Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → REPORT

INTERVIEW/002: Wolfgang Behrendt - Olympiasieger im Boxen, Fotograf und Trompetenspieler (SB)


Der Boxer Wolfgang Behrendt errang 1956 bei den Olympischen Spielen in Melbourne im Bantamgewicht den ersten Olympiasieg für die Deutsche Demokratische Republik (DDR). Im Anschluß an eine Vorführung des Films "Die Goldmacher - Sport in der DDR" an der Akademie der Künste in Berlin hatte der Schattenblick die Gelegenheit zu einem ausführlichen Interview mit Wolfgang Behrendt, der zu den Protagonisten der Filmdokumentation gehört. Mitunter greift der gelernte Sportfotograf, der von 1963 bis 1991 für die Tageszeitung Neues Deutschland arbeitete, auch zu Trompete, Mundharmonika und Geige und läßt musikalisch die Fäuste tanzen.

Wolfgang Behrendt beim Preview in Berlin

Wolfgang Behrendt beim Preview in Berlin

Schattenblick: Herr Behrendt, wie hat Ihnen der Film "Die Goldmacher - Sport in der DDR" gefallen?

Wolfgang Behrendt: Ach, im großen und ganzen muß ich sagen, hat mir der Film gut gefallen. Die Filmtruppe hat sich sehr viel Mühe gegeben, die Gestaltung war gut gemacht, mit einer guten Kameraführung und einem prima, sehr rasanten Schnitt. Natürlich kann immer irgend jemand sagen, daß ihm der eine oder andere Punkt nicht gefallen hat, aber so im großen und ganzen muß ich sagen, habe ich so einen Film über den DDR-Sport noch nicht gesehen.

SB: Könnte man also sagen, daß Sie sich als DDR-Sportler angemessen repräsentiert sehen?

WB: Ja, ich sowieso, denn ich bin ja im Film relativ oft zu sehen und zu hören gewesen. Das Hören hat mir nicht ganz so gut gefallen (lacht), weil ich gedacht habe, daß dann natürlich auch, wie es sonst üblich ist, eine richtige Tonaufnahme gemacht wird. Aber egal, das ist eben Sport gewesen, und ich bin da mehr oder weniger als Sportler aufgetreten, weshalb ich die Sache so hinnehmen konnte.

SB: Waren Sie auch an der Konzeption oder als Berater des Film beteiligt?

WB: Nein, daran war ich nicht beteiligt. Natürlich haben wir Vorgespräche geführt, wie der Film laufen soll, aber wie es im einzelnen sein sollte, wußte ich nicht. Ich wußte nur, daß ich angeblich durch diesen Film leiten sollte. Man wollte viel aus meinem persönlichen und sportlichen Leben erfahren, was dann praktisch mit in das Drehbuch eingeflossen ist. Ich glaube, Herrn Knechtel habe ich vorher bloß einmal gesehen, außer später bei den Filmaufnahmen.

SB: Hatten Sie Fragen schon vorweg bekommen oder sind diese erst vor Ort gestellt worden?

WB: Es gab keine Fragen vorweg. Alle Fragen wurden an einem Drehtag in der Sportstätte am Weißensee, wo ich früher einmal trainiert habe, gestellt. Das ging sogar über zwei Stunden, und es waren auch weitaus mehr Fragen und Antworten als nachher zu sehen waren. Was natürlich klar ist, Sie können keinen Film über mich machen. Das ist eine ganz andere Konzeption gewesen, die ich aber nicht kannte.

SB: Im Film werden Ihre Aussagen an verschiedenen Punkten plaziert und stehen nicht mehr in dem Zusammenhang ihres ursprünglichen Frage-Antwortgesprächs. Wurde Ihrer Meinung nach durch diese Art der Darstellung der Bezug Ihrer Antworten verändert oder sind Sie angemessen präsentiert worden? Oder gab es gar Aussagen, die für Sie wichtig waren, aber dem Filmschnitt zum Opfer gefallen sind?

WB: Naja, ich will es mal so sagen, bei der Fülle konnte auch wahrscheinlich nicht alles gezeigt werden. Es ist längst nicht alles gekommen, denn wurde ein Problem angesprochen, habe ich ausführlich geantwortet, und jetzt ist davon immer bloß ein Satz im Film. Das ist, ich will nicht sagen verfälscht, aber es bringt zumindest nicht die Vollständigkeit zum Ausdruck, so wie ich es gesagt habe oder wie ich es gemeint habe.

