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KOMMENTAR/239: Wo Profite zu erzielen sind ... (SB)


FIFA-Familie sucht Kapitalisten ohne Leichen im Keller


Zwei erfolgreiche Global Player des Weltsports, die riesigen Geldvermehrungsmaschinen des Fußballs vorstehen, sind sportpolitisch, ethisch und juristisch schwer ins Straucheln geraten. Am 8. Oktober wurde der Präsident des Fußball-Weltverbandes FIFA, Joseph S. Blatter, von der verbandseigenen Ethikkommission für 90 Tage gesperrt - ebenso wie sein einstiger Zögling und heutiger Intimfeind Michel Platini, Chef der Europäischen Fußball-Union (UEFA) und FIFA-Vizepräsident. Hintergrund der Suspendierung ist offenbar eine Zahlung von Blatter an den Franzosen in Höhe von zwei Millionen Schweizer Franken im Februar 2011 für Dienste, die aus Platinis Beratertätigkeit für die FIFA (1999-2002) herrühren sollen. Blatter steht in Verdacht, mit dem Geld an Platini die UEFA-Stimmen bei der FIFA-Wahl 2011 gekauft zu haben. Der Schweizer wurde damals mit Hilfe der Europäer als Präsident wiedergewählt. Während die Schweizer Behörden gegen Blatter ein Strafermittlungsverfahren eingeleitet haben und ihn als "Beschuldigten" einstufen, wird Platini derzeit noch als "Auskunftsperson" geführt.

Darüber hinaus lasten auf der FIFA schwere Korruptionsvorwürfe bezüglich der WM-Vergabe an Rußland 2018 und Katar 2022 sowie weiterer Unregelmäßigkeiten. Im Mai 2015, kurz vor Blatters Wiederwahl, nahm die Schweizer Polizei auf Antrag von US-Behörden sieben hochrangige Fußball-Funktionäre in Zürich fest. Medienberichten zufolge ermitteln die USA insgesamt gegen 14 ehemalige oder aktuelle Spitzenfunktionäre und Geschäftsleute, u.a. wegen des Verdachts des Betrugs und der Geldwäsche. Die US-Justiz ordnet den Fußball-Weltverband als sogenannte RICO-Organisation ein - als einen "vom organisierten Verbrechen und Korruption beeinflussten" Zusammenschluß, berichtete das Handelsblatt. [1] Das Schweizer Bundesamt für Justiz soll inzwischen mehreren Auslieferungsersuchen der USA von FIFA-Funktionären stattgegeben haben. Das 1970 eingeführte RICO-Bundesgesetz richtete sich ursprünglich gegen die US-amerikanische Mafia-Organisation Cosa Nostra und ihre Machenschaften innerhalb der "Teamsters", der Gewerkschaft der Transportarbeiter und größten Einzelgewerkschaft der USA. Es ermächtigte den Staat, gegen Menschen aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung Klage erheben zu können und hatte den sicherlich nicht unbeabsichtigten "Nebeneffekt", auch die Arbeiterbewegung in den Ruch illegaler Praktiken oder Organisationsformen zu bringen.

Es mag sich zwar mittlerweile eingebürgert haben, im Zusammenhang mit der FIFA von "Mafia" oder "mafiösen Strukturen" zu sprechen - Mitte 2012 erschien ein Buch des SZ-Redakteurs Thomas Kistner mit dem Titel "Fifa-Mafia - Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball" -, doch noch 2013 wurde zum Beispiel Carmine "Mino" Raiola, italienischer Manager des schwedischen Fußball-Stars Zlatan Ibrahimovic, zu einer Geldstrafe von 6000 Schweizer Franken verurteilt, weil er FIFA-Präsident Joseph Blatter beleidigt und die FIFA als "mafiöse Organisation" bezeichnet hatte. Raiola hatte außerdem UEFA-Präsident Michel Platini als "Mafia-Boss" beschimpft. [2]

Inzwischen scheinen alle Dämme gebrochen zu sein. Sich seriös gebende Zeitungen, Blogger oder Kommentatoren feuern aus allen Rohren, und die Mafia-Metapher hat noch nie so eine inflationäre Verbreitung gefunden wie heute, wo angeblich das gesamte FIFA-Imperium kurz vor dem Einsturz steht. Wie immer, wenn nicht die Frage gestellt wird, ob man nicht den Kapitalismus abschaffen müßte, wollte man ernsthaft Korruption, Nepotismus oder "Blatterismus" bekämpfen, wird gnadenlos personalisiert, so als ob mit reformiertem Dachverband und neuem Präsidenten an der Spitze die Milliardengeschäfte des Fußballkonzerns - kontrolliert durch "äußere" oder "außerkommerzielle" Instanzen - plötzlich sakrosankt seien.

