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PROFILE/001: Liesl Karlstadt - Ein Herz mit doppeltem Boden (welt der frau)


welt der frau 12/2008 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Ein Herz mit doppeltem Boden

Von Michaela Herzog


Elisabeth Wellano kennt kaum jemand. Doch unter ihrem Künstlerinnennamen Liesl Karlstadt wurde sie als kongeniale Partnerin des Münchner Komödianten Karl Valentin berühmt. Die österreichische Schauspielerin Bettina Redlich verkörpert nun in einem neuen Film das Leid und die Tragik jener Frau, die dazu bestimmt war, ein leben lang komisch zu sein.


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Das rote Herz am Grabkreuz erinnert an eines aus Lebkuchen. Vom Christkindlmarkt oder Oktoberfest. Die Schrift darauf trägt kindliche Züge. Liesl Karlstadt. Buchstaben wie aus Zuckerguss. "Das Herz lässt sich mit einem kleinen Riegel aufklappen", weiß die österreichische Schauspielerin Bettina Redlich. Hinter der kleinen Tür verbirgt sich ein Hohlraum. Auf dessen Rückwand ist zu lesen: Elisabeth Wellano 1892-1960.

Immer wieder hat Bettina Redlich, die seit mehr als zwanzig Jahren in München lebt, das Grab der Volksschauspielerin besucht. "Von klein auf hat mich ihre Verwandlungskunst fasziniert." Im neuen Film des deutschen Regisseurs Jo Baier, "Liesl Karlstadt und Karl Valentin", steigt Bettina Redlich zu dem Zeitpunkt in die Rolle ein, als die bekannte und erfolgreiche Komödiantin schwer depressiv in die Isar springt.


Elisabeth Wellano, genannt Liesl Karlstadt

Lebensbeschreibungen in Buchform geben biografisch Auskunft über die Münchnerin: aufgewachsen in sehr einfachen Verhältnissen als fünftes von neun Kindern eines Bäckers italienischer Abstammung, Verkäuferin für Kurzwaren und Posamenten im Warenhaus Tietz, nach Ladenschluss Auftritte als jugendliche Soubrette.

Ihren ersten Bühnenvertrag erhält Elisabeth Wellano 1911. Im selben Jahr lernt die Anfängerin den bereits erfolgreichen "langen, zaundürren, rothaarigen Salonkomiker" Karl Valentin kennen. Er wird ihr Bühnenpartner und ihre große Liebe 27 Jahre lang. Doch als sich das Paar begegnete, war Karl Valentin bereits verheiratet und Vater von zwei Töchtern.

Für die Schauspielerin Bettina Redlich war es "eine große Herausforderung und Verantwortung", dieses "Münchner Kindl" darzustellen. "Der Anspruch, ihr gerecht zu werden, hat mich während der Vorbereitungszeit auf diese Rolle die eine oder andere Nacht nicht schlafen lassen." Um der historischen Figur möglichst nahezukommen, studierte sie monatelang die Bild- und Tondokumente von den unzähligen Auftritten des erfolgreichen Künstlerpaars. "Fotos sind wichtig, um die Körperhaltung und den Gesichtsausdruck zu studieren."

Fest im Ton und in der Stimme, besticht Liesl Karlstadt mit ihrer weichen bayerischen Aussprache. Bettina Redlich spricht liebevoll von "einer großherzigen Gosch'n" und dem "stillen Lächeln mit geschlossenem Mund". Privat war die Komödiantin die zierliche, elegante Frau mit Seidenstola, auf der Bühne burschikos im Frack, mit Zigarette und Zylinder. "Je extremer ein Kostüm, desto mehr kann man sich als Schauspielerin dahinter verstecken und gleichzeitig mutiger aus sich herausgehen", meint Bettina Redlich. Liesl Karlstadt hat sich in ihren unzähligen Hosenrollen sehr wohlgefühlt. Als frecher Kellnerjunge, Schusterbub oder alternder Kapellmeister in "Die Orchesterprobe". "Sie hat Männer so überzeugend gespielt, dass sie immer wieder Liebesbriefe weiblicher Fans erhalten hat."

Bettina Redlich nennt sie Komikerin, Schauspielerin, weiblicher Clown. Eine genaue Beobachterin mit dem Gespür für alltägliche Details. Eine Volksschauspielerin, die mit Körper und Gesicht immer wieder neu experimentierte. Universal begabt und sehr ehrgeizig konnte sie sowohl auf der Bühne als auch in Rundfunk und Fernsehen bestehen. "Sie hat das Scheinwerferlicht, den Applaus, die Musik, die Bekanntheit genossen und vor allem die Aufmerksamkeit des charmanten und genialen Karl Valentin."


Die dunklen Seiten

"Die Liesl war sein Motor, seine Mutter, Geliebte, Managerin, Stichwortgeberin, Schreiberin vieler Dialoge..." Bettina Redlich unterbricht die Aufzählung. "Und doch ist Karl Valentin immer und überall im Vordergrund gestanden." Als Gefangener seiner Egomanie, von ständigen Ängsten geplagt, verlangte er von seiner Partnerin jeden Tag ihre ganze Energie und uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Und das Tolerieren seiner Affären mit anderen Frauen.

"Sie hat alles ertragen, sie war sehr genügsam." Bis 1935. "Kummer" ist in der Polizeichronik als Grund für ihren Selbstmordversuch angeführt. Die Frage, wie sich Depressionen anfühlen und wie sie in der Filmszene, die in der Psychiatrie spielt, auszudrücken sind, hat die erfahrene Schauspielerin Bettina Redlich tief bewegt und auf das Äußerste gefordert. "Ich bin überzeugt, dass sie sich mit dem Sprung ins Wasser aus der Abhängigkeit von Karl Valentin befreien wollte." Überlebt hat damals eine erschöpfte, hoffnungslose und verzweifelte 43-jährige Frau voller Schuldgefühle. Ihr Versuch, nach der Entlassung wieder in die Arbeit mit Karl Valentin einzusteigen, endete mit einem neuerlichen Zusammenbruch.

Zur Erholung zog sich Liesl Karlstadt in die Tiroler Berge auf eine Alm zurück, um dort in Männeruniform ihre längste Hosenrolle als "Gefreiter Gustav" und Mulitreiber bei den Gebirgsjägern zu spielen. "Sie spielte diese Rolle, als ob sie auf der Bühne gestanden wäre und nicht in der Wirklichkeit des schrecklichen Krieges", sagt die gebürtige Tirolerin Redlich. Nach dem Krieg stand das Duo Karlstadt/Valentin zum letzten Mal gemeinsam auf der Bühne. "Doch er ist nicht mehr an sie herangekommen." Ihre Zeit als Arbeits- und Liebespaar war längst vorbei. Karl Valentin starb im Februar 1948. Liesl Karlstadts Solokarriere endete am 27. Juli 1960.

Im Film "Liesl Karlstadt und Karl Valentin" stehen in der letzten Szene die Ehefrau und Liesl Karlstadt am Grab des gemeinsam Geliebten und sprechen sich versöhnlich Beileid aus. "Einmal die Liesl darzustellen war immer meine absolute Traumrolle", sagt Bettina Redlich. Und eine Herzensangelegenheit. Im doppelten Sinn.


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 12/2008, Seite 42-44
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Dezember 2008