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KOMMENTAR/182: Nur manche sind gleicher ... (SB)


"Entwicklung und Frieden" - UNO-Büro für Sport spricht die Sprache von Wirtschaft und Profit



Handball- und Fußball-Weltmeisterschaften im "Sklavenhändler-Staat" Katar, der sich neben Saudi-Arabien zum größten regionalen Kriegsherrn im Dienste westlicher Hegemonialinteressen gemausert hat? Formel 1-Rennen wie jüngst im Nachbaremirat Bahrain, das 2011 die Demokratiebewegung der schiitischen Bevölkerungsmehrheit niederknüppelte und auch heute noch reihenweise Staatsbürger, darunter viele Sportler, mit brutaler Gewalt mißhandelt? Internationaler Marathon im "Folter-Outsourcing-Staat" USA, dem eine eigene Untersuchungskommission kürzlich eklatante Verstöße gegen Völker- und Menschenrechte im sogenannten Antiterrorkampf bescheinigte? Olympische Spiele in Deutschland, dem drittgrößten Waffenexporteur der Welt, der die arabischen Golfdiktaturen mit Sicherheits-, Überwachungs- und Rüstungstechnologien beliefert, auf daß sie zur Unterdrückung und Niederschlagung von Protestbewegungen eingesetzt werden können?

Um diese Widersprüche unter einen Hut zu bringen, bedarf es schon eines Großsprechers aus der Sportwirtschaft, der sich sowohl im Politik- als auch im Sportentertainment die Sporen der Beachtung verdient hat und mit geübter Zunge die Früchte des Sports auf den globalen Märkten anzupreisen vermag. Der ehemalige Bremer Innensenator und Manager des Fußballclubs Werder Bremen, Willi Lemke (SPD), fungiert seit 2008 als UN-Sonderauftragter des Sports und verbreitet im Stile von Spitzensportfunktionären, die selbst dann noch ihre internationalen Großveranstaltungen schönreden, wenn das Feuerwerk gesellschaftlicher Glücksverheißungen verglommen und die ruinösen Hinterlassenschaften zum Vorschein kommen, eitel Sonnenschein. Immerhin finanziert der deutsche Staat den UNO-Posten jährlich mit knapp einer halben Million Euro, da darf man schon professionellen Frohsinn erwarten. So auch vergangenes Jahr vor dem Sportausschuß des Deutschen Bundestages, wo Willi Lemke die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaften 2010 nach Südafrika als "richtig" rechtfertigte. Das hätte unverblümter auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) tun können, der ausgerechnet hatte, daß fast die Hälfte aller Investitionen, die Südafrika unmittelbar für die WM aufbrachte, an etwa 400 deutsche Unternehmen gegangen waren, die Aufträge im Gesamtvolumen von rund 1,5 Milliarden Euro erhalten hatten [1]. Lemke indes - so heißt es in einer Pressemitteilung des Deutschen Bundestages, in der die nicht-öffentliche Sportausschuß-Sitzung am 13. Juni 2012 auf ein paar Absätze kondensiert wurde [2] - vertrat die Einschätzung, daß ein ganzer Kontinent durch die WM "einen enormen Schub" erhalten habe. Durch die Titelkämpfe im eigenen Land hätten die Südafrikaner "neues Selbstbewußtsein gewonnen". Für Lemke stünde daher fest: "Auch Schwellenländer können solche Großereignisse ausrichten."

Das wiederum dürften die Abgeordneten im Bundestags-Sportausschuß gerne gehört haben, repräsentieren sie doch die politische Schnittstelle zwischen staatlichen Kapital- und marktorientierten Sportinteressen. Dem Anschein nach geht es dort um Sport, so wie ihn Hinz und Kunz versteht. Verhandlungsmasse ist aber der Hochleistungssport, als dessen größter Förderer der Bund auftritt, der nach undurchsichtigen Maßgaben pro Olympiazyklus knapp eine Milliarde Euro an Steuergeldern in den organisierten Sport pumpt. Zwar wird davon auch der Breitensport gefördert, doch den Löwenanteil verschlingt der Spitzensport, der mannigfaltige Alibi- und Vehikelfunktionen in sich trägt. Unlängst forderte DOSB-Präsident Dr. Thomas Bach die deutsche Politik auf, bis zu den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro 25 Millionen Euro zusätzlich locker zu machen, damit Deutschland im internationalen Medaillenwettlauf nicht abgehängt wird.

