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KOMMENTAR/238: Requirierte Spiele ... (SB)


FairPlayLiga: Die schadensärmere Form, Kinder auf die Kampfarena des großen Fußballs vorzubereiten?


Werden wir Zeuge einer Graswurzelbewegung im organisierten Sport, gar einer Revolution von unten, die den Kindern ein von Zwecken und Zielen (der Erwachsenen) weitgehend unbelastetes Spielen zurückbringt? Man könnte den Eindruck haben, bei der 2007 ins Leben gerufenen "FairPlayLiga" (FPL) der F- und E-Junioren im Fußball, die sich deutschlandweit steigender Akzeptanz und Beliebtheit erfreut, handelt es sich um eine Art Alternativmodell oder gar Gegenerziehung zum Profi- und Spitzensport, der bekanntlich zu einem erbarmungslosen Schlachtfeld kommerzieller Interessen verkommen ist, sich aber gleichwohl werteorientiertes "Fairplay" auf die Fahnen geschrieben hat.

Die Schöpfer der FPL betrachten die kleinen Kicker nicht als moderne Gladiatoren, folglich sei auch das Kinderfußballfeld ein "Lernfeld" und keine "Kampfarena". "Das siegorientierte Denken hat den Kindern ihre Realität und ihr eigenständiges Fußballspiel weggenommen. Wir müssen die Kinder wieder in ihre Realität zurückbringen, damit sie sich frei entwickeln können!", lautet eine Maxime der FPL. Kindern solle im spielerischen Miteinander Spaß an Sport und Bewegung vermittelt werden. "Bestrebungen aus der Erwachsenenwelt nach unbedingtem Sieg und die damit verbundenen Probleme sind hier völlig fehl am Platz!" Auf einen kurzen Nenner gebracht: Es geht nicht um "Ergebnisfußball", sondern um kindgerechten "Erlebnisfußball". [1]

Im Unterschied zum leistungsorientierten "Erwachsenensport", wo in der Regel "Gewinnen um jeden Preis gilt", hat sich die FairPlayLiga des Kinderfußballs (max. bis 11 Jahre) einige auf den ersten Blick verblüffende Selbstbeschränkungen auferlegt. Das Kleinfeldspiel kommt nicht nur ohne Punkte und Tabellen aus, sondern auch ohne Schiedsrichter. In Anlehnung an den Straßenfußball, wo die Beteiligten ebenfalls mit großem Eifer und Ernst zur Sache gehen, aber keinen Schiedsrichter nötig haben, sollen auch die Kinder eigenständig entscheiden und Steitigkeiten untereinander schlichten. Die pädagogischen Zauberwörter lauten hier "Eigenverantwortung", "Selbstregulation" oder "Selbstorganisation". Die Trainer, die die Teams aus einer gemeinsamen "Coaching-Zone" heraus betreuen, greifen nur im Notfall und lediglich unterstützend ein. Außerdem sind die Eltern verpflichtet, einen Platz in mindestens 15 Metern Entfernung zu ihren Sprößlingen einzunehmen.

Letzteres hat natürlich seine tiefere Bewandtnis: Die Erfahrung lehrt, daß viele Eltern dazu neigen, ihre Kinder vom Spielfeldrand aus mit lauten Kommandos zu Höchstleistungen anzuspornen und das Treiben auf dem Platz wort- und gestenreich zu kommentieren. Die Übergänge von anfeuernden Zurufen zu schimpfenden, pöbelnden oder gar beleidigenden Äußerungen, die sich gegen die eigenen Kinder, aber auch Mitspieler, Trainer oder Schiedsrichter richten, sind meist fließend. Bei einigen Zuschauern gehen die Emotionen so hoch, daß es zu Handgreiflichkeiten kommt, wie Berichte von sich prügelnden Eltern dokumentieren. Als Projektionsfläche der eigenen Wünsche bzw. zur Kompensation der eigenen Mängel üben Eltern nicht nur immensen Druck auf ihre "Weltmeister in spe" aus, sie appellieren nicht selten auch an ihre Jüngsten, sich nach allen Regeln der Foulkunst ("Mach ihn lang!") durchzusetzen. Trotz einiger Ausreißer soll die Selbstbeschränkung der Eltern dazu geführt haben, daß es an der Seitenlinie nun sehr viel ruhiger und entspannter zugeht mit Rückwirkung auf alle Beteiligten.

