Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → MEINUNGEN

KOMMENTAR/174: Konzept "Stadionerlebnis" - Schafe von den Wölfen scheiden (SB)




Drohungen wie die Abschaffung von Stehplätzen in deutschen Fußballstadien, die grundgesetzwidrige Abwälzung der Polizeikosten auf die Vereine, Geisterspiele oder Ganzkörperkontrollen für Fans haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Das vielkritisierte, auf maßgeblichen Druck von Politik und Polizei verabschiedete Sicherheitskonzept "Stadionerlebnis" schanzt den Ligamachern maximale Befugnisse zu und schränkt die Rechte und Handlungsfreiheit der Fußballfans weiter ein. Bei der Vollversammlung der Deutschen Fußball Liga (DFL) am 12. Dezember votierten die 36 Profiklubs trotz Gegenstimmen in den eigenen Reihen für die 16 Anträge, die für "weniger Gewalt" im deutschen Fußball sorgen sollen. Dies völlig ungeachtet dessen, daß es sich nach Einschätzung zahlreicher Fanexperten, Wissenschaftler, Pressevertreter und Juristen beim eigentlichen Auslöser der Kontroverse - nämlich massive Sicherheits- und Gewaltprobleme im deutschen Fußball - um eine grobe Irreführung der Öffentlichkeit handelt.

So stützt sich der Alarmismus der sportpolitischen Scharfmacher im wesentlichen auf die Statistik der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS), die einen beträchtlichen Anstieg der Gewalt und der Verletzungen in deutschen Stadien dokumentiert hat. Fachleute schlagen indessen die Hände über dem Kopf zusammen, wenn sie das nach Polizeikriterien erstellte Zahlen- und Aussagekonstrukt in Augenschein nehmen. Selbst der verbandsnahe, das neue Sicherheitskonzept begrüßende Fanforscher Prof. Gunter A. Pilz konstatierte: "Die Erhebung ist in einer Zeit passiert, in der es massive Protestaktionen der Fans zum Thema Pyrotechnik gab, die die Polizei mit einer harten Linie und Pfefferspray-Einsätzen beantwortet hat."[1] So gibt der ZIS-Jahresbericht keine Auskunft, durch wen und durch welche Umstände die Verletzungszahlen gestiegen sind. Nicht nur, daß der "seit einem Jahr von der Polizei besonders ausgerichtete Fokus auf Pyrotechnik (über die Hälfte aller eingeleiteten Strafverfahren wurde durch den Einsatz von Feuerwerksutensilien ausgelöst)" die Zahlen weiter verschärft habe, wie Spiegel online berichtete [2]. Auch das Bündnis aktiver Fußballfans (BAFF) [3] monierte, daß vermutlich die meisten der im ZIS-Bericht als "Störer" titulierten Fußballfans "bei Polizei- und Ordnereinsätzen" Schaden genommen haben. Selbst die Verletztenzahlen bei Polizisten bleiben unklar, da sie auch auf das "friendly fire" beim eigenen Pfeffersprayeinsatz zurückgehen können. Ganz abgesehen davon, daß es bei fast allen Massenveranstaltungen von hoher Emotionalität zu Prügeleien, Verletzungen und Unfällen kommt. So liegen beispielsweise die Zahlen bei Verletzten und Straftaten in zwei Wochen Oktoberfest relativ gesehen um ein Vielfaches höher als in einer ganzen Bundesligasaison, ohne daß dies zu Null-Toleranz-Offensiven führen würde, die "Wiesn" sicherer zu machen.

Die harte Linie gegen Pyrotechnik wollen die Fußballgewaltigen auch weiterhin beibehalten, wohl nicht zuletzt, um die Zahlen hochzuhalten und darüber steten Handlungsbedarf zu legitimieren. Zwar hat die Liga das Sicherheitskonzept im Vergleich zum ersten Entwurf etwas entschärft, doch der beschlossene Maßnahmenkatalog, der von den einschlägigen Faninitiativen und -organisationen weiterhin abgelehnt wird, enthält nach wie vor jede Menge Konfliktpotential.

So liegen Art und Umfang von durch private Ordnerdienste durchgeführten Personenkontrollen, die sich bis in Intimbereiche der Stadionbesucher erstrecken können, im Ermessen ("lageabhängig") der Stadionbetreiber/Veranstalter und der sie beratenden Sicherheitsträger. Das neue Papier spricht zwar nicht mehr von "Vollkontrollen", doch bleibt das Ausmaß der Leibesvisitationen nebulös. Da höchstwahrscheinlich auch weiterhin pyrotechnische Gegenstände von den Fans ins Stadion geschmuggelt werden, sind Nacktkontrollen, wenn auch nicht durchgängig, so doch in Einzelfällen möglich. Ligakrösus FC Bayern München hatte im November bereits Zeichen gesetzt, als er im Spiel gegen Eintracht Frankfurt erstmalig Vollkörperkontrollen in zwei eigens dafür aufgestellten Zelten durchführen ließ. Die Arbeitsgemeinschaft Fananwälte verurteilte die Aktion als "unverhältnismäßig" und "rechtswidrig". Wie der "Kicker" [4] berichtete, planten bayerische Polizei und Verein eine Wiederholung der Aktion für den Fall, "dass wieder Fans, die in der Vergangenheit mit Pyrotechnik auffällig geworden sind", in München gastierten.

