Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → MEINUNGEN

KOMMENTAR/209: Wettkampf, Korruption und Schwarzer Peter (SB)


Katar-Frankreich-Deutschland-Connection macht mobil für den globalen Krieg gegen Wettbetrug und Spielmanipulation



Alles "Taktik in Blatters Reich" meinen die einen, "reines politisches Kalkül des FIFA-Bosses" die anderen. Die Medien sind sich einig und glauben, seinen Trick durchschaut zu haben. Die Debatte um Katar sei ein reines Ablenkungsmanöver von den aktuellen Problemen im Vorfeld der WM 2014 in Brasilien, rauscht es durch den Blätterwald. Der Schweizer Anwalt hatte die Vergabe der Fußball-WM 2022 ins Golfemirat als "Fehler" bezeichnet und zum wiederholten Mal "politischen Druck" aus Frankreich und Deutschland angeführt, der zur Wahl Katars geführt habe. "Man weiß gut, dass große Firmen aus Frankreich und Deutschland in Katar arbeiten, aber sie arbeiten nicht nur für die WM. Die WM ist eine relativ kleine Angelegenheit für Katar", so Blatter. [1]

Natürlich hat Joseph S. Blatter als Chef eines international tätigen Fußballkonzerns ein kapitales Problem. Trotz aller Reformen, Imagekampagnen und ethischen Weißwäschen haftet dem Monopolisten unverändert der Ruf an, "mafiös", "kleptokratisch" oder "feudal" veranlagt zu sein - und das ist noch zurückhaltend formuliert. Konservative, Liberale, Grüne oder reformistische Linke versuchen zwar, den Anschein zu erwecken, als sei das kapitalistische Verwertungsmodell im Sport noch zu retten. Doch im Grunde weiß jeder, daß sich die Forderungen von "fairen", "nachhaltigen", "ökologischen" oder "sozialverträglichen" Megaevents nicht erfüllen lassen. Selbst wenn man theoretisch die Möglichkeit in Betracht zöge, ein Spielekonzern wie die FIFA könnte "nahezu" korruptionsfrei werden, ändert das immer noch nichts an den Verwertungsbedingungen des Kapitals. Um wirtschaftlich überleben zu können, müssen weiterhin Profite privatisiert, die wirtschaftlichen Risiken auf die Gastgeberländer umgelastet und die Schäden vergesellschaftet werden. Würde man der vermeintlichen "Non-Profit"-Organisation die Umwelt- und Sozialverbrechen im Zuge der Megaevents - angefangen von Naturzerstörungen und dem Leid der durch Vertreibung, Ausplünderung und Ausbeutung betroffenen Bevölkerungsschichten bis hin zur Enteignung und Militarisierung öffentlicher Räume - in Rechnung stellen, gäbe es eine solch räuberische Maschinerie wie die FIFA (oder das IOC) gar nicht. Selbstredend könnte der Fußball-Weltverband auf Pressekonferenzen auch nicht mehr verkünden, daß er im Jahr 2013 72 Millionen Dollar (52,3 Millionen Euro) Gewinn gemacht und damit seine Reserven auf stolze 1,432 Milliarden Dollar (1,041 Milliarden Euro) gesteigert habe [2]. Und natürlich könnte er sich auch keinen neuen Verbandssitz nahe Zürich für 180 Millionen hinstellen - allein die Lohnsumme für den knapp 400köpfigen Mitarbeiterstab soll sich jährlich auf 100 Millionen Euro belaufen [3].

Was machen also die internationalen Sportgroßkonzerne, ihre Medien, Politiker und PR-Agenturen, aber auch Rechts- und Wissenschaftsberater, damit die Integritätsfassaden trotz aller Fadenscheinigkeit ihre gesellschaftliche Bindefunktion behalten? Oder anders gefragt, wie läßt sich noch ein weltweiter Konsens stiften, der die kommerziellen Raubzüge der Sportorganisationen und ihrer Wirtschaftspartner deckt? Wäre es aus Sicht der Profiteure nicht logisch, einen äußeren Feind aufzubauen, der die "Integrität des Sports" bedroht und den es mit aller Macht zu bekämpfen gilt? Hätte man damit nicht auch alle FIFA-Kritiker, die an den "ehrlichen Fußball", den "fairen Wettbewerb" oder die "Werte des Sports" glauben, mit ins Boot geholt?

