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KOMMENTAR/193: Sportler sauber, Werbezauber ... (SB)


NADA-Auftritt zu altbacken: Anti-Doping-Regime soll für Sponsoren aufgehübscht werden



Negativ konnotierte Begriffe wie "Kontroll"- oder "Testregime", die bis 2010/11 noch daran erinnerten, auf welch zweifelhafter Grundlage verdachtsunabhängige Kontrollen, Rund-um-die-Uhr-Tests, 365-Tage-Verfügbarkeit, Nacktkontrollen beim Urinlassen, körperverletzende Blutproben, täglich einstündige Kontrollhaft, Melderegister und die ausforschende Überwachung des Privatlebens stehen, sind inzwischen aus dem offiziellen Vokabular der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) entfernt worden. Die privatrechtliche Stiftung, die 2002 in Bonn aus der Taufe gehoben wurde, hat im Laufe der Jahre, in denen sie in der Öffentlichkeit um Verständnis, Vertrauen und Akzeptanz für ein "strenges Kontrollregime" warb, um den "sauberen" Hochleistungssport sicherzustellen, dazugelernt. Warum die Pferde scheu machen, wo die NADA doch nur ein harmloses "Ergebnis-, Kontroll- und Sanktionsmanagement" betreibt?

Obwohl man sie so behandelt, werden Athleten auch nicht als "Verdächtige" oder "potentielle Betrüger" bezeichnet. Solch unschöne Begriffe, wie sie landauf, landab durch die Gazetten geistern, sind im sozialpsychologisch gereinigten NADA-Vokabular nicht zu finden. Verdächtige Kaderathleten kommen allenfalls aus "gefährdeten Sportarten". Sie sind "Risiko-Gruppen" (Testpools) zugeordnet und müssen sich je nach Klassifizierung unterschiedliche Test-, Überwachungs- und Meldeprozeduren gefallen lassen. Wo es kein "Testregime" gibt, kann es auch keine "Regimegegner" geben. Wogegen sollten sich die Athleten auch auflehnen? Alles dient doch der gerechten Sache (Chancengleichheit, Fairplay, Werte etc.) und ist von "Kompetenzteams" aus Medizinern, Chemikern, Juristen, Datenschützern und Ethikern abgesegnet worden. Wer sollte da noch Zweifel hegen?

Als die Kontrollen und Meldeauflagen immer umfänglicher wurden, hatten einige Kaderathleten noch darüber geklagt, daß sie sich wie "Schwerverbrecher" behandelt fühlten. Heute beschweren sich immer mehr Kaderathleten darüber, daß sie nicht häufig genug kontrolliert werden, die Sanktionen zu lasch sind und die Staatsgewalt bei der Ermittlung und Verfolgung von Dopingvergehen oder -verdächtigen noch nicht alle Mittel der Verbrechensbekämpfung einsetzen darf. Das Anti-Doping-Regime, das unabhängige Experten in tragenden Bereichen schlichtweg als verfassungswidrig und gegen die Menschenwürde gerichtet bezeichnen, hat sein Ziel erreicht: Den Beherrschten sind nicht nur die Begriffe genommen worden, die Kontrollierten fordern ihre Verdächtiger, pardon, "Partner" sogar auf, noch härtere Bandagen anzulegen.

Einen kleinen Rückschritt im "Neusprech", das Denken über einen euphemistischen Sprachgebrauch zu kontrollieren und darüber herrschaftskonforme Muster vorauseilender Anpassung zu generieren, leistete sich vor kurzem noch die rot-grüne Landesregierung von Baden-Württemberg. In ihrem Gesetzentwurf vom Mai diesen Jahres "zur Verbesserung der strafrechtlichen Dopingbekämpfung", welcher darauf abzielt, den dopenden Berufssportler zu kriminalisieren und unter Einschränkung von Grundrechten sämtliche Ermittlungsinstrumente zu mobilisieren, wird ganz unverhohlen vom "Anti-Doping-Regime" der Sportverbände gesprochen, unter das sich die Athleten "freiwillig" begeben haben - so als ob sie tatsächlich die Wahl hätten.

