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GESCHICHTE/493: Vor 50 Jahren - "The games are awarded to Munich" (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 16 / 19. April 2016
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Vor 50 Jahren: "The games are awarded to Munich"
Am 26. April 1966 vergab das Internationale Olympische Komitee die XX. Olympischen Spiele nach München

Von Prof. Lorenz Peiffer


Vor 50 Jahren, am 26. April 1966, verkündete der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Avery Brundage, das Ergebnis der Abstimmung über die Vergabe der Olympischen Sommerspiele 1972. Mit 31 Stimmen hatte sich die bayerische Landeshauptstadt München im 2. Wahlgang im Kampf um die Austragung der XX. Olympischen Sommerspiele gegen die Mitbewerber Montreal und Madrid auf der IOC-Session in Rom klar durchgesetzt.

Fast genau auf den Tag sechs Monate zuvor hatte der Präsident des Nationalen Komitees für Deutschland (NOK) und Mitglied des IOC, Willi Daume, am 28. Oktober 1965 den Oberbürgermeister Münchens, Hans-Jochen Vogel, in seinem Dienstzimmer mit den Worten aufgesucht: "Ich bringe Ihnen die Olympischen Spiele". "Sauber" war Vogels spontane Reaktion und signalisierte zugleich Überraschung und Zustimmung.

IOC erkennt NOK der DDR an

Wiederum drei Wochen zuvor hatten die Funktionäre des bundesrepublikanischen Sports auf der IOC-Session am 8. Oktober 1965 in Madrid eine bittere Niederlage hinnehmen müssen. Mit einem eindeutigen Votum hatte das IOC die gesamtdeutsche Olympiamannschaft zu Grabe getragen und der DDR für die nächsten Olympischen Spiele in Grenoble und Mexiko-City den Auftritt mit einer eigenen Mannschaft zugebilligt - wenn auch noch mit der Einschränkung, gemeinsam mit der Mannschaft der Bundesrepublik hinter der schwarz-rot-goldenen Fahne mit den olympischen Ringen einzumarschieren und bei Siegerehrungen Beethovens 'Ode an die Freude' als Hymne zu akzeptieren. Seit 1951 hatten die bundesrepublikanischen IOC-Vertreter die Bemühungen des NOK der DDR vom IOC als eigenständiges NOK anerkannt zu werden, erfolgreich verhindert. Am 8. Oktober 1965 trug das IOC den politischen Realitäten der Existenz zweier deutscher Staaten Rechnung.

"Gremium von Privatleuten"

Ein Blick in die Akten des Auswärtigen Amtes zeigt, dass sich die Verantwortlichen in der Analyse der Madrider Beschlüsse einig waren. Eben weil die Beschlüsse nur für die nächsten Spiele in Mexiko City gelten sollten, würde auch nach Einschätzung der Experten des Auswärtigen Amtes für die folgenden Spiele eine neue Beschlusslage notwendig und man war sich auch einig, dass das IOC wohl kaum den Status ante quo wieder herstellen würde: "Die Regelung ist auf die Olympischen Spiele 1968 begrenzt, so dass für spätere Olympische Spiele wohl mit weiteren Pressionsversuchen des Ostblocks gerechnet werden muss." Die Bundesregierung sah jedoch keine Notwendigkeit auf Grund der Madrider IOC-Beschlüsse die Grundsätze ihrer Außenpolitik zu verändern, da sie das IOC als ein "Gremium von Privatleuten" einschätzte, "die nicht auf Weisung ihrer Regierung (mit Ausnahme der Mitglieder der Ostblockstaaten) handeln und deren Beschlüsse in völkerrechtlicher Hinsicht irrelevant" sind und hielt weiterhin an ihrer Abgrenzungspolitik gegenüber der DDR fest.

In dem festen Glauben, dass das IOC dem bundesrepublikanischen Sport nach der Madrider Entscheidung etwas schuldig sei und sich gegenüber der Bundesrepublik in der Pflicht sähe, forcierte Daume eine bundesdeutsche Olympiabewerbung. Es blieb nur wenig Zeit, denn bis zum 31. Dezember 1965 musste die Bewerbung beim IOC vorliegen.

Planungen begannen bei Null

In zwei Monaten (!!!) mussten ein inhaltliches und bauliches sowie ein finanzielles Konzept entwickelt werden - und dazu waren u.a. Gespräche mit der Stadtverwaltung, dem Land Bayern und der Bundesregierung notwendig. Olympiataugliche Sportstätten standen in München zu dem Zeitpunkt nicht zur Verfügung. Alle Planungen begannen quasi bei Null! Und über allem schwebte die deutsch-deutsche Frage, denn zum Zeitpunkt der Münchner

Bewerbung galten :

  1. das Verbot der Bundesregierung (1959), die Staatsflagge der DDR und die Hymne der DDR auf dem Boden der Bundesrepublik zu zeigen bzw. zu intonieren - "Störung der öffentlichen Ordnung";
  2. der Beschluss der Innenminister der Länder (April 1960), das Tragen des Emblems der DDR auf westdeutschem Boden prinzipiell nicht zu gestatten;
  3. der Beschluss der Innenminister der Länder (April 1960), das Tragen des Emblems der DDR prinzipiell nicht zu gestatten.

