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KOMMENTAR/101: Falsches Spiel der Grünen in München? Stadträte stimmen für Olympia 2018 (SB)



Die kritische Reflektion des Leistungs- und Spitzensports in Deutschland ist an Doppelzüngigkeit kaum zu überbieten. Während zum 20. Jubiläum des Tages der deutschen Einheit einmal mehr der zentralistische DDR-Sport mit seinen staatlichen Kommandostrukturen auf der Anklagebank saß, der sich, wie bekannt, besonders auf die Förderung der medaillenträchtigen olympischen Sportarten konzentriert hatte, brachte der über subsidiäre Staatshebel gelenkte BRD-Sport ein elitäres Olympiaprojekt auf die Bahn, das die Allianz von Politik, Kommerz und Medaillen nicht deutlicher aufzeigen könnte. Nachdem die Grünen-Parteibasis am 4. Oktober mit Zweidrittel-Mehrheit Olympia abgelehnt hatte, segneten zwei Tage später Bayerisches Kabinett, Münchner Stadtrat und der Gemeinderat von Garmisch-Partenkirchen das sogenannte Eckdatenpapier der Olympiaplaner ab. Das Eckdatenpapier ist Grundlage für das verbindliche Bewerbungsbuch (Bid Book), das im Januar 2011 dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) vorgelegt werden muß. Im Münchner Stadtrat votierten 90 Prozent für die Bewerbung, darunter die gesamte Grünen-Fraktion, die seit 1990 mit der SPD in Regierungsehe lebt und 2008 im Koalitionsvertrag der Münchner Bewerbung für die Winterspiele 2018 zugestimmt hatte. Lediglich Die Linke und drei einzelne Stadträte waren gegen Olympia.

Während im Münchner Rathaus die etablierten Parteien die Bierkrüge hoben und sich Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) über das "Genörgel der Gegner" ausließ, demonstrierten draußen auf dem Marienplatz Vertreterinnen und Vertreter der Grüne Jugend München, des Bund Naturschutz, der Gesellschaft für ökologische Forschung, Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) und Die Linke sowie Privatpersonen gegen das Olympiaprojekt. Ihr begründeter Protest, der sich in Kurzform auf einem Banner mit der Aufschrift "Olympia 2018 = Umwelt- und Milliardengrab" wiederfand und von der Initiative NOlympia en détail auf ihrer Homepage dokumentiert wird, war somit Schall und Rauch geblieben. Um den Koalitionsvertrag mit der SPD nicht zu gefährden, hatte sich die Münchner Grünen-Stadtratsfraktion über das eindeutige Votum der Landesbasis hinweggesetzt. Offensichtlich sind den grünen Stadträten Koalitionsfrieden und Regierungsbeteiligung wichtiger als die profunden Einwände der eigenen Parteibasis. Doch der Spalt innerhalb der Partei verläuft nicht nur horizontal, sondern auch vertikal. Während Bayerns Landesvorsitzender Dieter Janecek ein strikter Olympia-Gegner ist, der sich auch im NOlympia-Bündnis engagiert, nimmt Co-Landeschefin Theresa Schopper Partei für die geschäftstüchtige Illusionsmaschine namens IOC und spricht sich klar für Olympia aus. Sie sehe keinen Grund, warum die Spiele nicht nachhaltig sein sollten, wird die gesundheitspolitische Sprecherin von der taz (6.10.10 online) zitiert. Sie störe der "sportfeindliche Duktus" der Olympia-Gegner.

Wie "sportfeindlich" mögen die Olympia-Gegner sein, wenn sogar die wirtschaftsfreundliche und jedweder Rebellion unverdächtige Junge Union (JU) des Kreisverbandes Garmisch-Partenkirchen die Gemeinderäte aufgefordert hatte, am 6. Oktober mit NEIN gegen Olympia 2018 zu stimmen? In einer Erklärung stellte der CSU-Nachwuchs klar, daß grundsätzlich gelte, "die Jugend muss die Schulden zahlen!" Die Investition des Freistaats von rund einer Milliarde Euro für sechs Wochen Olympische und Paralympische Spiele sei viel zu hoch, so die JU. "Dieses Geld fehlt an anderer Stelle, wie zum Beispiel beim Ausbau von Kindergärten und Schulen, der Anstellung weiterer Lehrer und der Förderung sozialer Projekte." JU-Kreisvorsitzender Alexander Ott bekannte: "Ich werde das Gefühl nicht los, dass den Bürgern Garmisch-Partenkirchens bewusst Fakten vorenthalten und sie bei der Bewerbung hinters Licht geführt werden. Gerade die Tatsache, dass das Bid Book vertraulich eingestuft wurde und deshalb durch die Gemeinderäte nicht thematisiert werden darf, sollte jedem zu denken geben!"