Doch geht es wirklich um Medaillen? Der Wirtschaftsanwalt und FDP-Mann sitzt u.a. im Verwaltungsrat der Siemens Schweiz AG und ist Präsident der Ghorfa, einer Vereinigung zur Förderung deutsch-arabischer Wirtschaftsprojekte, die über hervorragende Kontakte zu den Ölmonarchien des Golf-Kooperationsrates (GCC) unter Führung von Saudi-Arabien und Katar verfügt. Nach Auskunft von Thomas Bach seien die GCC-Staaten "Deutschlands am schnellsten wachsende Handelspartner und sein viertwichtigster Auslandsmarkt" (www.thegulfonline.com, Juli 2011). In Deutschland hält Katar 17 Prozent Anteile an Volkswagen, zehn Prozent an Porsche, mehr als drei Prozent an Siemens sowie zehn Prozent am Bauunternehmen Hochtief. Im Gegenzug hält das Scheichtum, das über reiche Gas- und Ölquellen verfügt, deutschen Wirtschafts- und Rüstungsunternehmen die Türen für Milliarden-Geschäfte am Golf offen.

Daß der Arabische Frühling für die sunnitischen Herrscherfamilien im Golf-Kooperationsrat eine Bedrohung darstellt, weshalb Saudi-Arabien auch Panzer schickte, um den sozialen Protest in Bahrain in Blut zu ersticken, stellt für die internationalen Sportverbände zwar eine Mißlichkeit dar, ist in Anbetracht der sprudelnden Geldquellen in der Golfregion aber kein Grund zur Traurigkeit. Im Zweifel hält man es wie der Formel-1-Spitzenverdiener Sebastian Vettel, der "wegen des Sports und nicht wegen der Politik" in Bahrain sei und mit diesem Statement nur das wiederkäut, was in der Schizo-Welt des Funktionssports allgemeine Sprachregelung und Verhaltensmaxime ist.

Gleichwohl müssen die Investitionen in den Sportstandort Deutschland gut begründet sein, am besten so, daß der Sport nicht primär als Wirtschaftsfaktor in Erscheinung tritt, sondern vor allem als "Kraft des Guten", um es mit FIFA-Präsident Joseph S. Blatter zu sagen. Ausgerechnet in einem Schwellenland wie Südafrika, wo fast die Hälfte aller Menschen in absoluter Armut leben, hatte sein "gemeinnütziges" WM-Unternehmen den größten Reibach gemacht. Aber wir erinnern uns gern an Willi Lemkes Worte vor dem Sportausschuß: Auch Schwellenländer können solche Großereignisse ausrichten. Klarer formulierten das deutsche Industrievertreter, die mit Blick auf die Fußball-WM in Südafrika von einem "Big Deal" für deutsche Unternehmen sprachen. Nach Angaben des Afrika-Vertreters des DIHK, Heiko Schwiederowski, sei die WM 2010 ein Türöffner für die WM 2014 in Brasilien gewesen: "Dann könnte das Auftragsvolumen von Südafrika noch einmal gesteigert werden." [3]

Wenn nur die Sache mit den Bürger- und Menschenrechten nicht wäre. Auf die Fußball-WM 2014 in Brasilien, das von der Bundeswehr knapp drei Dutzend ausrangierte, mit Radaranlagen nachgerüstete Flugabwehrkanonenpanzer vom Typ Gepard 1A2 kaufen will, die der Sicherung der kommenden Sportevents dienen sollen, folgt die WM 2018 in Rußland und die WM 2022 in Katar - alles deutsche Wirtschaftspartner, in deren Ländern Menschenrechte nicht gerade großgeschrieben werden. Die absolutistische Monarchie Katar, die sich in Kriegen in Libyen, Syrien und Mali als dubioser Waffenschieber hervorgetan hat und militante Islamisten der eigenen Bruderschaft in Stellung bringt, kaufte in diesem Jahr von der Münchner Firma Krauss-Maffei Wegmann 62 Leopard-2-Panzer und 24 Geschützfahrzeuge. Saudi-Arabien soll aus deutschen Waffenschmieden sogar 200 Kampfpanzer erhalten. Menschenrechtsorganisationen kritisieren, daß das Kriegsgerät besonders für den Städtekampf geeignet sei und daher auch zur Unterdrückung der eigenen Zivilbevölkerung eingesetzt werden könnte.

