Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → FAKTEN

FRAGEN/070: Anja Berninger zum Stichwort Nationale Anti-Doping-Agentur (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 33 / 11. August 2009
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Stichwort: Nationale Anti-Doping-Agentur
Acht Fragen an Anja Berninger, Justitiarin der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA), über das verschärfte Meldesystem für Athleten, Verstöße im ersten Halbjahr und juristische Einblicke in den Fall Claudia Pechstein

"97 Prozent der Athleten kommen mit den Whereabouts gut klar"


DOSB PRESSE: Der neue Code der Internationalen Anti-Doping-Agentur (WADA) ist seit sieben Monaten in Kraft. Welche Zwischenbilanz können Sie vor allem in Bezug auf die zuvor viel gescholtene Verschärfung der Meldepflichten für Athleten ziehen?

BERNINGFER: Grundsätzlich lässt sich sagen, dass es um dieses Thema mittlerweile ruhiger geworden ist. Die Athleten haben sich an die neuen Vorschriften gewöhnt, so dass inzwischen eine gewisse Routine bei ihnen eingekehrt ist. Die allermeisten der 1.769 Sportlerinnen und Sportler, die wir derzeit in unseren beiden Testpools mit Meldepflichten haben, geben die von ihnen geforderten Whereabouts - also die Informationen über ihre Aufenthaltsorte - pünktlich ab. 97 Prozent der Athleten kommen mit den Whereabouts gut klar. Das zeigt, dass sich die Athleten damit intensiv auseinandersetzen. Das zeigt, dass es trotz mancher anfänglicher Anwendungsprobleme machbar ist. Damit hat sich die Qualität dieser Angaben seit Jahresbeginn massiv verbessert. Vor diesem Hintergrund wird uns die Planung und Durchführung von intelligenten Kontrollen natürlich sehr erleichtert. Im Ergebnis gab es zwischen Januar und Juni nur noch fünf Prozent nicht erfolgreicher Kontrollversuche. Das heißt, nur in jedem 20. Fall haben unsere Kontrolleure die Athleten nicht angetroffen. Schon jetzt lässt sich sagen, dass uns die strengeren Regelungen im Meldesystem viel gebracht haben. Auf der anderen Seite ist klar, dass diese Auflagen für die Athleten an der Grenze des Zumutbaren sind.

DOSB PRESSE: Wie viele Verstöße wurden im ersten Halbjahr registriert?

BERNINGER: Das müssen wir unterscheiden zwischen den derzeit 1.260 Sportlern im Nationalen Testpool NTP, die jeweils für das neue Quartal drei Monate im Voraus angeben müssen, wo sie sich an den einzelnen Tagen aufhalten werden. Natürlich ist das eine große Belastung, aber andererseits darf man das auch wieder nicht zu dramatisch sehen, denn jeder Athlet hat ja die Übersicht, wann Trainingslager und Wettkämpfe anstehen und an welchen Tagen er zuhause ist und beispielsweise zur Uni oder zur Arbeit geht. Außerdem können diese Angaben jederzeit aktualisiert werden. Bei dieser so genannten Meldepflicht gab es im ersten Halbjahr im NTP insgesamt 197 Verstöße, wobei auf das erste Quartal 134 entfielen und auf das zweite Quartal nur noch 63. Damit liegen wir absolut im grünen Bereich, und es zeigt sich, dass Aufklärung und Schulungen auf diesem Gebiet zunehmend Erfolg bringen. Dasselbe trifft für die momentan 509 Sportler in unserem Registered Testing Pool RTP zu, also jene Spitzenathleten, die aufgrund der Vorgaben ihrer internationalen Verbände dort eingruppiert wurden oder die aus der Gruppe der besonders gefährdeten und für Doping anfälligen Sportarten kommen. Für sie gilt neben der so genannten Drei-Monats-Vorschau zusätzlich die Ein-Stunden-Regel. Die RTP-Athleten müssen bei ihren Whereabouts für jeden Tag zusätzlich eine Stunde angeben, in der sie garantiert an einem bestimmten Ort für Dopingkontrollen zu erreichen sind. Wobei es möglich ist, bis unmittelbar vor Anbruch dieser Stunde noch Änderungen vorzunehmen.

DOSB PRESSE: Wie viele Verstöße gab es bei den Athleten im RTP?

BERNINGER: In Bezug auf die Meldepflicht waren es insgesamt 32. Hinzu kamen im ersten Halbjahr 14 Kontrollversäumnisse, das heißt, die Athleten wurden in jener Stunde, die von ihnen angegeben wurde, nicht zur Doping-Kontrolle angetroffen. Entsprechend handelten sie sich einen "Missed Test" ein. Wir schauen in solchen Fällen auch mal genauer hin, vor allem wenn es sich wiederholt, und stufen diese Sportler möglicherweise intern in die Gruppe der "Red-Flag-Athleten" ein. Das sind solche, bei denen wir zum Beispiel aufgrund ihrer Meldedaten Ungereimtheiten und Merkwürdigkeiten im Bewegungsprofil erkennen oder die durch große Leistungssprünge binnen kurzer Zeit auffallen und Ähnliches. "Red-Flag-Athleten" stehen unter besonderer Beobachtung und werden möglicherweise öfter oder noch gezielter kontrolliert. Normalerweise werden bei Athleten im RTP pro Jahr mindestens fünf Urin- und zwei Blutproben genommen - unangekündigt, versteht sich.

