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INTERVIEW/016: ACTING - Extremfall Bühnenspiel, Ivan Dentler und Thomas Bosch im Gespräch (SB)


Man muß die Leidenschaft haben

Interview mit Ivan Dentler und Thomas Bosch zur deutschen Erstaufführung von ACTING am 5. Juni 2014 in Kiel



Ein volles Haus, ein umjubeltes Stück, eine gelungene Premiere - am 5. Juni 2014 kam Xavier Durringes ACTING bei den Komödianten in Kiel zur deutschen Erstaufführung. Bei dem Stück zu Knast und Kunst geht es um die Schönheiten und die Schwierigkeiten des Schauspielberufs, aber auch um ganz existentielle Fragen wie Gefangenschaft und Freiheit, menschliche Nähe und Distanz, Lebenskrise und Bewältigungsstrategien. Anschließend an die Premiere hatte der Schattenblick Gelegenheit, den Darstellern des Zwei-Personen-Stückes Thomas Bosch und Ivan Dentler, der auch Regie führte, einige Fragen zu stellen.

Die Schauspieler am Tisch mit entspannter Miene - Foto: © 2014 by Schattenblick

Thomas Bosch (lks.) und Ivan Dentler ganz entspannt nach der Premiere
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Ein Zwei-Mann-Stück - Gepetto und Robert -, das in einer Zelle spielt, eignet sich natürlich hervorragend für ein kleines Theater und eine kleine Bühne. Was war sonst noch der Grund, dieses Stück auszuwählen?

Ivan Dentler (ID): Ich habe vor fünf, sechs Jahren schon "Ganze Tage, ganze Nächte" hier im Theater gespielt, vom selben Autor - Xavier Durringer - und ich hatte seine Texte schon zu Schauspielschulzeiten gelesen. "Ganze Tage, ganze Nächte" ist sein bekanntestes Stück und ich war von seiner Schreibweise einfach fasziniert. Und als ich dann 'Acting' in die Finger bekam, hat es mir wieder saugut gefallen. Beim Lesen war ich schon so drin und mußte auch lachen, was mir sonst eigentlich recht selten passiert. Es war auf jeden Fall der Humor von Xavier Durringer, den er auch in seinen anderen Stücken drin hat, und dann natürlich das Thema - Acting - das Schauspielthema und wie er es beschreibt, das hat mich halt gepackt. Thomas ist mittlerweile ja auch freier Schauspieler, ich bin es schon immer gewesen, war nie in einer wirklichen Festanstellung - vielleicht mal für ein Jahr, aber nie länger.

Thomas Bosch (TB): Man hat das ja von Kollegen mitbekommen, und man weiß es auch selber, wie das ist, wie man abgefertigt wird als Schauspieler, all diese Dinge, die der Robert da erzählt, gerade auch zu Anfang des Schauspielerdaseins, das ist ja nicht an den Haaren herbeigezogen. Und da sind dann halt auch diese Ängste und der Wahnsinn, der einen überkommt, wenn man zwei, drei Jahre wartet und immer wieder versucht, sich zu bewerben...

ID: Die Verzweiflung, irgendwo dabeisein, irgendwo spielen und alles geben zu können. Das ist ein ständiger Kampf. Ab morgen werde ich mich wieder darauf vorbereiten, wieder dafür arbeiten, daß ich so etwas nochmal machen oder woanders spielen kann.

SB: Das Stück spielt im Knast. Welche Realitätsnähe erreicht es zum Knastalltag oder geht es darum überhaupt nicht?

ID: Der Knastalltag ist nicht so nah dran, weil es um zwei Menschen geht, die versuchen, dem Knastalltag zu entfliehen, indem sie schauspielerisch arbeiten, indem der eine dem anderen etwas beibringt. Somit ist der Knastalltag nicht so relevant. Ich war noch nie im Knast und Thomas auch nicht. Von daher haben wir selber keinen realistischen Bezug dazu, aber das war tatsächlich auch nicht so wichtig.

TB: Ich glaube, was den Knast ausmacht und warum es im Gefängnis spielt, ist das Triste, die Enge. Vielleicht wollte der Autor damit auch zeigen: Wir sind unglaublich viele. Das sagt ja der Robert, wir sind sowieso schon zu viele, es gibt eine solche Dichte an Schauspielern, daß es irgendwann ein bißchen eng erscheint, man weiß nicht, was man machen soll.

SB: Ist es also eher ein Stück über die Schauspielerei und der Knast nur die Kulisse?

TB: Der Knast ist ein Zeichen für Roberts Geschichte, wo so ein Schauspielerleben in der freien Szene hinführen könnte. Der Knast zeigt ganz klar, wo es enden kann - die Verzweiflung.

