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BERICHT/003: Teurer Spaß für wenige ... (SB)


Gewinne privatisieren, Schäden sozialisieren

NOlympia-Bewegung schärft ihre Argumente

Veranstaltung der Hamburger Linken am 17. September: "Von Berlin und München lernen: Hamburg sagt Nein zu Olympia!"



Die Bürgerinnen und Bürger Hamburgs sollen am 29. November in einem Referendum darüber abstimmen, ob sie dafür sind, daß sich der Deutsche Olympische Sportbund mit der Freien und Hansestadt Hamburg um die Ausrichtung der Olympischen und Paralympischen Spiele im Jahr 2024 bewirbt. Die Frage könnte auch anders formuliert werden: Sind die Bürgerinnen und Bürger bereit, sehenden Auges in ein Messer zu laufen, das das Internationale Olympische Komitee (IOC) meisterhaft zu bedienen versteht?

Der in der Schweiz als gemeinnütziger Verein eingetragene Global Player hat sich zu einer riesigen "Heuschrecke" entwickelt, deren Fraß ganze Städte und Regionen in den finanziellen Ruin treiben kann. Wo die Olympischen und Paralympischen Spiele auch ausgetragen werden, eine Studie der Universität Oxfort vom Juni 2012 hatte ergeben, daß in den letzten 50 Jahren kein Ausrichter das ursprüngliche Kostenbudget einhalten konnte. Im Durchschnitt sind die Endkosten 179 Prozent höher als ursprünglich geplant. Die Sommerspiele 2012 in London haben sich konservativen Angaben zufolge am Ende fast vervierfacht. Montreal, Gastgeber der Spiele von 1976, war es erst nach 30 Jahren gelungen, die Schulden des Megaevents, das zehnmal so teuer wurde, vollständig zu tilgen. Um die "legacy" (Hinterlassenschaft) der Spiele, von der die IOC-Funktionäre immer in den höchsten Tönen zu schwärmen pflegen, zu beseitigen, mußten in Kanada zahlreiche Gemeinwohlprojekte aufgegeben, Kürzungen im Sozialbudget vollzogen sowie dringend erforderliche Bau- und Infrastrukturmaßnahmen, die nicht dem Wohlleben der Olympiawirtschaft dienten, verschoben werden.

Ähnliches droht auch Hamburg, wenn es den "Host-City-Vertrag" zu den geradezu sittenwidrigen Bedingungen des IOC unterschreiben würde, sollte es wider Erwarten den Zuschlag für 2024 bekommen. Die neueste Version des Gastgeberstadtvertrages wurde gerade vom IOC online gestellt, ohne daß sich wesentliches an den knebelnden Vertragsbedingungen im Vergleich zu den Vorläufern geändert hätte, wie die Bürgerschaftsfraktion Die Linke am 17. September auf ihrer Veranstaltung "Von Berlin und München lernen: Hamburg sagt Nein zu Olympia!" informierte. Neben Mehmet Yildiz und Heike Sudmann (Moderatorin) aus dem Sport- und Olympiaausschuß der Linksfraktion waren Hauke Benner (NOlympia Berlin) und Brigitte Wolf (München, Linken-Stadträtin) als erprobte AktivistInnen der NOlympia-Bewegung vor Ort. Sie konnten dem Publikum nicht nur eigene Erfahrungen, Probleme und Anschauungen aus vergangenen Bewerbungen vermitteln, sondern auch wertvolle Anregungen zu neuen Kämpfen geben.


Beim Vortrag auf dem Podium - Foto: © 2015 by Schattenblick

Brigitte Wolf (Linksfraktion München): "Ein vernünftiger Mensch würde so einen Vertrag nicht unterschreiben."
Foto: © 2015 by Schattenblick

