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INTERNATIONAL/004: Theater-Talente gesucht - Unruheregion Kaschmir will Kultur wiederbeleben (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. Juni 2011

Indien: Theater-Talente gesucht - Unruheregion Kaschmir will Kultur wiederbeleben

Von Athar Parvaiz


Srinagar, 3. Juni (IPS) - In der Tagore Hall in Srinagar bleiben seit vielen Jahren die Lichter aus. Als der Kaschmir-Konflikt Ende der achtziger Jahre aufflammte, war es mit dem blühenden Theaterleben in der Stadt bald vorbei. Inzwischen sind die Kämpfe zwar abgeflaut, doch die Kultur liegt nach wie vor danieder.

Zur großen Erleichterung der indischen Sicherheitsbehörden ist die Zahl der bewaffneten Zusammenstöße in der Region zwischen 1995 und dem vergangenen Jahr von fast 6.000 auf etwa 470 gesunken. Das Militär prägt jedoch nach wie vor das Straßenbild in der Hauptstadt des nordwestindischen Bundesstaates Jammu und Kaschmir.

Auch die Tagore Hall trägt die Spuren des Konflikts, seit dort 1990 eine Bombe explodierte. Der Sonderbeauftragte für Kultur, Farhat Lone, verspricht nun, dass das berühmte Theater im Herzen der Stadt nach einer Renovierung wieder geöffnet wird.

Um genügend Künstler auf die Bühne zu bringen, veranstaltet Lones Behörde seit März Talentwettbewerbe in mehreren Distrikten. Das Publikumsinteresse ist riesig, denn die Einwohner von Kaschmir haben auch in schwierigen Zeiten ihre Liebe zur Kultur nicht verloren.

Mohammed Maqsood ist einer der Künstler, die kürzlich in der Islamischen Universität für Wissenschaft und Technik in Awantipora südöstlich von Srinagar auftraten. Vor hunderten jubelnden Zuschauern gab er Lieder zum besten, in denen Politiker durch den Kakao gezogen wurden. 'Ladishah', wie diese Form der Darbietung heißt, ist ein traditioneller Teil der kaschmirischen Kultur.


Erster Auftritt mit 22 Jahren

"Zum ersten Mal konnte ich auf der Bühne auftreten", freute sich der 22-Jährige, der in seiner Jugend nur Krieg erlebt hatte. Kunst und Kultur sollten sich auch in Zeiten bewaffneter Konflikte weiterentwickeln können, meinte sein Kommilitone Gayas Akhtar.

Die Unruhen in Kaschmir gehen auf das Jahr 1947 zurück, als Indien von Großbritannien unabhängig wurde und die muslimisch besiedelten Teile des Landes Pakistan zugeschlagen wurden. Eine UN-Resolution stellte es den Kaschmiris frei, sich entweder für die Zugehörigkeit zu Indien oder Pakistan oder für einen eigenen Staat zu entscheiden. Die Einwohner hatten letztlich aber nie die Möglichkeit, von ihrem Recht auf Selbstbestimmung Gebrauch zu machen.

Inzwischen steht etwa ein Drittel der Region Kaschmir unter pakistanischer Verwaltung. Das übrige Territorium gehört zu Indien. Viele Kaschmiris wollen jedoch keinem der beiden Länder angehören. 1989 begannen Unabhängigkeitskämpfer im indischen Teil einen bewaffneten Aufstand, der bis heute schwelt. Laut Statistiken der Regierung und nichtstaatlicher Organisationen gab es in dem Konflikt bislang mehr als 50.000 Tote.

Angesichts der ausufernden Gewalt musste die Akademie für Kunst, Kultur und Sprachen, die bis dahin kulturelle Programme in Kaschmir organisiert hatte, ihre Aktivitäten einstellen. Ein pauschales Aufführungsverbot des Militärs sorgte dafür, dass sich in keinem Theater mehr der Vorhang hob.

Dabei seien die achtziger Jahre eine "goldene Zeit" für das Theater in Kaschmir gewesen, bedauerte der Wissenschaftler Bhawani Bashir. Die Bombenexplosion in der Tagore Hall habe nicht nur hohen materiellen Schaden ausgelöst, sondern unter den Künstlern auch große Ängste geschürt, sagte Zaffar Iqbal Manhas, der lange für die Akademie tätig war, im Gespräch mit IPS. Viele hätten es nicht mehr gewagt, sich kulturell zu engagieren.


Muslime sahen sich durch Kultur bedroht

Hinzu kam das Misstrauen in der Bevölkerung, die die Kulturakademie größtenteils für islamfeindlich hielt. Die Beschäftigten der Einrichtung seien Drohungen ausgesetzt gewesen, erinnerte sich Manhas. Manche hätten daraufhin nicht mehr öffentlich über ihre Arbeit sprechen wollen.

Auch Künstler, die mit der Akademie nichts zu tun hatten, traten den inneren Rückzug an. "Man braucht Courage, um die Wahrheit zu erzählen", meinte der bekannte Dramatiker Mohammed Amin Bhat. Leider hätten die Künstler nie versucht, sich mit dem Konflikt auseinander zu setzen. Dies wäre aber sicherlich gut vom Publikum aufgenommen worden. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2011