Daß auch "selbstorganisierte" Kinder mitunter sehr grausam miteinander umgehen, dürfte unbestritten sein. Und ob Kinder wirklich vor allem "Spaß" oder "Freude" beim "freien Fußballspiel" erleben, wie es von Trainern, Betreuern oder Pädagogen der FairPlayLiga gern projiziert wird, darf ebenfalls bezweifelt werden. Wer sich in seine eigene Kindheit zurückzuversetzen vermag, der weiß, daß das Zauberwort "spielen" lediglich den Passierschein für die Erwachsenenwelt darstellte, endlich von dannen ziehen zu können, um mit Freunden höchst ernste Dinge zu unternehmen, die mit den kon­sum­tiven Schlagwörtern "Spaß am Tun" oder "Faszination des Spieles" nicht wirklich zu fassen sind. Das gilt auch für das Treiben auf der Bolzwiese. Wenn der Erfinder und Mitbegründer der FairplayLiga, Ralf Klohr, gar davon spricht, der Rahmen der FPL biete den Kindern den nötigen Freiraum, "um ihre Kreativität (Selbstentfaltungswerte) auszuleben, ohne die Einhaltung der Fußballregeln (Pflicht- und Akzeptanzwerte) zu vernachlässigen", dann spiegelt das nicht nur die Sicht der Erwachsenen wider, sondern auch ihren Versuch, den Kindern eben jene Pflichten, Regeln und Werte auf besonders behutsame Weise zu vermitteln, die sie später für die "Kampfarena" des sieg- und ergebnisorientierten Amateur- und Spitzenfußballs tauglich machen. Würde die FairPlayLiga etwas anderes verkörpern, wäre sie gar nicht mit dem Spiel- und Ligabetrieb des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) kompatibel. Die flächendeckende Umsetzung der FairPlayLiga bis 2017 würde dann auch nicht im "Masterplan Amateurfußball" des DFB festgeschrieben sein.

Der Fußball-Bund, der laut Eigenwerbung in Deutschland "ein engmaschiges, flächendeckendes Netz zum intensiven Sichten und Fördern junger Spielerinnen und Spieler" mit 366 Stützpunkten und etwa 1000 Stützpunkttrainern unterhält, hat ein pyramidenförmiges Selektionssystem geschaffen, an dessen Spitze fixsterngleich Nationalmannschaft und Bundesligavereine leuchten. In suggestiver Form heißt es zum Beispiel auf der DFB-Website für U-11-Spieler/innen unter der Überschrift "Die ersten Schritte zum Fußballstar": "Insgeheim träumst du davon, später wie deine Vorbilder auch einmal in der Bundesliga und/oder im Nationalteam aufzulaufen? Hier findest du heraus, was du noch alles tun kannst, um deinem Traum ein Stückchen näher zu kommen!" [2]

