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KOMMENTAR/262: Sportrecht - Versuch über Tarife und Gewerkschaftlichkeit ... (SB)



Die einst "schönste Nebensache der Welt", so man denn unter Sport das Ideal einer von kommerziellen, politischen und staatlichen Zwecken weitgehend freien Kulturtechnik versteht, hat sich in Gestalt des professionellen Leistungs- und Wettkampfsports zu einer vielköpfigen Hydra entwickelt, an deren Auswüchsen sich inzwischen zahlreiche Player innerhalb und außerhalb des Sports abarbeiten, ohne daß mehr als eine Verschlimmbesserung der Verhältnisse zu vergegenwärtigen wäre. Während die vermeintlichen "Non-Profit-Organisationen" ständig neue Task Force-Einheiten, Ethik-Kommissionen oder Governance-Gremien mit rotierenden Expertenbesetzungen aufbieten, um Korruption, Betrug und Mißbrauch im ökonomisierten Sport einzudämmen, prügeln von außen Journalisten, Politiker und zunehmend auch Strafverfolger auf den Sport ein, um den ethisch-moralischen Grundwerten wie "Fairneß", "Chancengleichheit" oder "Leistungsgerechtigkeit", wie sie die Sportapologeten als geklärt unterstellen, zu ihrem Recht zu verhelfen. Im Zuge der Verrechtlichung des Sports sind inzwischen ganze Heerscharen von Juristen mit sportrechtlichen und staatlichen Mitteln damit befaßt, dem idealtypischen Heldenkosmos der Sportverbände und -organisationen, die den reinen oder objektiven Leistungsvergleich propagieren, der schon zu Zeiten des Amateurismus zweifelhaft war, den Anschein der Gültigkeit zu verleihen.

Galt im "autonomen Sport" lange Zeit das Prinzip der Nichteinmischung, hat spätestens die Kriminalisierung von Doping sowie Spiel- und Wettmanipulationen das Tor zu staatlichen Interventionen weit aufgestoßen, auch andere Bereiche sportimmanenter Regel- und Normenverstöße zu ahnden sowie die formalen wie partizipativen Rechte von Athleten und Spielern bei der freien, d.h. den Marktgesetzen gehorchenden Berufsausübung zu stärken. Die Ausdehnung staatlicher Gesetzgebung und - anwendung entspricht nicht zuletzt auch der Entwicklung der Sportverbände, -organisationen und -vereine hin zu globalen Wirtschaftsakteuren, die ihre Monopolmacht nicht nur bei der profitablen Organisation von Sportveranstaltungen gegenüber den Eventgastgebern ausnutzen, sondern auch gegenüber den Athleten und Spielern, die sich einem strengen Regime aus Reglementierungen und Freiheitseinschränkungen überantworten müssen, damit sie ihren Sport überhaupt betreiben können. Viele dieser selbstgesetzten Rechte und Restriktionen in der Sonderwelt des Sports beißen sich mit staatlichem Recht (z.B. Einschränkung der Unschuldsvermutung; lebenslange Berufsverbote; soziale Umgangsverbote; faktischer Vertragszwang für Athleten, Sportschiedsvereinbarungen anzuerkennen und den ordentlichen Gerichtsweg auszuschließen), mißachten grundlegende Persönlichkeits- und Grundrechte (Nackt- bzw. Totalkontrolle von Athleten, Einschränkung der Redefreiheit), verletzen die Würde des Menschen (Kinderhochleistungssport; Menschenhandel im Transfergeschäft) und stehen nicht zuletzt im krassen Widerspruch zu demokratischen Grundsätzen der Teilhabe und Beteiligung an politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen. AthletenvertreterInnen, wenn sie denn überhaupt in den Entscheidungsgremien des Verbands- oder Vereinssports auftauchen oder geduldet werden, fungieren meistenteils nur als Alibifiguren der Funktionäre mit letztlich identischen Interessen.

