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INTERVIEW/008: Tierrechte human - das eine, was man will ... Eva Bulling-Schröter im Gespräch (SB)


Interview mit Eva Bulling-Schröter, Bundestagsabgeordnete für die Linkspartei, am 8. November 2013 im Magda-Thürey-Zentrum, Hamburg



Wenn in der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung die Verwertung von Tieren zu Nahrungs-, Forschungs- oder Unterhaltungszwecken auf die vorherrschende Wirtschaftsform des Kapitalismus zurückgeführt wird, um darüber einen Gegenstandpunkt zu entwickeln, läßt sich möglicherweise ein Bündnis mit antikapitalistischen Positionen innerhalb des politischen Parteienspektrums schließen. Doch dazu ist es bisher nicht gekommen.

"Die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung verfügt über kein politisches Theoriekonzept, keine Gesellschaftsanalyse und ist sich über den gemeinsamen Nenner mit anderen linken Bewegungen nicht im Klaren. Ihre Kritik an der Massenproduktion der Ware Tier bleibt bürgerlich und moralisch und wahrt Distanz zu antikapitalistischen Ansätzen - auch der 'autonome Antispeziesismus' ist dazu keine Alternative", schreibt die Tierbefreiungsorganisation Assoziation Dämmerung in der Ankündigung für eine Podiumsdiskussion, die am 8. November 2013 unter dem Titel "One Struggle - One Fight!? Die Tierbefreiungsbewegung und die antikapitalistische Linke" im Magda-Thürey-Zentrum (MTZ), Hamburg-Eimsbüttel, veranstaltet wurde. [1]

Auf dem Podium saßen Christian Stache von der Assoziation Dämmerung, David von der Düsseldorfer Gruppe Hilarius, Moderator Michael Sommer, Hans-Peter Brenner, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), und Eva Bulling-Schröter, ehemals umweltpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag und drei Legislaturperioden lang in ihrer Partei Verantwortliche für Tierschutz.

Während der Podiumsdiskussion - Foto: © 2013 by Schattenblick

Eva Bulling-Schröter
Foto: © 2013 by Schattenblick

Die Vegetarierin und gelernte Schlosserin, die in der laufenden Legislaturperiode zu den einzigen beiden Abgeordneten mit Arbeiterhintergrund gehört, betonte während der Podiumsdiskussion, daß eine gesellschaftliche Veränderung "über den Kopf" gehen muß; den Fleischverzehr dürfe man nicht verbieten, sondern man müsse die Menschen mit Argumenten überzeugen. So hörten in ihrem Kreisverband der Linken in Ingolstadt immer mehr Menschen auf, Fleisch zu essen.

Niemand auf der Welt müsse hungern. Es gebe nicht zu wenig Nahrungsmittel, Hunger sei vielmehr eine Frage der Verteilung. Es sollten keine Futtermittel in die Industrieländer fließen, und man müsse über das Wegwerfen von Lebensmitteln reden, lauteten einige von Bulling-Schröters Stellungnahmen.

Im Parteiprogramm der Linken sei klar gesagt, daß die soziale und die ökologische Frage nur gemeinsam gelöst werden könnten. Man habe in der Fraktion lange darüber diskutiert, ob man den christlichen Begriff "Mitgeschöpfe" übernehmen solle und sich schließlich dafür entschieden, weil, so der Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi, die Leute das verstehen. Bulling-Schröter sprach sich gegen die Börsenspekulation mit Nahrungs- und Futtermitteln, gegen Agrarfabriken und für den freiwilligen Fleischverzicht aus. Im Anschluß an die Podiumsdiskussion stellte sie sich dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.


Schattenblick (SB): Auf der heutigen Veranstaltung wurde über einen Brückenschlag zwischen der antikapitalistischen Linken und der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung diskutiert. Glauben Sie, daß an diesem Abend ein Beitrag dazu geleistet wurde?

Eva Bulling-Schröter (EBS): Ja, ich denke, auf alle Fälle sind die Positionen klar dargestellt worden. Wir müssen natürlich in diese Gesellschaft hinein die Diskussion führen über Agrarfabriken und über die Frage der Futtermittel, die in die Industrieländer verkauft werden und für deren Produktion Wald abgeholzt wird, und wir müssen weg von dem hohen Fleischverbrauch. Es geht also darum, deutlich zu machen, daß wir auf Kosten anderer Länder leben und dadurch auch Menschen verhungern, und gleichzeitig muß aufgezeigt werden, daß große Konzerne auf Kosten von Mensch und Tier riesige Profite erwirtschaften. Darüber hinaus wären Gesundheitsaspekte zu nennen und der hohe CO2-Ausstoß, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen.