Wie so etwas aussehen könnte, macht Katar vor, nach Rußland (2018) Austragungsland der Fußball-Weltmeisterschaft 2022. Die absolute Monarchie, die selbst in Verdacht steht, über korruptive Machenschaften zur WM gekommen zu sein, hat aufgrund ihrer Gas- und Ölreserven soviel Geld, daß sie renommierte Experten jedweder Couleur und Berufsgattung in ihre gesellschaftlichen und industriellen Entwicklungspläne (Qatar National Vision 2030) einbinden kann. Für das Kapital spielt es keine Rolle, ob sich in der Golfdiktatur Tausende Arbeitsmigranten zu Tode schuften, Menschenrechte verletzt oder von Katar aus Kriege und Söldnerbanden in anderen Ländern finanziert werden. Wichtig ist nur, daß die Wettbewerbsbedingungen stimmen - möglichst eingerahmt in stabile politische Herrschaftsverhältnisse, internationale Wirtschaftsallianzen und - ebenso wichtig - private und staatliche Sicherheits- und Polizeistrukturen.

Alle redeten über die Sicherheitsrisiken in Brasilien, über Polizeistreiks, Massenproteste oder die Kriminalität. Die FIFA aber habe vor allem Angst, daß die Integrität ihres eigenen milliardenschweren Wettbewerbs durch Spielmanipulationen nachhaltig zerstört werde, berichtete kürzlich der Deutschlandfunk über Integritätsmanager, Fly-In-Teams und andere Maßnahmen, mit denen die FIFA sich gegen mögliche Spielmanipulationen bei der Weltmeisterschaft in Brasilien rüste. [4]

Diese Form der Berichterstattung, die das wirtschaftsethische Konzept der "Integrität" kritiklos adaptiert, wird man künftig öfter zu lesen oder zu hören bekommen; schon jetzt versuchen Journalisten sich dadurch zu profilieren, der FIFA und anderen Institutionen Schwachstellen im "Integritätsmanagement" (lückenhafte Frühwarnsysteme, zu geringer staatlicher Verfolgungs- und Strafdruck, mangelhafte Überwachung der Daten-, Internet- und Telekommunikation etc.) nachzuweisen. Der kanadische Buchautor und "Wettbetrugsexperte" Declan Hill schlägt sogar vor, daß die FIFA jedem Spieler mindestens 50.000 bis 60.000 Dollar pro Spiel bezahlt. Damit wäre die Wettmanipulation bei einer WM mit einem Schlag ausgerottet, behauptet er. Diese Marktlogik könnte der FIFA wohl gefallen: Das kommerzielle Rad noch mehr anzukurbeln, damit alle saftige Prämien bekommen. Klingt wie der Vorschlag, den Managern und Bankern noch höhere Boni zu zahlen, damit sie der Korruption nicht erliegen.

Mit der Kommerzialisierung des Sports und der Globalisierung des Sport- und Wettmarktes ist natürlich auch das Problem legaler und illegaler Wetteinsätze und Spielmanipulationen - seit jeher miteinander verschwistert - gestiegen. Bereits mit Blick auf das sogenannte Doping wird den Menschen weisgemacht, mit verschärften Big-Brother-Maßnahmen und staatlicher Repression sei das Problem irgendwie beherrschbar. Diese Augenwischerei, die gesellschaftliche Entwicklungen viel bedrohlicherer Art verdeckt und fördert, fällt bezogen auf die Verhinderung oder Eindämmung von Wett- und Spielmanipulationen noch haarsträubender aus: Allein, um kriminalpräventiv das Problem der unerlaubten Weitergabe von "Insiderwissen" effektiv bekämpfen zu können, müßten sämtliche Privatgespräche oder Sozialkontakte von Profi- und Amateursportlern, Trainern, Funktionären, Physiotherapeuten, Schiedsrichtern, aber auch Sportjournalisten, polizeilich überwacht werden. Schließlich besteht die Gefahr, daß Freunde oder Kontaktpersonen bei Wetteinsätzen Vorteile aus der Informationsweitergabe ziehen (z.B. wenn man weiß, wer alles in einer Mannschaft verletzt ist). Wie im Antidopingkampf, wo das Feld für eine omnipräsente Überwachungskultur bestellt wurde, wird auch die forcierte Verfolgung von Spielabsprachen oder Wettmanipulationen innovative Formen paternalistischer Sozialkontrolle hervorbringen. Schon jetzt geraten Spieler oder Mannschaften unter Betrugsverdacht, die nicht mit vollem Körpereinsatz gespielt oder auf ungeschickte Weise groteske Spielszenen oder Eigentore fabriziert haben. Die Unterscheidung in "Wettmafia", die im großen Stil Spiele manipuliert, und Spielern, die sich in irgendeiner Form unerlaubter Vorteilsnahmen verdächtig gemacht haben, wird sich in der Praxis der Strafverfolgung nicht aufrechterhalten lassen. Um es klar zu sagen: Eine effektive Bekämpfung der Spielemanipulation kann nur die Entkommerzialisierung des Sports und die vollständige Resozialisierung der Verbände und Organisationen sein - also genau das, was die legale Spiele-, Sport- und Wettindustrie mit allen Mitteln verhindern wird. Folgerichtig hat sich der organisierte Sport auf eine das eigene Gewinn- und Machtstreben ausblendende Strategie festgelegt, die die Entwicklung von modernen Ausspähtechnologien, euphemistisch als "Überwachungssysteme" bezeichnet, die Kooperation mit der Wettindustrie sowie die intensivierte Zusammenarbeit mit den Staatsbehörden vorsieht [5]. Die Verpolizeilichung des kommerziellen Sports ist seine letzte Wette.

