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INTERVIEW/018: Feiern, streiten und vegan - Transporte brechen ...    Joshua Naukamp im Gespräch (SB)


Eine Schwachstelle der Tierversuchsindustrie im Visier

Interview auf dem Veganen Straßenfest in Hamburg am 13. September 2014



Stop Vivisection ist eine Tierrechtskampagne im deutschsprachigen Raum, die sich für ein Ende der Tierversuchstransporte von Air France-KLM einsetzt. Diese Plattform vereint die Zusammenarbeit von mehr als dreißig Organisationen, Vereinen und Gruppen. Mit ihrem aktiven Widerstand gegen Tierversuche sieht sie sich als Teil des internationalen Netzwerks Gateway to Hell, das quer über den Globus verteilt präsent ist. Durch eine breite Vielfalt an Aktionsformen übt sie öffentlichen Druck auf die Profiteure aus, die an dem Leid der Tiere mitverdienen.

Die Kampagne zielt auf eine Schwachstelle der Tierversuchsindustrie ab, da Fluggesellschaften wie Air France-KLM das Bindeglied zwischen Wildtieren und Zuchtfarmen auf der einen und Versuchslaboren auf der anderen Seite sind. Primaten können nicht oder nur sehr eingeschränkt vor Ort gezüchtet werden. Andere Tiere, wie die in rasant steigender Zahl genmanipulierten Mäuse und Ratten sind oftmals nur bei den Unternehmen verfügbar, die über ein Patent auf ihre Züchtung verfügen. Da diese Zuchtbetriebe weltweit verteilt sind, ist der Transport auf dem Luftweg unausweichlich. Die Zahl der beteiligten Flugunternehmen lichtet sich aus Imagegründen von Jahr zu Jahr. Sollte es durch andauernden Druck internationaler Tierrechtskampagnen gelingen, diese Brücke der Fluggesellschaften ganz zu kappen, könnten die Labore keine Tiere mehr beziehen. [1]

Auf dem Veganen Straßenfest im Hamburger Stadtteil St. Georg war die Kampagne Stop Vivisection mit einem Infostand präsent. Im Gespräch mit dem Schattenblick beantwortete der Aktivist Joshua Naukamp einige Fragen zum Protest gegen Tierversuchsflüge, zu Tierversuchen im allgemeinen und zur Struktur und Zielsetzung der Kampagne.

'Air France fliegt Tiere in den Tod' - Grafik: © LSCV

Banner der Schweizer Liga gegen Vivisektion (LSCV)
Grafik: © LSCV

Schattenblick: Am 6. September fand in Frankfurt am Main eine Demonstration gegen die Tierflüge der Air France-KLM statt, an der nach offiziellen Angaben 550 Menschen teilnahmen. Könntest du berichten, was der Zweck dieses Protests war und wogegen er sich im einzelnen richtete?

Joshua Naukamp: Die Demonstration richtete sich gegen Air France-KLM sowie gegen Tierversuche im allgemeinen. Air France ist die letzte Passagierfluggesellschaft, die derzeit noch Primaten in Labore transportiert. Die Tiere kommen aus Mauritius und China, aber auch anderen Ländern wie Kambodscha oder Vietnam, in die Versuchsanstalten der westlichen Länder. Die Demonstration richtete sich auch gegen ATSG [2], eine Frachtfluggesellschaft mit Sitz in den USA, die ein enger Partner der DHL [3] ist. Es handelt sich also um die Verbindung zweier Kampagnen und den grundsätzlichen Protest gegen Versuche mit Tieren.

SB: Wie geht der Transport dieser Tiere vor sich?

JN: Bei Air France werden die Tiere im Frachtraum der Passagiermaschinen transportiert. Oben im Flugzeug sitzen die Reisenden und ein, zwei Stockwerke tiefer befinden sich die Tiere meistens in sehr engen Holzkisten. Sie leiden unter Angst, Stress, Hunger und Durst, so daß viele Tiere schon während des Fluges oder in der anschließenden Quarantäne sterben, spätestens aber dann im Versuchslabor.

SB: In mehreren deutschen Städten, darunter auch Tübingen, werden noch immer Versuche mit Affen durchgeführt. Kürzlich berichtete eine Dokumentation von Stern TV über eine Einrichtung der Max-Planck-Gesellschaft in Tübingen, in der ein Tierschützer under cover gearbeitet und Informationen an die Öffentlichkeit gebracht hat. Ist dir bekannt, wie mit den Affen in diesen Laboren verfahren wird?

JN: Ich habe noch nicht persönlich mit den Tierschützern gesprochen, die diese Recherche durchgeführt haben. Mir ist jedoch bekannt, daß Versuche am Gehirn der Tiere durchgeführt werden, denen man Elektroden einsetzt und die man für visuelle Tests über ein Schraubgestänge fixiert. Sie leiden unfaßbaren Durst, weil sie zuvor bis zu fünf Tage kein Wasser bekommen haben, worauf sie bei Erledigung bestimmter Aufgaben einen kleinen Schluck Apfelsaft erhalten. In den Bildaufzeichnungen der Recherche war zu sehen, daß die durstigen Tiere in ihren Käfigen an den Stangen geleckt haben, um einige Tropfen Kondenswasser aufzunehmen.

SB: Die Max-Planck-Gesellschaft hatte zuvor auf ihrer Website eine Darstellung an die Öffentlichkeit gebracht, die auf den ersten Blick transparent und aufklärend wirkte. Es wurden sogar Szenen aus den Versuchen selbst gezeigt. Wie die Recherche nun offengelegt hat, wurden dabei wesentliche Probleme ausgeblendet. Offenbar ist dieses Institut bemüht, Informationspolitik in seinem Sinn zu betreiben, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen.