DOSB PRESSE: Der Untersuchungsbericht zu den Dopingpraktiken an der Universität Freiburg im Profiradsport und besonders im Zusammenhang mit dem Team Telekom liegt seit geraumer Zeit vor. Warum wird der NADA bisher der Einblick in die Ergebnisse verwehrt?

BERNINGER: Wir sind zunächst an die Untersuchungskommission herangetreten wegen eines Treffens, um weitergehende Informationen zu bekommen. Denn ähnlich wie bei der Kronzeugenregelung interessiert uns sehr, wie und mit welchen Methoden dort manipuliert wurde und welche Personen in dieses Netzwerk eingebunden waren. Die Einsicht in den Untersuchungsbericht wäre der nächste Schritt. Doch dafür müsste uns die zuständige Staatsanwaltschaft ein berechtigtes Interesse an den Untersuchungsergebnissen zubilligen. Wenn sie uns die Akteneinsicht verweigert, zeigen sich darin die Grenzen unserer Macht. Wir sind eben nicht mit den Ermittlungsbefugnissen staatlicher Machtorgane ausgestattet. Doch wir sind bestrebt, uns dieser Möglichkeiten mehr und mehr zu bedienen, indem wir mit dem Bundeskriminalamt und Staatsanwaltschaften kooperieren. Bei Verdachtsmomenten auf Doping hat es auch schon mehrere gemeinsame Aktionen gegeben.

DOSB PRESSE: Die NADA war sehr früh über den Sachstand im Verfahren gegen Eisschnellläuferin Claudia Pechstein informiert. Welche Rolle kommt der NADA dabei zu? BERNINGER: Es ist in der Regel so, dass uns Internationale Verbände sofort darüber informieren, wenn sie bei deutschen Athleten Verstöße gegen die Anti-Doping-Bestimmungen feststellen und Verfahren einleiten. Die Hoheit des Verfahrens bleibt dabei beim jeweiligen Verband. Wird uns in unserem eigenen Kontrollsystem ein Verstoß eines deutschen Sportlers bekannt, ist es umgekehrt so, dass wir sofort den betreffenden nationalen Verband informieren und auffordern, ein Verfahren einzuleiten. Kommt der Verband dem nicht nach, dann würden wir das tun. In Bezug auf Claudia Pechstein sind wir jedoch in der Rolle des Beobachters.

DOSB PRESSE: Können Sie etwas Licht in die diffuse juristische Situation in dieser Sache bringen?

BERNINGER: Grundsätzlich haben wir es hier mit keiner positiven Probe zu tun, sondern mit Indizien. Ganz klar ist auch in diesem Fall, dass die Anti-Doping-Organisation die Beweislast für einen Verstoß trägt. In diesem Fall ist es der Internationale Eislaufverband ISU. Wie die ISU mitteilte, wurden bei Claudia Pechstein auffällige Werte und auffällige Veränderungen der Werte in einer Serie von Doping-Tests festgestellt, so dass der Internationale Verband von Doping ausgeht und eine Sperre verhängte. Für solche Konsequenzen, so besagen die Regeln der Internationalen Anti-Doping-Agentur WADA, muss die Beweiskraft der Indizien bei über 50 Prozent liegen, der Dopingverstoß muss aber nicht zweifelsfrei feststehen.

DOSB PRESSE: Die ISU scheint davon überzeugt. Welcher Weg bleibt, juristisch gesehen, der Athletin?

BERNINGER: In dem angestrebten Berufungsverfahren vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS müssten die Sportlerin und ihre Anwälte darlegen, dass diese Indizien nicht durch Manipulationen entstanden sind. Das Regelwerk sieht vor, dass für eine Entlastung die Beweiskraft der Indizien so weit erschüttert werden muss, dass die Wahrscheinlichkeit der Manipulation nicht mehr über 50 Prozent liegt, sondern nur noch bei 50 Prozent. Das klingt zwar jetzt alles sehr theoretisch, aber das sind nun einmal die gültigen Maßstäbe für das Beweismaß. Hält sich in einem Indizienprozess die Wahrscheinlichkeit, dass ein Sportler manipuliert hat oder dass den Werten andere Faktoren - zum Beispiel eine Anomalie - zugrunde liegen, die Waage, dann spricht dieses 50:50-Verhältnis zugunsten des Athleten. Je mehr und bessere Indizien man also hat, desto eher kann man einen solchen Prozess gewinnen.

DOSB PRESSE: Mit welchen Erwartungen schauen Sie auf die Berufungsverhandlung vor dem CAS?

BERNINGER: Zunächst einmal betrachte ich das Verfahren nicht als Präzedenzfall, denn es gab bereits einige Indizienprozesse. Natürlich werden wir das mit großem Interesse verfolgen. Die große Frage wird sein, ob die Indizien der ISU schwer genug wiegen oder inwieweit sie erschüttert werden können. Bei der Verhandlung vor dem CAS wird sich zeigen, ob die Beweisführung der ISU stimmig und überzeugend ist, ob zum Beispiel genügend Gutachter einbezogen worden sind oder ob umgekehrt die Indizien nicht ausreichend sind. Sollte die ISU unterliegen, wäre das als Einzelfall zu betrachten. Generell wäre das Schwert des Indizienprozesses als Instrument im Kampf gegen Doping darum keineswegs stumpf. So viel sollte den Athleten schon heute als Warnung gesagt sein.


*


Quelle:
DOSB-Presse Nr. 33 / 11. August 2009, S. 7-8
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
Herausgeber: Deutscher Olympischer Sportbund
Otto-Fleck-Schneise 12, 60528 Frankfurt/M.
Tel. 069/67 00-255
E-Mail: presse@dosb.de
Internet: www.dosb.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2009