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STELLUNGNAHME/001: Die beste aller möglichen Welten oder Das Unvermeidliche (Steinberg Recherche)


Steinberg Recherche

Die beste aller möglichen Welten oder: Das Unvermeidliche

Von Thomas Immanuel Steinberg, 23. Mai 2011


400 Freunde des Hamburger Thalia-Theaters waren am Sonntag, dem 22. Mai 2011 ins 1000-Plätze-Haus gekommen und verfolgten mäuschenstill, was der Hamburger Erste Bürgermeister Olaf Scholz, der Romanautor Moritz Rinke und die Afghanistan-Reporterin Susanne Koelbl (Der Spiegel) am 11. September 2001 so gefühlt oder gar gedacht haben mochten. Dazwischen in weißem Anzug, ganz Künstler - nein, eher Zirkusdirektor - der Intendant Joachim Lux, der Moderator.

Lux war damals "an der Burg" - unsereins weiß, daß von Wien die Rede ist - und fühlte sich dort sicher, weil fernab von Tatorten wie New York und Brutstätten wie Hamburg oder Frankfurt (sic). Scholz, mit dem Charme einer Bulldogge, lobte klar und überraschend bescheiden das besonnene Vorgehen seiner Hamburger Polizei, der er damals als Innensenator vorgestanden hatte. Rinke blieb auf einem US-Flughafen hängen, während nur die bin-Laden-Familie aus dem Lande entschwinden konnte - welch Letzteres aber nicht erzählt wurde. Aus Susanne Koelbl, der Afghanistan-Reporterin des Hamburger Magazins, ergoß sich ein so geschmeidiger Redefluß, daß ich überhört habe, welchem Ort sie ausgerechnet am 11. September die Ehre ihres Besuches erwiesen hatte.

Später habe Koelbl Afghanistan archaisch gefunden, den Krieg gegen die Afghanen aber falsch, weil er nicht zu gewinnen sei. Indes, so die elegante Frau weiter, sei der Einsatz der Bundeswehr unvermeidlich gewesen, denn das Bündnis zwischen den USA und Deutschland sei "ein enges". Osama bin Laden habe auch ihr Leben "schon stark geprägt", ja, ja. Man erfuhr leider nicht, wie. Kosovo und Bosnien erwähnte sie, und das, und noch ein Land. Name dropping halt, und viele destillierte Tropfen, die alle an ihr abgeronnen sind wie an einer Teflonpfanne. Osama bin Laden übrigens, der gelte - wo auch immer im unwestlichen Gewusel - als Volksheld. Was über die Gemeinten soviel hergibt wie über die Deutschen die Bemerkung, sie fänden Ken und Barbie, also Karl-Theodor und seine Gattin, total süß.

Der Romanautor schilderte die Amerikaner, nicht die runden Teilchen mit dem Zuckerguß auf der Unterseite, sondern die US-Bürger nach dem 11. September, als hysterisch, bekundete aber Verständnis angesichts einer 200-jährigen Kette von selbst unternommenen Kriegen. Den keimenden Verdacht des Antiamerikanismus wußte er schnell zu ersticken mit dem Verweis auf das segensreiche Wirken der US-Streitkräfte in Europa ab 1944, als die Sowjets den Krieg gegen die Nazi-Deutschen bereits gewonnen hatten.

Scholz fand und findet den Massenmord in Afghanistan ebenso legal wie legitim, den an den Irakern aber nicht. Was ihn und seinen Genossen Schröder nicht daran hinderte, die US-Streitkräfte von Wiesbaden-Erbenheim und Ramstein aus den Irak verwüsten zu lassen. Again: there was no alternative. Scholz verriet auch, von wem er zuerst erfuhr, daß Mohammed Atta und die anderen in den Flugzeugen saßen, obwohl sie gar nicht auf den Passagierlisten standen: nicht vom BND, nicht von seinen Polizisten und auch nicht von der CIA, nein. Der Springer-Auslandsdienst war's, und auf ihn hat er sich verlassen.

Scholz fand immerhin ein gutes Wort für die Muslime unter uns und verband es mit der These, alle Menschen, egal wo, strebten nach Freiheit, Gerechtigkeit ... und Marktwirtschaft. Gewiß, gewiß, Herr Scholz, früher wollten sie alle Christen werden, wobei ihnen unsere Vorfahren mit Kreuz und Schwert etwas nachhalfen. Heute aber wissen wir: In Wahrheit dürstet es die Menschheit nach Kapitalismus.

Unangetastet blieb George Bushs Verschwörungsfantasie. Einer im Saal protestierte, und schon war's dem Intendanten zuviel mit der Ketzerei. Susanne Koelbl bestätigte artig, daß auch Im Spiegel Zweifel keinen Platz habe. Wat mutt, dat mutt.

Nie war soviel Anti-Voltaire, nie war soviel Restauration. Wir leben in einem Sarkophag. Leben wir noch?*


Siehe:
Eingebettete Veranstaltung, Der Bürger spießt, Mail nicht bekommen und Posse mit Bürgermeister aufzurufen über:
http://www.steinbergrecherche.com/mainstream.htm#beste

* Am Abend vor dem Gruftie-Gespräch drückte mir beim Verlassen der Peer-Gynt-Vorstellung ein dienstbarer Geist ein Reklame-Kärtchen in die Hand...

Reklame-Kärtchen für die Veranstaltung im Thalia - © Steinberg Recherche

© Steinberg Recherche

... und bemerkte süffisant: "Sie wollen bestimmt auch ein Foto von unserm Bürgermeister haben. Morgen kommt er ganz persönlich ins Haus." Herr Lux, das war ein bedenkliches Glimmen in Ihrem Hause, bringen Sie heraus, wer das war. Freiheit ja, aber sie findet doch wohl ihre feuerpolizeiliche Grenze in der Marktwirtschaft.

URL dieses Beitrags:
http://www.steinbergrecherche.com/mainstream.htm#beste


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Quelle:
Thomas Immanuel Steinberg
mit freundlicher Genehmigung
Internet: www.SteinbergRecherche.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Mai 2011