Wolfgang Behrendt

SB: Sind dadurch Aussagen, auf die Sie besonderen Wert gelegt hatten, daß sie im Film vorkommen, weggefallen?

WB: Nehmen wir das Beispiel, als es um die Anerkennung der DDR und die Auseinandersetzung zwischen der DDR und der BRD im sogenannten Kalten Krieg ging. Wie ich mich noch gut erinnere, hatte ich damals gesagt, daß in den ersten Jahren nach dem Krieg die DDR die Einheit wollte und nicht die Bundesrepublik. Die BRD wollte gar nicht die Einheit, aber die DDR wollte damals die Einheit und auch eine einheitliche olympische Mannschaft. Doch die Bundesrepublik war dagegen, und aufgrund ihrer Beziehungen zum IOC, durch Karl Ritter von Halt [Präsident des westdeutschen NOK von 1951 bis 1961 - d. Red.] und anderen Funktionären, die damals schon in Amt und Würden waren, hatte die BRD das Sagen und konnte dadurch die Olympischen Spiele 1952 in Helsinki, beim ersten Olympia-Auftreten der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg [1948 in London waren Japan und Deutschland ausgeschlossen - d. Red.] allein bestreiten. Wir durften da nicht hin, weil wir in keinem internationalen Gremium einer Sportart waren, nicht einmal in einem Verband. Man kann an Olympischen Spielen nur dann teilnehmen, wenn man mit seinen Sportlern einem internationalen Verband angehört und auch Länderkämpfe und Europameisterschaften bestritten hat. Doch das war damals noch nicht der Fall, und es war uns deshalb nicht gelungen, weil Karl Ritter von Halt und andere Funktionäre damals noch gesagt haben: Die Ostzone gibt es nicht - damals hat man noch nicht von der DDR gesprochen -, wir sind die einzigen Vertreter Deutschlands. So wurde es uns gesagt, und das ist im IOC dann auch so gehandhabt worden.

SB: 1955 errangen Sie zum ersten Mal den Titel des DDR-Meisters im Bantamgewicht.

WB: Ich glaube 1954 schon das erste Mal, 1955, ‹57 und ‹60.

SB: 1956 bei den Olympischen Spielen in Melbourne holten Sie als 20jähriger, damals noch in der gesamtdeutschen Mannschaft, im Bantamgewicht die Goldmedaille und wurden damit der erste Olympiasieger der DDR. Weitere Erfolge errangen Sie im Amateursport, ehe Sie 1964 Ihre aktive Karriere beendeten. Warum hörten Sie damals auf, Sie waren zu dieser Zeit doch erst 28 Jahre alt?

WB: Ich habe mir Verletzungen zugezogen, als bei uns im DDR-Sport die Wissenschaft Einzug gehalten hat. Mit dem wissenschaftlichen Training, das uns, ich will nicht sagen verabreicht, aber doch empfohlen wurde, ging es los, viel mit Gewichten zu arbeiten. Wir Boxer mußten als Holzfäller arbeiten, Bäume fällen und Stuppen holen und dergleichen, so daß sich der Muskelwuchs stark vermehrt hat. Dadurch ist die Schlagkraft stärker geworden, aber die eigenen Knochen konnten dem nicht standgehalten. Damals, in dieser Entwicklungsphase konnte das alles noch keiner so richtig wissen, daß der Knochenbau dem nicht standhalten konnte und wir uns deshalb oft Knochenbrüche zugezogen haben. Dadurch habe ich mir dann bei einigen Kämpfen, auch bei den Ausscheidungskämpfen, die Hände kaputtgemacht. Die DDR-Meisterschaft habe ich eigentlich mit kaputten Händen gewonnen. Ich habe mir an der Schlagfläche Schaumgummi unter den Handschuh gelegt, damit ich nicht so hart treffe und mir nicht die Hand so weh tut. Doch bei den Olympiaausscheidungen 1964 hatte ich dann auch gebrochene Hände.