Eine derartige Blöße gibt sich das NADA-"Kompetenzzentrum" nicht mehr. Kommunikation und Marketing sind stetig professionalisiert und weiterentwickelt worden. Was auch nur entfernt an den orwellschen Charakter des Anti-Doping-Regimes erinnern könnte, ist im wahrsten Sinne des Wortes aus der Wahrnehmung getilgt worden. Der "saubere Sport" verlangt nach sauberem Marketing. Die neue "Kernbotschaft" aller Kommunikationsmaßnahmen laute, so die NADA: "Gemeinsam gegen Doping".

Kontrolleure und Kontrollierte ziehen gemeinsam an einem Strang, es herrscht Interessenskonformität. Nichts deutet mehr auf das Gewaltverhältnis zwischen der Kontroll- und Definitionsmacht und den ihr Unterworfenen hin. Wer den Zweck und Sinn der Maßnahmen anzweifelt und die neue Kontrollkultur noch nicht vollständig verinnerlicht hat, für den hält die NADA seit Anfang des Jahres auf ihrer Website www.gemeinsam-gegen-doping.de umfangreiche Schulungsmaterialien [1] bereit. Dort werden die Widersprüche, Paradoxien und Dilemmata der Dopingdiskussion mit kritischem Impetus zielgruppenadäquat so weit aufgefächert, daß anstelle streitbarer Parteilichkeit die scheinbar neutrale Überposition des wissenschaftlichen Beschauers tritt, der in den Labyrinthen akademischer Selbstbespiegelung und interdisziplinärer Ausreden durchaus seinen Platz zu finden vermag. Wenngleich wesentliche Problemfelder der repressiven Dopingbekämpfung und progressiven Verdachtsschöpfung ausgespart werden (seit 2010 forciert die NADA beispielsweise die Zusammenarbeit mit staatlichen Ermittlungsbehörden und gibt an diese nach einem öffentlich intransparenten Verfahren Verdachtshinweise sowie "zahlreiche anonyme Hinweise" weiter), erwirtschaftet sich die NADA auf diese Weise doch das Prädikat, Widersprüche und Kontroversen nicht wie vergleichsweise primitive Systeme zu unterdrücken, sondern im Rahmen des eigenen Regimes auf intellektuell ansprechende Weise verdaulich zu machen.

Ende 2011 gab die NADA den Startschuß für eine Marketingoffensive, um angesichts des drohenden Budgetdefizits ab 2013 neue "Partner" im Antidopingkampf zu gewinnen. Da die Dauerforderung nach einer "effektiven Dopingbekämpfung" mit ungeheuren Finanzaufwendungen verbunden ist, schließlich müssen die Ausweitung der Trainings- und Wettkampfkontrollen, die Etablierung des Blutpaßprogramms (die WADA fordert inzwischen auch ein Steroidpaßprogramm) sowie die Ausdehnung der Aufgabenfelder und das teure Personal irgendwie bezahlt werden, reichen die herkömmlichen Geldquellen kaum noch aus. Die NADA hat schon damit gedroht, die Anzahl ihrer jährlich etwa 8.000 Dopingkontrollen drastisch zurückzufahren, sollten nicht mehr (Steuer-)Gelder fließen.

Seit ihrer Gründung wird die NADA nach dem Stakeholder-Modell durch Politik (Bund und Länder), Sport und Wirtschaft gefördert. 2002 wurde die Agentur mit einem Stiftungskapital von rund sechs Millionen Euro ausgestattet, frühere Träume von Innenminister Otto Schily (SPD), 60 Millionen Mark für das Stiftungskapital lockerzumachen, konnten zum Leidwesen der Dopingjäger nicht realisiert werden. Heute beläuft sich das Stiftungsvermögen auf rund 14 Millionen Euro, die hieraus erzielten Zinserträge fließen in das operative Geschäft ein. Den Löwenanteil des jährlichen 4,6-Millionen-Etats steuert der Bund bei, von den Ländern kommt nur wenig, auch die Zuwendungen aus der Wirtschaft sind in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Lediglich der Adidas-Konzern und der Orthopädiehersteller Otto Bock HealthCare beteiligen sich an der Finanzierung. Hans Georg Näder, der Chef des Prothetik-Unternehmens, das auf profitable Weise auch den wegen "Techno- und Pharma-Doping" in Verruf geratenen paralympischen Sport fördert, übernahm im vergangenen Jahr den Vorsitz im Aufsichtsrat der NADA.