Die Einbindung scheinbar oder tatsächlich "seriöser" oder "unabhängiger" Experten aus dem Polizei- und Justizwesen, aber auch die "partnerschaftliche" Verzahnung mit supranationalen Institutionen, dienen den Monopolverbänden und Großsponsoren zur Panzerung ihrer Profitinteressen. Um die "FIFA-Mafia", so die Titelbezeichnung eines 2012 erschienenen Buches, das detailreich die "schmutzigen Geschäfte des Weltfußballs" ins Visier nimmt, aus der Schußlinie weltweit wachsender Kritik zu nehmen, bedarf es eines weitgreifenden Manövers, das die Welt wieder in Gut und Böse sortiert: Hier die ehrbaren Geschäftsmänner, Makler und Investoren, die den Sportwettbewerb bewahren möchten, dort die Banditen, Betrüger und Manipulateure, die die Sportidee zerstören wollen. Das ist zwar nicht ganz logisch, denn viele behaupten, daß die Geschäftemacher den Sport zerstören und die Ganoven die Unterhaltungsindustrie bewahren wollen, um weiterhin (illegale) Profite abzweigen zu können, die sich die "Sportfamilie" sonst ganz alleine unter den Nagel reißen würde, aber wie so oft im "crony capitalism", im "vetternwirtschaftlichen Kapitalismus", sind die Übergänge fließend und trennscharfe Rollenzuweisungen graue Wirtschaftskriminologie. Tatsächlich können organisierter Kapitalismus und organisierte Kriminalität sehr gut miteinander leben, weil sie sich in systemstabilisierender Abhängigkeit zueinander bewegen.

In der Schattenwelt des Sportgewerbes und ihrer Weißwäscheorganisationen ist vieles möglich. Dort, wo das Musterländle Katar, in dem weder Parlament oder politische Parteien noch freie Medien oder Gewerkschaften existieren, selbst Fäden in die internationale Konsensproduktion einspinnt, ist sogar noch mehr möglich. In Zusammenarbeit mit dem International Centre For Sport Security wurden Mitte Mai in Paris die "bahnbrechenden" Ergebnisse einer zweijährigen Untersuchung der Sorbonne-Universität vorgestellt. Der Studie zufolge, die den programmatischen Titel "Protecting the Integrity of Sport Competition: The Last Bet for Modern Sport" trägt, wäscht die organisierte Kriminalität im Jahr weltweit rund 140 Milliarden Dollar über Sportwetten. 80 Prozent aller Einsätze, die sich auf bis zu 700 Milliarden Dollar pro Jahr belaufen sollen, finden bei illegalen Buchmachern statt und sorgen damit zusätzlich für die steigende Gefahr von Spielmanipulationen. Betroffen sind neben Fußball und Cricket auch vermehrt Tennis, Basketball, Badminton und Motorsport. ICSS-Chef Helmut Spahn, der mit einer Reihe ehemaliger, oft hochrangiger Kripobeamter in Diensten der privaten Sicherheits- und Sportindustrie steht, sprach gegenüber der FAZ von einer "ernstzunehmenden Bedrohung" für den Sport.