Wollen die IOC-gläubigen Grünen etwa auch der JU einen "sportfeindlichen Duktus" vorwerfen? Geht es denn tatsächlich um "Sport" bei der Münchner Olympiabewerbung, wo doch selbst die wissenschaftlichen Legitimationsproduzenten des Spitzensports in Deutschland wie Prof. Helmut Digel sagen: "Die Olympischen Spiele sind zu einem gigantischen Geschäft geworden, für das die Regeln des Marktes gelten. Kommt es jedoch zu Problemen, so gehen die Spiele zu Lasten der Steuerzahler." Und das ist noch milde ausgedrückt, denn die durchkommerzialisierten Spiele gehen auch dann zu Lasten des Steuerzahlers, wenn offiziell keine "Probleme" auftreten.

Bekanntlich ist der elitäre Wintersport in Deutschland "Staatssport". Von den 153 deutschen Athleten bei den Winterspielen 2010 in Vancouver waren zwei Drittel Sportsoldaten, die bei Bundeswehr, Polizei und Zoll im Sold stehen. Wie aus Kalter-Kriegs-Tagen lautet ihr Kampfauftrag, zum Wohle für Volk und Vaterland Rekorde aufzustellen, Medaillen zu erringen und Deutschlands Ansehen in der Welt zu mehren. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) betreiben sogar einen internen Wettbewerb, wessen Sportkompanien die meisten Medaillen holen. Dafür bringt der Steuerzahler jährlich rund 30 Millionen Euro auf. Um überhaupt das normative Trugbild eines "sauberen" Leistungs- und Spitzensportes aufrechterhalten zu können, buttern Staat und von ihm budgetierte Sportverbände zudem Unsummen an Geldern in die repressiven Kontroll- und Überwachungssysteme der Dopingbekämpfung mit verheerenden Folgen für das dem Anspruch nach freiheitlich-demokratische Gemeinwesen. Da werden inzwischen ganze Generationen von gläsernen Kontrollsklaven auf Steuerzahlerrechnung herangezüchtet. Tendenz steigend! Auf Bundesebene sind Rot-Grün sogar die Haupttriebkräfte des Persönlichkeitsrechte aushebelnden und gesellschaftliche Ressourcen verschlingenden Antidopingkampfes. Alles nur, um die heuchlerische Vorbildfunktion von Spitzensportlern hochzuhalten und der profitgetriebenen Sportindustrie ihre Absatzmärkte zu sichern, während sich die sporttreibende Bevölkerung nach der Decke strecken muß, da speziell in den Städten, Gemeinden und Kommunen immer mehr Breitensportprojekte dem Sparzwang zum Opfer fallen.

Was wunder, daß die Olympia-Gegner reklamieren, daß Olympische Winterspiele "mitnichten eine Investition in den Breitensport" seien, sondern eher eine in Spezialsportarten, hauptsächlich ausgeübt von Polizei- und Bundeswehrsportlern. "Dasselbe gilt im übrigen für die Paralympics. Nur 2,5% der Behindertensportler bei uns sind mit den Sportarten der Paralympics überhaupt vertraut und/oder in der Lage, an ihnen teilzuhaben", schreiben die Münchner Stadtverbands-Grünen in ihrem Ablehnungsantrag.

Es ist eine Sache, auf der Welle anhaltender Bürgerproteste gegen das umstrittene Bundesbahnprojekt "Stuttgart 21" obenauf zu schwimmen und wie Grünen-Star Cem Özdemir zu erklären, es sei in Stuttgart "nie wirklich um die Bahn gegangen", sondern um ein "großes Wirtschaftsprojekt", um ein Luxusstadtgebiet zu erschließen. Eine ganz andere Sache ist es, gegen sich volkstümlich gebende Olympiamacher sowie ihre Kampagneträger in Politik und Medien, die sportaffine Stimmungen und Gefühle im Volk zu instrumentalisieren wissen, ein Luxus-Wirtschaftsprojekt wie das der Olympischen Winterspiele nicht nur in Frage zu stellen, sondern auch zum Kippen zu bringen. Das grüne Establisment hat, trotz Regierungsbeteiligung, weder deutsche Kriege im Ausland noch Sozialabbau oder Atomkraft im Inland verhindert. Wenn es hart auf hart kam, stand es immer auf seiten der Mächtigen oder absorbierte mit ambivalenten und/oder wachsweichen Kritikhaltungen den entschiedenen Bürgerprotest. Die Entscheidung der Münchner Stadtratsgrünen pro Olympia zeigt, daß ihnen auch in diesem Fall das Hemd näher als der Rock ist. Was der DDR gemeinhin als "Kommandowirtschaft" oder "Kaderdisziplin" zur Last gelegt wird, heißt im rot-grünen München "Wirtschaftslobbyismus" und "Koalitionsfriede".

11. Oktober 2010