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GESCHICHTE/492: Die ausgefallenen Olympischen Spiele 1916 in Berlin (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 4 / 26. Januar 2016
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Die ausgefallenen Olympischen Spiele 1916 in Berlin

Von Lorenz Peiffer


Zehnmal hat sich eine deutsche Stadt bislang um die Austragung olympischer Spiele beworben - fünf Bewerbungen waren erfolgreich: Olympische Sommerspiele 1916 in Berlin, Olympische Winterspiele 1936 in Garmisch-Partenkirchen, Olympische Sommerspiele 1936 in Berlin und Olympische Sommerspiele 1972 in München. Dabei hätten die deutschen Sportler fast den Startschuss zu den Olympischen Spielen der Neuzeit verpasst. Als auf dem Olympischen Kongress 1894 in Paris die Weichen für die Wiederbegründung der Olympischen Spiele nach antikem Vorbild gestellt wurden, waren keine Deutschen vertreten. Der Initiator der modernen Olympischen Bewegung, Pierre de Coubertin, hatte zwar den preußischen Minister und Vorsitzenden des noblen Berliner Union-Klubs, Victor von Podbielski eingeladen, aber nie eine Antwort erhalten. Podbielski hatte die zwei Schreiben schlicht und einfach in den Papierkorb geworfen. Internationale Sportspiele waren nicht im Interesse der Deutschen, zumal die deutsche Sportszene in dieser Zeit durch die Deutsche Turnerschaft mit ihrer ausgesprochen nationalen Gesinnung dominiert wurde, in der der angestrebte Internationalismus olympischer Spiele keinen Platz hatte. Die Turnerschaft lehnte eine Teilnahme grundsätzlich ab. Darüber hinaus waren die Wunden des deutsch-französischen Krieges in Deutschland noch längst nicht verheilt.

Dass trotzdem eine "wilde Riege" von elf Turnern, zwei Leichtathleten, fünf Radsportlern, einem Tennisspieler und zwei Ruderern an den ersten Olympischen Spielen 1896 in Athen teilnahmen, ist einzig dem Engagement des Berliners Dr. Willibald Gebhardt zu verdanken. Als Anhänger der olympischen Idee gründete er am 13. Dezember 1895 ein "Komitee zur Beteiligung Deutschlands an den Olympischen Spielen". Einer der ersten deutschen Olympiasieger 1896 in Athen war der Berliner Turner Alfred Flatow, der 1933 als Jude aus der Deutschen Turnerschaft ausgeschlossen wurde.

Aus dem von Gebhardt gegründeten "Komitee zur Beteiligung Deutschlands an den Olympischen Spielen" ging fast zehn Jahre später der "Deutsche Reichsausschuß für Olympische Spiele" (DRAFOS) hervor, der allerdings als sein primäres Ziel die Veranstaltung "nationaler Olympischer Spiele im Deutschen Reich" verfolgte. Der Siegeszug des internationalen Sports war aber nicht mehr aufzuhalten. Mit der gesellschaftlichen Akzeptenz des modernen Sports wuchs auch das Interesse der deutschen Sportbewegung an internationalen Veranstaltungen und auch die politische Staatsführung hatte mittlerweile erkannt, dass internationale Sportveranstaltungen eine hervorragende Bühne zur politischen Selbstdarstellung boten. Deutschland wollte jetzt selbst Ausrichter olympischer Spiele werden. Als Bewerberstadt kam nur die Hauptstadt des Deutschen Kaiserreiches, Berlin, in Frage. Am 4. Juli 1912 vergab das Internationale Olympische Komitee auf seiner Tagung in Stockholm die Spiele nach Berlin. Die weiteren Bewerber Alexandria, Amsterdam, Brüssel, Budapest und Cleveland hatten das Nachsehen.

