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INTERVIEW/005: Olympia, ein wirtschaftlicher Fischzug ...    Mehmet Yildiz im Gespräch (SB)


Olympia als Privatisierungsstrategie

Gespräch mit Mehmet Yildiz, für Die Linke Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft

Veranstaltung der Hamburger Linken am 17. September 2015: "Von Berlin und München lernen: Hamburg sagt Nein zu Olympia!"


Die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft veranstaltete am 17. September eine Podiumsdiskussion, die unter dem Motto "Von Berlin und München lernen: Hamburg sagt Nein zu Olympia!" stand. Als einzige Bürgerschaftsfraktion hat sich Die Linke eindeutig gegen die Bewerbung Hamburgs für die Olympischen und Paralympischen Sommerspiele 2024 oder 2028 positioniert. Vor einem Monat hat Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) den offiziellen Bewerbungsbrief an das Internationale Olympische Komitee (IOC) nach Lausanne geschickt. "Damit hat der Bürgermeister die Bewerbung um Milliardenausgaben, um Mietsteigerungen, Verdrängung, Überwachung, Sozialkürzungen, Umweltzerstörung und noch tiefere soziale Spaltung unterschrieben", kritisierte Mehmet Yildiz, sportpolitischer Sprecher der Linksfraktion. Am Rande der NOlympia-Veranstaltung beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.


Im Interview - Foto: © 2015 by Schattenblick

Mehmet Yildiz
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Vergangenes Jahr hatten SPD, Grüne, CDU und FDP eine unabhängige und ergebnisoffene Studie beantragt, damit sich die HamburgerInnen "ein ausgewogenes Urteil über die Chancen und Risiken olympischer und paralympischer Spiele" bilden können. In ihrem eigenen Beschluß haben die mit der SPD regierenden Grünen sogar erklärt, daß sie eine Bewerbung, die auf Studie und Referendum verzichtet, nicht unterstützen werden. Hast du irgendeinen Anhaltspunkt dafür, daß diese Studie wie versprochen noch kommt?

Mehmet Yildiz (MY): Als diese Machbarkeitsstudie im Mai 2014 beschlossen worden war, haben sie alle Kritikpunkte von uns aufgenommen frei nach dem Motto, wir wollen das nachhaltig, kostenneutral und transparent machen. Es sollte konkret dargelegt werden, was auf Hamburg zukommt. Obwohl das beschlossen war, haben sie keine einzige Frage beantwortet! Statt dessen hat der Senat einfach die Antworten der Freien und Hansestadt Hamburg an den Deutschen Olympischen Sportbund, der einen 13 Punkte umfassenden Fragenkatalog erstellt hatte, als "erste Antworten" auf das Bürgerschaftliche Ersuchen (Drs. 20/11848) ausgegeben. Diese Antworten stellen eine Werbebroschüre dar, aber keine unabhängige Studie - eine echte Verarschung der Bevölkerung und der Bürgerschaft! Der Senat kommt seiner Aufgabe nicht nach und versucht nun bei ähnlich gelagerten Themen bis zum Referendum den Eindruck zu erwecken, er mache doch alles.

SB: Die ergebnisoffene Studie wird es also nie geben?

MY: Nein! Das war ein Täuschungsmanöver, sie haben ihren eigenen Beschluß nicht umgesetzt. Wer in der bürgerlichen Demokratie nicht den demokratischen Spielregeln nachkommt, handelt selbst antidemokratisch.

SB: Was ist aus der "Dekadenstrategie" geworden, die Sportsenator Michael Neumann vor ein paar Jahren so vollmundig auf den Weg gebracht hatte? Hat der Breitensport wirklich davon profitiert, einmal abgesehen von einigen eher alibihaften Vorzeigeprojekten?