SB: In den innerdeutschen Qualifikationskämpfen für die gemeinsame Mannschaft für die Olympischen Sommerspiele 1964 in Japan waren Sie im Leichtgewicht gestartet. Im Film sagten Sie, daß Sie nur einen Monat Vorbereitungszeit gehabt haben, was ja sehr kurz ist. Wie sind Sie überhaupt wieder zu diesen Ausscheidungskämpfen gekommen, nach einer Auszeit vom aktiven Sport von einigen Jahren?

WB: Ich hatte offiziell mit dem Boxen aufgehört und mit meinem Fotografenstudium angefangen. Dann bekam ich oft Kreislaufprobleme, weil ich mein Leben lang vom 11. oder 12. Lebensjahr an zwei- bis dreimal am Tag Hochleistungstraining gemacht habe. Da ich nun auf einmal gar nicht mehr trainierte, sagte mir ein Sportarzt, den ich damals getroffen habe: "Mensch, du mußt zusehen, dich wenigsten einmal in der Woche wieder zu bewegen, wenn nicht sogar noch öfter." Und da bin ich einmal in der Woche, wenn wir gerade studienfrei hatten, wieder zum Training in meinen alten Club gegangen. Dann hat es sich irgendwann so ergeben, daß ich auf einmal wieder so gut wurde, daß die Trainer staunten und sagten: "Mensch, der ist ja wieder weitaus besser als das Material, was wir momentan haben."

Die Funktionäre wollten für die Olympischen Sommerspiele 1964 in Tokio einen Coup landen und die Mehrheit der gesamtdeutschen Mannschaft stellen. Nachdem sie alles durchgerechnet hatten, suchten sie nun nach Sportlern, welche die Punkte zusammenbringen konnten, damit wir die Mehrheit bekamen. Hier im Boxen war es dann zum Beispiel bei mir so, daß die Funktionäre sagten: "Gut, der muß im Leichtgewicht starten, gegen den Schmidt aus Mainz, da könnte er dann gewinnen, wenn der wieder so gut ist wie früher." Aber was man eben nicht bedacht hatte, war, daß es mir an praktischer Erfahrung fehlte, denn ich hatte seit meinem Neubeginn keine Wettkämpfe mehr bestritten, sondern nur Training gehabt. Am 2. Mai bin ich ins Trainingslager Güstrow gekommen und am 28. Mai war der Kampf. Das waren also nicht mal vier Wochen, und ich hatte noch 10 Kilo Übergewicht durch vier Jahre normal-ziviles Leben. Ich hatte ohnehin schon immer etwas zuviel Gewicht für meine Gewichtsklasse gehabt, aber zu der Zeit hatte ich noch mehr, und das mußte ich dann alles in kurzer Zeit runterkriegen.

Und dann hatte ich wieder dreimal Training am Tag. Die ersten Tage wußte ich nicht mehr, was oben und was unten ist, so einen Muskelkater hatte ich überall, und es war schon viel Mühe, die vier Wochen gut durchzustehen. Wie gesagt, der größte Mangel war, daß ich keine praktische Wettkampferfahrung hatte. Ich kam mir doch irgendwie ulkig vor, denn man kann zwar früher Olympiasieger oder sonstwas gewesen sein, man ist aber immer nur so gut, wie man trainiert hat, und ich hatte nicht entsprechend trainiert.

Wolfgang Behrendt

BU

SB: Der Einfluß des DDR-Boxens auf die gesamte deutsche Boxsportlandschaft ist ja auch heute noch unübersehbar. Selbst das aktuelle Profiboxen trägt die trainingsmethodische Handschrift der ostdeutschen Erfolgsschmieden. Hat der Boxsport der DDR sich als dermaßen überlegen erwiesen?

