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KOMMENTAR/017: Statt Generalamnestie neuer Giftköder des DOSB (SB)



Auch knapp zwanzig Jahre nach dem Mauerfall soll es für ehemalige DDR-Trainer, die in Verbindung mit Doping-Praktiken gebracht werden, keine allgemeine Amnestie geben. Das erklärte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) in einem Antwortschreiben auf einen offenen Brief von 20 namhaften Leichtathleten, die sich für die Weiterbeschäftigung des Kugelstoß-Bundestrainers Werner Goldmann beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) eingesetzt hatten. "Man nimmt hier nicht nur einem sehr guten Trainer einen Job weg, sondern zerstört ein Leben, welches einer Passion gewidmet ist, und erschwert einigen Athleten den Weg zu ihrer Passion", schrieben die Sportler an das Bundesinnenministerium (BMI), den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) und die Medien.

Der DLV hatte den Vertrag von Goldmann auf Empfehlung der "unabhängigen" Anti-Doping-Kommission des DOSB unter Vorsitz des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Udo Steiner auslaufen lassen. Zugleich hatte der Leichtathletik-Verband der Forderung des Leiters der DLV-Trainerschule, Dr. Wolfgang Killing, nach einer längst fälligen Amnestie für DDR-Doping-Verstrickungen eine klare Absage erteilt. "Einen solchen Schritt schließen die Förderrichtlinien des Bundesinnenministeriums aus", erklärte der DLV-Präsident Clemens Prokop und gab damit unfreiwillig einen Fingerzeig, aus welcher Richtung der Wind weht.

Seit dem Anschluß der DDR sind die Funktionseliten der Bundesrepublik bemüht, den untergegangenen Arbeiter- und Bauernstaat nach Kräften zu delegitimieren. Mit den Worten "Die Aufgabe, die vor uns steht, ist gewaltig. Nicht nur der Rechtsstaat, unsere ganze Gesellschaft muß sich der Bewältigung des DDR-Unrechts stellen" hatte schon 1991 der damalige Justiz- und spätere Außenminister Klaus Kinkel die BRD-Richter in die Pflicht genommen.

Während viele gesellschaftliche Errungenschaften der DDR im Bereich von Landwirtschaft und Industrie, Bildung, Gesundheit und Kultur nach der Wende kurzerhand zu Kleinholz verarbeitet wurden, wurden die Ressourcen des "Sportwunderlandes" hinsichtlich athletischer Leistungen und trainerischer Kompetenzen weitgehend abgeschöpft. Zugleich wurde die Legende in die Welt gesetzt, der Osten habe systematisch gedopt, der Westen nicht - zumindest nicht aktenkundig.

War zur politischen Abrechnung mit der DDR bereits die Gauck- bzw. Birthler-Behörde (Stasiunterlagenbehörde) geschaffen worden, etwa um Bewerber für den öffentlichen Dienst oder Bundestagsabgeordnete auf einen eventuellen Stasi-Hintergrund überprüfen und mit Berufsverboten belegen zu können, wurde das bewährte Prinzip des "Zwangsgauckens" schnell auch auf den Sport übertragen.

Schon bald war klar, daß die einst vom ehemaligen ARD-Sportkoordinator Hagen Boßdorf treffend charakterisierte Birthler-Behörde, die in seinen Augen ein "Jagdverein gegen Ostdeutsche" geworden sei, in der "Stasi-Kommission des deutschen Sports" (1995-2007) ihr unseliges Werk fortsetzen und ehemaligen Sportlern, Trainern und Funktionären der DDR einen Stasi- und/oder Doping-Strick drehen würde. Abgelöst wurde die "Stasi-Kommission des deutschen Sports" im Mai 2007 von einem neuen "unabhängigen" Expertengremium des DOSB, das sich bezeichnenderweise unter dem Vorsitz des früheren Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen in Berlin, Joachim Gauck, konstituierte. Nachdem der Pastor insbesondere mit einem milden Urteil im Falle des ostdeutschen Eiskunstlauftrainers Ingo Steuer etwas "Menschlichkeit" bei der ungebrochenen Diffamierung des DDR-Sports walten ließ, kehrt man auf seiten der im März 2008 eingerichteten Doping-Kommission, der neben Udo Steiner auch die Doppel-Olympiasiegerin Heide Ecker-Rosendahl sowie der SPD-Bundestagsabgeordnete Steffen Reiche angehören, mit dem eisernen Besen. Weil der Leichtathletiktrainer Werner Goldmann unter den Bedingungen der Kommission nicht reuig zu Kreuze kriecht, bekommt er auch kein offizielles Plazet für einen neuen Arbeitsvertrag - wohlgemerkt nachdem er 15 Jahre lang sehr erfolgreich im deutschen Sport beschäftigt war und von 1992 bis 2004 viermal anstandslos als Medaillenschmied zur Olympiade fahren durfte.