Der aktuelle Host-City-Vertrag, darin waren sich alle PodiumsteilnehmerInnen einig, weist viele Übereinstimmungen mit den alten Verträgen auf. Nach wie vor muß die Gastgeberstadt nahezu unbeschränkte finanzielle Gewährleistungen oder Haftungsverpflichtungen übernehmen. Mit einem Wort: Die Steuerzahler tragen den Löwenanteil der Kosten und das volle Risiko, während das privatwirtschaftliche IOC - steuerbefreit und mit unglaublichen Sonderrechten ausgestattet - mit Milliardenprofiten im Gepäck zur nächsten Stadt ziehen kann. Und sollte die olympische Familie (IOC, NOKs, OKs etc.) nicht vollständig auf ihre Kosten kommen, dann kann sie laut Host-City-Vertrag sogar den Betrag, den die Gastgeberstadt erhält (ca. 1,7 Milliarden Dollar), nach eigenem Gutdünken reduzieren. "Ein vernünftiger Mensch würde so einen Vertrag nicht unterschreiben", meinte Brigitte Wolf von der Linkspartei. Obwohl solche Knebelverträge rechtlich eigentlich gar nicht zulässig wären, würde sich dennoch die gesamte politische Landschaft dem Regime des IOC unterwerfen, berichtete die langjährige Stadträtin aus München. Wenn alle im Boot sitzen, gibt es weder Kläger noch Richter. "Es gibt so eine Krankheit bei Politikern in großen Städten, die glauben, wenn nicht alle drei bis fünf Jahre irgendwie die Journalisten weltweit über die Stadt berichten, dann bricht die Entwicklung in der Stadt ab", ergänzte Wolf.

Anders, als es viele politische Parteien, Medien und sogar NGOs glauben machen wollen, ist die Einschränkung von Grundrechten kein Spezifikum autoritärer Gesellschaften, die Olympische und Paralympische Spiele veranstalten. In § 14a des Host-City-Vertrags wird zum Beispiel verlangt, daß ohne schriftliche Erlaubnis des IOC während der Spiele und eine Woche davor und danach keine öffentliche oder private Versammlung oder Konferenz stattfinden darf, die in der Lage ist, u.a. die Beachtung der Spiele in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen. Das kommt faktisch einem Demonstrationsverbot gleich. Ohnehin würde Hamburg, das an zahlreichen Orten vom IOC genutzte Sport- und Trainingsstätten bereitstellen muß, höchstwahrscheinlich zu einem kompletten Gefahrengebiet erklärt werden. Polizeipräventive Maßnahmen wie die flächendeckende Überwachung der Stadt mit Videokameras sowie die Militarisierung öffentlicher Räume laufen immer auf eine massive Einschränkung bürgerlicher Grundfreiheiten hinaus. Das ist auch einer der Gründe, warum die Olympiaparteien in Hamburg lieber emotionalisierende Werbekampagnen fahren, als den Bürgerinnen und Bürgern reinen Wein darüber einzuschenken, welche Belastungen von teilweise bleibendem Gehalt auf sie zukommen.

Viele Städte, die die Vertragsinhalte durch unabhängige Fachleute überprüfen ließen, wenden sich inzwischen vom IOC ab - obwohl zahllose PolitikerInnen, WirtschaftslobbyistInnen und MedienvertreterInnen den Bevölkerungen das Blaue vom Himmel erzählt haben, wie schön und faszinierend die Spiele sind und welche fantastischen Entwicklungssprünge Metropolen dadurch machen können. Diesen Part übernehmen in Hamburg der rot-grüne Senat, CDU, FDP und AfD sowie im Hintergrund die Handelskammer, Zeitungen wie das Hamburger Abendblatt und nicht zuletzt reiche Unternehmer wie Alexander Otto. Der in Feuer und Flamme für Olympia stehende Einkaufscenterchef gehört zu den rund 42.000 MillionärInnen und elf MilliardärInnen in der Hansestadt, denen eine wachsende Zahl von Menschen aus der Mittel- und Unterschicht gegenübersteht, die kaum noch wissen, wie sie sich mit ihren Billig- und Mehrfachjobs über Wasser halten sollen. Ganz zu schweigen von den 400.000 Menschen, die in Hamburg bereits unterhalb der Armutsgrenze leben.