MY: Auch in der Dekadenstrategie wird der Spitzensport bevorzugt. Da werden schöne Worte gesagt, aber in erster Linie wird das gefördert, was der Olympiabewerbung nützt. Wenn man sich die Situation im Breitensport anschaut, dann sieht man viele marode Sportstätten, Hallen oder Spielflächen, auf denen die Menschen nicht spielen können. Auf einer unserer Veranstaltungen berichtete mir kürzlich ein Trainer eines Judovereines, daß deren Klokeramik kaputt ist und daß sie das Sportamt um Finanzierung gebeten haben. Die Damen und Herren vom Sportamt sollen dem Trainer gesagt haben, die Kinder können doch auch zu Hause auf Klo gehen. Hier in der Nähe gibt es einen Sportplatz, dessen Duschkabinen defekt waren. Es gab kein warmes Wasser und die Decke war kaputt. Es hat Jahre gedauert, bis das saniert wurde. Oder in meinem Wahlkreis in Mümmelmannsberg. Dort gibt es Sportvereine, die haben Sportflächen, auf denen man nicht mal Fußball spielen kann. Die Flächen sehen ungefähr so aus, wie manche Straßen in Hamburg, wenn im Winter der Asphalt aufplatzt. Daran erkennt man, daß die Förderung des Breitensports nur eine Nebenrolle spielt. Die Verantwortung wird einfach auf den Hamburger Sportbund übertragen nach dem Motto: Ihr müßt das selber regeln und sehen, wie ihr mit dem Geld auskommt. In letzter Zeit sind außerdem zugunsten des Wohnungsbaus viele Sportplätze weggefallen. Kommt es nämlich zur Sanierung von zum Beispiel Schulsporthallen, dann werden sie einfach kleiner gebaut. Der Rest des Platzes wird dann für den Wohnungsbau eingeplant. Das bedeutet, ein Bereich wird gegen den anderen ausgespielt. Weil jetzt die Sporthallen kleiner sind, können Fußballvereine nicht trainieren und auch bestimmte Sportarten nicht stattfinden. Man sieht, wie wenig Interesse am Breitensport besteht, der für den Spitzensport mißbraucht wird. Zuletzt soll der rot-grüne Senat beschlossen haben, daß für den Breitensport und die Sanierung der Sportstätten 1,3 Millionen Euro bereitgestellt werden. Ein lachhafter Betrag! Ich weiß nicht, wieviel Sportplätze damit saniert werden können, zumal doch eigentlich 50 Prozent der Sportstätten marode sind. Das ist eine Täuschung der Öffentlichkeit.

SB: Mal angenommen, das schwerreiche IOC würde jetzt, um seine Sache optimal zu promoten, den Breitensport in den Ländern kräftig fördern. Hätte es dann nicht den Kritikern den Wind aus den Segeln genommen?

MY: Solche Gedanken, den Breitensport zu fördern, hat das IOC nicht. In Brasilien finden nächstes Jahr die Olympischen Spiele statt. Wenn das IOC tatsächlich ein Interesse hätte, daß zum Beispiel Kinder vom Sport profitieren, würde es seine Einnahmen in diesen Ländern auch zugunsten der ärmeren Bevölkerung investieren. Aber es geht nicht darum, in den Städten Sportmöglichkeiten zu schaffen. Das IOC, dessen Olympiamarke 47,6 Milliarden US-Dollar wert sein soll, womit es noch vor Google rangiert, will vielmehr mit den Gastgeberstädten Knebelverträge machen, die sogar Arbeiterrechte außer Kraft setzen. So kann zum Beispiel Arbeitern verboten werden, während der Bauzeit zu streiken. Was mit dem Breitensport los ist oder mit anderen Sportarten, wie es den Menschen geht oder was mit den Hallen geschieht, ist denen schnurzpiepegal. Nur die ökonomischen Gewinne zu eigenen Gunsten zählen.

SB: Welchen Einfluß üben die Handelskammer, PPP-Projektgesellschaften oder Kommunikationsunternehmen, die "Bürgerbeteiligung" orchestrieren, auf die Olympiabewerbung in Hamburg aus?

