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FRAGEN/005: Interview mit Carola Barbara Unser (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 20 vom 14. Dezember 2010

Keine Freundin von "L'art pour l'art" Interview mit Carola Barbara Unser, Künstlerische Leiterin der bühne der TUD

Von Tomas Petzold


Carola Barbara Unser, Mitte dreißig, hat nach einer Lehre in der Landwirtschaft Theologie und Pädagogik studiert; über die Theaterpädagogik kam sie schließlich zur Hamburger Theaterakademie und schloss hier vor zwei Jahren ihr Studium in Schauspielregie mit dem Diplom ab. Unterdessen machte sie auch mit Inszenierungen an Staatstheatern wie in der Off-Szene auf sich aufmerksam. An der bühne inszenierte sie in der Spielzeit 08/09 das Stück "Vision Impossible", das mit dem Neuberinpreis der Jury 2009 ausgezeichnet wurde, "Kasimir und Karoline", die Staffel I-III von "Hearts IV - "Hearts IV - die Vorweihnachtssoap" und den ebenfalls noch im Spielplan präsenten Schnellschuss "Guten Abend, du Schlampe! ... check dich mal!".


UJ: Ist ein Studententheater die richtige Ausgangs- oder nur eine Durchgangsstation für eine Regiekarriere?

CAROLA BARBARA UNSER: Ich habe mich hier nur für drei Jahre verpflichtet, weil es eine Aufgabe ist, die man nur mit sehr viel Kraft und Energie bewältigen kann. Da heißt es also jetzt für mich 'volle Kanne', und dann muss wieder jemand anderes mit frischem Wind kommen.

UJ: Das heißt sicher, man muss sich eher an vorgefundene Strukturen orientieren und dabei ein eigenes Profil entwickeln?

CAROLA BARBARA UNSER: Es gibt ein paar Sachen, die sind wie sie sind, zum Beispiel dass es eine Amateurbühne ist, die mit Profiregisseuren arbeitet, so dass man wirklich sehr anspruchsvolles Amateurtheater machen kann. Es gibt so etwas wie den Beginn 20.15 Uhr und die Vorstellungen am Wochenende, das haben wir dieses Jahr geändert, indem wir auch einmal in der Woche spielen. Man übernimmt also die guten Sachen und versucht andere, die ein paar Mankos haben, zu verbessern. Ansonsten macht man als künstlerischer Leiter natürlich das, was man theatral für wichtig hält. Ich bin der Überzeugung, dass Theater immer etwas mit der Gegenwart zu tun haben muss und auch eine gesellschaftliche Verantwortung trägt. Ich bin überhaupt keine Freundin von L'art pour l'art. Gerade wenn man mit Studierenden arbeitet, die noch so am Anfang stehen und suchend sind, ist es toll, die Möglichkeiten des Mediums Theater auszuloten - als Reflexionsort, als Begegnungsort, als Raum, wo gesellschaftliche Fragen relevant sind und untersucht werden können. Also ich halte es da sehr mit Schiller.

UJ: Sie haben eigentlich mit Theaterpädagogik begonnen, ist sie jetzt nachgeordnet?

CAROLA BARBARA UNSER: In meiner Biografie war das der erste Schritt, aber die Leidenschaft ist letztendlich bei der Regie, und so würde ich das auch hier in Dresden sehen. Wir haben ja an der bühne ein Lehrangebot, aber das ist dem geschuldet, dass wir ehrlich gesagt ein FDJ-Überbleibsel sind. Die Uni sagt, Kultur finanzieren wir eigentlich nicht mehr. Daher die Kurse, die uns auch neue Leute bringen. Die Kurse sind sehr schauspielhandwerklich ausgerichtet, und wenn die Teilnehmer dann bei einer Produktion mitarbeiten, sind sie recht gut vorbereitet. Denn das heißt dann sechs Wochen Proben und danach 20 bis 30 Aufführungen - das ist schon eine Herausforderung.

UJ: Wie macht das der Student, wie kann der sich das einteilen, denn es ist ja richtig Arbeit?

CAROLA BARBARA UNSER: Es wird auch immer schwieriger, denn durch den Bachelor haben sie kaum noch Zeit, ja, aber es gibt immer noch ein paar, die brennen für so etwas, und inzwischen kann man bei uns auch Punkte für die allgemeine Qualifikation sammeln, wenn man bestimmte Fächer studiert. Allerdings kommen die Studenten sehr bunt gemischt aus allen Fakultäten. Wir haben echt viele Ingenieuere und Informatiker, andererseits kommen eben durch das Aqua-Programm immer mehr aus den Geisteswissenschaften zu uns.

UJ: Sie kommen aus dem Westen der Republik und gehen so ganz unbefangen mit DDR-Erbe um - wie kommt es zu dieser Selbstverständlichkeit?

CAROLA BARBARA UNSER: Ich habe mich schon sehr mit der DDR-Vergangenheit beschäftigt, und ich glaube, als unbedarfter Westler - ich war in Hamburg vorher, komme aber ursprünglich aus der Pfalz, hatte ich dieses Ost-West-Ding gar nicht so im Kopf. Nur durch das Leben hier wurde mir bewusst, wie krass die Unterschiede noch sind. Ich muss aber auch sagen, dadurch dass ich die Grenzen und die Pressionen, die das DDR-Regime bedeutete, nicht erlebt habe, konnte ich auch ganz frisch und frei auf das Positive reagieren, das es mit sich brachte. Etwas wie die bühne gab es im Westen nicht, und in der pfälzischen Provinz, da hätte ich mir so etwas wie hier gewünscht, aber da war nicht mal ein schlechtes Bauerntheater. Von daher habe ich also geschaut, was hier an positiven Überbleibseln war und sehe es als meine Aufgabe, es so gut es geht für die Zukunft fit zu machen.

UJ: Wie wirkte sich das insbesondere auf ihre eignen Projekte aus?

CAROLA BARBARA UNSER: Der Spielplan ist ja nun bis zum Ende fertig, Das erste Jahr lief unter dem Motto "massenkompatibel", es ging einfach darum, dass wieder Menschen hierher kommen, weil es vorher leider eine Phase gab, in der mein Vorgänger aus Krankheitsgründen früher aufhörte und das Ganze ein bisschen den Bach runterging. Das zweite Grundthema war der Wende geschuldet, Ost-West, eine Frage der Perspektive, und das, was nun den Zyklus komplett machen soll, ist dieses positiv auf die Welt gucken. Es ist vieles um uns herum, auf Deutsch gesagt, wirklich Scheiße, und man könnte auch oft die Flinte ins Korn werfen, aber wir machen den Versuch zu einem neuen Optimismus, und wenn es nur eine Überlebensstrategie ist. Nach der "Johanna" kommen die "Räuber" von Schiller, inszeniert von Peter Wagner. Als Nächstes folgt eine Stückentwicklung, die Utopiegesellschaft oder die optimale Gesellschaft, den genauen Titel suchen wir da noch, das wird eine Frankfurter Regisseurin inszenieren, und ich sitze gerade am Text für ein Musiktheater-Boulevardmelodram, weil wir einmal ausprobieren wollen, was mit dem Genre Musiktheater und Tanz geht. Das wird also eine sehr boulevardeske Geschichte, ich hoffe aber mit viel Tiefgang.

Weitere Informationen: www.die-buehne.net


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 21. Jg., Nr. 20 vom 14.12.2010, S. 9
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Dezember 2010