In der Traumfabrik des DFB beginnt die Produktionskette genaugenommen nicht erst beim "humanen Kinderleistungssport" alter Schule, sondern schon in der FairPlayLiga, wo der Leistungs- und Ergebnisdruck deshalb heruntergefahren wird, weil er sich an vielen Stellen kontraproduktiv auf die schrittweise Entwicklung des Kindes zum "Fußballstar" ausgewirkt hat. Im Kampf gegen die anderen Fußballnationen oder Kaderschmieden möchte der DFB im Grunde alle Potentiale abschöpfen: Zum einen die idealtypischen Qualitäten eines kreativen, risikofreudigen und weniger berechenbaren Straßenfußballers, der die Selbstregulation der Bolzwiese intus hat, zum anderen den DFB-Spieler, der frühzeitig durch das Stahlbad von Trainerdirigismus, Elternschelte und Ergebnisfußball gegangen ist und dennoch oder gerade deshalb Topleistungen bringt. Gut wäre es natürlich, wenn sich im "freien Fußballspiel" ein mit "sozialen Kompetenzen" optimal ausgestatteter Spielertypus entwickelt, der weiterhin glaubt, "frei" zu sein, während er Jahr um Jahr mehr vom Wettspielbetrieb des DFB vereinnahmt wird. Aus Kindern werden dann zu vermarktbaren "Persönlichkeiten" gereifte Stützpunkt- oder Kaderspieler, die mit "professioneller Einstellung" die Härten ihrer Leidenschaft schlucken, bis dann auch die Tugend- und Werteakzeptanzen nicht mehr hinreichen, den körperlichen Raubbau schönzureden. Der entwickelte Spieler, an dem sich viele Fachschaften gesundverdient haben, ist dann körperlich abgewickelt und bewegt sich im Pyramidensystem des Leistungssports wieder rückwärts auf die unteren Spielklassen zu. Mit Glück landet er dann dort, wo der Spaß und die Träume ihren Anfang nahmen, nämlich beim Wiesen- und Straßenfußball - keine heile Welt, aber selbstorganisiert und frei von gewerblichen und medaillenpolitischen Zuspitzungen.

Daß sich durch die flächendeckende Einführung der FairPlayLiga nun das Modell der pädagogisch wertvolleren Selbstorganisation oder Eigenverantwortung durchzusetzen beginnt, verweist auf den generellen Trend in unserer neoliberalen Wettbewerbsgesellschaft, den fremdnützigen Leistungs- und Verwertungszwang zu verschleiern und als Form der Freiwilligkeit oder Selbstverwirklichung zu internalisieren. Wer sich eigenverantwortlich kontrollieren, disziplinieren und optimieren kann, macht im Idealfall den Aufpasser, Einpeitscher oder Schiedsrichter überflüssig und setzt sich aus "eigenem" Antrieb dafür ein, die kapitalistischen Normen von Leistungsmaximierung und sozialer Anerkennung zu erfüllen.

An diesen Widersprüchen können sich auch die Macher der FairPlayLiga nicht vorbeimogeln, und es ist schon auffällig, wie sehr sie sich um die Rückendeckung des Dachverbandes bemühen, der im Rahmen der "DFB-Qualifizierungsoffensive" schon vor vielen Jahren Überlegungen lautwerden ließ, dem Kinder- und Jugendfußball mit konzeptionellem Rückgriff auf den "Straßenfußball" neue Entwicklungsimpulse verleihen zu wollen. Zweifellos handelt es sich beim Fußballspiel um "eine sehr verletzungsträchtige Ag­gres­siv-Sport­art", wie sich der ehemalige Schalke-Mannschaftsarzt Dr. Thorsten Rarreck einmal ausdrückte, der am großen "Fairplay"-Fußball nah genug dran war, um eine solche Einschätzung abgeben zu können. Solange jedoch nicht die gesellschaftlichen Zwecke und Ziele in Frage gestellt werden, sondern allenfalls die erzieherische Methode, läuft die FairPlayLiga günstigstenfalls auf Schadensbegrenzung im Kindesalter hinaus. Das wäre in einer neoliberalen Wettbewerbsgesellschaft, die ihr Humankapital immer frühzeitiger und weitreichender in Beschlag nimmt, bereits sehr viel. Wenn schon Pädagogik, dann sollte die Betonung aber nicht auf dem "Lernfeld" liegen, sondern auf dem "Schutzraum".

Fußnoten:

[1] http://www.fairplayliga.de/Warum%20FPL.htm

[2] http://www.dfb.de/spieler/bis-u-11-spielerin/

16. September 2015


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