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VEREINE/148: Ohne die Vereine läuft nichts (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 15 / 7. April 2009
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Ohne die Vereine läuft nichts
Eine Analyse von Karlheinz Gieseler (früherer Generalsekretär des DSB)

Von Karlheinz Gieseler


Die Gründung der Turn- und Sportvereine begann in Deutschland einmal unter dem Zwang geschichtlicher Verhältnisse. Nach 150 Jahren hat sich diese Notlösung in ein durch nichts anderes zu ersetzendes gesellschaftspolitisches Potential verwandelt. Manche Zeitkritiker meinen zwar, die Vereine passten nicht mehr in dieses Jahrhundert, und die Stürmer und Dränger der reformistischen 60er Jahre hätten sie am liebsten mit hinweggefegt. In der Tat ist es ein politisches Phänomen, dass sich diese Vereine über alle politischen Wandlungen hinweg mit gleichbleibendem Elan jeweils den Erfordernissen der Zeit angepasst haben und dabei sogar ihren politischen Stellenwert stabilisieren konnten.

Unter dem Dach des Deutschen Olympischen Sportbundes sind heute mit 27 Millionen Bürgern fast 29% der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland zusammengeschlossen, um in Sport und Spiel, Bewegung und Gesellung, persönliche Entfaltung, Freude und Freunde zu finden. Diese Vereinsfreudigkeit der Deutschen ist ohne Beispiel. Von Heinrich Heine bis Carl Zuckmayer gelegentlich karikiert, hat sie dennoch tiefgreifende historische Wurzeln. Sie kennzeichnet außerdem den politischen Willen der Bürger, freiwillig in gemeinschaftlicher Solidarität leben zu wollen.

Politische Mitverantwortung und praktische Solidarität haben in den Vereinen somit eine lange Tradition:

Turnvereine wurden im 19. Jahrhundert zeitweise verboten, weil sie der Obrigkeit zu republikanisch waren oder 1948 sogar auf die Barrikaden stiegen;
Arbeitersportvereine waren in der Zeit der Sozialistengesetze bis 1893 verboten, und ihre Mitglieder halfen sich deshalb in Bildungsvereinen weiter;
in Zeiten der schrecklichen Judenverfolgung bildeten die Makkabi-Sportvereine bis 1938 eine einzigartige Hilfsorganisation für die Verfolgten;
nach 1945 waren es gerade die Turn-und Sportvereine, die den Vertriebenen und Ausgebombten halfen, sich in ihrer neuen Heimat zurechtzufinden;
im Jahr 2200 wird man sie vielleicht als letzte Notgemeinschaft gegen den Niedergang der nationalen Lebenskraft politisch preisen.

Es kann an diesen Beispielen also gar nicht Wunder nehmen, dass der Satz des Grundgesetzes "Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu gründen" im Selbstbewusstsein unserer Bürger fester verankert ist, als so mancher andere. Über die Hälfte der Bundesbürger gehört heute Vereinen an, nur ein Bruchteil den Parteien. "Einer der Gründe also, warum die Bundesrepublik zwar nicht die beste aller Welten ist, aber ein Gemeinwesen, das keinen Vergleich mit anderen zu scheuen braucht, ist das Leben der Vereine", hieß es jüngst in einem FAZ-Kommentar. "Das Vereinsleben zählt eben zu den Kräften, die die Welt zusammenhalten!"

Die weitere Entwicklung der Vereine wird allerdings weniger von emotionaler Zuneigung bestimmt sein, als von der realen Frage, ob es uns gelingt, immer noch genügend Menschen zu finden, die ehrenamtlich helfen und freiwillig Verantwortung übernehmen wollen. Dies ist nicht leicht in einer Zeit, in der die Menschen auch an den Verein immer höhere Anforderungen stellen, ohne selbst noch mit anpacken zu wollen. Freiwillige Helfer sind die eigentliche Stärke des Sports; nur sie werden den Verein in die Zukunft führen. "Wenn aber Fordern und Erfüllen der Forderungen zum alleinigen Handlungsmuster der Vereine werden", sagt Prof. Dr. Helmut Digel voraus, "dann wird einiges von dem auf der Strecke bleiben, worauf die Vereine in der Vergangenheit zu Recht stolz waren: praktische Solidarität und freiwillige Verantwortung! Es lässt sich nämlich nicht alles für Geld erkaufen." Das Ziel formuliert sich damit von selbst. Es heißt nicht "Dienstleistungsbetrieb", wie es schon vielfach angeboten wurde, sondern "Verein als Gemeinschaft im Dienst am Menschen".

Qualität und Wachstum des Sports für alle werden in Zukunft aber noch mehr als bisher von der Hilfe der eigenen Organisation und der öffentlichen Hände abhängen. Was auch immer in den Verbandsstuben prognostiziert oder organisiert wird: die Entscheidung darüber, welche Lebenshilfe der Bürger im Sport für sich findet, fällt allein in den Vereinen. "Deshalb müssen die Verbände vom DOSB über die Landessportbünde und die Spitzenverbände bis zu den Kreis- und Stadtsportbünden für die Vereine da sein und nicht umgekehrt", hat Willi Weyer in seiner Zeit einmal gesagt. Alle Vereinshilfen müssen sich weiterhin an der Vielfalt der Turn- und Sportvereine orientieren. Diese Vielgestaltigkeit in Form, Angebot und Struktur war bisher die Grundlage für den außerordentlichen Wachstumsprozess im organisierten Sport und wird dies künftig noch mehr sein. Die angepasste Dienstleistung der Verbände für die Vereine ist eine wesentliche Voraussetzung für den weiteren Fortschritt. Dies wird noch nicht überall richtig begriffen. Man braucht doch nur daran zu denken, was den Vereinen oft im Wettkampfsystem des Spitzensports an personellen Belastungen zugemutet und materiell abverlangt wird.