Die Stoßrichtung der Sicherheitsverschärfungen liegt deutlich erkennbar in einer vertieften Spaltung der Fanszene sowie in der Gewöhnung der Menschen an die sich ausweitenden Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen. Beispielhaft seien hier zwei Aussagen von namhaften Funktionsträgern des Fußballs genannt, die das neue Sicherheitskonzept befürworten. So erklärte der Sportdirektor des VfL Wolfsburg, Klaus Allofs: "Nacktscanner wollen wir auch nicht, aber wir wollen genaue Kontrollen, weil wir am Ende wollen, dass das Stadion sicher ist. Wer das nicht mitmachen möchte, der hat etwas zu verbergen." [5] Oder der Soziologe Prof. Gunter Pilz, der in einer Diskussionssendung des NDR [6] die verbesserte Videoüberwachung zu Beweissicherungszwecken in Stadien mit dem Argument rechtfertigte, daß dies gut gegen Kollektivstrafen sei und bessere Möglichkeiten biete, einzelne Störer herauszufiltern. Einschränkend fügte er an, daß man die cleveren Leute mit der Videoüberwachung wohl nicht erreichen werde.

Das Sicherheitskonzept zielt nicht nur auf die stete "Verbesserung der strukturellen Kontrolleinrichtungen" ab, um nicht nur die "Dummen", sondern auch die Cleveren zu erwischen. Es geht vor allem um die Vereinnahmung der Fankritik nach dem bewährten Teile-und-herrsche-Prinzip. Gerade das Argument der Fußballfans, daß sie unter Generalverdacht gestellt und mit Kollektivstrafen belegt werden, wird hier zum Einfallstor für qualifizierte Methoden sozialer Desintegration - nicht gegen, sondern mit Beteiligung der Fans. So versuchen Liga und Verband, mit allen Mitteln polizeisoziologischer Methodik die ohnehin brüchige Fansolidarität, die eher auf erlebnisorientierem Sportkonsum, denn auf emanzipatorischer Unbestechlichkeit gründet, aufzuknacken. Es ist den Ligamachern schlicht ein Dorn im Auge, daß sich in der Fanszene - trotz teilweise erbitterter Rivalitäten und politischer Kontroversen - vereinsübergreifende Interessenszusammenschlüsse gebildet haben, die mittlerweile Fankongresse veranstalten, gemeinsame Protestaktionen gegen DFB und DFL starten, Stimmungsboykotte (siehe die Aktion "12:12") organisieren oder Verständnis für das Abbrennen kriminalisierter Pyrotechnik zeigen. Was könnte daraus alles entstehen?

So macht der Vorstand des Ligaverbandes in seinem Sicherheitspapier geltend: "Sollen die bislang in der Regel bei schwerwiegenden und wiederholten Verstößen gegen die DFB-Richtlinien für die Verbesserung von Sicherheit bei Bundesspielen oder andere statuarische Vorschriften verhängten, kollektiv wirkenden Sanktionen, wie z.B. Spiele unter teilweisem Ausschluss der Öffentlichkeit, künftig vermieden werden, trägt unkritische, falsch verstandene Solidarisierung mit den Tätern nicht dazu bei, dieses Ziel zu erreichen. Dabei geht es nicht um Denunziantentum." Aus Sicht des Ligaverbandes passe es nicht zusammen, wenn "seitens von Fanorganisationen/von organisierter Fanszene kollektiv wirkende Strafen abgelehnt werden, gleichzeitig aber eine Distanzierung von den Tätern nicht stattfindet oder Täter gedeckt bzw. die Tataufklärung und Identifizierung von Tätern erschwert werden sollten." [7]

Mit anderen Worten: Der gemeine Fan soll denunzieren, sich aber nicht wie ein Denunziant fühlen, sondern wie jemand, der Verantwortung übernimmt und für die Sicherheit und Ordnung im Stadion seinen Beitrag leistet. Wenn aber die vielbeschworene "Selbstregulierung" der Fanszene letztlich darauf hinausläuft, daß die Stadionbesucher Polizeifunktionen übernehmen, "Störer" per auf dem Videowürfel eingeblendeter Stadion-SMS an die Ordnerdienste melden, wie dies bereits im Ausland (u.a. England und USA) praktiziert wird, oder gar selbst zur Beweissicherung beitragen, indem auf Fotohandys verdächtige Aktionen oder Personen festgehalten werden, so daß die Daten im Bedarfsfalle auf die Whistleblower-Hotline der Sicherheitskräfte überspielt werden können, dann dient dies vor allem dem Zweck, die Fans noch stärker als ohnehin schon gegeneinander auszuspielen.

