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KOMMENTAR/143: Jugendwinterspiele in Innsbruck - Eiertanz um Medaillen und Höchstleistungen (SB)



Wenn die Funktionäre des kommerziellen Hochleistungssportes nur geradeheraus sagen würden, um was es bei den Olympischen Jugendspielen tatsächlich geht. Dann könnte man ja fast noch Sympathien für sie hegen, weil sie sich dann zumindest (an)greifbar machten und zu den Widersprüchen leistungssportlicher Körperzurichtung im Kindes- und Jugendalter stehen würden. Doch der vielbeschworene "Olympische Geist" hat sich längst zu einem gesellschaftlichen Quälgeist entwickelt, und der Tanz der Funktionäre ums goldene Olympiakalb gleicht einem rhetorischen Eiertanz voller Schönfärbereien und Allgemeinplätze, die davon ablenken sollen, daß auch eine sozialwissenschaftlich wohlfeile Pädagogisierung des kommerziellen Olympismus mit Hilfe von Kultur- und Bildungsprogrammen nicht seine Grundübel beseitigen kann, nämlich knallharten Wettbewerb und Leistungsorientierung zum Zwecke der sozioökonomischen Vernutzung der Akteure.

Nach den 1. Youth Olympic Games 2010 in Singapur hatten selbst Mitglieder des Sportausschusses im Deutschen Bundestag vorsichtig angemahnt, daß entgegen anderslautender Ankündigungen doch der Leistungsgedanke im Vordergrund der Veranstaltung gestanden habe und von einer "Relativierung des Leistungsprinzips", wie ebenfalls im Vorfeld erklärt worden sei, nicht die Rede sein könne. Tatsächlich habe "knallharter Wettbewerb" bei den Jugendspielen stattgefunden, was sich auch in den umfangreichen Qualifizierungs- und Auswahlverfahren für die Teilnehmer widergespiegelt habe. Damals beschwichtigte Ulf Tippelt, Leistungssportdirektor des DOSB und zugleich Chef de Mission in Singapur, die Einwände damit, daß von der deutschen Teamleitung "keine Zielvorgaben" gemacht worden seien, das Problem allerdings auch darin bestünde, daß man sich damit teilweise "in den Augen der Athleten unglaubwürdig" gemacht habe. Die jungen Sportler würden zu den Wettkämpfen fahren, um dort ihre besten Leistungen abzuliefern und sich so selbst den meisten Druck machen, sagte Tippelt vor dem Sportausschuß. Das sei auch ein ganz normaler Vorgang. Schließlich stünden die Sportler kurz vor dem Einstieg ins "Hochleistungssportalter". [1]

Daß der (meiste) Druck von den Sportlern "selbst" kommt und nicht das Ergebnis olympischer oder gesellschaftlicher Erziehung und systemisch erzeugter Konkurrenzbedingungen darstellt, welchen der Sportler durch Anpassungs- und Verinnerlichungsprozesse lediglich Folge leistet, darf ebenso bezweifelt werden wie, daß es ein "Hochleistungssportalter" gibt, das jugendliche Athleten eines bestimmten Alters zu genuinen Höchstleistern disponiert.

In Kürze werden die 1. Olympischen Jugend-Winterspiele in Innsbruck (13. bis 22. Januar) über die Bühne gehen. Zwar sollen die 14- bis 18jährigen Goldmedaillengewinner nach offizieller Sprachregelung nicht "Olympiasieger" genannt werden, sondern "Gewinner der Jugendspiele", und auch die "Medaillenzählerei" soll nicht gefördert werden, gleichwohl hält das Internationale Olympische Komitee (IOC) an Hymnen, Flaggen und Siegertreppchen fest, die den Gewinn von Edelmetall mit Nationalprestige verbinden. Wie bereits bei den Jugendspielen in Singapur geschehen, werden die Massenmedien auch in Innsbruck über gute und schlechte Leistungen herfallen und das Medaillenschwein durchs Dorf jagen. Nicht, daß die Sportverbände trotz aller offiziellen Zurückhaltung und Hinweise auf die Schuld der Medien besser wären. Denn am Ende rechnen auch die Funktionäre mit den Bürokraten und Sportpolitikern anhand der Medaillenausbeuten ihrer Athleten ab, wie die Prämien und zukünftigen Fördergelder verteilt werden. Zudem bemißt sich der Marktwert des für den Erwachsenen-Hochleistungssport angefixten Jungathleten nicht etwa daran, wieviel "Spaß und Freude" er am Wettkampf hatte, wie viele interessante Gespräche er mit "Athlete Role Models" (Außer- und innerhalb des Sports erfolgreiche VorzeigeathletInnen aus dem verrufenen Olympiazirkus der Erwachsenen, die sich bei nahezu allen Veranstaltungen unter die TeilnehmerInnen mischen sollen) führte oder wie viele Veranstaltungen er im Rahmen der sogenannten Cultural and Education Programs (CEP) besucht hat, sondern welchen Ausschlag seine Plazierung/Performance auf der Waage kommerzieller Respektabilität hervorrief.