Darüber hinaus beharrte die Bundesrepublik Deutschland weiterhin auf ihrem Alleinvertretungsanspruch und betrachtete die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Deutschen Demokratischen Republik durch Drittstaaten als "unfreundlichen Akt" gegenüber der Bundesrepublik (sogenannte Hallstein-Doktrin). Vor diesem Hintergrund wäre eine Teilnahme einer Olympiamannschaft der DDR mit eigener Symbolik (Staatsflagge, Hymne und Emblem der DDR) bei den Spielen 1972 in München, die nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes für die nächsten Olympischen Spiele zu erwarten sei, ausgeschlossen gewesen. Dass die Bundesregierung ihre Ostpolitik und damit auch ihre Haltung gegenüber dem zweiten deutschen Staat grundlegend ändern würde, diese Perspektive zeichnete sich im Dezember 1965 noch nicht einmal in Umrissen ab.

Pragmatiker Vogel und Visionär Daume

Trotz dieser brisanten politischen Konstellation spielte die deutsche Frage bei allen weiteren Gesprächen um die Bewerbung keine Rolle. Der Münchner OB Hans-Jochen Vogel gab nach kurzer Bedenkzeit Willi Daume "sozusagen das Münchner Jawort". In den nächsten Monaten und Jahren sollte sich zeigen, dass sich mit dem Pragmatiker Hans-Jochen Vogel und dem Visionär Willi Daume ein kongeniales Duo gefunden hatte.

Für die Stadt München war die finanzielle Unterstützung durch Bund und Land eine unabdingbare Voraussetzung für die Bewerbung. Alleine konnte die Stadt die notwendigen Investitionen für die ohnehin geplanten stadtentwicklungsrelevanten Maßnahmen (z. B. Ausbau des städtischen Verkehrsnetzes) sowie für den Bau der Sportstätten und des olympischen Dorfes für die Unterbringung der Athleten nicht aufbringen. In einem ersten Gespräch mit dem bayerischen Ministerpräsidenten versprach Alfons Goppel die volle Unterstützung des Freistaates und die Übernahme eines Drittels der anfallenden Kosten. Nach einer vorläufigen Kostenschätzung ging man von rund 500 Millionen Mark aus, von denen München, der Freistaat und die Bundesrepublik je ein Drittel übernehmen sollten. Nachdem Bundeskanzler Erhard mit den Worten "Ich will nicht nur Trübsal und Unerfreuliches. Es muß auch einmal etwas Erfreuliches geschehen, was den Menschen Freude bereitet. Ich bin dafür!"seine Zustimmung am 29. November gegeben hatte, blieb den Münchnern noch ein Monat bis zur Abgabe der Bewerbung beim IOC.

Aus dem bislang inoffiziellen Vorgang wurde noch am selben Tag eine offizielle Angelegenheit, indem der Presse mitgeteilt wurde, dass München eine Bewerbung für die Olympischen Sommerspiele 1972 plane und in Verhandlungen mit Bund und Land stehe.

Votum der Bevölkerung wurde ausgeklammert

Auch wenn die Bewerbungsunterlagen des IOC zu dem damaligen Zeitpunkt noch nicht so umfangreich waren wie in der heutigen Zeit, mussten der Fragenkatalog des IOC abgearbeitet und beantwortet werden und ein schlüssiges und überzeugendes inhaltliches und finanzielles Konzept vorgelegt werden. Darüber hinaus mussten der Münchner Stadtrat, der bayerische Landtag und der deutsche Bundestag der Bewerbung zustimmen. Das Bundeskabinett bestätigte am 2. Dezember 1965 die Zusage des Bundeskanzlers, und der Bundestag stimmte der Bewerbung ebenfalls zu. In Bezug auf die deutsche Frage gab Bundesinnenminister Lücke die Zusage, dass die Bundesregierung die Durchführung der Olympischen Spiele 1972 fördere und alle Voraussetzungen für eine ungestörte Ausrichtung schaffe und allen Teilnehmern der Spiele die Einreise in die BRD gewähre. Ob in dieser Zusage auch die Einreise einer DDR-Mannschaft mit eigener Symbolik und voller völkerrechtlicher Anerkennung eingeschlossen war, muss bezweifelt werden.

Der Bayerische Landtag beschloss am 14. Dezember 1965 die Unterstützung der Bewerbung, das NOK für Deutschland wenige Tage später am 18. Dezember 1965, und am 20. Dezember stimmte auch der Stadtrat der Bewerbung zu. Damit war das Bewerbungsverfahren formal abgesichert, ein Votum der Münchner Bevölkerung wurde ausgeklammert.