An der Kostenfrage und dem Preis, den die einfachen BürgerInnen in Form sozialer Segregation, steigender Mieten, der Privatisierung öffentlichen Eigentums oder der Gentrifizierung von Stadtteilen zu entrichten haben, hängen sich viele Argumente auf, die die NOlympia-Bewegung von München bis Kiel in emsiger Kleinarbeit zusammengetragen hat und in Online-Initiativen, Resolutionen oder Informationsbroschüren [1] einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht. Wer um Rat sucht, kann sich inzwischen auf olympiakritischen Blogs und im Rahmen von Volksinitiativen umfänglich informieren. Selbst der entschärfte 43seitige Bericht des Landesrechnungshofs, den der Internetblog "Fairspielen" online gestellt hat, warnt vor erheblichen Planungs- und Kostensteigerungsrisiken infolge des einstweilen unsicheren Planungsstandes. "Ohne ausreichende Kenntnis über die aktuelle Kostengenauigkeit und die Kostenrisiken sollten unumkehrbare Entscheidungen zu diesem Projekt nicht getroffen werden", raten die Finanzprüfer dem Senat und stellen das Referendum am 29. November als verfrüht in Frage. [2]

Obwohl der Senat etwa die Hälfte der Hamburger Sportplätze und Turnhallen als marode einstuft, wird kaum in den Breiten- und Schulsport investiert. Statt dessen fließen die meisten Gelder in den prestigeträchtigen Hochleistungs- und Eventsport, damit Hamburg seine Chancen auf Olympia erhöhen kann. Kleine Sportvereine werden sogar unter Druck gesetzt, für die Feuer-und-Flamme-Spiele zu werben, und wer nicht mitmacht, erleidet Nachteile bei der amtlichen Bezuschussung und finanziellen Förderung. Dafür konnte Linken-Politiker Mehmet Yildiz mehrere Beispiele aus eigener Anschauung anführen. Während insbesondere der Breiten- und Schulsport unter der "Schuldenbremse" zu leiden hat, pumpt der Senat Millionensummen in die Olympia-Bewerbung, die verbrannt sind, sollte Hamburg gegen die starke internationale Konkurrenz verlieren. "Olympia wird als Hebel genutzt, um internationale Investoren nach Hamburg zu holen, damit durch sie Stadtteilentwicklung gemacht wird", bekräftigte Mehmet Yildiz mit Verweis auf das Stadtentwicklungskonzept "Stromaufwärts an Elbe und Bille". Daß sich die Stadt damit den Bedingungen multinationaler Konzerne und Immobilienspekulanten unterwirft, die mit den Interessen der Stadtbewohner meistens gar nicht in Einklang zu bringen sind, wird üblicherweise unter den Teppich gekehrt.


Auf dem Podium - Foto: © 2015 by Schattenblick

"Olympia als Hebel" - Mehmet Yildiz, Linkspartei
Foto: © 2015 by Schattenblick

Olympische Spiele bedeuten eine ungeheure Umverteilung von öffentlichen Geldern in die Hand von privaten Konzernen, betonte auch der parteilose Hauke Benner vom Bündnis NOlympia Berlin. "Das sind nicht nur die Sponsoren, das ist nicht nur das IOC, sondern es sind vor allem die lokalen und mittlerweile internationalen Immobilienkonzerne." Seit den 1990er Jahren kämpft er dafür, daß Gemeinwohlinteressen nicht dem IOC geopfert werden. Zusammen mit Judith Demba (NaturFreunde Berlin) und anderen StreiterInnen aus der "Volxsportbewegung" hatte sich Benner immer wieder Aktionen teilweise spektakulärer Natur einfallen lassen, welche die "IOC-Bonzen" abschrecken und die Öffentlichkeit aufrütteln sollten. Sein Rat an die gegenwärtige NOlympia-Bewegung lautet daher auch, etwa mit Hilfe einer "Strategie der Imagebeschmutzung" Zeichen dafür zu setzen, daß es ungemütlich für das IOC wird, sollte es die Spiele in die Hansestadt vergeben. Die IOC-Fürsten reagieren empfindlich darauf, wenn nicht dort die Sonne scheint, wo sie hintreten. Brigitte Wolf berichtete aus München, wo die Spiele 2018 und 2022 verhindert werden konnten, daß verstärkt auch die neuen Online-Medien eingesetzt wurden: "Wir haben dann einfach gute Gegenbilder produziert und veröffentlicht."