Allerdings geraten das Ein-Verbands-Prinzip und die monopolistische Ordnung des internationalen Sportverbandswesens - allen voran die meist in der Schweiz beheimateten Weltdachverbände wie das IOC, darunter je ein internationaler Weltfachverband, tiefer noch internationale, kontinentale, regionale oder nationale Fachverbände sowie die Vereinsunternehmen mit ihren gegen die Verbände wirksamen Pressure-Groups - zunehmend unter Druck. Und dies gleich von mehreren Seiten: So hat die EU-Kommission Mitte Dezember in einem möglicherweise folgenreichen Entscheid die Eislauf-Union (ISU) aufgefordert, ihre Statuten zu ändern, damit Athleten auch an Sportveranstaltungen außerhalb der ISU teilnehmen dürfen. [1] Die Kartellwächter haben damit nicht nur die wettbewerbsrechtlichen Freiheiten von BerufssportlerInnen gestärkt, sondern auch den Sportverbänden zu verstehen gegeben, daß sie ihre marktbeherrschende Stellung nicht in jedem Fall geltend machen können. Möglicherweise müssen sie sogar private Konkurrenzveranstaltungen außerhalb des hierarchischen Pyramidenmodells des Sports zulassen. Ob dieser Schritt den Athleten wirklich zugute kommt, ist keineswegs gesichert. Denn wenn jetzt die kommerziellen Vereinsunternehmen etwa im Fußball oder Handball weitere Privatwettbewerbe einführen, dann wird die körperliche Belastungsschraube für die SpielerInnen, die schon heute wegen der Vielzahl von Verbands- und Ligawettbewerben vollkommen überdreht ist, noch weiter angezogen. SpielerInnen, die reklamieren, daß sie kaum Regenerationspausen haben, finden in der Regel kein Gehör, weil sowohl für die kleineren Vereine mit den überspannten Etats als auch für die großen Profiklubs am Ende nur die Prämisse zählt: Vogel friß oder stirb. Da die meisten BerufsspielerInnen um ihre Karriere bangen oder Angst vor Zurücksetzungen oder Sanktionen durch die Trainer, Manager oder Funktionäre haben, wenn sie sich der Leistungsverweigerung verdächtig machen oder "übertriebene" Forderungen stellen, bleibt alles beim Alten.

Darüber hinaus hat kürzlich das Bundeskartellamt in Deutschland den Mißbrauch der marktbeherrschenden Stellung von DOSB und IOC angemahnt. Aufgrund einer IOC-Richtlinie in der Olympischen Charta war es dem Olympia-Athleten neun Tage vor Eröffnung der Spiele bis zum dritten Tag nach der Schlußfeier nicht möglich, daß seine Person, sein Name, sein Bild oder seine sportlichen Leistungen zu Werbezwecken genutzt werden. Das Verbot erfaßt alle werblichen und Social-Media-Aktivitäten. DOSB und IOC haben sich nun im laufenden Kartellverwaltungsverfahren bereiterklärt, die Regelungen zur Genehmigung von Anträgen für Sportler und Unternehmen zu lockern (nur für Deutschland). Auch soll künftig die Liste geschützter olympischer Begriffe erheblich enger gefaßt werden. Den Zusagen zufolge dürfen Athleten nunmehr auch olympiarelevante Inhalte teilen oder retweeten und diese mit Grußbotschaften oder Danksagungen an den Sponsor verbinden. Generische Werbung sowie Gruß- oder Gratulationsbotschaften der Sponsoren an Athleten sind auch während der bisherigen Verbotsperiode unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Die Änderungen stehen noch unter dem Vorbehalt eines Markttestes, den das Kartellamt parallel durchführt. [2]

Ob all das geeignet ist, die Athletenrechte im Kampf gegen soziale Drangsalierung, körperlichen Raubbau und wirtschaftliche Ausbeutung zu schützen, bleibt in Anbetracht der marktkonformen Zugeständnisse an Athleten, sich am allgemeinen Wettrennen um die Pfründe des Sports mehr als bislang beteiligen zu dürfen, fraglich. Die bedingte Aufhebung EU- und deutschlandweiter Wettbewerbs- oder Werbebeschränkungen scheint vor allem geeignet, die individuelle Vermarktung des Hochleistungssportlers im Sinne der Sponsoren und Sportartikelindustrie - letzterer Bundesverband war auch Beschwerdeführer beim Bundeskartellamt - noch weiter auszubauen.