Um sich für Sponsoren aus der Wirtschaft interessanter zu machen, soll das Anti-Doping-Regime nun weiter aufgehübscht werden. "Vielleicht war auch der Auftritt der NADA zu altbacken", räumte Prof. Näder im Deutschlandfunk vor dem Hintergrund ein, daß sich die Sponsoren immer rarer gemacht haben. Man sei aber mit "großen Dax-Konzernen" im Gespräch. Die Kölner Agentur Uniplan sei zudem dabei, eine Kampagne zum Themenkomplex 'Engagement der Wirtschaft' zu entwickeln. Der neue Auftritt der NADA solle den Medien im Januar kommenden Jahres präsentiert werden. [2]

Das Zusammenspiel von Medien und Wirtschaft bei der Imagepolitur dürfte entscheidend sein, denn nach wie vor lassen sich aus negativen Schlagzeilen über "betrügerische Athleten" im "dopingverseuchten Sport" nur schwer positive Imagetransfers für die Sponsoren generieren. Zumal der Druck der (Werbe-)Wirtschaft auf die Athleten, Erfolge einzufahren und Medaillen zu gewinnen, (noch) als eine der wesentlichen Ursachen angesehen wird, warum sie überhaupt zu unerlaubten Mitteln greifen. Um den Zusammenhang von Sponsoring und Doping wirksam zu verschleiern, bedarf es schon ausgeklügelter Imagekampagnen, damit die mediale Dämonisierung der Athleten nicht auf das DAX-Unternehmen abfärbt.

Slogans wie "Verantwortungsvolle Unternehmen sponsern fairen Sport" könnten hilfreich sein, auch die "Marke" NADA, bisweilen noch als "Pinkelpolizei" tituliert, aufzupolieren. Vermutlich wird die Akquisitionskampagne darauf hinauslaufen, Unternehmen die Möglichkeit zu bieten, sich als wahre Wohltäter zu präsentieren, die sich ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung bewußt sind und auch in finanzieller Hinsicht "klare Zeichen" für einen sauberen Sport setzen. Da die technologisch sehr aufwendige Antidopingjagd inzwischen ein eigener Industriezweig geworden ist, wo Forscher und Wissenschaftler - kaum anders als Sportler - um Gelder und Reputation ringen, könnte sich die deutsche NADA mit Fördermillionen aus der Wirtschaft (oder im Falle einer Verstaatlichung der Dopingbekämpfung mit Hilfe von Steuergeldern) sogar zum Weltmarktführer entwickeln. NADA-Aufsichtsratschef Näder deutete im letzten Jahresbericht bereits an, daß der globale Antidopingkampf erst am Anfang steht. In Anbetracht der Diskussionen, ob die Leistungen bei den Paralympischen oder Olympischen Spielen sauber erbracht worden seien, unterstrich er: "Gegen diesen Generalverdacht gibt es nur einen Schutz: ein weltweites, effektives Doping-Kontroll-System, bei dem alle Sportler gleich behandelt werden." [3]

Was für ein Unfug! Eine global einheitliche Institutionalisierung der Antidopingjagd, sofern sie weltpolizeilich je durchsetzbar wäre, würde den Generalverdacht schon aus Gründen bürokratischen Selbsterhalts für immer zementieren.

Fußnoten:

[1] http://www.gemeinsam-gegen-doping.de/

[2] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/sport/2268584/. 28.09.2013.

[3] http://www.nada-bonn.de/fileadmin/user_upload/nada/Downloads/Jahresberichte/NADA_Jahresbericht_2012_kl.pdf

8. Oktober 2013