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BÜHNE/015: Ulrike Fischer leitet des Bonner Euro Theater Central (forsch - Universität Bonn)


forsch Herbst/Winter 2017
Bonner Universitäts-Magazin

Großes Theater auf kleiner Bühne
Absolventin Ulrike Fischer leitet des Bonner Euro Theater Central

von Ulrike Eva Klopp


Ulrike Fischer hat Komparatistik und Anglistik an der Uni Bonn studiert und "nebenbei" von der Pike auf in einem der kleinsten Theater Nordrhein-Westfalens gelernt: Sie jobbte an der Kasse des Euro Theater Central, wurde Volontärin, Dramaturgin und ist seit Anfang dieses Jahres Direktorin. Neben der Arbeit mit Profis bietet sie auch dem Nachwuchs eine Bühne - so einer neuen Theatergruppe der Uni Bonn.


Entstanden ist das "Zimmertheater" aus Raumnot in der Nachkriegszeit. Gründer Claus Marteau und seine Frau, die Tänzerin Gisela Pflugradt-Marteau, erhoben es 1969 zur Kunstform. Nach Anfangsjahren im Kaufhof, in einer Gaststätte und einer Buchhandlung entstand das jetzige, intime Euro Theater Central in einem denkmalgeschützten Patrizierhaus im Bonner Mauspfad.

Das ehemalige Dienstbotentreppenhaus führt zu Empfang, Bar und Theatersaal in der ersten Etage. Der ist mit nur 40 Quadratmetern winzig, aber erstaunlich wandlungsfähig: Mal ist die Bühne vorne, mal hinten, mal an den Seiten oder in der Mitte. Direktorin Ulrike Fischer gibt dazu nur eine Weisung: "Mindestens 42 Zuschauerplätze müssen immer erhalten bleiben." Als Bühnenbild reichen ein Bett wie bei Franz Kafkas Verwandlung, Plastikflaschen für Hermann Hesses "Siddhartha". Oder ein großes Gefäß aus Metallgeflecht wie kürzlich beim ersten Auftritt des neuen italienischsprachigen Studentenensembles. Das Spiel mit Licht tut ein Übriges.


Start als Aushilfe an der Kasse

Oben im Haus liegt ein repräsentativer Eckraum, der "Club Voltaire" mit Stuckdecken, Kronleuchter, Antiquitäten und Barocktapeten. Hier finden Trauungen statt, ein privater Konversationskurs Französisch trifft sich hier, Ulrike Fischer sichtet gerade Fotos an dem großen Tisch. "Ich bin auf dem Land aufgewachsen, Schulausflüge ins hochkarätig besetzte Stadttheater Wuppertal waren für mich eine Offenbarung", erzählt sie. Bei einem Schülerpraktikum im Theater Düsseldorf schnupperte sie überall hinein. "Ich habe immer bestaunt, was auf der Bühne passiert. Aber mir war klar: Mein Platz ist nicht dort, sondern in einem der vielen Bereiche hinter den Kulissen."

Während des Studiums - neben den beiden Hauptfächern auch Islamwissenschaft - wurde sie Mutter. Damit war klar: "Theater ist ein Steckenpferd, das ich nicht mehr reiten kann." Ein Aushang am Euro Theater Central kam gerade recht: Aushilfe für die Kasse gesucht. "Ich war nur an einem Abend da, finanziell hat das nicht viel gebracht. Aber mein Partner übernahm dann unsere Tochter, und ich konnte einmal in der Woche ein Theaterstück sehen! Außerdem gab die Chefin mir Theaterstücke zum Lesen mit, damit und dem Kinderwagen saß ich oft im Botanischen Garten."

Sie schaffte es, in der Uni alle Scheine zu machen. Partner, Freunde und Bekannte halfen bei der Kinderbetreuung, eine kleine Studierendengruppe legte Geld aus der Tagesmutterförderung zusammen und organisierte einen Raum. "Das lief prima, die Kinder haben jetzt Abitur und sind immer noch befreundet", sagt Ulrike Fischer. Sie blieb dran, machte ein Volontariat im Euro Theater Central, organisierte zwischenzeitlich mit einem Kollegen aus der Regie Open air-Projekte, kehrte als Regieassistentin zurück und wurde 2004 Dramaturgin des kleinen, feinen Theaters. Heute ist Ulrike Fischer selbst Arbeitgeberin für Studierende an der Kasse und in der Technik.


Gelebte Komparatistik

Was nutzt ihr heute das Wissen aus der Uni? "Eine Menge! Die ganzheitliche Vorgehensweise der Komparatistik leben wir hier. Wir zeigen nicht nur 'Text auf der Bühne', sondern ziehen den Stoff in allen Bereichen durch. Unser Gründer hat das Konzept eines europäischen Theaters mit Stücken in der Originalsprache konsequent verfolgt: Englisch, Französisch, Russisch, nun auch verstärkt Italienisch." Über die Bonner Theaternacht lernte sie die Bonner Romanistik-Absolventin Eugenia Fabrizi und ihr mehrsprachiges Profi- Theaterensemble G.I.F.T. kennen: "Gesucht und gefunden!"In der Sommerpause durfte nun auch Fabrizis neue Theatergruppe an der Uni D.i.e. Musa" als Seminarabschluss dort mit "La Giara" von Luigi Pirandello auftreten.

Profis und Amateure sollen nicht vermischt werden. "Aber wir möchten den Nachwuchs fördern, über den dann freien Eintritt Studierenden das Theater vorstellen und ein Signal an die Zuschauer geben, dass hier engagierte Laien spielen, also sonstige Maßstäbe nicht gelten." So gehen auch mal mehr als fünf, sechs Akteure auf die Bühne. Denn der enge Raum ist Inspiration, und Stücke sollen diesem Rahmen entsprechen. Der Eindruck von Weite entsteht bei Bedarf über Videoprojektion.

"Durch unsere gewachsene, individuelle Struktur mit flacher Hierarchie und kurzen Wegen sind wir extrem wendig und genießen unser großes Wir- Gefühl", sagt Ulrike Fischer. Trotzdem hat das Team massive Zukunftssorgen: Zu Einnahmen aus Theater und als Ort für Tagungen und Feiern, auch als offizielle Bonner Location für Ambiente-Hochzeiten, kommen zwar ein Landeszuschuss sowie Gelder des Fördervereins. Der bisherige Zuschuss der Stadt Bonn - verwendet für Miete und Gehälter - jedoch soll ab Ende 2019 entfallen. "Entmutigt sind wir nicht", sagt die Chefin. "Vor kurzem hat das Euro Theater Central den Monika Bleibtreu-Preis erhalten, der bestätigt: Was Ihr macht, ist richtig gut! Das setzt Energien frei."

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Quelle:
forsch - Bonner Universitäts-Nachrichten Herbst/Winter 2017, S. 48-49
herausgegeben im Auftrag des Rektorats der
Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
vom Dezernat Hochschulkommunikation,
Poppelsdorfer Allee 49, 53115 Bonn
Tel.: 0228/73 7647, Fax: 0228/ 73-7451
E-Mail: forsch@uni-bonn.de
Internet: www.forsch.uni-bonn.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2017

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