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POLITIK/261: Einmütigkeit - Boykott ist keine Lösung (DOSB)


DOSB Presse - Der Artikel- und Informationsdienst
des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Einmütigkeit von der Politik bis hin zum Sport: Boykott ist keine Lösung

Chinas Eingreifen in Tibet bestimmen Diskussionen und Schlagzeilen


(DOSB PRESSE) Die Besorgnis über das Eingreifen chinesischer Militärkräfte gegen protestierende Tibeter bestimmen die Diskussionen und Schlagzeilen. Durchweg Einigkeit herrscht in einem Punkt: Ein Boykott der Olympischen Sommerspiele in diesem Sommer in Peking würde zu keiner Lösung führen. Diese Meinung hatten bereits vor zwei Wochen Bundeskanzlerin Angela Merkel und weitere führende Politiker geäußert.

Gegen einen Boykott haben sich am Wochenende die EU-Außenminister bei ihrem Treffen in Slowenien ausgesprochen und zu einem Dialog mit Vertretern der tibetischen Autonomiebewegung aufgerufen. Der Bogen der Boykott-Gegner spannt sich vom bekannten Sportlerinnen und Sportlern über namhafte ehemalige Politiker wie Altkanzler Helmut Schmidt und Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher bis hin zu der Menschenrechtsorganisation Amnesty International und dem ARD-Vorsitzenden Fritz Raff, der vor voreiligen Boykottdrohungen warnt: "Das ist bislang nur ein Wettbewerb um die beste Schlagzeile." Allerdings müsse man aber "genau beobachten, ob unsere Freiheit der Berichterstattung eingeschränkt wird". Gegen eine Boykott sprach sich das geistliche Oberhaupt der Tibeter, der Dalai Lama, aus, der in einem Interview sagte: "Ein Boykott scheint mir zu radikal und der Bedeutung Chinas nicht angemessen."

Nachfolgend veröffentlicht die DOSB PRESSE Stimmen im Wortlaut zur derzeitigen Situation in China und Tibet und möglichen Folgen:

Dalai Lama, geistiges Oberhaupt der Tibeter: "Ein Boykott der Olympischen Spiele in Peking scheint mir zu radikal und der Bedeutung Chinas nicht angemessen. China ist die bevölkerungsreichste Nation der Welt und zudem eine alte Zivilisation mit einer bedeutenden Geschichte und Kultur. Deshalb bin ich grundsätzlich der Meinung, dass China es verdient hat, das bedeutendeste Sportereignis der Welt auszurichten."

Angela Merkel, Bundeskanzlerin: "Ich halte nichts von einem Olympia-Boykott. Das würde die Situation mit China nur verschärfen und damit das Gegenteil des Gewünschten erreichen."

Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesinnenminister: "Der Sport kann seine Wirkung nur entfalten, wenn die Olympischen Spiele stattfinden"

Helmut Schmidt, früherer Bundeskanzler: "Schon der von mir 1980 unterstützte Boykott Moskaus' hat nichts gebracht. Und er würde auch heute nichts bringen. 1980 ist die Bundesregierung inmitten des damaligen Ost-West-Konfliktes allein aus nationalem Interesse dem Drängen der USA gefolgt."

Hans-Dietrich Genscher, früherer Bundesaußenminister: "Der Sport darf nicht die Politik ersetzen. Außerdem kann man den Prozess der Öffnung Chinas nicht dadurch fördern, dass man sich verschließt. Wir haben uns 1980 mit Rücksicht auf die Amerikaner zu diesem schweren Schritt entschlossen. (...) Die Politik sagt - und das zu Recht - wir müssen mit China reden, wir müssen mit China zusammenarbeiten. Dasselbe sagt die Wirtschaft. Warum soll dann der Sport sich anders verhalten?"

Frank-Walter Steinmeier, Bundesaußenminister, nach dem Treffen der EU-Außenminister: "Viele haben zum Ausdruck gebracht, dass eine politische Instrumentalisierung des Sports, wie sie von manchen mit der Ankündigung von Boykott beabsichtigt worden ist, keine angemessene Reaktion wäre. (...) Man darf sich die Diskussion nicht ganz so einfach machen. Ein Nein zu Olympia - nur um sich das Gewissen zu erleichtern - hilft weder den Menschen in China noch den Sportverbänden."

Gordon Brown, britischer Premierminister: "Jede Art von Boykott der Spiele von Peking durch Großbritannien ist ausgeschlossen."

David Miliband, britischer Außenminister: "Wir haben uns nicht mit den Olympischen Spielen befasst, weil die EU sich in jedem Jahr für die Menschenrechte interessieren muss, nicht nur in einem Olympiajahr. Das ist 2009 ebenso ein Thema wie 2008. Und wir brauchten einen Dialog in China, auch wenn es gar keine Olympischen Spiele gäbe."