WB: Ich will nicht sagen "dermaßen überlegen", aber es war schon so, daß unsere Sportorganisation mit all ihren Mitarbeitern, denn es ist ja kein Athlet von sich aus alleine so gut geworden, sehr effektiv war. Es ist immer ein Kollektiv von Trainern, Wissenschaftlern, Ärzten und dergleichen gewesen, die einen betreut und umsorgt haben, so daß man die Trainingsbelastung, die ja ein Vielfaches mehr als der eigentliche Wettkampf war, durchstehen konnte. Denn das war ja das A und O, tagtäglich diese Trainingsbelastung zu ertragen, denn letzten Endes ist man auch nur ein Mensch. Es hat schon einige Überwindung gekostet, wenn im Sommer bei schönem Wetter alle Baden gehen und man selbst geht in die Halle und muß wieder trainieren und schwitzen, bei aller Liebe, die man zu der Sportart hatte. Und ich habe die Sportart betrieben, weil ich Lust und Liebe dazu hatte. Das hat mir keiner befohlen und gesagt, du mußt jetzt boxen. Wenn ich es nicht gewollt hätte, hätte ich es nicht gemacht. Und ich hatte Lust, denn die Lust und Liebe ist das A und O für alle Sportler und alles was die machen. Wer das nur macht, weil er vielleicht groß Geld verdienen will, aus heutiger Sicht, wie bei den Profis, der wird auch nichts. Da muß wirklich Lust und Liebe, Können und Ausdauer mit dabeisein.

SB: Sie sprachen gerade von einem Kollektiv. War eine gegenseitige Verstärkung und eine geringere Konkurrenz untereinander, mit anderen Worten, ein kollektiv gestütztes Sporttreiben ein wesentlicher Bestandteil der DDR Goldschmiede und damit ein wichtiger Faktor, um diese Leistungen bringen zu können?

WB: Ja, klar. Auf der einen Seite gab es das Kollektiv, auf der anderen Seite war der Konkurrenzkampf dennoch groß, und oft war es mitunter schwerer, einen Konkurrenten - wir sagen sportlicher Partner oder Wettkampfgegner - im eigenen Land zu schlagen als im Ausland gegen irgend jemand zu boxen. Die Konkurrenz im eigenen Land war schon groß gewesen, das ist unbestreitbar, genauso war es auch in vielen anderen Sportarten. Das hat sich natürlich auch durch die umfängliche Förderung ergeben, die sich die Regierung nun einmal für den Sport vorgenommen hatte und auch umgesetzt hat.

SB: Gab es im technischen Sinne etwas Besonderes im DDR-Boxsport, wodurch er sich Ihrer Meinung nach vom westlichen Boxen unterschieden hat?

WB: Ich denke ja. Schon die Einstellung zum Training, der Trainingsaufbau, die Trainingsvielfalt, die wir hatten, dürften andere nicht gehabt haben, weil ihnen das Geld nicht zur Verfügung stand. Die Regierung hat viel Geld für den Sport ausgegeben und dadurch konnte auch viel gemacht werden. Wir haben auch Vielseitigkeitstraining gemacht, zum Beispiel hat mein Trainer mit mir Hammerwerfen, Diskuswerfen, Kugelstoßen, Federball für die Reaktion und viele andere Sportarten gemacht.

Mein Trainer hat auch schon bei unserem Club "Einheit Berlin", in dem wir damals waren, eine ganze Boxmannschaft, vom Fliegen- bis Schwergewicht, gehabt, und das verstehe ich auch unter Kollektiv. Die Clubmannschaft war so gut, daß wir damals das österreichische Nationalkader geschlagen haben. Und mein Trainer hat die ganze Mannschaft beim Sparring für mich eingesetzt, und zwar mußte jeder mit mir eine Runde boxen. Das war eine Vielseitigkeit, denn ich habe die erste Runde mit einem Fliegengewichtler, die zweite Runde mit einem Schwergewichtler, die dritte Runde mit einem Bantamgewichtler, die vierte Runde mit einem Halbschwergewichtler bestritten, mal gegen einen Großen und dann gegen einen Kleinen, dauernd durcheinander. Und die Boxer mußten alle voll aus sich rauskommen, auch die großen. Ich mußte alle Runden durchboxen, während die anderen sich zwischendurch ausruhen konnten, denn sie kamen nur abwechselnd dran. Aber ich mußte die ganzen Runden voll durchgehen. Man mußte unheimlich viel Nerven aufbringen und Denkvermögen, denn es geht nicht nur ums Kloppen, sondern zuerst einmal darum, daß man nichts nimmt und alles auspendeln kann und daß man dann noch die technischen Schläge hat, um erfolgreich zu sein. Das war ein sehr vielseitiges und gutes Training. Und das verstehe ich auch unter einem Kollektiv, daß die alle mitgemacht haben und nicht gesagt haben, "Mensch, warum sollen wir denn das machen". Das war schon gut.

