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INTERVIEW/027: Fluchtwelten - Figuren erzählen ...    Petra Paschinger im Gespräch (SB)


"Kruso" von Lutz Seiler in Gera
Christiane Baumann im Gespräch mit Dramaturgin Petra Paschinger über die Adaption des Romans "Kruso"

von Christiane Baumann, November 2015


Wie viel "Kruso" braucht das Land?

Wenn ein Autor den Deutschen Buchpreis erhält, dann bedeutet das in der Regel eine sprunghaft steigende Nachfrage. Lutz Seilers Roman "Kruso" bestätigt dies nicht nur, er erlebt vielmehr ein Jahr nach der Preisverleihung auf ostdeutschen Bühnen geradezu einen Boom. Nach Magdeburg bringt nun Lutz Seilers Heimatstadt Gera an diesem Freitag (6. November 2015) eine Bühnenfassung des Romans, die von Petra Paschinger bearbeitet wurde. Die gebürtige Österreicherin, die Germanistik und Theaterwissenschaften in Wien studiert hat, war als Dramaturgin an verschiedenen deutschen Bühnen tätig, darunter am Mainfranken Theater Würzburg. Bis zum Sommer wirkte sie in Frankfurt/Oder als künstlerische Leiterin des Kleist Forums. Christiane Baumann hat sie zur ihrer "Kruso"-Adaption befragt.


Foto: © 2015 by Christoph Beer

Caro Thum und Petra Paschinger (rechts) am Regiepult im Theatersaal der Bühnen der Stadt Gera, bei den Proben zu "Kruso"
Foto: © 2015 by Christoph Beer

Schattenblick (SB): Lutz Seilers Roman "Kruso" hat in Magdeburg im September eine bejubelte Premiere erlebt. Nun kommt er in Gera und damit in der Heimatstadt des Autors auf die Bühne. Wie viel Kruso vertragen unsere Theater noch oder anders gefragt: warum einen so komplexen Roman adaptieren, wo es doch ausreichend Stücke auf dem Markt gibt?

Petra Paschinger (PP): Es sind die Theater, die die Entscheidungen über den Spielplan treffen. Mich hat das TPT, das Theater Gera-Altenburg, mit der Bearbeitung von "Kruso" beauftragt. Die Dramatisierung habe ich dann in enger Zusammenarbeit mit der Regisseurin Caro Thum realisiert.

Mich persönlich hat an "Kruso" die Geschichte interessiert, die in ihrer Spezifik so noch in keinem genuinen Theaterstück behandelt wurde.

Romanadaptionen für die Bühne mag ich ganz grundsätzlich, weil sie häufiger als Dramen auch die Situation des Erzählens mitthematisieren und somit einerseits Identifikation erlauben, diese aber auch brechen. Persönlich sehe ich das auch als Theaterzuschauer gern.

SB: Was hat Sie beim Lesen des Romans für die Bühnenbearbeitung besonders inspiriert: die Robinsonade, der Wende-Roman, "Utopia in Seepferdchenform" oder der "Roman der Wahrheitssuche", wie ihn die Literaturkritik bezeichnet hat?

PP: Der Regisseurin Caro Thum und mir ging es von Anfang an darum, die Geschichte von Ed und Kruso zu erzählen. Sie bildet den Haupterzählstrang des Romans, dem wir auch auf der Bühne folgen. Alles Weitere ergibt sich aus dieser Geschichte, die natürlich vor einem gesellschaftlichen Hintergrund und in einem sozialen Umfeld spielt.

SB: Das Besonders am Roman "Kruso" ist das dichte Beziehungsgeflecht, das er aus Vergangenheit und Gegenwart entstehen lässt, ist das Spiel mit Identitäten, mit Raum und Zeit. Wie sind Sie vorgegangen, um diese Spezifik des Romans in eine bühnenfähige Struktur und Sprache zu übersetzen?

PP: Unsere Bearbeitung besteht nur aus Originaltexten aus dem Roman, abgesehen von Trakls Sonja-Gedichten. Insofern ging es vor allem darum, die wesentlichen Szenen und Dialoge aus dem Roman herauszudestillieren. Indirekte Reden mussten dabei zum Teil in direkte umgewandelt werden, manche Szenen zusammengefasst und, da wir nur mit einer begrenzten Anzahl an Schauspielern operieren, die Texte von Figuren, die in die Bühnenfassung keinen Eingang gefunden haben, anders verteilt werden. Wir behalten aber die grundsätzliche Abfolge der Szenen, wie sie im Roman erscheint, bei und haben weder Szenen noch Texte dazu erfunden.