In 21 Tagen - vom Zeitpunkt der offiziellen Verkündung der Bewerbungspläne bis zur Stadtratsentscheidung - hatten die Münchner ein Konzept erarbeitet, das "Spiele der kurzen Wege" und "Spiele im Grünen" versprach und darüber hinaus dem IOC ein Programm der "schönen Künste" offerierte, entsprechend den Vorstellungen Coubertins von der klassischen Einheit von Sport und Kunst. Den entscheidenden Vorteil ihrer Bewerbung sahen die Münchner darin, dass die wesentlichen olympischen Sportstätten neu gebaut werden mussten und zusammen mit dem ebenfalls neu zu errichtenden olympischen Dorf auf dem im Stadtkern liegenden Oberwiesenfeld eine Einheit bilden würden.

Am 30. Dezember 1965 überreichten ein Vertreter der Stadt München und der Vizepräsident des NOK für Deutschland, Walter Wülfing, dem IOC-Generalsekretär in Lausanne die Bewerbungsunterlagen. "Erfüllt von dem Bewußtsein, daß Sport und Kultur im Sinne eines mehr als 2000 Jahre alten klassischen Ideals zum friedlichen Wettstreit und zur Verständigung unter allen Völkern auf dieser Welt beizutragen vermögen, bewirbt sich die Landeshauptstadt München um die Veranstaltung der Olympischen Sommerspiele 1972".

Die verbleibenden vier Monate bis zur Entscheidung des IOC am 26. April 1966 im Rahmen seiner 64. Session in Rom musste jetzt genutzt werden, um das Konzept präsentierbar aufzuarbeiten und die einflussreichen IOC-Mitglieder sowie die Vertreter der internationalen Sportverbände für die eigenen Bewerbung zu 'sensiblisieren' und zu gewinnen.

Dazu wurde eine eigene "Arbeitsgruppe zur Vorbereitung geeigneter Maßnahmen zur Vertretung der Münchener Bewerbung um die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 1972" ins Leben gerufen, die sich zur Aufgabe machte:

  1. Die Manipulation der öffentlichen Meinung durch gezielte Einschaltung der Presse.
  2. Die Beeinflussung offizieller Stellen im Ausland unter Ausnutzung diplomatischer Wege.
  3. Die Bemühung um die IOC-Mitglieder im Rahmen des Zulässigen.

Um diese Zielvorgaben zu realisieren, wurden 20 der einflussreichsten Journalisten im März nach München eingeladen, von denen über die Hälfte dieser Einladung folgten. Die Veranstaltung brachte nach Einschätzung der Münchener Organisatoren den gewünschten Erfolg: eine wohlwollende und unterstützende Berichterstattung in den in- und ausländischen Medien. Das Auswärtige Amt wies seine Botschaften an, unter Ausschöpfung inoffizieller Kanäle und persönlicher Kontakte den Sportfunktionäre des Landes - insbesondere den IOC-Mitgliedern - die Vorzüge der Münchener Bewerbung nahezubringen.

Daume und Vogel reisten am 26. März 1966 nach Chicago, um den IOC-Präsidenten Brundage persönlich die Bewerbung vorzustellen. Die Deutsche Olympische Gesellschaft lud die IOC-Mitglieder ein, auf dem Weg zu ihrer Session in Rom, die Vorzüge der Bewerberstadt München kennenzulernen.

Dank dieser konzertierten Aktionen im Vorfeld der IOC-Entscheidung in Rom und einer überzeugenden Präsentation sprach das IOC der bayerischen Landeshauptstadt München die Austragung der Olympischen Sommerspiele 1971 zu. Dabei hatte die Forderung des IOC-Präsidenten unmittelbar vor der Entscheidung in Rom noch einmal für große Aufregung in der deutschen Delegation gesorgt.

Brundage forderte, der Bewerbung eine schriftliche Erklärung beizufügen, in der garantiert wurde, dass die DDR bei den Spielen in München wie alle anderen Teilnehmerländer behandelt würde. Da Daume die Erklärung des Bundeskanzleramtes vom 22. April nicht für ausreichend hielt, fertigten Daume und Vogel eine englische Übersetzung unter Auslassung des Datums, in der sie die Einreise aller bis 1972 anerkannten nationalen Olympischen Komitees wiederholten, in Bezug auf die DDR-Symbolik jedoch lediglich darauf hinwiesen, dass im Jahre 1972 die IOC-Regeln befolgt würden. Diese selbstgebastelte Erklärung erwies sich letztlich als ausreichend!

Heute haben Bewerbungen für die Austragung Olympischer Spiele einen großen zeitlichen Vorlauf und einen mehrstelligen finanziellem Millionenaufwand. Vor diesem Hintergrund erscheint die erfolgreiche Münchner Bewerbung aus dem Jahre 1965 wie eine Begebenheit aus längst vergangenen Zeiten. Ob die jetzigen Bewerbungsverfahren effektiver, transparenter und gerechter sind als vor 50 Jahren, sei dahin gestellt!

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 16 / 19. April 2016, S. 31
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. April 2016

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