Indes, das Geschäftsmodell des warenförmigen Sports im allgemeinen wie des Fußballs im besonderen werden weder seine Profiteure noch seine Zuträger und Gesundbeter grundlegend bestreiten wollen, befänden sie sich doch damit in einer ähnlich finalen Abwehrschlacht wie ihr geliebter oder verhaßter "Teflon-Sepp" jetzt. Daß sich Millionen von Fans handgemein mit den vielgeschmähten Global Playern des Sports machen, wenn sie den Fernseher anschalten oder in die Massenbespaßungsarenen strömen, wird auch der gemeine Spielekonsument als letztes wissen wollen. Als Prügelknaben und Blitzableiter haben Blatter und Co. sicherlich ihre Funktion erfüllt, dafür gebührt ihnen nicht nur der offene oder versteckte Dank von Sponsoren, Industrieunternehmen, Vereinen oder Verbänden, sondern auch die Akklamation des zahlenden Publikums, das offenbar kein Problem damit hat, wenn Geld Tore schießt. Wäre es anders, hätten die Zuschauer längst mit den Füßen gegen den Business-Fußball abgestimmt.

Die naheliegende Frage, ob die US-Justiz genauso forsch gegen die FIFA vorgehen würde, wenn nicht Rußland oder Katar die nächsten Weltmeisterschaften austragen würden, sondern die USA, wird selbstverständlich nicht gestellt. Denn dann müßte man ja fragen, ob beim Schutz des "Wirtschaftsfaktors Sport" und zur Aufrechterhaltung von "Brot und Spielen" nicht Staat und Kapital sowie Politik und Justiz gemeinsame Interessen haben. Der Ruf nach mehr FBI und CIA, wie er nun in den Medien erschallt, stützt sich auf den Glauben, es gäbe so etwas wie "unabhängige Instanzen", die das mit harter Hand erledigen, was der professionelle Spitzensport mit seinen "Selbstreinigungskräften" sowie "Ethikkommissionen" oder "Compliancekomitees" - oft mit hochkarätigen Experten besetzt - nicht zustande bringt und auch gar nicht soll.

Wer sich die Parteilobbyisten im Bundestagssportausschuß und ihre Ämterverquickungen mit Sportverbänden und -institutionen anschaut, wer sich die Abhängigkeit der sportwissenschaftlichen Disziplinen und Einrichtungen von staatlichen Ministerien und Geldtöpfen vor Augen führt, wer realisiert, wie die "Integritäts"-Rhetorik des Sports unwidersprochen in Gesetzestexte einfließt und dort als Rechtfertigungsgrundlage für strafverschärfende Maßnahmen dient (siehe Anti-Doping-Gesetz) oder wer die Worte des Innenministers gehört hat, der von den Spitzenathleten ein Drittel mehr Medaillen fordert, schließlich sei Ziel der Leistungssportförderung "die mit der Ausübung des Spitzensports verbundene gesamtstaatliche Repräsentation Deutschlands", der macht sich nichts darüber vor, daß zwischen Staat und Kapital ein Gleichheitszeichen steht. Das schließt nicht aus, daß zu gegebener Zeit auch ein paar prominente Köpfe weich fallender Funktionsträger rollen, selbst wenn sie, wie im Falle Blatters, von der Kanzlerin das Bundesverdienstkreuz verliehen bekamen. Noch heute ist vollkommen ungeklärt, wie Deutschland die Fußball-WM 2006 an Land ziehen konnte - in einem Haifischbecken wie der FIFA ganz sicher nicht (nur) mit süßen Worten und schönen Konzepten. Eine "unabhängige Untersuchung" der dubiosen Vorgänge wird es niemals geben, weil der Staat gar kein Interesse daran hat, sein nationalpathetisches Prestigeprojekt ("Die Welt zu Gast bei Freunden"), mit dem der trübe Patriotismus spaßgesellschaftlich geläutert werden sollte, in Frage zu stellen. Erst recht nicht der Deutsche Fußball-Bund (DFB), der vor zwei Jahren eine Studie ("Wir sind Nationalmannschaft") unterstützte, die besagt, daß die Nationalmannschaft "jeden Winkel der Gesellschaft" erreiche, "als sinnstiftende Quelle einer Volks-Identifikation" diene und einen "sozialen Mehrwert für die Gesellschaft" generiere. [3] Dem profitgesteuerten Sportsystem und seiner volksgemeinschaftlichen Mehrwertproduktion werden auch keine "schwarzen Kassen" bei der WM-Bewerbung 2006 Abbruch tun.