Die täterorientierten "Ansätze", die das Sicherheitskonzept "Stadionerlebnis" zur Aufspaltung der Fanszene verfolgt, werden flankiert von Meldungen aus einzelnen Bundesländern, wonach die Fanszenen durch verdeckte Ermittler und V-Leute regelrecht ausspioniert und unterwandert werden. Über das Ausmaß gibt es keine klaren Auskünfte. Es steht sogar zu befürchten, daß V-Leute Stadionbesucher zu Straftaten anstiften. Im mindesten jedoch sollen die fußballbegeisterten Anhänger nicht mehr sicher sein, ob der Nachbar nicht in Wirklichkeit ein V-Mann ist. Das sät Mißtrauen und trägt zur Vereinzelung und damit Beherrschbarkeit der Fanszene bei.

Noch sind die Fußballfans nicht so weit, daß sie sich mit der Spitzel- und Ermittlungspraxis von Polizei und Verfassungsschutz - die ja nur die Störer/Täter im Interesse der "echten Fans" aussortieren wollen - solidarisieren würden. Das würde aber in der Konsequenz einer Faninstrumentalisierung liegen, die die "unkritische, falsch verstandene Solidarisierung mit den Tätern" zu unterbinden sucht, wie es dem Ligavorstand vorschwebt.

Distanzierung, Abgrenzung und Ausgrenzung lauten nunmehr die Schlagwörter, mit denen der Keil immer tiefer in die Fanszene getrieben werden soll. Problemfans vs. Normalos, Störer vs. die friedliche Fußballwelt, provokante Ultras gegen die brave Mehrheit. Insbesondere die Solidarisierung weiter Fankreise mit den besonders leidenschaftlichen Ultragruppierungen, die sich für eine Teillegalisierung von Pyrotechnik einsetzen und denen vorgehalten wird, daß sie sich mit "Gewalttätern" gemein machen, soll aufgebrochen werden. Die Ultras, die mit ihrem "übertriebenen" Support und den "überzogenen" Protestaktionen doch nur stören, sollen selbst zum Feindbild des Otto-Normal-Fans stilisiert werden.

Das Gift wirkt. "Erst stritten sie gemeinsam gegen Verbände und Polizei, jetzt zanken sie sich untereinander", berichtete Spiegel online [8], nachdem als Antwort auf das umstrittene Sicherheitskonzept der DFL deutschlandweit an drei Spieltagen zwölf Minuten und zwölf Sekunden lang auf den Rängen geschwiegen wurde, dies zum Ende hin jedoch nicht mehr bei allen Fans auf Gegenliebe stieß. Schon sprechen die Medien von einem "Aufbegehren gegen das Diktat der Ultras" und zitieren mißgünstige Fanstimmen, die die Rolle der Ultras und ihre "selbsternannte Fan-Meinungsführerschaft" anprangern.

Wenn es den Fanverbänden und Ultragruppen nicht gelingt, ihren Protest zu politisieren und allen Fußballanhängern klarzumachen, daß sie direkte Leidtragende der sicherheitstechnischen und sozialrepressiven Verschärfungen sind, wie sie übrigens nicht nur im organisierten Fußball vorangetrieben werden, wird die Saat der Spaltung weiter aufgehen. Insbesondere die organisierten Fans, denen zur Zeit von der DFL mit einem vermeintlichen Dialogangebot Honig ums Maul geschmiert wird, sollten aufpassen, daß sie nicht zu Erfüllungsgehilfen des neuen Sicherheitskonzeptes werden, welches ihnen ungefragt aufs Auge gedrückt wurde.

Fußnoten:

[1] http://www.neues-deutschland.de/artikel/805352.reiten-auf-der-gewaltwelle.html. 24.11.2012.

[2] http://www.spiegel.de/sport/fussball/statistik-zur-gewalt-im-fussball-polizei-zahlen-zur-abschreckung-a-868231.html. 21.11.2012.

[3] http://www.aktive-fans.de/index.php?option=com_content&view=article&id=117:polizei-ausser-rand-und-band-pm-baff&catid=62:pressemeldungen&Itemid=96. 20.11.2012.

[4] http://www.kicker.de/news/fussball/bundesliga/startseite/577554/artikel_breite-kritik-an-ganzkoerper-kontrollen-in-muenchen.html. 11.11.2012.

[5] http://www.spiegel.de/sport/fussball/dfl-sicherheitspapier-stimmen-zum-beschluss-a-872586.html. 12.12.2012.

[6] http://www.ndr.de/info/programm/sendungen/redezeit/fussball1285.html. 12.12.2012.

[7] http://www.bundesliga.de/de/liga/news/2012/0000233747.php

[8] http://www.spiegel.de/sport/fussball/fanstreit-bei-borussia-dortmund-um-12doppelpunkt12-proteste-a-874298.html. 21.12.2012.

8. Januar 2013