SB: Der Autor ist ja dafür bekannt, daß er ganz bewußt auch politische und gesellschaftliche Konflikte zu Stücken verarbeitet, Randständigkeit, prekäre Lebensverhältnisse. Gibt es da eine Nähe oder gefühlte Verwandtschaft?

ID: Für mich ja, absolut. Durringer schreibt oft Rollen, die nicht in der Mitte der Gesellschaft verwurzelt sind, die da keinen Platz haben. Es sind Grenzgänger, Leute am Rande der Gesellschaft. Und da kann man, vielleicht ein bißchen überspitzt gesagt, die Schauspieler doch eigentlich dazuzählen.

SB: War das deine erste Regiearbeit?

ID: Ja.

SB: Heißt das, daß sich bei den Komödianten so etwas wie ein Generationenwechsel anbahnt?

ID: Nein, das muß es mit Sicherheit nicht heißen. Es heißt nur, daß ich einen großen Teil einer Produktion mitbestimmen konnte. Und das wollte ich schon immer mal gern. Als Schauspieler spielt man meist die Rolle, die man kriegt. Und diesmal war es so, daß ich aussuchen konnte, welches Stück, wer spielt was und wie spielen wir es - selbstverständlich mit Thomas an meiner Seite, der das genauso gestaltet hat wie ich, klar, weil es ein Zwei-Personen-Stück ist.

SB: Ist er deine Traumbesetzung?

ID: Ja, absolut. Ich habe ihm das so noch nicht gesagt, aber ich hab' mich wahnsinnig gefreut, daß Thomas diese Rolle gespielt hat und war mir ziemlich schnell sicher, daß er die perfekte Besetzung dafür ist. Wir hatten vorher noch nicht zusammen gearbeitet, nur einmal ganz kurz ...

TB: ... in einem Kurzfilm, ja, aber sonst nicht.

ID: Ich war so froh, lieber Thomas, absolut.

SB: Im französischen Original kommt eine dritte Rolle vor, Horatio. Habt ihr die mit Absicht weggelassen?

ID: Ja, den haben wir bewußt weggelassen. Er ist einfach der dritte Mann in der Zelle, eine stumme Rolle. Aber ich gebe auch gerne zu, daß wir für eine dritte Rolle das Geld nicht haben. Und ich möchte nicht irgendjemanden dahinstellen, der vielleicht mal Lust hat, auf einer Bühne zu stehen, sondern der müßte dann genau so ein Profi sein, obwohl er eine stumme Rolle hat. Und da habe ich ganz einfach gesagt, einerseits brauche ich diese Rolle nicht, ich sehe es als Zwei-Personen-Stück und es funktioniert wunderbar, und andererseits stellt sich auch die Frage nach noch einem Profi nicht, denn das könnten wir gar nicht bezahlen.

SB: Es ist das zweite, etwas ernstere Stück, das wir in der letzten Zeit bei den Komödianten gesehen haben, trotz der komischen Aspekte, die es zweifellos auch hat. Das andere, "Die Frau, die gegen Türen rannte", war auch sehr gelungen. Ist das die neue Richtung, in die die Komödianten gehen?

ID: Ich hoffe. Ich hoffe. Deswegen habe ich "Acting" ausgewählt, weil es für mich überhaupt keine Komödie ist. Und ich würde mich natürlich sehr freuen, wenn das Komödiantenpublikum da ein bißchen mitgehen würde.

SB: Der heutige Abend war ohne Zweifel ein Beleg dafür, das Publikum war absolut zugewandt und konzentriert und hat das Stück und eure großartige Leistung auf eine Weise honoriert, wie man sich das besser gar nicht wünschen kann.

ID: Ja, das war sehr schön.

TB: Es wurde wirklich gut angenommen. Die Leute haben verstanden, wann es eine lockere Szene gibt und wann es ein bißchen prekärer wird, wann die Stimmung umschwenkt. Und das Publikum ist gut mit uns mitgegangen. Wir hatten das Gefühl, daß die Zuschauer sehr dicht dran waren, das ist natürlich schön.

Beim Gespräch mit dem Schattenblick - Foto: © 2014 by Schattenblick In einer Bühnenszene - Foto: © 2014 by Thomas Eisenkrätzer

links: Thomas und Ivan
Foto: © 2014 by Schattenblick

rechts: Robert und Gepetto
Foto: © 2014 by Thomas Eisenkrätzer

SB: Es gibt seit einigen Jahren Theaterprojekte in realen Gefängnissen. Ein Beispiel ist die Theatergruppe aufBruch in der JVA Tegel, die das seit Jahren regelmäßig macht. Da heißt es, daß das Theater im Vollzug Freiräume öffne, die Gefangenen normalerweise nicht gegeben sind, aber auch der Öffentlichkeit ermöglicht, Einblick zu gewinnen in einen Knastalltag, so daß dieser eigentlich nicht öffentliche Ort ein gewisses Maß an Sichtbarkeit gewinnt. Könntet Ihr euch vorstellen, auch im Knast zu spielen?