Vier Jahre später, am 1. Juli 1916, sollten die Spiele in Berlin eröffnet werden. Aber es fehlte noch eine geeignete Sportstätte. Im Jahr 1909 hatte der Berliner Union-Klub seine Pferderennbahn im Grunewald eröffnet, deren Innenraum sich für den Bau eines neuen Stadions anbot. Nach nur 200 Arbeitstagen konnte das Stadion - pünktlich um 25jährigen Regierungsjubiläum von Kaiser Wilhelm II - am 8. Juni 1913 eröffnet werden. Es war eine Sportstätte, die den damaligen Ansprüchen an eine moderne Multifunktionsanlage entsprach. Das Regelwerk für die sportlichen Wettkämpfe steckte zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch in den Kinderschuhen, Normwerte für den Bau von Stadien gab es nicht: So maß die Laufbahn, die ein Fußballfeld umschloss, 600 Meter, um die wiederum eine Radrennbahn mit 666 Metern Länge gebaut war. An der Nordseite des Stadion befand sich ein 100 Meter langes Schwimmbad. Die Wettkämpfen in der Arena konnten ca. 33.000 Zuschauer verfolgen.

Das Sportprogramm sah Wettkämpfe in der Leichtathletik, im Ringen, Fechten, Schießen, Modernen Fünfkampf, Radsport, Turnen, Schwimmen, Rudern, Tennis, Fußball, Hockey und Golf vor. Erstmalig war auch die Teilnahme von Frauen in Schwimmsportwettbewerben, im Wasserspringen, Tennis sowie im Korbball vorgesehen.

Zu den leichtathletischen Wettkämpfen der Männer zählte auch ein 10.000-m-Mannschaftsgeländelauf, 100 km Gehen, Steinstoßen mit einem 16,66 kg schweren Stein und Tauziehen. Die Turnwettkämpfe beinhalteten auch turnerische Wettspiele wie Schlagball, Faustball und Schleuderball. Die wichtigste Neuerung im olympischen Programm war jedoch die Austragung einer olympischen Wintersportwoche im Februar 1926. Die Skiwettbewerbe mit zwei Langlaufdisziplinen, dem Spezialsprunglauf und der Nordischen Kombination sollten am Feldberg im Schwarzwald ausgetragen werden, die Wettbewerbe im Eiskunstlaufen (Damen und Herren), Eisschnelllaufen und Eishockey im Berliner Eispalast an der Lutherstraße. Sehr akribisch und systematisch wurden die deutschen Athleten auf die Spiele im eigenen Land vorbereitet. Dazu zählten Auswahllehrgänge und Prüfungswettkämpfe an Universitäten und im kaiserlichen Heer und die Einstellung eines Olympiatrainers. Mit Alvin Kraenzlein trat am 1. Oktober 1913 der vierfache US-amerikanische Olympiasieger von Paris 1900 im 60m-Lauf, 110-m-und 200-m-Hürdenlauf sowie im Weitsprung seinen Dienst an. Zum Generalsekretär der Berliner Spiele wurde Carl Diem ernannt, der 20 Jahre später die Olympischen Spiele 1936 für die Nationalsozialisten in Berlin organisierte. Das Budget sah nach den Planungen des DRAFOS 1,321 Millionen Mark vor. Nach der Eröffnung des 'Deutschen Stadions' am 8. Juni 1913 in Anwesenheit des Kaiserpaares waren die Olympischen Vorspiele am 27./28. Juni 1914 die wichtigste Bewährungsprobe für das neue Stadion. Am zweiten Tag der Spiele, am 28. Juni verübte der serbische Gymnasiast Gavrilo Princip in Sarajewo das tödlich Attentat auf das österreichische Thronfolgerpaar, das letztlich den Ersten Weltkrieg auslöste.

Die geplanten Spiele in Berlin fielen dem Inferno des Weltkrieges zum Opfer. Statt in der Sportarena traf sich die Jugend der Welt auf dem Schlachtfeld. Offiziell wurden die Berliner Spiele nie abgesagt - weder vom Internationalen Olympischen Komitee noch von deutscher Seite. In Deutschland hoffte man auf eine schnelles und erfolgreiches Ende des Krieges. Somit fanden die Olympischen Spiele 1916 in Berlin einfach nicht statt. In der Statistik des Internationalen Komitees werden sie als VI. Olympische Spiele geführt. Der Begründer der modernen Olympischen Spiele, Pierre de Coubertin, erklärt diesen Widerspruch folgendermaßen: "Eine Olympiade braucht nicht gefeiert, sie muß aber gerechnet werden". Als Ausdruck der politischen Unabhängigkeit und Neutralität der olympischen Bewegung verlegte Coubertin des Sitz des olympischen Büros 1915 von Paris nach Lausanne. Dort in der neutralen Schweiz residiert das Internationale Olympische Komitee bis heute.

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 4 / 26. Januar 2016, S. 26
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2016

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