SB: In der Magdeburger Inszenierung spielen von den literarischen Bezügen des Romans, die ja von Defoe über Hauptmann bis Plenzdorf reichen, vor allem Arthur Rimbaud und Georg Trakl eine herausgehobene Rolle. Auf welche literarischen "Fürsprecher" beziehen Sie sich?

PP: Wir folgen ganz Lutz Seiler, von dessen lyrischer Sprachgewalt der Roman lebt und aus der erst die gesamte Atmosphäre des Textes entsteht. Wo er in den ausgewählten Passagen andere Autoren zitiert, passiert das dann auch auf der Bühne. Außerdem haben wir noch die Sonja-Gedichte von Georg Trakl eingefügt, die im Roman erwähnt werden. Heißt es dort, dass Ed Trakl zitiert, muss er das auf der Bühne dann auch tun.

SB: Der Epilog des Romans, der in die bundesrepublikanische Wirklichkeit überleitet, ist umstritten. Die Magdeburger Inszenierung verzichtet auf ihn ganz. Welchen Stellenwert hat der Epilog aus Ihrer Sicht, greifen Sie ihn auf?

PP: Tatsächlich haben wir sehr lange über den Umgang mit dem Epilog nachgedacht. Er ist wichtig, um die Geschichte in die Gegenwart zu führen und die Realität hinter der Fiktion klar zu machen. Andererseits ist er wiederum ein doppelter Schluss, der dem eigentlichen Ende der Geschichte angehängt ist und einen groben Bruch zu der Erzählhaltung alles Vorangegangenen bedeutet. Das ist für einen Theaterabend eine große Herausforderung. Wir haben uns dafür entschieden, ihn auf der Bühne zu zeigen. Da wir die Perspektive des Romans, der ja als eine Erinnerung Eds erzählt wird, beibehalten, bildet der Epilog den logischen Rahmen zu dieser Erzählung.

SB: Lutz Seiler stammt aus dem Thüringischen, seine Sprache hat hier ihre Wurzeln. Spielt das in Ihrer Adaption, in der sprachlichen Übersetzung eine Rolle?

PP: In der Bühnenfassung werden nur Originalzitate aus dem Roman verwendet. Es ist also 1:1 Lutz Seilers Sprache.


Foto: © 2015 by Stephan Walzl

Kruso, Szenenfoto
Foto: © 2015 by Stephan Walzl

SB: Nach den Theatern in Magdeburg und Gera wird Potsdam im Januar eine Bühnenfassung zeigen. Auch Greifswald hat eine Adaption angekündigt. Auffallend ist, dass es durchweg ostdeutsche Theater sind, die sich des Romans annehmen. Zufall oder gibt es aus Ihrer Sicht hierfür Gründe?

PP: Viele Menschen, die im Osten Deutschlands leben, erinnern sich noch gut an die Zeit und kennen vielleicht sogar Hiddensee noch von damals, haben ihre eigene Deutung auf das Geschehen von damals und damit vielleicht eine dezidiertere Meinung zu Lutz Seilers Roman als vielleicht Menschen, die zum ersten Mal mit dieser Geschichte konfrontiert werden. Das macht es natürlich für ostdeutsche Theater besonders interessant, über den Roman in einen Diskurs mit den Besuchern einzutreten. Dennoch denke ich, dass das Thema des Romans nicht spezifisch ostdeutsch ist, sondern auch für westdeutsche Theater Relevanz besitzt.

SB: Warum sollten sich Kruso-Leser, die sich mit dem Roman vielleicht schwer getan haben, Ihre Bühnenfassung ansehen?

PP: Vielen Menschen fehlt heute ja vor allem die Zeit, Romane zu lesen. Die Bühnenfassung ist da natürlich viel kürzer. Die Geschichte ist dadurch quasi verdichtet, konzentriert. Und natürlich macht die Umsetzung auf der Bühne die Geschichte auch sinnlich erfahrbar.


"Kruso". Nach dem gleichnamigen Roman von Lutz Seiler.
Für die Bühne bearbeitet von Petra Paschinger.
Regie: Caro Thum.
Uraufführung. TPT Gera, 6.11.2015, 19.30 Uhr.
Die nächsten Aufführungen am 8.11.2015 (14.30 Uhr) und am 15.11.2015 (18.00 Uhr).

Hinweis:
Ein Interview mit Dramaturgin Dagmar Borrmann zur Magdeburger Aufführung von "Kruso" ist im Schattenblick zu finden unter:
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FRAGEN/006: Zeitgeister am Fenster ... (Christiane Baumann)
http://www.schattenblick.de/infopool/theater/fakten/tefr0006.html

5. November 2015


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