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FRAGEN/055: Prof. Dr. Wilfried Kindermann zum Thema Ärzte und Doping (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 10 / 3. März 2009
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Stichwort: Ärzte und Doping
Sieben Fragen an Prof. Dr. Wilfried Kindermann, Vorsitzender der medizinischen Expertenkommission des DOSB

"Für Verbandsärzte wird ein Kriterienkatalog entwickelt"


(DOSB PRESSE) Medizinischer Ehrenkodex und rechtliche Vorschriften sollen die Beteiligung von Ärzten an Doping verhindern. Es geschieht trotzdem, und deshalb kann sich die Ethikkommission der Bundesärztekammer in letzter Konsequenz auch den Entzug der Approbation für Dopingmediziner vorstellen. Entsprechende Äußerungen des Kommissionsvorsitzenden Professor Urban Wiesing bei der Vorstellung des Papiers, das die Kommission für die Bundesärztekammer erarbeitet hatte, fanden ein breites Echo. Für den DOSB begrüßte Präsident Thomas Bach die Stellungnahme und setzte sich dafür ein, erweiterte Sanktionsmöglichkeiten auch zu nutzen. Einer der Experten, von denen sich die Kommission fachlich beraten ließ, ist Professor Wilfried Kindermann, Vorsitzender der medizinischen Expertenkommission des DOSB.


DOSB PRESSE: Herr Kindermann - eine Stellungnahme einer Ethikkommission bestellt man nicht ohne Grund. Was hat die Standesvertretung aufgerüttelt - der Skandal um die Freiburger Uniklinik oder die Berichte über Schüler, die sich mit Anabolika zu Muskelmännern tunen wollen und Freizeitläufer oder -radler, die ihren Hausarzt um pharmazeutischen Hilfestellung bitten?

KINDERMANN: Jeder Arzt, nicht nur Sportmediziner, kann mit dem Thema Doping konfrontiert werden. Der Missbrauch von Medikamenten zur Leistungssteigerung im Wettkampfsport oder auch zum schnellen Aufbau von Muskulatur im Freizeitsport, um mit einem athletischen Körper zu imponieren, ist weit verbreitet. Deshalb sah sich die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer veranlasst, eine Orientierungshilfe zu verfassen, die Ärzten, die mit Dopingpraktiken in Berührung kommen, Empfehlungen zu geben.

DOSB PRESSE: Worin bestand Ihr Beitrag zur Arbeit der Ethikkommission?

KINDERMANN: Ich gehörte zu den zugezogenen Experten bei der Erarbeitung dieser Stellungnahme. Wir haben unsere jeweils speziellen Erfahrungen eingebracht. Das betraf beispielsweise die medizinische Sicht mit besonderer Berücksichtigung des Dopings von Minderjährigen oder die Problematik der ärztlichen Fürsorgepflicht bei dopenden Sportlern. Ich persönlich bin der Meinung, dass man einem Arzt nicht zumuten kann, einen Sportler zu betreuen und zu behandeln, wenn dieser nicht bereit ist, Doping aufzugeben, vorausgesetzt es bestehen keine gravierenden gesundheitlichen Probleme. Auch das Spannungsverhältnis eines Verbandsarztes wurde thematisiert. Man braucht das Vertrauen des Athleten, sollte aber auch genügend kritische Distanz bewahren, um sich nicht vereinnahmen zu lassen. Zu viel Kumpanei kann zu falsch verstandener Solidarität führen. Andererseits haben wir auch deutlich gemacht, dass eine ärztliche Betreuung im Spitzensport durch sogenannte neutrale Ärzte nicht möglich und auch nicht durchsetzbar ist.

DOSB PRESSE: Welche Umstände und Voraussetzungen begünstigen den dopenden Sportarzt und welche begünstigen den sauberen Mediziner?

KINDERMANN: Die Versuchung ist groß, sich in das Rampenlicht eines bekannten Sportlers zu drängen und von dessen Erfolg zu profitieren. Damit riskiert man seine Unabhängigkeit und gerät in Gefahr, bei gesundheitlichen Problemen nicht objektiv zu entscheiden und sich zu Leistungsmanipulationen verführen zu lassen. Meinen Mitarbeitern in Saarbrücken habe ich immer wieder gepredigt, sich nicht vom Leistungssport abhängig zu machen und ihre vorrangige Aufgabe in der Gesunderhaltung von Sportlern und im Gesundheitssport zu sehen. Gefährlich kann es auch werden, wenn Ärzte am Erfolg von Sportlern finanziell beteiligt werden.

DOSB PRESSE: Der DOSB veranstaltet unter Ihrer Leitung Anti-Doping-Seminare für Verbandsärzte und Mediziner aus Olympiastützpunkten - was bringen Sie denen bei?

KINDERMANN: Seit 2007 finden diese verpflichtenden Anti-Doping-Seminare statt. Hier wird das vermittelt, was auch in der Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission gefordert wird. Neben Informationen zu den jeweils aktuellen Dopingbestimmungen versuchen wir anhand von Fallbeispielen Hilfestellung zu geben, wie man sich als betreuender Arzt in verschiedenen kritischen Situationen verhalten sollte. Derzeit entwickeln wir in der medizinischen Expertenkommission des DOSB einen Kriterienkatalog für Verbandsärzte, nachdem wir im letzten Seminar die möglichen Voraussetzungen intensiv diskutiert haben. Wir versuchen auch die verschiedenen Akteure der Dopingproblematik in die Anti-Doping-Seminare einzubinden. So hatten wir beispielsweise eine rege Diskussion mit einem Journalisten einer großen deutschen Tageszeitung. Darüber hinaus beabsichtigen wir, einen der großen Sportsponsoren zu gewinnen, um über die Verantwortung der Sponsoren bei der Dopingbekämpfung zu reden und zu diskutieren.

DOSB PRESSE: Entzug der Approbation, das ist ein faktisches Berufsverbot. Sind Sie dafür oder dagegen?

KINDERMANN: Der Entzug der Approbation ist ein scharfes Schwert. Dazu wurde in dem Papier der Ethikkommission nicht ausdrücklich Stellung bezogen. Letztlich wäre das eine Entscheidung der zuständigen Ärztekammer. Meines Erachtens kann es dafür keine generelle Empfehlung geben. Bei solchen schwerwiegenden Entscheidungen müssen die individuellen Umstände berücksichtigt werden. Nach dem neuen WADA-Code wird auch gedopten Sportlern Einzelfallgerechtigkeit eingeräumt.

DOSB PRESSE: Und insgesamt: Was wird aus dem Papier - wird es vorgelegt und vergessen oder erwarten Sie konkrete Schritte?

KINDERMANN: Papiere können geduldig sein, die Vergangenheit hat uns gelehrt, dass nicht immer alles umgesetzt wird. Immerhin wurde die Stellungnahme kürzlich im Deutschen Ärzteblatt, dem offiziellen Organ der Ärzteschaft und gleichzeitig auflagenstärksten Medizinzeitschrift in Deutschland mit knapp 400.000 Exemplaren veröffentlicht und damit allen Ärzten, vom Kinderarzt bis zum im öffentlichen Gesundheitsdienst tätigen Arzt, zugänglich gemacht. Als Leiter der Anti-Doping-Seminare des DOSB werde ich das Papier in einem der nächsten Seminare zur Diskussion stellen.

LINK für Stellungnahme Ethikkommission Bundesärztekammer:
http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=3.71.6895.6956.6986


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 10 / 3. März 2009, S. 10
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. März 2009