Wenn es möglich war, den großen Zulauf der Bürger in den Turn- und Sportvereinen aufzufangen, dann liegt das Geheimnis dieses Erfolges gerade in der so oft gelästerten Vielfalt der Vereine. Mit den uns häufig angeratenen schematisierten Vereinstypen hätte sich dieser Ansturm nämlich überhaupt nicht bewältigen lassen. Das Ergebnis bestätigt:

die Vereine als ideale Stätte sportlicher Betätigung und geselliger Begegnung
den Bürger als geselliges Wesen, das die Gemeinschaft auch mit anderen im Sport sucht
das immer noch vorhandene gesellschaftliche Engagement im demokratischen Gemeinwesen
den Erfolg der öffentlichen Hilfe für die Selbsthilfe der Vereine in subsidiärer Partnerschaft

"Im Verein wird die tiefe politische Weisheit praktiziert, dass Freiheit nur dort lebt, wo man etwas für sie tut und für sie zu leisten bereit ist", sagte einmal Landesbischof Hans Wolfgang Heidland in einer - wie er es selbst nannte - Liebeserklärung an den Verein.

Natürlich geht man in den Sportverein, um Sport zu treiben. In welchem Ausmaß das geschieht, geht aus den seit 1960 gleichbleibenden Zuwachsraten zwischen 6% bis 7% hervor. Die Vereine öffnen sich inzwischen über die Mitgliedschaft hinaus mit Kursusangeboten etc. Sie geben dem Verein neue entsprechende organisatorische und andere Anregungen.

Am 06.12.1975 hat der Bundeskanzler Helmut Schmidt zur subsidiären Partnerschaft zwischen Staat und Sport in einer Festansprache gesagt: " Wenn wir nicht heucheln wollen und wenn wir nicht verdrängen wollen, dass der Sport auch bei uns mit vielen Millionen Mark aus vielen öffentlichen Kassen - von der Gemeinde Buxtehude bis zum Bundeshaushalt - gefördert wird, da muss man zugeben, dass der Sport längst nicht mehr Privatvergnügen ist." Sicher, wir stellen immer noch gerne in den Vordergrund, dass der Sport die Gesundheit fördere; und das dient dann in vielerlei Hinsicht als Bedeutung für die Sport fördernden Beschlüsse im Stadtrat oder im Gemeinderat. In gleicher Weise unpolitisch wird der Sport als hervorragende Möglichkeit ausgefüllter Freizeit dargestellt. Beides ist richtig. Aber ebenso stimmt es auch, dass der Sport ein hervorragendes Mittel der Bildung und Erziehung des einzelnen Menschen ist. Er vermittelt den Einzelnen Kontakt und Erziehung. Der Bundeskanzler hat das damals genau getroffen: "Man lernt, sich an Regeln zu halten, an den Geist einer Mannschaft, ohne dazu gezwungen zu werden."

Mit anderen Worten: in vielfacher Weise dient der Sport und eigenes sportliches Handeln der Entfaltung der Person. Und der Sport trägt auch gut zur Selbstverwirklichung bei, so dass er dem Einzelnen Solidarität lehrt. Er hat somit in hohem Maße eine sozial erzieherische und damit politische Komponente. Ich sage am Schluss: unsere Grundsätze zu verteidigen, aber zugleich auch fortzuentwickeln, ist nicht so ganz leicht in einer Zeit, in der andere politische Systeme aus dem Sport ein Politikum allerersten Ranges in der Hand des Staates oder gar der staatsherrschenden Partei gemacht haben. Ich will das im Einzelnen nicht weiter ausdeuten.

"In unseren eigenen Grenzen kann der Sport gewiss sein, dass er die aktive Unterstützung der Bundesregierung behalten wird, die Sportpolitik der Bundesregierung bleibt beim Subsidiaritätsprinzip, dass der Sport grundsätzlich Sache der Sportorganisationen ist und dass der Staat nur da Hilfe leistet, wo die eigenen Kräfte nicht ausreichen. Das soll an dieser Stelle genug sein." Mit 90 Jahren gilt das Wort von Helmut Schmidt immer noch so aktuell wie am Tag seiner Rede zum 50. Geburtstag des DSB. Der Rang der Vereine erklärt sich schließlich noch aus der Tatsache, dass - wenn es ihn nicht gäbe - an einer Stelle Behörden treten müssten, womit der Komplex des verwalteten Menschen beträchtlich erweitert und soziale Funktionen seiner Helfer zum Erliegen kommen würden. Der finanzpolitische Faktor des Vereins beweist außerdem, dass der Staat die freiwilligen Leistungen gar nicht übernehmen könnte.

Die Vereine bilden heute wichtige Gemeinschaftskerne der Städte und Gemeinden, die im Zuge der Gebietsreform schon viel verloren haben. Die Stärke der Vereine liegt also in ihren humanitären Zielen, dem Menschen zu helfen, sein Leben aus eigenem freiem und freiwilligem Amt lebenswerter zu gestalten. Das ist ihr eigentlicher gesellschaftspolitischer Auftrag. Darin liegt zugleich ihr Rang und die Chance des Sports in unserer modernen Gesellschaft.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 15 / 7. April 2009, S. 15
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Mai 2009