Gleichwohl gibt es innerhalb der Spieler- und Athletenschaft Bestrebungen, die Menschenrechtsfrage mit der Gewährleistung von Spieler- bzw. Arbeitsrechten zu verknüpfen und die Sportmonopolisten dazu zu drängen, grundlegende Standards der Internationalen Arbeitsorganisation anzuerkennen und den SportlerInnen Mitspracherechte gemäß der UN-Leitlinien einzuräumen. So hatte Mitte Dezember in Washington die World Players Association (WPA), in der über 85.000 SportlerInnen aus 100 Spielervereinigungen und 60 Nationen organisiert sind, eine "Universelle Erklärung der Spielerrechte" veröffentlicht, um Spieler vor anhaltenden und systematischen Menschenrechtsverletzungen im globalen Sport zu schützen. Funktionäre dürften fortan nicht mehr die Besonderheit des Sports oder dessen Autonomie anführen, wenn dies dazu führe, daß die grundlegenden Menschenrechte der Spieler verletzt würden, heißt es in der Präambel. [3]

Der Vorwurf der Menschenrechtsverletzungen gleicht einem Offenbarungseid, gilt der "saubere Sport" in der Lesart der meisten Funktionäre, Konsumenten, Politiker oder Medien doch als Hort der Möglichkeiten, fleißige VorzeigesportlerInnen für die Gesellschaft angeblich unerläßliche Gemeinschaftserlebnisse produzieren zu lassen. Doch der schöne Schein, auch in seiner sportrechtlich legitimierten Form, trügt. "Die Regelbücher des Weltsports verordnen auf Tausenden von Seiten beschwerliche Verpflichtungen, aber keine schreibt eindeutig die international anerkannten Menschenrechte der Athleten fest", erklärte Brendan Schwab, Leiter der WPA. Das Ergebnis sei ein ungerechtes System des Sportrechts, dem es an Legitimität mangele und das die Menschen, die im Mittelpunkt des Sports stehen, nicht schütze. [4]

Deshalb will die internationale Spielergewerkschaft diverse Forderungen gegenüber den Sportverbänden durchsetzen, etwa, daß sie die Erklärung der Spielerrechte in ihre Regelwerke übernehmen, daß Spieler auch ordentliche Gerichte anrufen können, daß die Unschuldsvermutung gilt, die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) unabhängig wird, der Internationale Sportgerichtshof (CAS) weitere Reformen durchläuft, daß Whistleblower geschützt werden, daß Spieler das Recht haben, sich zu organisieren und Tarifverhandlungen zu führen u.v.m. Daß die World Players Association auf das geduldige, meist einäugige Menschenrechts-Pferd sattelt, ist nachvollziehbar, haben mehrere Sportverbände, darunter FIFA, UEFA und IOC, doch kürzlich signalisiert, daß sie die Menschen- und Arbeitsrechte achten wollen. Ende November war zudem in Genf ein "Zentrum für Sport und Menschenrechte" gegründet worden, an dem sich zahlreiche UN-, Arbeits- und Menschenrechtsorganisationen sowie diverse Player aus der Wirtschaft und Regierungen beteiligt haben.

Daß die 17 Artikel umfassende Erklärung der WPA über das Stadium eines Papiertigers hinauskommt, darf allerdings bezweifelt werden, zumal die Menschenrechte auch in demokratischen Gesellschaftsformationen vielfach verletzt oder hintergangen werden. Die USA, einer der größten Sportmärkte der Welt, sind zum Beispiel von der Einhaltung sozialer Menschenrechte weit entfernt. Sie haben internationale Menschenrechtsabkommen wie den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) oder das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (UN-Kinderrechtskonvention) nicht ratifiziert. Noch heute werden Kinder im Süden und Mittleren Westen der USA von (Sport-)Lehrern und Trainern mit Holzschlägern (Paddles) körperlich gezüchtigt, wenn sie sich Disziplinlosigkeiten geleistet haben. Obwohl dem Land mit Präsident Donald Trump ein ausgemachter Rassist vorsteht, der auch mißliebige Spieler und Sportler übel angeht, wurde den Staaten unter dem Beifall hiesiger Medien die Austragung der Olympischen Sommerspiele 2028 zugesprochen. Die westlichen Arbeitsstandards und Lohnniveaus sind zudem für den größten Teil der Weltbevölkerung schlichtweg unerreichbar, was auch daran liegt, daß Gewerkschaftsbewegungen in hohem Maße verrechtlicht wurden und das neoliberale Dogma "Sozial ist, was Arbeit schafft" geradezu verinnerlicht haben.

Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) ließ erst kürzlich den reichen Wüstenstaat Katar von der Angel, nachdem er ihn jahrelang aufgefordert hatte, "die moderne Sklaverei zu beenden und die FIFA-Fußballweltmeisterschaft 2022 zu einer WM mit Rechten für alle Arbeitskräfte zu machen". [5] Die Arbeitsorganisation hatte von der Regierung verlangt, das System der Ausreisegenehmigungen abzuschaffen, einen Mindestlohn einzuführen, um die auf der Rassenzugehörigkeit basierenden Lohnunterschiede zu beenden, eine Arbeitnehmervertretung zuzulassen, den Austausch der Arbeitsverträge zu unterbinden und ein Beschwerdeverfahren für die Beilegung von Konflikten einzuführen. "Diese Bedingungen sind jetzt erfüllt worden, und wir beglückwünschen den Emir und den katarischen Arbeitsminister zu ihrer Zusage, ihr Arbeitsbeziehungssystem zu modernisieren", verteilte Sharan Burrow, Generalsekretärin des Internationalen Gewerkschaftsbundes, Blumen an die katarischen Machthaber. Zwar gibt es jetzt offizielle Zusagen und formale Arbeitsrechte für die rund zwei Millionen Arbeitsmigranten in Katar, die sicherlich zu begrüßen sind, doch die Lohnsklaverei und die vielfach menschenunwürdigen Arbeitsverhältnisse, von denen nicht zuletzt auch deutsche Unternehmen in Katar profitieren, sind nach wie vor virulent. Es wird jetzt nur nicht mehr in den Medien darüber berichtet, weil der IGB sein Loblied sang.

Wie jede Gewerkschaft, die sozialpartnerschaftliche Beziehungen mit den Funktionseliten der mächtigen, in Verwaltung, Justiz, Wissenschaft und Medien gut verankerten Kapitalfraktionen pflegt, läuft auch die World Players Association Gefahr, die Interessensgegensätze und Widersprüche bei den anstehenden Verteilungskämpfen durch eine eilfertige Konsenspolitik zu verwässern, statt sie nüchtern und streitbar beim Namen zu nennen. So weckt etwa die in einem FAZ-Interview geäußerte Forderung von Johannes Herber, ehemaliger Basketballprofi und Mitglied der World Players Association, die WADA müsse die Möglichkeit erhalten, auch Länder zu sanktionieren [6], große Zweifel, ob sich hier nicht Spielergewerkschafter zu Steigbügelhaltern für Kollektivstrafen machen. Ausschlüsse ganzer Länder (siehe aktuell Rußland) stehen jedenfalls der Gewerkschaftsforderung diametral entgegen, daß für jeden Menschen, so auch für Sportler, die Unschuldsvermutung zu gelten hat. Wie so oft steht zu befürchten, daß am Ende die Athleten die besseren Funktionäre sind, weil ihre notwendige Selbstermächtigung und berechtigte Kritik nicht dazu führt, die Unterdrückungsverhältnisse im Hochleistungssport zu beseitigen, sondern durch weltpolizeiliche Sanktionsprogramme und institutionelle Schulterschlüsse zu optimieren.

Fußnoten:

[1] http://europa.eu/rapid/press-release_IP-17-5184_de.htm. 8.12.2017.

[2] http://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Meldung/DE/Pressemitteilungen/2017/21_12_2017_DOSB_IOC.html;jsessionid=34ADD97E9667B984ABF4DC2F373F290F.1_cid371?nn=3591568. 21.12.2017.

[3] http://www.uniglobalunion.org/sites/default/files/files/news/official_udpr.pdf

[4] http://www.uniglobalunion.org/news/world-players-association-launches-universal-declaration-player-rights. 14.12.2017.

[5] https://www.ituc-csi.org/durchbruch-bei-der-abschaffung-des?lang=de. 25.10.2017.

[6] http://www.faz.net/aktuell/sport/sportpolitik/world-players-association-wird-in-washington-gegruendet-15339346.html. 14.12.2017.

9. Januar 2018


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