Das auf seine positive Außendarstellung sehr bedachte IOC kann nach dem neuen Host-City-Vertrag sogar bestimmen, welche Staatsgäste auf den VIP-Rängen Platz nehmen dürfen. "Ohne vorherige schriftliche Genehmigung durch das IOC dürfen die Stadt, der DOSB und die Organisatoren keine Einladungen oder Akkreditierungen an ausländische Regierungen und politische Persönlichkeiten aussprechen", heißt es unter Punkt III,14 "No Inconsistent Acitvities". Mit anderen Worten: Wer als PolitikerIn eine Eintrittskarte in den Celebrity-Club des IOC bekommt, gehört bereits zur "Familie". In diesem Sinne erfüllen selbst PolitikerInnen ihre Funktion, die sich "kritisch" geben und die "Überkommerzialisierung" der Spiele anprangern. Auch solche MahnerInnen braucht das IOC, damit der Rubel beim vermeintlich "gezügelten" Olympiakommerz um so besser rollt.

"Ich sitze hier bei der Fraktion der Linken. Da kann man auch mal darüber reden, was das mit dem kapitalistischen Gesellschaftssystem zu tun hat", so Benner. Olympische Spiele sowie internationale Großereignisse wie Welt- und Europameisterschaften sind riesige Maschinen, in denen Steuergelder in die Taschen der Privatwirtschaft umgeleitet werden. Eine "Geldvernichtungsmaschine", wie Benner anmerkte, "ein ganz ursprüngliches Moment kapitalistischer Verwertungslogik: Geld zu vernichten, indem man es vorher privatisiert". Viele Infrastrukturmaßnahmen und Bauprojekte, oft nach dem Muster von Public-Private-Partnerships (PPP) organisiert, sind schlichtweg überflüssig, unsinnig oder überteuert. In Rio de Janeiro, Gastgeber der Spiele 2016, werden unnötige Stadien gebaut, an denen sich korrupte Baufirmen, Politiker und Funktionäre eine goldene Nase verdienen. In Tokio, wo die Sommerspiele 2020 stattfinden, geht inzwischen die Angst um, daß die Kosten für das neue Olympiastadion ähnlich wie bei der Hamburger Elbphilharmonie ins Unermeßliche steigen. Auch in Hamburg würden überdimensionierte Sportstätten für ein 16tägiges Olympiaevent entstehen, die für viele Millionen wieder zurückgebaut werden müßten. Platz für das Olympiastadion und andere Bauten soll auf der Elbinsel Kleiner Grasbrook geschaffen werden, die die Stadtplaner zusammen mit Senat und Handelskammer zum Zentrum der Spiele erkoren haben, ohne die Bevölkerung vorher zu fragen. Allein die Umverlagerung der Hafenbetriebe, die zur Zeit auf dem Kleinen Grasbrook siedeln, dürfte etwa 5 bis 8 Milliarden Euro verschlingen. Die vielzitierte "Bürgerbeteiligung" kommt erst dann ins Spiel, wenn die Tatsachen längst geschaffen sind und es darum geht, ein ausgeklügeltes, auch die Kulturträger der Stadt mit einbeziehendes Akzeptanzmanagement zu betreiben, um die BürgerInnen zum möglichst freudigen Mitmachen, Mitlaufen und Mitfiebern zu bewegen.


Auf dem Podium - Foto: © 2015 by Schattenblick

Hauke Benner (NOlympia Berlin): "Spiele nur noch für die Reichen!"
Foto: © 2015 by Schattenblick

Die Städte seien heute nur noch die Kulisse für das internationale Jetset, kritisierte indessen Hauke Benner. Nur die Vermögenden können sich den Olympiatourismus, der zudem eine Lawine von CO2-Emmissionen aufgrund steigenden Flug- und Autoverkehrs auslöst, überhaupt leisten. "Früher nannte man diese weltweite Oberschicht die herrschende Klasse, heute heißen sie neutral 'die Reichen'", so Benner. Letztendlich müsse der Steuerzahler dafür zahlen, daß er sich zu Hause im Fernsehen die Spiele der Reichen anschauen kann. "Diesen Irrsinn wollten zumindest die BerlinerInnen nicht mitmachen, und ich hoffe, daß die HamburgerInnen genauso denken."


