir andere Maßstäbe erwarten. Und die reichen von der großen Bandbreite des Spitzensports bis zu den vielfältigen Aspekten des Breiten- und Freizeitsports mit ihren gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen. Eine Forderung, die eigentlich nicht ignoriert werden kann, weil die öffentlich-rechtliche Auftragslage jenseits aller journalistischen wie medienpolitischen Freizügigkeit klar definiert ist."

* Anmerkung der DOSB-Redaktion:
Seit den 1990-er Jahren sind verschiedene sportpolitische Dokumente wie Sportberichte der Bundesregierung, Veröffentlichungen der Sportministerkonferenz der Länder, des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp), des Deutschen Sportbundes oder von anderen Institutionen und auch Personen zunehmend im Internet dokumentiert und einsehbar. Sie wurden im Rahmen der Serie nicht mehr ausführlich zitiert.

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 50 / 9. Dezember 2014, S. 32
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2014