JN: Das ist richtig. Sie versuchen, Transparenz vorzuhalten. Ich persönlich halte diese Bilder für geschönt. Dazu können aber vor allem die Aktivistinnen und Aktivisten von SOKO Tierschutz etwas sagen, die diese Recherche durchgeführt haben.

SB: Wie stehst du zu dem Argument der Befürworter von Tierversuchen, daß diese beispielsweise für die Grundlagenforschung unverzichtbar seien?

JN: Tierversuche sind meines Erachtens grundsätzlich abzulehnen. Wir brauchen eine moderne Wissenschaft, die die verfügbaren Alternativen benutzt und ausbaut. Wir haben bereits so viele derartige Möglichkeiten, und weitere sind im Kommen. Je mehr Gelder und Subventionen in eine alternative Forschung gesteckt werden, um so schneller und weitreichender schreitet diese voran: Stammzellen, Biochips, Bevölkerungsstudien, um nur einige Stichpunkte aus einer ganzen Palette von Möglichkeiten zu nennen. Man arbeitet derzeit daran, bis 2017 zehn Organe zusammenzulegen und damit Teile des Körpers zu simulieren, so daß der Bedarf an lebenden Tieren schrumpft. Wir sind schon jetzt so weit, daß keine Tierversuche mehr erforderlich sind, wie sie heute durchgeführt werden.

SB: Im Jahr 2006 hat die EU eine Befragung in 25 europäischen Ländern durchgeführt, an der rund 43.000 Menschen teilnahmen. Dabei zeigte sich, daß sich etwa 90 Prozent der Befragten gegen Tierversuche mit Primaten und zumindest eine deutliche Mehrheit auch gegen Versuche mit sogenannten niederen Tiere aussprachen. Das scheint darauf hinzudeuten, daß in der Bevölkerung sehr viele Menschen Tierversuche ablehnen und sich für Tierschutz interessieren. Würdest du diese Einschätzung teilen?

JN: Ich sehe das genauso. Die Statistiken legen nahe, daß immer mehr Menschen Tierversuche ablehnen. Durch Recherchen wie jene der SOKO Tierschutz oder der BUAV [4] werden dramatische Bilder gezeigt, die die Tierversuchsindustrie vor der Öffentlichkeit verbergen möchte.

SB: Gegen Primatenversuche sind demnach viele Menschen zu mobilisieren. Geht man aber die sogenannte Hierarchie der Tiere hinunter, werden es doch immer weniger. Wie geht ihr mit dieser Situation um und welche Probleme bringt sie möglicherweise für die Bündnisfähigkeit innerhalb der Tierschutzbewegung mit sich?

JN: Das ist eine gute Frage. Es ist tatsächlich kompliziert. Unsere Kampagne Stop Vivisection hat das Ziel, sämtliche Tierversuche abzuschaffen. Dennoch arbeiten wir auch strategisch und legen unseren Fokus derzeit auf Primaten, wobei wir versuchen, Air France, die Tiere verschiedener Art transportiert, zur Einstellung dieses Geschäfts zu bewegen. Wir arbeiten eng mit den Ärzten gegen Tierversuche zusammen, die ebenfalls gegen jegliche derartigen Versuche sind und dabei Mäuse und Ratten in ihren Fokus rücken, weil diese prozentual gesehen am allerhäufigsten in Tierversuchen benutzt und vernutzt werden. So gesehen habe ich die Erfahrung noch nicht gemacht, daß es in Bündnissen verschiedener Gruppen von Tierschützern zu Konflikten um die Konsequenz der erhobenen Forderungen kommt, weil manche Menschen bestimmte Tierversuche doch gutheißen.

SB: Du hast eure Tierrechtsarbeit angesprochen. Ihr habt hier auf dem Veganen Straßenfest einen Infostand. Mit welchen Formen und Zielsetzungen der Information und des Protests tretet ihr in der Öffentlichkeit in Erscheinung?

JN: Stop Vivisection ist ein Kampagnennetzwerk in Deutschland, Österreich und der Schweiz, das sich gegen die Tierversuchstransporte von Air France-KLM richtet und neuerdings die Kampagne gegen DHL und ATSG einschließt. Wir haben mehr als 30 Gruppen im deutschsprachigen Raum, die beispielsweise an den Flughäfen aktiv sind und dort gegen diese Fluggesellschaften demonstrieren. Stop Vivisection sieht sich als eine Strategie und Plattform, die unter anderem bestimmtes Material wie Poster und Flyer bereitstellt wie auch Demonstrationen vorbereitet, so daß es für die Aktivistinnen und Aktivisten einfacher ist, selber etwas zu organisieren. Wir geben Hilfestellung, um diesen Prozeß zu multiplizieren. Und ich denke, das ist uns mit den über 30 Gruppen bislang ganz gut gelungen.

SB: Joshua, vielen Dank für dieses Gespräch.

'Kampagne gegen Tierversuchstransporte' - Grafik: © Stop Vivisection-Kampagne

Banner der Stop Vivisection-Kampagne
Grafik: © Stop Vivisection-Kampagne


Fußnoten:


[1] http://www.stopvivisection.net/

[2] Die Air Transport Services Group (ATSG) ist das letzte Unternehmen weltweit, welches Affen von China aus in US-Tierversuchslabore transportiert.

[3] Das weltweit umsatzstärkste Logistikunternehmen DHL mit Sitz in Bonn ist der größte Kunde von ATSG.

[4] Britische Union zur Abschaffung von Tierversuchen (BUAV)


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