MY: Der Anstoß kam von der Handelskammer und der Hotellobby, nachdem in München durch den Volksentscheid Olympische Winterspiele abgelehnt worden waren. Handelskammer und Co. sowie die Springerpresse fingen dann an, Werbung für die Olympischen Spiele zu machen, nachdem Hamburg bei der Bewerbung für die Spiele 2012 gegen den nationalen Konkurrenten Leipzig durchgefallen war. Wenn man sich anschaut, wer die Werbung sponsert, dann sind es jene Bau- und Handelskammer-Unternehmen, die von Olympia profitieren würden. Die Wirtschaft steuert. Ich finde jedoch, diese Unternehmen sollten erstmal ihre Mitarbeiter vernünftig bezahlen, damit sie nicht aufstockende Hilfe beantragen müssen. Diese Unternehmen investieren ihre Gelder in Stiftungen, wodurch sie steuerbefreit sind. Gleichzeitig finanzieren sie über die Stiftung die Olympiabewerbung, wodurch sie ebenfalls steuerbefreit werden. Das könnte man auch mehrfache Steuerhinterziehung nennen. Die Gelder werden nicht der Steuerkasse übergeben, so daß die Stadt selber darüber entscheiden kann, wo diese Investitionen stattfinden. Gleichzeitig wird nur einseitige Werbung betrieben nach dem Motto: Alles wird schön und gut, die Chance gibt es für Hamburg nur einmal und so weiter. Inhaltliche Argumente gibt es nicht. Deswegen wollen die Olympiabefürworter uns auch auf keinem Diskussionspodium haben, weil sie sonst schlecht aussehen würden. Leider ist es so, daß auch der Hamburger Senat, Olaf Scholz und Herr Neumann da mitspielen. Sollte Hamburg den Zuschlag bekommen, dann kann Herr Peter Tschentscher den Stadtschlüssel gleich dem IOC übergeben. In den nächsten zwanzig, dreißig Jahren brauchen wir dann keinen Finanzsenator mehr, weil das IOC alles regelt.

SB: Am 29. November sollen die StadtbewohnerInnen per Referendum abstimmen, ob sie dafür sind, daß sich DOSB und Hamburg für die Spiele bewerben. Wie sieht es mit den Migrantinnen und Migranten aus. Haben sie eine Möglichkeit mitzubestimmen?

MY: Das Problem ist, daß bei dem Referendum nur Menschen mitbestimmen dürfen, die auch eine deutsche Staatsbürgerschaft haben. Wir haben in Hamburg etwa 220.000 Migranten und Migrantinnen, die seit Jahrzehnten hier leben und arbeiten und die ein Teil dieses Landes geworden sind. De facto werden diese Menschen am 29. November von einem demokratischen Prozeß komplett ausgeschlossen, obwohl sie am Ende genauso die Zeche zahlen müssen. Auch ihr Stadtteil wird umgestaltet; Überwachung, steigende Mieten oder Verdrängung betreffen sie ebenfalls. Ich finde, dafür muß sich ein Bundesland schämen, daß Menschen, die seit Jahrzehnten hier leben, nicht abstimmungsberechtigt sind. Europäische Nachbarstaaten, etwa in Skandinavien, machen es vor, daß Menschen, die dort schon eine Weile wohnen, auch wahlberechtigt sind.

SB: Wie sieht die Situation bei Sozialschwachen, Hartz-IV-Empfängern oder Arbeitslosen aus? Wegen der "Schuldenbremse" werden sie auf Schmalkost gesetzt, während die Stadt Millionen in die Olympiabewerbung buttert. Wären diese Menschen nicht für NOlympia ansprechbar?

MY: Bestätigt auch durch unsere Studie lautet die Erfahrung, daß die Geschädigten der Olympischen Spiele vor allem die Armen, Geringverdienenden oder Migranten sind, die verdrängt werden. Aber auch die Mittelschicht ist betroffen. In London, Gastgeber der Spiele 2012, kann man sehen, daß nicht nur die Ärmsten der Armen, sondern auch die Mittelschicht verdrängt worden ist. Mieten, Bodenwerte und Lebenshaltungskosten sind dermaßen gestiegen, daß es vielen Menschen nicht mehr möglich war, weiter in ihren Wohnungen zu leben. Diese Verdrängung findet über Jahrzehnte statt. Das kann man auch an einem kleinen Beispiel hier in Hamburg verdeutlichen. Im Stadtteil Altona hat Ikea gebaut. Davor gab es eine Diskussion, ob man es dem schwedischen Möbelkonzern überlassen sollte, Stadtteilentwicklung in der Altonaer Altstadt zu betreiben. Der Senat und die Stadtverwaltung, aber auch die Bewohner hier haben es bevorzugt, daß Ikea das macht. Und nachdem der Bau begann, sagten mir viele Menschen, die damals dafür waren, Herr Yildiz, schade, daß wir nicht auf Sie gehört haben. Verträge von Kleingewerbebeteibenden, die vorher Fünfjahres- oder Zehnjahresverträge hatten, wurden auf einmal höchstens noch für zwei oder drei Jahre verlängert. Zudem gab es Mieterhöhungen von teilweise mehr als 500 Euro. Die Kleinen werden jetzt verdrängt, damit große Marken-Unternehmen kommen. Das hat zur Folge, daß die Stadtteil- und Rechteentwicklung nicht mehr von der Bezirksversammlung oder vom Senat bestimmt wird, sondern von solchen Konzernen. Im Falle von Olympia werden sich diese Einflüsse nicht nur auf ganz Hamburg erstrecken, sondern auf den Gesamtraum Hamburg/Schleswig-Holstein.