SB: Von 1964 bis 1991 arbeiteten Sie als Sportfotograf für die Sportredaktion des Neuen Deutschland und erwarben sich einigen Ruhm, insbesondere die zwei Goldmedaillen auf Weltausstellungen der Sportfotografie in Damaskus und Peking in der Kategorie "Schwarz-Weiß". Hatten Sie einen bestimmten Stil, eine bestimmte Technik oder bestimmte Ideen, was Sie wie fotografieren wollten?

WB: Ich habe mir eigentlich unbewußt, ohne daß mir das so klar war, durch meinen Stil zu fotografieren, unheimlich viel Anerkennung und Freunde in der Fotografie verschafft, nicht bei der Konkurrenz im Beruf, aber bei den Zuschauern und Zeitungslesern. Ich habe immer dafür geschwärmt, Ausschnitte zu zeigen, nicht den ganzen Sportler, sondern die wichtigsten Muskeln, die Abläufe und das Sportgerät. Beispielsweise habe ich bei einem Kugelstoßer nicht den ganzen Sportler, sondern nur den Kopf, die Kugel und die Muskulatur aufgenommen. Ich habe mit langen Objektiven gearbeitet, um erst einmal schon relativ nahe ranzukommen. Am Vergrößerungsgerät habe ich dann meine Fotos selber gemacht, um riesige Ausschnitte machen zu können. Das ist mein Stil gewesen, was damals nicht so üblich war, denn die meisten Fotografen stehen und schauen, ob der Sportler ganz drauf ist, abdrücken und fertig. Aber meine Idee war, und das hat mir Spaß gemacht, immer besondere Ausschnitte zu machen.

Auf den Weltausstellungen, bei denen ich zwei Goldmedaillen für Sportfotografie gewonnen habe, war ein Foto von mir dabei, ein richtiges Original, das beim Radsport gemacht wurde und dabei eine Wasserglocke zeigt. Dieses Foto ist nicht gestellt gewesen, sondern war vielmehr der Zufall des Tages, bei dessen Aufnahme man blitzschnell reagieren muß. Die Reaktion hatte ich vom Boxen her, und dadurch konnte ich auch die anderen Sportarten viel besser beobachten. Die Reaktion vom Boxsport hat mir beim Fotografieren unheimlich geholfen, so daß ich nicht die unwesentlichen Phasen des Bewegungsablaufes genommen habe, sondern die wesentlichen. Wir hatten damals ja noch nicht solche Kameras, wie es sie heute gibt, wo man bloß draufdrücken muß und alles rattert dann automatisch runter, sondern da mußte man wirklich aufpassen, auf die Tausendstelsekunde, und dann draufdrücken, damit man das Richtige hat.

Wolfgang Behrendt

SB: Durch das Boxen hatten Sie dann auch die Erfahrung, daß machen zu können?

WB: Ja, erstens kannte ich mich im Sport ein bißchen aus, und wie gesagt, durch die Reaktion, die ich durchs Boxen immer wieder schulen konnte, und vielleicht war ich ja auch talentiert für eine gute, schnelle Reaktion, hat mir das dann bei der Fotografie sehr geholfen.

SB: Hatten Sie als Sportfotograf auch mit der Sportberichterstattung zu tun gehabt oder waren Sie sogar auch in diesem Bereich tätig gewesen?

WB: Ja, mitunter auch. Es ist oft so gewesen, denn auch bei uns gab es Sparmaßnahmen in den Redaktionen, daß nicht immer Redakteure mit Fotografen fahren konnten. Manchmal, zum Beispiel bei Boxeuropameisterschaften oder Boxweltmeisterschaften, bin ich dann hingeschickt worden und habe die Fotos und die Berichte gleich mitgemacht. Nach dem Wettkampf bin ich schnell von der Sportstätte in mein Hotelzimmer gegangen, habe dort ein kleines Labor aufgebaut, das ich immer mitgehabt habe, und meinen Film entwickelt. Damals war es ja noch nicht wie heute, daß man einen Laptop hatte und digital die Fotos und den Bericht schicken konnte. Den Bericht hatte ich natürlich vorher durchgegeben, dafür hatte ich ein Funkgerät dabeigehabt. Dann habe ich die Bilder gemacht, schnell die ganzen Negative beschriftet, alles eingepackt, früh um vier zum Flugplatz gefahren und per Luftpost nach Berlin geschickt.