"Die Gründe der Anschuldigungen sind 25 Jahre her. Mörder sind nach solchen Zeiten amnestiert, entlassen oder 'rehabilitiert', aber im Fall Goldmann gibt es keine Frist", monieren die Athleten in ihrem offenen Brief. Nicht ohne Grund fragen sie, wer aus der "alten Riege" der nächste dieser "Bauernopferjagd" sein werde.

Neben Goldmann ist auch Norbert Warnatzsch, Trainer des Schwimm-Stars Britta Steffen, ins Visier der Teufelsaustreiber geraten. Des weiteren die Leichtathletiktrainer Klaus Schneider und Klaus Baarck. Zudem wurde jüngst die Personalie Detlef Ultsch, der 16 Jahre lang Nachwuchstrainer im Deutschen Judo-Bund war und zu Jahresbeginn sein Amt als Männer-Bundestrainer antrat, ins Spiel gebracht - weil er einst in einem Wachregiment gedient hatte, das dem Ministerium für Staatssicherheit unterstand. Man erinnere sich: Mit einem ähnlichen Vorwurf war auch die Leipziger Olympiabewerbung konterkariert worden. Dirk Thärichen war bis Herbst 2003 Chef der Bewerbungsgesellschaft für die Spiele 2012 gewesen, ehe er aufgrund von Stasivorwürfen sowie des Verdachts der Untreue, der sich später als haltlos erwies, von seinem Posten suspendiert worden war. Wochenlang sind vornehmlich westliche Medienvertreter darauf herumgeritten, daß Thärichen als 19jähriger Spund fünf Monate lang seinen Wehrdienst bei einem Wachregiment der DDR-Staatssicherheit abgerissen hatte. Für den Stasi-Beauftragten des Freistaates Sachsen war Thärichen damit "untragbar" geworden.

Die gezielten Attacken auf gelernte DDR-Bürger jeweils vor Sportgroßereignissen sind natürlich auch den Leichtathleten nicht entgangen. Was Wunder, daß sie in ihrem offenen Brief fragen, ob erfolgreiche Trainer jetzt jedes Jahr vor den Jahreshöhepunkten fürchten müßten, wegen ihrer Vergangenheit angegriffen und im schlimmsten Fall entlassen zu werden. "Pünktlich vor jedem sportlichen Höhepunkt wird eine solche 'Neuigkeit' aus dem Hut gezogen. Meist von denselben, die später darüber schreiben, wie schlecht Deutschland wieder abgeschnitten hat", sparen die Sportler nicht mit Kritik an der Arbeitsweise der Medien und fragen, ob "das nur die reine Sensationslust der Presse oder die Einfallslosigkeit der Journalisten" sei.

Das Wort "Anti-DDR-Kampagne" nehmen die Athleten wohlweislich nicht in den Mund, müßten sie dann doch befürchten, von den Schönschreibern dieser Gesellschaftsordnung sturmreif geschossen zu werden. Nach wie vor wird ein negatives Geschichtsbild der DDR gebraucht, um den Menschen "Fakten über Unterdrückung, Mauer-Tote, Stasi-Spitzel, Folter-Knäste und den Konkurs der DDR-Wirtschaft" zur Einsicht zu bringen, wie Wolfgang Tiefensee (SPD) unlängst erklärte - freilich um nicht im Namen der Berliner Republik von aktueller Pressezensur im Israel-Krieg, von Hindukusch-Toten, vom Großen Lauschangriff und von staatlicher Online-Bespitzelung, Abschiebe-Knästen, Hartz-IV-Verbrechen, Kinder- und Altersarmut sowie milliardenschweren Finanz-Bankrotten zu Lasten der Steuerzahler reden zu müssen.

Der DOSB hat den aufmüpfigen Athleten nun die nächste Falle gestellt. Um nach fast zwei Jahrzehnten Kesseltreibens gegen DDR-Bürgerinnen und -Bürger den Vorwurf der "Einseitigkeit" abzumildern, hat der Dachverband ein interdisziplinäres Forschungsprojekt "Doping in Deutschland" in Auftrag gegeben, das erstmals die Strukturen der Dopingpraktiken in Westdeutschland gründlich untersuchen soll. Zugleich lädt der DOSB die Schreiber des offenen Briefes ein, "sich an dieser Arbeit zu beteiligen".

Kurzum, nach einschlägigen Dopingbeichten und denunziatorischen Kronzeugen-Berichten westdeutscher Elitesportler der jüngsten Zeit sollen ausgesuchte Wissenschaftler und Experten nun auch das "Dopingsystem" in der BRD soweit dingfest machen, daß sich daraus ähnliche Hebel der Bezichtigung und Verdächtigung schmieden lassen, wie sie bislang fast ausschließlich gegen "Ossis" zum Anschlag kamen. Wer nun etwa als ostdeutscher Sportler glaubt, das sei mit Blick auf die einseitige Dopinghetze gegen die DDR nur "ausgleichende Gerechtigkeit", der hat den dopingpolitischen Giftköder vollends geschluckt.

5. Februar 2009