Schattenblick →INFOPOOL →THEATER UND TANZ → REPORT

BERICHT/028: Political Mother, gezeigt von der Hofesh Shechter Company (SB)


Die vergessene Macht des Theaters: Kontrolle
Die Gewalt überlassen sie anderen

Political Mother, gezeigt von der Hofesh Shechter Company
Künstlerische Leitung: Hofesh Shechter

Sadler's Wells London 12. - 16. Juli 2011

von Britta Barthel


"Where there is pressure there is folkdance"
Zu deutsch: "Wo es Druck gibt, gibt es Volkstanz"

Man beachte diesen Eindruck: Beim Betreten des Sadler's Wells Theatre bietet sich einem ein ungewöhnliches Szenario. Dort, direkt vor der Bühne, wo sich normalerweise ein Orchester oder andere Musiker befinden, ist jetzt ein leerer Platz. Wo sonst Musikinstrumente verteilt sind, stehen nun, bis direkt vor den Bühnenrand, Zuschauer eng zusammen. Das Theater scheint ausverkauft. Dunkelheit schließt sich um die Zuschauer, die Show beginnt. Wo Show im allgemeinen ein sehr zweifelhafter Begriff für Qualität ist, unterstreicht er sie hier umso stärker.
Denn sie ist leise und bescheiden die Show, hat den Daumen genau an die richtige Stelle gesetzt. Es ist Licht, das zuerst das Bewusstsein erreicht, gedimmt ist es und ganz kurz flackert in mir völlig unpassend das Bild einer düsteren Kaschemme auf. Wie hinter Nebel erscheinen Musiker am Kontrabass. Ihr Spiel ist ruhig, gesetzt. Mit noch immer leiser Präzision steigt der Lärm ins Unermessliche, als die Anzahl der Musiker schnell zunimmt und bald im Hintergrund der Bühne und auf verschiedenen unsichtbaren Ebenen mit Trommlern, Violinen, E-Gitarre und auch einem Sänger angefüllt wird. Jetzt ist es nicht mehr zu leugnen: laute, vollmundige und exzellente Rockmusik ist es, die das Theater in überwältigender und einzig richtiger Lautstärke beschallt. Musik, die von dem Choreographen Hofesh Shechter neben allem Tanz gleich mit geschaffen wurde. Er spielte mal in einer Rockband.
Dieser Umstand macht die folgende Lückenlosigkeit und Übereinstimmung aller Ereignisse auf der Bühne wohl verständlicher, aber deswegen nicht weniger genial.

Zwei Tänzer blicken nach oben - Foto: © Sadler's Wells

Foto: © Sadler's Wells

Der vordere Bereich der Bühne ist nun auch erleuchtet und Tänzer in unerklärlich traurig wirkender Straßenkleidung bewegen sich in einer Choreographie durch ihren Raum, die sofort die locker übermütige Bewegungssprache des Choreographen erkennen lässt, welche immer den Eindruck macht, als würden die Gliedmaßen ein wenig zu lässig in der Gegend herumfliegen, bei der aber am Ende doch alles genau da ist, wo es sein sollte. Weiterhin ließe sich ihr Reigen wohl am besten durch die Umschreibung 'Alltag der Leute' erfassen, oder vielmehr 'Alltag der Leute, bei denen etwas nicht stimmt', denn schnell wird klar, dass dies das Universum eines Volkes ist und wo ein Volk ist, ist auch sein Gegenstück. Dieses Gegenstück taucht schon bald auf oberster Ebene als ein Redner am Mikrofon auf, der nicht nur bei uns Deutschen sofort ein einzelnes Bild aufkommen lässt: Hitler. Dieser Redner hat aber noch unendlich viele weitere Namen, von denen der große Bruder aus Orwells Novelle 1984 nur einer ist. Nahezu augenblicklich werden alle folgenden Verhältnismäßigkeiten vor uns aufgerollt: die ängstlichen Blicke, sich duckende Bewegungsmuster, Reih und Glied. Die Trommeln tun ihr übriges und der Begriff des Volkes ist an seinem Platz.

Tänzer im Kreis - Foto: © Sadler's Wells

Foto: © Sadler's Wells

All dies geschieht nur, um Sekunden später wieder aufzubrechen. Menschen tanzen auf der Bühne, es wird interagiert, agiert, sozialisiert in täuschender Freiheit. Die Musik wechselt naht- und fraglos von weich zu hart, von laut zu leise und plötzlich ist er wieder da, in seiner ganzen Bedeutung. Der Bogen ist durch diesen Wechsel definiert.

Orangene Lettern erscheinen. Der Satz bildet sich langsam, so langsam, dass er den Begriff Show ein weiteres Mal im positiven Licht erscheinen lässt. Denn uns - dem Publikum - wird hier die Möglichkeit gegeben, etwas aufzunehmen und zwar nur auf eine Weise: So wie es das Schauspiel auf der Bühne will. So steht es dann geschrieben:
"Where there is pressure there is folkdance"
Es wird gelacht. Es wird geschluckt. Es wird geschwiegen. Dann wird gejubelt!

Sadler's Wells Theatre London - Foto: © 2011 by Schattenblick

Foto: © 2011 by Schattenblick

7. August 2011