Beide: Ja.

TB: Da haben wir gerade letztens erst drüber geredet. Irgend jemand meinte, ihr könntet doch mal im Gefängnis spielen.

SB: Und könntet ihr euch vorstellen, dieses Stück im Gefängnis zu spielen?

ID: Absolut.

TB: Es ist natürlich schwieriger, so ein Stück im Gefängnis zu spielen, weil die Frage da noch eher ist, wie wird ein Stück aufgenommen, das auch im Gefängnis spielt. Es gibt ja nicht 1:1 den Gefängnisalltag wieder, weil es nicht um die Gefängnisproblematik geht, sondern um die Schauspielerei. Aber von dem Thema Schauspiel her, denke ich, würde das schon funktionieren in einem Gefängnis.

ID: Ich würde es dem Stück und auch uns zutrauen, das im Gefängnis zu spielen.

SB: Gibt es solche Möglichkeiten in Kiel?

ID: Das weiß ich, ehrlich gesagt, nicht. Ich weiß nur, daß es nicht einfach ist, weil man Anträge stellen und über viele, viele Ämter gehen muß. Aber ich bin auf jeden Fall bereit, mich da mal schlau zu machen.

SB: Gepetto macht im Zuge dieses Stückes eine Entwicklung durch und findet zu sich selbst. Nun gibst du ja auch Schauspielunterricht, wenn ich richtig informiert bin, für Kinder. Was bedeutet das für dich in diesem Zusammenhang?

ID: Für das Stück bedeutet es nicht viel. Natürlich, als ich das Stück gelesen habe, habe ich mich erstmal in der Rolle des Roberts gesehen, weil ich auch Schauspielunterricht gebe, aber ich konnte mich in die Rolle des Gepetto genausogut einfühlen, weil ich ja selber in der Schauspielschule war. Deswegen fand ich beide sehr interessant. Bei dem Gepetto war für mich spannend, jemanden zu zeigen, dem man eigentlich gar nichts zutrauen würde und er sich selber auch nicht. Vielleicht habe ich ein paar Parallelen zu mir selber gesehen, als ich damals angefangen habe. Ich mußte da einen Weg gehen, um die Schauspielschule zu bestehen, um dann weiter zu machen. Das hat mich fasziniert an der Rolle des Gepetto.

SB: Kann Schauspielunterricht Kindern helfen, Selbstbewußtsein zu entwickeln?

ID: Absolut, natürlich. Mir hat es sehr geholfen, mich zu finden. Ich war damals 19, als ich auf die Schauspielschule kam. Man kann das gut mit Kindern machen, auf jeden Fall, und auch mit Jugendlichen. Die schauspielerische Arbeit mit pädagogischen Hintergrund kann jedem helfen. Natürlich sind da Grenzen gesetzt. Das wird, glaube ich, auch gezeigt in dem Stück. Das eine ist der pädagogische Teil und ein anderer der Teil, der die Bühne betrifft. Da unterscheide ich schon ein bißchen.

Die Schauspieler mit der SB-Redakteurin am Tisch im Probenraum - Foto: © 2014 by Schattenblick

Thomas Bosch und Ivan Dentler im Gespräch mit dem Schattenblick
Foto: © 2014 by Schattenblick

TB: Man muß für diesen Beruf nicht nur den Wunsch haben, Schauspieler werden zu wollen, sondern man muß auch diese Leidenschaft haben, um zu bestehen. Es passiert so oft, daß man von der Schauspielschule runtergeht und nichts hat. Man sitzt da einfach und wartet und wartet. Ich kenne viele, die nie was bekommen haben und sich dann umorientieren mußten. Dafür muß man diese Leidenschaft haben zu sagen: Ich will das aber machen, unbedingt, egal wie. Auch wenn man fest irgendwo ist, man wird nicht reich dadurch, es sei denn, in Hollywood oder als großer Star im Fernsehen. Es ist kein Beruf, um reich zu werden, dazu gibt es zu viele von uns, die Konkurrenz ist sehr groß.

SB: Wir bedanken uns für das Gespräch.


Fußnote:

Bericht über die Theaterpremiere unter:
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BERICHT/052: ACTING - Omega, Alpha, Obsession (SB)

12. Juni 2014