SB: Bei der Schlußdiskussion wurde ein bestimmter Unmut seitens des Publikums zum Ausdruck gebracht, der den Eindruck hinterließ, der Tierrechtsbewegung geht es nicht allein um Gesundheit und auch nicht nur um sozial verträgliche Arbeitsplätze, sondern um eine Ethik: Es ist nicht gut, Tiere zu töten. Wie steht Ihre Partei, die Linke, zu diesem Anliegen?

EBS: Ich kann sicher nicht für die Linke im allgemeinen sprechen, sondern will als Abgeordnete antworten, und da muß ich sagen: Wie Tiere zur Zeit getötet werden, ist furchtbar. Die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten müssen verbessert werden und ich halte eine Reduzierung der Schlachttiere für dringend notwendig. Das wäre schon mal ein großer Schritt.

SB: Als Zuschauer von Podiumsdiskussionen gewinnt man manchmal den Eindruck, daß die Beteiligten lediglich ihre Standpunkte abgeben und dann wieder auseinandergehen, ohne daß daraus eine Veränderung erfolgt. Haben Sie etwas, von dem Sie sagen würden, daß Sie das auf jeden Fall mit nach Hause nehmen?

EBS: Noch mehr mit den Beteiligten zu reden, das war mir an der Diskussion ganz wichtig. Die Beschäftigten der NGG [2], Tierschützer, Dritte-Welt-Gruppen, christliche Gruppen und Parteien bilden eine, ich sage mal, Allianz der Willigen, die hier wirklich etwas verbessern will.

SB: Sie sprachen heute den Tierschutz an, der in Deutschland durch das Grundgesetz gesichert ist. Sind Sie zufrieden damit?

EBS: Nein, überhaupt nicht. Die Linke hat eine ganze Reihe von Anträgen eingebracht, um das Tierschutzgesetz zu verändern. Ich sprach über Artikel 20a im Grundgesetz [3]; den reinzubringen war wichtig, aber der muß jetzt endlich einmal mit Leben erfüllt werden.

SB: Im Parteiprogramm der Linken für den Bundestagswahlkampf 2013 wird die Forderung erhoben, ein Verbandsklagerecht einzuführen, das auch für den Tierschutz gilt. Ist das ein neuer Vorschlag?

EBS: Es gibt diese Forderung schon sehr lang in unseren Wahlprogrammen. Wir kooperieren ja auch mit Tierschutz- und Umweltverbänden, die uns immer wieder ermuntert haben, das Verbandsklagerecht zu fordern. Das halte ich für richtig und wichtig. Die Linke setzt sich aber auch insgesamt für mehr Bürgerbeteiligung, in allen seinen Formen, ein. Das gehört für mich auch dazu.

SB: Sie haben heute abend eine Stellungnahme gegen Tierfabriken abgegeben. In den letzten Jahren sind in Deutschland zwei Trends zu beobachten: Zum einen gibt es immer größere Tierfabriken - Wietze und Wietzen [4] sind zwei Beispiele - und es gibt eine Bewegung dagegen. Bisher konnte man nicht den Eindruck gewinnen, daß sich die Linke besonders auf dieses Thema eingelassen hätte.

EBS: Viele örtliche Gruppen unserer Partei unterstützen die Bewegung. Demgegenüber haben wir natürlich auch in den neuen Bundesländern frühere LPGs, die große Tierbestände aufweisen. Die Diskussion dreht sich darum, was tiergerecht ist. Ich habe selbst in kleineren Betrieben schon eine sehr schlechte Tierhaltung erlebt. Oder es gibt zum Beispiel auch in ökologischen Tierhaltungen bei Hühnern Verbände von bis zu 3000 Tieren. Ökologisch heißt nicht automatisch tiergerecht. Da ist eindeutig der Gesetzgeber gefragt, und da braucht es noch viel mehr Druck.

SB: Im Jahr 2010 hat die Linke in Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen wie Attac in Hamburg eine mehrtägige Energiekonferenz abgehalten. Dort herrschte eine Stimmung vor, als wollte Ihre Partei den Grünen in Umweltfragen den Rang ablaufen. Seitdem hat sich in dieser Frage nicht viel getan. Müssen Sie in Ihrer Partei bei Umweltfragen noch reichlich dicke Bretter bohren?

EBS: Also, ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, daß sich da nichts getan hat ...

SB: Nicht viel.

EBS: Da müßten Sie mal definieren, was "nicht viel" heißt. Wir haben ein Konzept erstellt, wie die Energiewende sozial werden kann. In Hamburg hat sich die LINKE am Volksentscheid "Unser Netz" beteiligt, und das war erfolgreich. Und wir wollen die vier großen Energiekonzerne [5] zurückdrängen sowie die Privilegierung für die sogenannten energieintensiven Unternehmen weitestgehend zurücknehmen, weil das die Privatkunden und der Mittelstand bezahlen.