SB: Hat es im Laufe der Zeit in der Sportberichterstattung gravierende Veränderungen gegeben? Gab es zum Beispiel früher mehr Hintergrundinformationen? Und ist der Inhalt heute oberflächlicher geworden?

WB: Ja, finde ich schon. Worauf ich besonders geachtet habe und was ich vermieden habe, war Sportler in unglücklichen Positionen zu zeigen, wie zum Beispiel, wenn sie sich vor Schmerzen krümmen oder sich etwas gebrochen haben oder gestürzt sind und ähnliche Sachen. Diese Art von Fotos habe ich nicht so bevorzugt. Das haben andere gemacht, die nur Leute gebracht haben, die verunglückt oder gestürzt waren, solche Krawallfotos. Die kann man vielleicht machen, um sie für ärztliche oder wissenschaftliche Sachen auszuwerten. Aber ich dachte mir, wenn ich die dauernd in die Zeitung bringe, verprelle ich mir doch die Jugend und vor allem die Eltern, die dann sagen: "Dich können wir doch nicht zum Sport schicken, sieh doch, was da alles passiert." Und das wollte ich nicht und darum habe ich darauf geachtet, schon harmonische Fotos zu zeigen, also Fotos, die der Sportart entsprachen. Aber auch keine Schönwetterfotos, wo alle Leute stehen und in die Kamera reingrinsen. Das meine ich damit nicht, sondern, wie ich schon sagte, sportgerechte Bilder, welche die Anstrengung des Sportes zeigen.

SB: In Ostdeutschland waren Sie immer eine Berühmtheit. Dem westdeutschen Publikum sind Sie eher durch Ihr musikalisches Hobby, das Trompetenspielen, bekannt. Ende der 90er Jahre gingen Sie ein Engagement beim Berliner Zirkus Aeros als Musikclown ein. Die Zuschauer waren von Ihren Auftritten mit Trompete, Geige und Mundharmonika begeistert. Wie sind Sie dazu gekommen? Ist das ein Hobby von Ihnen gewesen, das Sie schon immer hatten?

Wolfgang Behrendt

WB: Ja, ich hatte es schon von der Kindheit an, denn mein Vater wollte immer eine Hauskapelle haben. Wir waren drei Jungs zu Hause, bekamen alle Musikinstrumente und sind zum Musikunterricht gegangen. Ich bekam eine Geige, habe sechs Jahre Geigenunterricht gehabt und auch im Jugendorchester gespielt. Nachdem aber der Musiklehrer das erste Boxbild von mir in der Zeitung gesehen hat, sagte er: Nein, er gibt mir keinen Musikunterricht mehr, wenn ich nicht mit der Boxerei aufhöre. Naja, da mir das Boxen lieber war, habe ich dann erstmal die ganze Boxsache weitergemacht, aber ich schwärmte immer für die Musik. Wenn wir im Trainingslager waren oder aber auch sonst - den ganzen Tag nur Sport zu machen, daß war auch nichts für mich. Ich mußte auch mal was anderes machen, und so habe ich oft die Trompete mitgenommen. Die Trompete hat mir mein Trainer, der meinen Wunsch vom Trompetespielen wußte, insofern verschafft, als er dem sportbegeisterten Bürgermeister von Weißensee nach einem Turniersieg das gesteckt hat, und der hat mir dann die erste Trompete geschenkt.

Dann bin ich zum Unterricht gegangen und habe es geschafft, zwölf Stunden Unterricht zu nehmen. Als aber die Zeit kam, wo ich immer viel unterwegs war, Trainingslager oder später im Beruf, mußte ich viel autodidaktisch weiterarbeiten. Die Trompete hat mich auf meinen Weltreisen überall hin begleitet, und immer wenn ich eine Stunde Zeit gefunden habe, zum Beispiel im Hotel, auch wenn es abends spät war, aber dann natürlich mit einem Dämpfer, habe ich geübt. So habe ich sie immer mitgehabt zum Üben, um wenigsten einigermaßen den Ansatz zu behalten. Nach der Wende, als ich dann auch arbeitslos wurde und dieses und jenes nicht mehr klappte, da sagten viele, ich solle mal wieder richtig üben. Und das hat dann einigermaßen hingehauen, so daß ich jetzt mit der Trompete fast genauso einen Anklang gefunden habe wie mit der Kamera oder mit dem Boxen.