Kritik schärfen

Bei der Gretchenfrage Profi- und Spitzensport gibt es auch in der Linkspartei eine kontroverse Diskussion. "Im Bundesteam haben wir auch Genossen, die zum Thema Hochleistungssport anders stehen als wir Hamburger", erklärte Sportpolitiker Mehmet Yildiz. Die Linke der Hamburger Bürgerschaftsfraktion begreift "Sport als Einheit von Breiten-, Freizeit- und Gesundheitssport, Kinder- und Seniorensport, Behinderten- und Rehabilitationssport sowie Leistungssport im Nachwuchs- und Hochleistungsbereich", wie es in einem Eckpunktepapier von 2009 [3] heißt, und sie setzt sich dafür ein, daß nicht einseitig und überproportional in den Spitzensport investiert wird, sondern zu gleichen Teilen auch in den Breitensport. Damit umschifft sie das Problem, daß der (Kinder-)Hochleistungssport und seine Fördersysteme Bestandteil der Sportindustrie sind, die ihre ökonomischen Gewinne buchstäblich auf dem Rücken der Hochleistungskörper macht. Die staatlich und privatwirtschaftlich organisierte Zucht von potentiellen MedaillengewinnerInnen, die Werbung für den Standort Deutschland oder die Bundeswehr machen sollen, ist im IOC verschränkt angelegt. Die "Weltregierung des Sports" setzt sich nicht nur aus 134 kooptierten Aristokraten, Honoratioren, Akademikern oder Ex-Athleten zusammen, sondern auch aus den 204 Nationalen Olympischen Komitees (NOK), die in den Kaderschmieden ihrer Länder dafür sorgen, daß immer genügend "Frischfleisch" für das olympische Unterhaltungsgewerbe erzeugt wird. Nur wenige sportliche Höchstleister werden dadurch reich - die ökonomischen Gewinne gehen entweder an korrupte Funktionäre oder an privatwirtschaftliche Akteure, die die Megaevents gleichzeitig als willkommene Gelegenheit nutzen, die Schäden der Kapitalakkumulation zu sozialisieren. An den Krankheits- und Verletzungskarrieren vieler Spitzenathleten läßt sich indessen ablesen, daß die Schäden auch physischer und psychischer Natur sind.

Die Linkspartei, die im Bundestagssportausschuß für die Förderung des Spitzensports eintritt und im Chor mit den Regierungsparteien die Kriminalisierung von Doping fordert, so als ob mit staatlicher Repression das Problem von Regelbruch und Rekordstreben im Hochleistungssport zu beseitigen wäre, tut sich keinen Gefallen, wenn sie mit den bürgerlichen Reformkräften um die Wette heuchelt und vor den Integritätsfassaden des organisierten Sports strammsteht. Wer einem Anti-Doping-Kampf zum Schutz des Profi- und Spitzensports huldigt, der jedwede Privat- und Intimssphäre von Athleten außer Kraft setzt, um einen "sauberen Sport" zu inszenieren, betreibt nichts anderes als die Überwachungsindustrie, die "sichere Spiele" propagiert, indem sie die flächendeckende Videoüberwachung in Hamburg einführt und kilometerlange Kontrollkorridore in der Stadt anlegt. Der maximal verdächtige Athlet ist genauso ein Produkt der Sport-Medien-Industrie wie der maximal gläserne Bürger ein Geschöpf des autoritären Sicherheitsstaates darstellt. Die legalistisch umrahmte Leistungskontrolle wird inzwischen bis in die hintersten Winkel der Körperbiologie fortgesetzt - wer indexierte Substanzen in sich trägt, Grenzwerte überschreitet oder seine Meldeauflagen und Ich-habe-nichts-zu-verbergen-Transparenzpflichten nicht erfüllt, wird zum Schafott geführt. Die Ketten der Gladiatoren sind verschwunden und durch elektronische Überwachungsfesseln ersetzt worden - unsichtbar, aber wirksam.