Aber auch hinsichtlich solcher Bedenken gibt es Antworten. Was die Bewertung von Menschenrechtsaspekten bei der Vergabe von sportlichen Großereignissen angeht, so halte sich sein Büro "in Absprache mit dem Generalsekretär Ban Ki Moon" da raus, sagte Willi Lemke vor dem Bundestags-Sportausschuß. "Es gibt aber auch bei den großen Sportverbänden keine rote Linie", betonte er auf Nachfrage. Lemke verwies darauf, daß es schwieriger sei, Menschenrechte zu definieren als etwa nachhaltigen Umweltschutz, den die Weltsportorganisationen jetzt schon einfordern würden. Als Beispiel nannte er die USA. Deren Aktivitäten in Guantánamo würden vielfach auch als Verstöße gegen die Menschenrechte bewertet. "Aber glauben Sie ernsthaft, dass man in Frage stellt, den USA Weltmeisterschaften oder Olympischen Spiele zu geben?" [2]

Derzeit befinden sich mehr als 100 Gefangene auf dem Militärstützpunkt Guantánamo, wo die USA seit mehr als elf Jahren Menschen ohne Anklage oder Strafverfahren unter grausamsten Bedingungen festhalten, in einem Hungerstreik. Gut zwei Dutzend Menschenrechtsorganisationen haben in einem offenen Brief an die US-Administration appelliert, den Mißhandlungen ein Ende zu bereiten. Aber glaubt denn jemand, daß das "Synonym für staatliche Willkür und Folter" (Der Spiegel) in Frage stellen würde, den USA Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele zu geben? - so mag einem im Ohr nachklingen.

Mit ähnlich gespaltenen Zungen wie die "Development and Peace"- Vertreter der UNO, die sogar auf Militärweltmeisterschaften der Sportsoldaten die "Macht des Sportes" für Entwicklung und Frieden beschwören, obwohl diese Militärsportveranstaltungen erklärtermaßen auch "der Unterstützung aller bewaffneten Kräfte der beteiligten Nationen" gewidmet sind [4], reden auch die Global Player des Fußballs. Sie sitzen trotz aller Skandale und Korruptionsaffären deshalb so fest im Sattel, weil sie die Kapitalinteressen der hinter dem Fußballgewerbe stehenden Unternehmen, Konzerne und Regierungen auf das beste bedienen. So bezeichnete FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke auf einem kürzlichen Symposium stabile Demokratieverhältnisse als Hürde für die Planung einer Fußball-Weltmeisterschaft. Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gebe, vielleicht wie Rußlands Präsident Putin sie 2018 habe, sei es für die FIFA-Organisatoren leichter als etwa in Ländern wie Deutschland, in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden müsse, meinte Valcke. Das betonte er auch mit Blickrichtung auf Brasilien, wo die politische Struktur sowie verschiedene Personen, Bewegungen und Interessen Probleme bei der Organisation bereitet hätten. [5]

Sein verkapptes Plädoyer für autoritäre politische Systeme, wo mächtige Staatoberhäupter mit harter Hand Sozialproteste sowohl gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse als auch gegen die Zumutungen der Megaevents, die meistenteils große soziale und ökologische Schäden anrichten, beiseitewischen können, wurde noch von der Dreistigkeit des FIFA-Präsidenten Joseph Blatter übertroffen, der dem Symposium ebenfalls beiwohnte. Nach Angaben des Sport-Informations-Dienstes hob der Schweizer Anwalt am Beispiel der WM 1978 in Argentinien die versöhnende Kraft des Fußballs hervor: "Es war die erste WM, in die ich direkt involviert war und ich bin glücklich gewesen, dass Argentinien gewann. Zwischen der Bevölkerung und dem politischen System hat es eine Art Aussöhnung gegeben." [5]

Haben wir richtig gehört - Aussöhnung mit dem politischen System? Das teure Fußballspektakel von 1978 diente der Verschleierung einer der brutalsten Diktaturen in Lateinamerika und war auch für die westdeutschen Eliten eine willkommene Gelegenheit, ihre durch das Argentiniengeschäft blutig gewordenen Hände symbolisch reinzuwaschen.