SB: Sie sagten gerade, Sie wurden arbeitslos. Was taten Sie nach dem Fall der Mauer? Sie waren ja Sportfotograf gewesen, haben Sie noch weiter in Ihrem Beruf arbeiten können?

WB: Nein, ich war fest angestellt bei der Zeitung Neues Deutschland in der Sportredaktion und bin dann sogar als einer der ersten gekündigt worden. Man hat mir gesagt, daß sie jetzt nicht mehr so viele Leute anstellen und bezahlen können. Da saß ich nun erstmal auf der Straße, und obwohl ich nicht weltfremd war, war es doch ein großer Schock, weil ich mein Leben lang nie Arbeitslosenzeiten, nie eine Grenze gekannt habe. Immer wenn es irgendwie Arbeit gab, habe ich alles gemacht, immer. Die längste Zeit habe ich wohl mal drei Tage und zwei Nächte hintereinander gearbeitet, ohne zu schlafen. Ich habe nicht nur fotografiert, ich war auch mein eigener Kraftfahrer, ich war mein eigener Laborant und Funker. Wie ich schon schilderte, habe ich alles rundum selbst gemacht, weil ich daran hing, die Ergebnisse, die ich dann aufgenommen habe, selbst mitzugestalten und damit meine Arbeit auch richtig zu vollenden.

SB: Kommen wir zu der letzten Frage, Herr Behrendt. Boxweltmeister und Olympiasieger Henry Maske oder auch Trainer Ulli Wegner fordern ein Ende der Verfolgung von dopingbelasteten Trainern. Wie stehen Sie dazu?

WB: Ja, ich glaube auch, daß es an der Zeit ist. Wenn man Schuldige gefunden hätte oder noch Schuldige finden würde, denen man beweisen könnte, daß sie wie behauptet kleine Kinder gedopt haben, wäre es schon angebracht, mit den Leuten zu reden. Vielleicht bringen sie eine Entschuldigung vor oder kommen zur Einsicht und sagen, daß das nicht richtig war. Bei den Leistungssportlern wurde ja, wie wir es im Film gesehen haben, auf der ganzen Welt gedopt. Zu meiner Zeit noch nicht, das ging erst viel später los. Aber es kann mir keiner von diesen Sportlern erzählen, die sich da beschweren, daß sie nicht gewußt haben, was sie bekommen haben. Das kann mir keiner erzählen, so doof kann kein Mensch sein.

Also wie ich eben schon sagte, müßte jetzt wirklich auch mal Schluß sein. Wir sind jetzt 20 Jahre nach der Wende, und es gibt ja nicht nur in der DDR Trainer, die das vielleicht gemacht haben. Ich kann keinen beschuldigen und ich kenne auch keinen persönlich, der es gemacht hat. Es gibt auf der ganzen Welt Trainer, auch in der ehemaligen Bundesrepublik, die das gemacht haben, und die werden ja auch nicht alle herangezogen. Es ist schon ein Kampf, der geführt werden muß, aber der wahrscheinlich nie gewonnen wird, weil die Wissenschaft, die daran arbeitet, immer einen Schritt voraus ist. Denn letzten Endes wurden diese Mittel nicht zuerst fürs Doping der Sportler erfunden, sondern eigentlich für die Gesundung von Schwerkranken. Durch den Kalten Krieg ist es dann dazu gekommen, daß die Mittel auf den Sport übertragen wurden, weil einer besser sein wollte als der andere, von den Ländern, den Nationen und den Gesellschaftsordnungen.

Glaubte einer so wie Ulbricht beweisen zu können, daß die eigene Gesellschaftsordnung die bessere ist, wenn wir im Sport überlegen sind, hat sich dies ja als Fehlentwicklung erwiesen. Wenn ich in der Wirtschaft das Volk nicht befriedigen kann und in anderen Fragen des Landes, da nützen, wie man sieht, dem Volk auch die Goldmedaillen auf die Dauer nichts, wenn das das einzige bleibt.

SB: Herr Behrendt, ich bedanke mich recht herzlich für dieses Gespräch.

Wolfgang Behrendt und SB-Redakteur

Wolfgang Behrendt und SB-Redakteur

28. September 2009