Auf dem Podium - Foto: © 2015 by Schattenblick

Gegenargumente schärfen - Heike Sudmann, Die Linke
Foto: © 2015 by Schattenblick

Es hat Gründe, warum im 20. Jahrhundert die Internationalen Arbeiterolympiaden nur ein geschichtliches Flackerlicht blieben und auch der Hochleistungssport der DDR mit seinen Goldtrophäen gescheitert ist. Wer die Menschenbilder und Verwertungszusammenhänge im Sport wie in den Industriegesellschaften nicht grundlegend hinterfragt, setzt eine Herrschaftstradition fort, an der schon der Neubegründer der olympischen Bewegung, Pierre de Coubertin, tatkräftig mitwirkte. Der französische Baron idealisierte den Sklavenkörper der Antike, obwohl dessen Muskel- und Leistungszuwachs das Ergebnis zwanghafter und schmerzhaftester Formen von Arbeit darstellt. Nicht von ungefähr ähnelt der Körperbau von Galeerensklaven dem von heutigen Modellathleten, die ihre Leiber sportartspezifisch in den modernen Tretmühlen und Kraftmaschinenparks in die gewünschte Form und Funktionalität bringen. Daß es die Herrschenden - der englische Sport geht auf Wettspiele der Adligen zurück, die daran Gefallen fanden, kräftige oder ausdauernde Menschen gegeneinander antreten oder unterhaltsame Kunststücke aufführen zu lassen - geschafft haben, körperliche Schwerstarbeit als erstrebenswerten "Leistungssport" zu vergesellschaften, kann wahrlich nicht als emanzipatorischer "Fortschritt" bezeichnet werden.

Wie auch Hauke Benner während der Podiumsdiskussion treffend zu bedenken gab, waren die Spiele des Altertums keineswegs friedvoll, sondern von höchstem Blutzoll auf seiten der Krieger und Kämpfer geprägt. Nur den Siegern gebührte der Ruhm, die Verlierer wurden in der Regel von der Polis geächtet. Auch die friedensstiftende Idee, Olympische Spiele brächten eine Verständigung oder Annäherung der Völker, hat sich als bloßes Versprechen der Herrschenden erwiesen, um desto nachhaltiger den Frieden der Paläste zu schützen und den Krieg gegen die Hütten fortzuführen. Die Devastierung (Vertreibung) der ärmeren Bevölkerungsschichten aus olympiawichtigen Regionen, die Kriminalisierung informellen Straßenhandels oder die Gentrifizierung vormals erschwinglichen Wohnraumes sind die heutigen Erscheinungsformen dieser alten Strategie.

Der Linken stände es sicherlich gut zu Gesichte, den Mythos um die die Muskelreligion des Pierre de Coubertin weitreichender und gründlicher zu hinterfragen, als es die Legendenschreiber des IOC zu tun pflegen. Hauke Benner jedenfalls nahm kein Blatt vor den Mund und brachte es auf eine kurze Formel: Der überzeugte Militarist habe vor allem den Hintergedanken gehabt, die französische Männergesellschaft dazu zu ertüchtigen, den nächsten Krieg gegen Deutschland zu gewinnen. "Dafür dienten die Olympischen Spiele. Alles andere ist Ideologie und Kleister." Coubertin sah in der mangelnden körperlichen Ertüchtigung der Soldaten eine der Hauptursachen für die Niederlage der Franzosen im Deutsch-Französischen Krieg (1870-71). Die Spiele (zunächst frauenlos) sollten die Männer wieder auf Vordermann bringen.

Heute haben wir es nicht mehr altsprachlich mit "(Wehr-)Ertüchtigung" oder "Leibeserziehung" zu tun, sondern mit "Fitneß", "Bodyworkout" oder "Selbstoptimierung". An den hegemonialen Zwecken und Zielen der Körperindustrie hat sich indessen nichts geändert.


Veranstaltungsort - Foto: © 2015 by Schattenblick

Veranstaltung in der Katholischen Akademie Hamburg
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] Empfehlenswerte Broschüre: NOlympia in Hamburg. Risiken der Bewerbung und Austragung Olympischer Spiele. Von Mehmet Yildiz / Özgür Yildiz. Hamburg, April 2015.

[2] http://fairspielen.de/wp-content/uploads/2015/09/beratendeaeusserung-2015-olympia.pdf

[3] http://www.linksfraktion-hamburg.de/fileadmin/user_upload/PDF/DIE_LINKE_HH_Fraktion_Sport_Broschuere_niedrig.pdf

25. September 2015


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