In der Causa der Superinsider Blatter und Platini kommt noch hinzu, daß sie über Jahrzehnte hinweg "Informationen" über Unregelmäßigkeiten, Vitamin-B-Geschäfte und Hinterzimmerabsprachen gesammelt haben dürften, die viele Protagonisten des sportpolitischen Komplexes - nicht nur in Deutschland - in arge Verlegenheit brächten, würden sie jemals ans Licht kommen. Das gilt nicht nur für die FIFA und UEFA, sondern auch für das IOC sowie andere Großverbände, -vereine und -organisationen, die meist quervernetzt sind. Die größte Sorge des internationalen Sport-Establishments dürfte daher sein, daß beim Reinemachen nicht mehr enthüllt wird, als sich verdecken läßt.

Franz Beckenbauer (Ex-FIFA/Bayern München/Gazprom/Adidas etc.) hat kürzlich als möglichen Blatter-Nachfolger den südafrikanischen Diamantenhändler Tokyo Sexwale ins Gespräch gebracht, den auch IOC-Präsident Thomas Bach sehr schätzt, wie er öffentlich verlauten ließ. Offenbar sind die Strippenzieher des Weltsports längst mit der Krisenregulation und Schadensbegrenzung befaßt, auch damit nicht noch mehr "Leichen" aufschwimmen. Oder wie ist es zu verstehen, daß der frühere Manager von Werder Bremen und heutige UN-Sonderberater für Sport, Willi Lemke, zur persona Sexwale erklärte: "Ich gehe bei ihm davon aus, dass er keine Leichen im Keller hat." [4] Der südafrikanische Businessmann - angeblich ein Kronprinz von Ex-Präsident Nelson Mandela - hat es u.a. mit dem Handel von Platin, Gold und Diamanten zum Multimillionär gebracht. Unter welchen oft menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen und massiven Umweltschädigungen die Bodenschätze der Erde entrissen werden, interessiert hier keinen. Genausowenig, wer für den kometenhaften Aufstieg Sexwales nun am Hungertuch nagen muß.

Wenn die Rolle des barmherzigen Samariters, der gelegentlich auch den Kapitalismus kritisiert, nicht schon an Papst Franziskus vergeben wäre - der Kirchenmann und Fußballfan wäre die ideale Besetzung für den FIFA-Chefposten. So aber muß dem sportgläubigen Volk ein anderer Kandidat mit Sozialtouchimage präsentiert werden. Einer wie Sexwale, der während der Apartheid auf der Gefängnisinsel Robben Island inhaftiert war und sich nun als reichgewordener Geschäftsmann mit besten Kontakten in die Politik nicht scheut, vor versammelter Presse auch mal eine eisige Nacht in einer Wellblechhütte eines Johannesburger Townships zu verbringen. Genau die richtige Type, die das internationale Sportgewerbe jetzt braucht, um auf 'saubere' Art weiterhin Millionen scheffeln zu können. Daß dieses Schmierentheater auch von einem Großteil der Medien mitgespielt wird, die Sexwale als ernsthafte Alternative erwägen, läßt erahnen, daß nicht nur die FIFA-Familie bis über beide Ohren im Sumpf der profitablen Sportunterhaltung steckt.

Fußnoten:

[1] http://www.handelsblatt.com/fussball-fifa-us-behoerden-fifa-eine-rico-organisation/11869422.html. 04.06.2015.

[2] http://www.zeit.de/news/2013-04/08/fussball-manager-wegen-beleidigungen-gegen-blatter-bestraft-08165205. 08.04.2013.

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/sport/fakten/sfme0203.html. 12.11.2013.

[4] http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/sport_nt/article147248653/Kein-Urteil-ueber-Personen.html. 05.10.2015.

16. Oktober 2015


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