Dimitrij Rupel, slowenischer Außenminister: "Das ist etwas, was die EU-Mitgliedstaaten entscheiden müssen. Wir haben jedenfalls nicht die Absicht zu einem Boykott."

Nicolas Sarkozy, französischer Präsident: "Ich will mich zu gegebener Zeit mit allen EU-Mitgliedern meine offene Position hinsichtlich Teilnahme oder Fernbleiben bei der Eröffnungsfeier am 8. August abstimmen." (Frankreich übernimmt zum 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft).

Bernhard Kouchner, französischer Außenminister: "Niemand fordert einen Boykott. Im Gegenteil: Wir wollen den Dialog. Und die Chinesen müssten verstehen, dass wir nicht gegen China sind."

Masashiko Komura, japanischer Außenminister: "Japan wird die Pekinger Spiele nicht boykottieren, fordert jedoch mehr Transparenz in Bezug auf die Unruhen in Tibet. Natürlich sind die Unruhen eine innere Angelegenheit, aber es ist ebenso verständlich, dass die internationale Gemeinschaft beunruhigt ist, weil es gleichzeitig ein Menschenrechtsthema ist."

Benita Ferrero-Waldner, EU-Außenkommissarin: "Ich glaube nicht, dass die Spiele boykottiert werden sollten. Ich glaube, was wir erreichen sollten, ist eine echte substantielle Diskussion zwischen den Chinesen und den Tibetanern herbeizuführen. (...) Gleichzeitig sollten die Olympischen Spiele in einem Geist abgehalten werden, der ein olympischer Geist ist, wo es Medienfreiheit gibt, wo eine Offenheit da ist und die Menschenrechte auch berücksichtigt werden."

Jose Manuel Barroso, EU-Kommissionspräsident: "Die Olympischen Spiele sind kein politisches Ereignis, sondern eine große völkerverbindende Sportveranstaltung. Wir haben keine Gewissheit, dass ein Boykott zu einer Verbesserung der Lage in China oder Tibet führt."

Jacques Rogge, IOC-Präsident: "Der Boykott würde nichts lösen. Im Gegenteil. Er bestraft nur unschuldige Athleten."

Ulrich Feldhoff, Präsident des Internationalen Kanu-Verbandes: "Ein Boykott der Spiele kommt für den Sport nicht in Frage. Wir haben alle gelernt, dass das nichts bringt. Ich wünsche mir aber eine deutlichere Aussage des Sports als bisher zum Problem Tibet, das gilt auch für das Internationale Olympische Komitee."

Timo Boll, Tischtennis-Europameister und China-Experte: "Ich bin gegen einen Boykott. Ich habe lange in China gelebt und kenne die Menschen und ihre Kultur gut. Der Schuss ginge nach hinten los und würde eher zu Fremdenfeindlichkeit und Isolierung führen. Das wäre ein Schritt zurück. Und für die Bevölkerung ein Riesenschock. Die Chinesen sind sportverrückt. Die freuen sich unheimlich auf Olympia."

Sebastian Schulte, Ruderer im Deutschland-Achter: "Der Sport darf zwar nicht als letzte Instanz zur Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln missbraucht werden, aber als mündige Athleten werden wir genau prüfen, was die Olympische Charta zulässt und was nicht, und den Rahmen unserer Möglichkeiten zum Protest nutzen."

Dirk Pleiter, China-Experte der deutschen Sektion von Amnesty International: "Für die Chinesen sind die Spiele eine Anerkennung für die beachtlichen Fortschritte, die sie in den vergangenen Jahren gemacht haben. Wenn man ihnen das verweigert, würde die Bereitschaft der chinesischen Führung abnehmen, auch bei den Menschenrechten mehr zu tun. Ich sehe nun besonders das Internationale Olympische Komitee in der Pflicht. Bislang hat sich das IOC darauf verlassen, dass die Olympischen Spiele schon eine Verbesserung der Lage bringen werden. Das IOC muß konkrete Schritte für eine Verbesserung der Menschenrechtslage einfordern."

Marianne Heuwagen, Direktorin Human Rights Watch Deutschland: "Wir haben uns bislang gegen einen Boykott ausgesprochen, weil wir die Spiele nutzen wollen, um im Vorfeld die Wahrung der Menschenrechte einzufordern. (...) Aber wir wollen die weitere Entwicklung in Tibet abwarten und können auch nicht ausschließen, dass wir unseren Standpunkt ändern, sollte es zu noch massiveren Menschenrechtsverletzungen kommen. Ein Massaker wie auf dem Tiananmen-Platz 1989 würde einen Boykott wohl rechtfertigen."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 14/1. April 2008, S. 8-10
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2008