Eva Bulling-Schröter beim Interview - Foto: © 2013 by Schattenblick

Gefordert ist eine breite 'Allianz der Willigen' für die Tiere
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Jüngeren Medienberichten zufolge zieht sich Vattenfall womöglich aus der Lausitz und RWE in Nordrhein-Westfalen aus dem Tagebau Garzweiler II zurück. Trotzdem wird in Brandenburg, in der Ihre Partei mitregiert, weiterhin an dem Plan festgehalten, den Braunkohletagebau Welzow-Süd II zur Abbaggerung freizugeben. Könnte man jetzt nicht sagen, die "Brücke" Braunkohle [6] soll verkürzt werden, so daß der Energieträger nicht noch die nächsten 40 Jahre oder länger abgebaggert wird?

EBS: Die Linke hat im Bundestagswahlprogramm ein Kohleausstiegsgesetz gefordert und dazu einen Antrag in den Bundestag eingebracht. Wir werden in der neuen Legislaturperiode dies weiterbetreiben, da gibt es keinen Dissens in der Fraktion. Das ist auch unbedingt notwendig, um die CO2-Schleudern vom Netz zu bringen. Dazu stehe ich. Wir wollen analog eines Atomausstiegsgesetzes die Kohlekraftwerke abschalten und keine neuen Flöze aufbrechen lassen. Das halte ich für den richtigen Weg.

SB: Die Europäische Union hat vor kurzem mit Kanada ein Freihandelsabkommen geschlossen, das als Blaupause für eine entsprechende Vereinbarung mit den USA, über die zur Zeit verhandelt wird, dient. Davon werden neben sozialen auch ökologische Fragen betroffen sein. Wie steht Ihre Partei zu diesem Freihandelsabkommen?

EBS: Wir stehen ihm sehr ablehnend gegenüber. Denn durch die Hintertür könnten Lebensmittel, die aus genmanipulierten Pflanzen erzeugt wurden, in die EU eingeführt werden. Zudem wird Tierschutz womöglich nicht mehr so berücksichtigt werden, und viele ökologische Errungenschaften, die wir uns erkämpft haben, werden preisgegeben. Das sind einige der Gründe, warum man das ablehnen muß.

SB: In der Ankündigung für diese Veranstaltung wird die Frage aufgeworfen, ob das Klischee zutrifft, "daß Tierrechts- und TierbefreiungsaktivistInnen mehrheitlich sentimentale, kleinbürgerliche Exoten sind, die kein Klassenbewusstsein entwickeln können". Halten Sie den Begriff "Klassenbewußtsein" noch für relevant, um heutige gesellschaftliche Widersprüche zu analysieren?

EBS: Das ist eine schwierige Frage. Wichtig ist doch zu erkennen, daß es eine Kapitaldominanz gibt, auch im Lebensmittelbereich, und daß davon das Leben vieler Menschen beeinflußt wird. Diese Kapitaldominanz zu überwinden, muß Ziel sein. Da kann man "Kapitaldominanz", "Klassenkampf" oder einen anderen Begriff nehmen, wichtig ist doch wohl, daß wir daran arbeiten.

SB: Frau Bulling-Schröter, herzlichen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] Einen Bericht zu der Podiumsdiskussion finden Sie unter: TIERE → REPORT → BERICHT:
BERICHT/005: Tierrechte human - Abgründe ... (SB)

[2] NGG - Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten

[3] Der Art. 20a GG lautet: "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung."
http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_20a.html

[4] In Wietze bei Celle hat die Firma Rothkötter Europas größte Hühnerschlachtfabrik errichtet. Näheres dazu im Schattenblick unter:
http://schattenblick.com/infopool/tiere/report/trbe0002.html

In Wietzen, Landkreis Nienburg, soll die Schlachtkapazität eines Geflügelschlacht- und Verarbeitungsbetriebs erhöht werden.

[5] Die vier großen Energiekonzerne sind E.ON, Vattenfall Europe, RWE und EnBW. Eine Reihe von Berichten und Interviews des Schattenblick zu diese "Viererbande", wie es auf der Energiekonferenz hieß, und zu der Veranstaltung der Linken unter anderem hier:
http://schattenblick.com/infopool/politik/report/prber033.html
und hier:
http://schattenblick.com/infopool/politik/report/prin0048.html

[6] Die Kohleverstromung wird als "Brückentechnologie" auf dem Weg der Bundesrepublik Deutschland in eine CO2-emissionsarme Zukunft bezeichnet. Durch den Aufschluß neuer Tagebauen, wie es unter anderem in der Lausitz geplant ist, würde das Ende der "Brücke" sehr weit in die Zukunft verlegt.

15. November 2013