Nach dem Militärputsch vom März 1976, als die Junta die Macht in Argentinien übernahm, die sich offiziell dem Kampf gegen den Kommunismus verschrieben hatte, wurden etwa 30.000 Menschen verschleppt, zu Tode gefoltert, erschossen oder ertränkt. Unter den Bedingungen diktatorischer Unterdrückung und liberaler Wirtschaftspolitik unterhielt Deutschland damals beste Geschäftsbeziehungen zu den Militärs. Neben zwei Atomkraftwerken lieferte die BRD sechs U-Boote, zehn Fregatten, über 500 Panzer und Tausende Unimogs nach Argentinien - Gerät, das Polizei und Armee zur Unterdrückung der Opposition nutzte. Als mehrere Arbeitervertreter, die sich teilweise für Lohnsteigerungen stark gemacht hatten, "verschwanden", unterließ es Mercedes-Benz tunlichst, weiteren Staub aufzuwirbeln und mit intensiven Recherchen und Protesten für Aufklärung zu sorgen. Während der Schlagersänger Udo Jürgens das WM-Lied "Buenos días, Argentina" trällerte, verteidigten westdeutsche Politiker und Sportfunktionäre die WM nach Kräften. FIFA-Vize- und DFB-Präsident Hermann Neuberger hatte keine Scheu, den vormaligen NS-Wehrmachtsoffizier Hans-Ulrich Rudel, Galionsfigur der Deutschen Volksunion (DVU), im abgesperrten Trainingslager des DFB-Teams zu empfangen. Blatters Vorgänger Joao Havelange, der die FIFA in seiner 24jährigen Amtszeit zu einem kommerziellen Unternehmen von riesigen Ausmaßen aufbaute, ehe er vor zwei Jahren im Zuge des ISL-Bestechungsskandals als Schmiergeldempfänger aufflog und seine Posten als IOC-Mitglied und Ehrenpräsident der FIFA aufgeben mußte, eröffnete die WM 1978 mit den Worten: "Endlich kann die Welt das wahre Argentinien kennenlernen." Während später das argentinische Volk den WM-Titel frenetisch feierte, der höchstwahrscheinlich durch massive Manipulationen zustande gekommen war, wie Nachforschungen von Journalisten ergaben, wurde in den rund 350 Konzentrationslagern, davon ein besonders berüchtigtes nur wenige hundert Meter vom Monumentalstadion in Buenos Aires entfernt, weiterhin gefoltert, vergewaltigt und gemordet.

Aber wer hört schon die Hilferufe der Gefolterten in Guantanamo und anderen "black sites" des US-Militärs? - müßte man heute fragen. Wer hört die Schmerzensschreie der Kreaturen, deren klaffende Wunden und gebrochene Augen vom Kriegsgerät aus deutschen Rüstungsschmieden künden? Wer hört die flehenden Rufe der Menschen in Südafrika, Brasilien und anderswo, deren Behausungen niedergewalzt und die von ihren kargen Erwerbsgründen vertrieben werden, damit die Fußballpaläste und Werbemeilen der FIFA entstehen und der Welt ein friedliches Fest vorgegaukelt werden kann? Wer vernimmt das Elend der wie Sklaven gehaltenen Arbeitsmigranten in Katar, die mit ihrem Blut die Prachtstraßen und -bauten aus dem Wüstenboden stampfen, damit eine Exportnation wie Deutschland seine Auftragsbücher füllen kann? Wer vermag zwischen den Zeilen zu lesen, wenn UN-Generalsekretär Ban Ki-moon die vermeintlich frohe Botschaft des Sports verkündet: "Sport hat sich zu einer Weltsprache, einem gemeinsamen Nenner entwickelt, der alle Mauern, alle Barrieren bricht. Er ist eine weltweite Industrie, deren Praktiken eine weitreichende Wirkung haben können. Vor allem ist er ein leistungsfähiges Werkzeug für Fortschritt und Entwicklung." (UNOSDP-Jahresbericht 2011, vorgestellt anläßlich der 55. Bundestagssportausschuß-Sitzung)

Fußnoten:

[1] http://kosa.org/wm_2010_rsa/wm_erste_bilanz.html

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/parl/fakten/pafb3291.html

[3] http://www.neues-deutschland.de/artikel/173411.deutsche-firmen-gewinnen.html. 19.06.2010

[4] UN Special Adviser on Sport promotes Peace and Truce with Olympic hosts and with Military Sport organization CISM. 02.04.2013
http://www.un.org/wcm/content/site/sport/home/newsandevents/news/template/news_item.jsp?cid=39237

[5] http://www.welt.de/newsticker/sport-news/article115587758/Valcke-Weniger-Demokratie-bei-Planung-hilfreich.html. 24.04.2013

2. Mai 2013