Diese Art der Themensetzung dürfte in den Medien auf mehr Gegenliebe stoßen als Spahns Versuch Ende vergangenen Jahres, sich mit zweifelhaften Aussagen schützend vor seinen Arbeitsgeber zu stellen. Vor dem Hintergrund des Sklavenhaltersystems "Kafala" sowie der miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen der Gastarbeiter bezeichnete der Sicherheitsexperte die ständige Kritik an Katar als "eine Form von Fremdenfeindlichkeit". Auch eine generelle pauschale Ausbeutung von Arbeitnehmern vermochte er in dem Land nicht zu sehen. [6]

Um Matchfixiung, Wettbetrug und Schiebereien aller Art bekämpfen zu können, schlägt Spahn den "Aufbau einer international agierenden, unabhängigen Organisation vor, die von verschiedenen Institutionen, zum Beispiel Sportverbänden und staatlichen Stellen, finanziert wird. Sie könnte ähnlich aufgebaut sein wie die Weltantidopingagentur Wada. Die wichtigste Aufgabe einer solchen Organisation ist es, auch hinter die Kulissen zu schauen". [6]

Daß Staat, Kapital und organisierter Profisport überhaupt kein Interesse an einem Blick hinter die Kulissen haben, der auch die Verlierer, Drangsalierten und Ausgebeuteten des Sportbusiness ins Licht rückte, zeigen WM- oder Olympia-Gastgeberländer wie Brasilien, Rußland und Katar auf mustergültige Weise. Dann schon lieber eine vom Wirtschaftsdreieck Katar-Frankreich-Deutschland installierte Sorbonne-ICSS-Connection protegieren, die zum gemeinsamen Kampf gegen den äußeren Feind, die organisierte Kriminalität, aufruft. "Ich freue mich, daß die Weltgemeinschaft erkannt hat, daß es ein ernstes Problem mit der Integrität des Sports gibt", erklärte der katarische ICSS-Präsident Mohammed Hanzab vor den versammelten Ministern, Exzellenzen und Professoren der Sorbonne-Universität in Paris. "Regierungen, Präsidenten, Ministerpräsidenten, Minister und die Mitglieder von Europarat, UNESCO, FIFA, UEFA und die ehemaligen und aktuellen Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees haben sich alle für eine globale Lösung ausgesprochen." [7]

Eine Frage blieb in Paris gänzlich ungestellt: Wer schützt die Menschen vor diesen Regierungsvertretern, Wirtschaftslobbyisten und Legitimationswissenschaftlern, die mit Kreide in der Stimme von einer Lösung im Weltmaßstab reden, aber die Sicherung des Big Business meinen?

Fußnoten:

[1] http://www.rts.ch/sport/tout-le-sport/5852310-sepp-blatter-le-choix-du-qatar-pour-le-mondial-2022-une-erreur.html. 15.05.2014.

[2] http://www.welt.de/newsticker/sport-news/article126056862/FIFA-wird-zum-Milliardaer-Blatter-haelt-an-WM-in-Russland-fest.html. 21.03.2014.

[3] http://www.deutschlandfunk.de/fifa-110-jahre-zwischen-machtkampf-und-korruption.1346.de.html?dram:article_id=285700. 17.05.2014.

[4] http://www.deutschlandfunk.de/fifa-fussball-wm-das-milliardenspiel.890.de.html?dram:article_id=285324. 13.05.2014.

[5] http://www.dosb.de/fileadmin/Bilder_allgemein/Veranstaltungen/MV_Wiesbaden/Beschluss_TOP_15_Tischvorlage_Antrag_Praesidium_Dopingbekaempfung_MV_2013_Version_07.12.13__13.31_Uhr.pdf

Der DOSB hat am 7. Dezember 2013 den Beschluß gefaßt, "dass der Staat ein System zur Überwachung und Aufdeckung auf Sportwetten bezogener Manipulationen aufbaut, das einerseits die Früherkennung beabsichtigter Manipulationen ermöglicht und damit die Grundlage dafür liefert, sie durch entschlossene Gegenmaßnahmen zu verhindern, und das andererseits vor allem Manipulationen, die erst während des Wettkampfs sichtbar werden, aufdeckt, um insgesamt dazu beizutragen, die bestochenen Helfer/innen im Sport und in seinem Umfeld zu identifizieren und zu bestrafen. Die Aufgabe des Sports liegt vor allem in einer effektiven Präventionsarbeit, die über das Vorgehen der kriminellen Akteure informiert und für das frühzeitige Erkennen von Anzeichen für Manipulationen sensibilisiert. Das Präsidium wird aufgefordert, einen Anti-Manipulations-Code für den organisierten Sport zum Schutz des sportlichen Wettbewerbs zu schaffen".

[6] http://www.welt.de/sport/article122612818/Kritik-an-Katar-ist-Form-von-Fremdenfeindlichkeit.html. 05.12.2013.

[7] http://www.theicss.org/sport-integrity-forum-mohammed-hanzab-speech/. 14.05.2014.

2. Juni 2014