SB: Gibt es in Kiel, wo die Segelwettbewerbe stattfinden sollen, auch eine olympiakritische Stimmung?

MY: Die Stimmung ist nicht so wie in Hamburg, weil nur ein kleiner Teil der Spiele in Kiel stattfindet. Aber wenn man sich den Olympiastützpunkt in Kiel anschaut - ich selbst habe fünf Jahre in Kiel gelebt -, dort ist es praktisch unmöglich, eine Wohnung zu kaufen oder zu mieten. Eine Einzimmerwohnung kostet 70.000, 80.000 Euro. Auch das sind Folgen der Olympischen Spiele 1972. Mit der neuen Olympiabewerbung werden die Wohnungsmieten in Kiel-Schilksee noch teurer werden.

SB: Olympische Spiele dienen also als Hebel der Verteuerung?

MY: Meine Grundkritik ist, daß Länder selber keine Gelder mehr in die Stadtteilentwicklung investieren wollen, sondern lieber internationale Investoren holen möchten, die dann nach der Devise 'Vogel friß oder stirb' ihre Bedingungen diktieren. Das läuft in Kiel und Schleswig-Holstein genauso wie in Hamburg. Bis das IOC 2017 entscheidet, wer die Spiele 2024 bekommt, wird alles nach vorne gepuscht und sogar stadteigene Grundstücke zugunsten von Olympia verscherbelt. Den betroffenen Menschen werden geschlossene Konzepte vorgestellt, auf die sie gar keinen Einfluß mehr haben. Ich bin sogar der Auffassung, daß an einigen Stellen der Planung bewußt Fehler eingebaut werden, damit die BürgerInnen hier und da noch etwas verändern können und ein positives Gefühl haben, ohne das gesamte Projekt in Frage zu stellen. Das nennen sie dann Beteiligungsprozeß. Die Menschen werden nicht vor Ort gefragt, wie sie ihren Stadtteil planen und gemeinsam gestalten möchten oder was die Bedürfnisse der einzelnen Gruppen sind. In Tokio, wo anläßlich der Sommerspiele 2020 eines der weltweit teuersten jemals gebauten Stadien entsteht, haben sich die Kosten verdoppelt. Die Tokioer Region weigert sich jetzt, das Stadion in der geplanten Version zu bauen. Ich bin gespannt, wie das ausgeht.

SB: Bist du der Ansicht, daß Olympia letztlich ein Bestandteil einer umfassenden Privatisierungsstrategie darstellt?

MY: Der Landesrechnungshof hat zu Recht gesagt, wenn diese Schuldenbremse im Kleinen gilt, dann darf sie erst recht nicht im Großen zur Disposition stehen. Das hat wiederum zur Folge, daß sie jetzt städtische Flächen privatisieren, um Olympia zu finanzieren. Sie werden auch Schattenhaushalte bilden, das heißt, Hamburger Unternehmen, die ausgelagert sind, werden Millionen an Schulden aufnehmen, um die Bauten nach vorne zu treiben. Das hat mir ein früherer Senatssprecher bestätigt. De facto sieht man davon im Hamburger Haushalt nichts. Städtische Unternehmen verschönern die Grundstücke und verscherbeln sie wieder. Am Beispiel "Hamburg Wasser" oder "Saga GWG" kann man sehen, wohin die Privatisierung führt, nämlich zu steigenden Preisen oder Mieten. Diese Trickserei findet durchgehend statt, in allen Bereichen. Wir müssen versuchen, dem einfachen Bürger deutlich zu machen, was in den Verträgen steht und welche Folgen das für jeden einzelnen hat. Das müssen wir knacken. Ich glaube, daß wir gute Argumente haben.

SB: Mehmet, vielen Dank für das Gespräch.


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5. Oktober 2015


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