Nach Angaben von Ulf Tippelt, der auch in Innsbruck als Chef de Mission fungiert, gehe es nicht darum, "Medaillen zu sammeln und nachher zu zählen und irgendwo auszumachen, das deutsche Team ist besser als irgendein anderes in dieser Welt". Natürlich habe jeder Sportler den Anspruch, Medaillen zu gewinnen und seine beste Leistung zu bringen. Es gehe aber vor allem darum, "daß jeder Athlet diese Spiele nutzt, um olympisches Flair zu schnuppern, um olympische Prozedere, um olympischen Geist kennenzulernen und natürlich viel Motivation und Erfahrung für seine weitere sportliche Karriere mitzunehmen". [2]

Was die obersten Funktionäre nur verklausuliert sagen können, sprechen die Athleten oftmals viel unverblümter aus. "Die Olympischen Jugendspiele sind das erste Mal in Innsbruck und sind dafür da, dass wir junge Athleten mal das große Geschäft zu sehen kriegen", erklärte die 15jährige Kim Meylemans, die in der Skeleton-Konkurrenz startet und Teil des 56köpfigen deutschen Teams ist, im Deutschlandfunk [3]. Wie viele innovative CEP-Veranstaltungen müßte die junge Dame wohl besuchen, damit sie endlich die rundgeschliffene Doublespeach der Erwachsenen gelernt hat und statt vom Schnupperkurs ins Big Business von "professioneller Karriereplanung", "Völkerverständigung" und "Olympischen Werten" spricht? Oder das sagt, was die Antidopingkämpfer, die in Singapur mangelnde Dopingkontrollen und Antidopingaufklärung moniert hatten, nicht aussprechen, aber indirekt meinen: "Ich will gläsern und transparent sein! Besucht mich, kontrolliert mich, überwacht mich! Penetriert mich mit euren Prüfblicken, Sonden und Kanülen! Jederzeit und allerorten! Ich habe nichts zu verbergen! Ich bin eine ehrliche Haut und eine faire Wettkämpferin!"

Sollten die "sauberen" respektive unter Generalverdacht stehenden Athleten, was auf das gleiche hinausläuft, jemals so offen ihre "Anti-Doping-Mentalität" zum Ausdruck bringen wie hier beschrieben (und der organisierte Sport befindet sich auf dem besten Weg dorthin), dann kann sich auch der olympische Sport rühmen, einen wesentlichen Beitrag zum globalen Überwachungsstaat geleistet zu haben.

Wie die olympische Wertevermittlung aussieht, läßt sich auf der offiziellen Website der Innsbrucker Jugend-Winterspiele studieren. Dort heißt es, daß das Kultur- und Bildungsprogramm "genau auf die Zielgruppe 'Jugend' ausgerichtet" sei. Das CEP "soll die TeilnehmerInnen dazu inspirieren, wahre SiegerInnen zu werden und die Olympischen Werte Höchstleistung, Respekt und Freundschaft anzunehmen, zu verkörpern und nach diesen zu leben". [4]

Bedarf es dieser Respekts- und Freundschaftsgesten nicht gerade deshalb, um die sozial verletzenden, kapitale Unterschiede und Rangordnungen schaffenden Verhältnisse im Leistungssport schnell wieder zu kitten und damit vermeintlich erträglicher zu machen? Persönliche Höchstleistungen und wahre SiegerInnen möchte die olympische Werteerziehung sehen, was den anderen, wesentlich größeren Teil der Wahrheit schlichtweg unterschlägt, nämlich daß der zweite Sieger bereits der erste Verlierer ist, genaugenommen die systemische Siegerfixierung Verlierer am Band produziert. Und nun sollen auch noch die 14- bis 18jährigen auf die olympischen Ideale eingeschworen werden, an denen schon die Älteren kläglich gescheitert sind und weiterhin scheitern werden. Müßten nicht erst einmal die Senioren deprogrammiert werden, bevor sie sich an die Jüngsten mit Cultural and Education Programs heranmachen?

Die Frage indes, wie viele vom Erfolg geküßte Role-Models, Marketingexperten und Wertefassadenpolierer, auch aus dem sportwissenschaftlichen Milieu, das IOC noch anwerben will, um die Herrschaftsgeschichte des organisierten Sports fortschreiben zu können, hat sich mit der Ökonomisierung der "schönsten Nebensache der Welt" längst erübrigt. Die Bankkonten des als Non-Profit-Organisation von Steuern befreiten IOC sind prall gefüllt (z.Z. etwa 550 Millionen Dollar Rücklagen sowie milliardenschwere TV- und Marketingrechtevergaben), die steigenden Kosten für die Olympischen Spiele und ihre Kollateralschäden werden unverfroren auf die Allgemeinheit umgelastet, weitere Topsponsoren wie der ehemalige Giftgasproduzent Dow Chemical sind dem IOC hochwillkommen, die "kontrollierte Kommerzialisierung" der Jugendspiele hat DOSB-Präsident und IOC-Vize Thomas Bach ebenfalls schon angedacht, und auf nahezu allen Medien-Kanälen und in den sozialen Netzwerken werden die jugendlichen Zielgruppen mit dem olympischen Siegercode bombardiert. Wem sollten da noch Zweifel kommen, die das gesellschaftlich festverfugte Leistungs- und Wettbewerbssystem in Frage stellen würden?

Anmerkungen:

[1] Kritik an ersten olympischen Jugendspielen.
http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2010/31609846_kw40_pa_sport/index.html

[2] Ulf Tippelt im Gespräch mit Moritz Küpper. 07.01.2012
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/sport/1647025/

[3] Welchen Sinn machen Olympische Jugendwinterspiele? Von Gerd Michalek. 01.01.2012
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/sport/1641908/

[4] http://www.innsbruck2012.com/kultur__bildung/kultur-_und_bildungsprogramm

12. Januar 2012