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INTERVIEW/026: Feiern, streiten und vegan - Tier- und Menschenrecht nach vorn ...    Aktivist Dennis im Gespräch (SB)


Tierausbeutung beenden - eine linke Perspektive

Interview auf dem Veganen Straßenfest in Hamburg am 13. September 2014



Dennis ist in der Gruppe Tierbefreiung Hamburg aktiv. Auf dem Veganen Straßenfest beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zum Selbstverständnis seiner Gruppe wie auch zur politischen Positionierung der Tierbefreiungsbewegung zwischen der sich zunehmender Beliebtheit erfreuenden Lebensweise des Veganismus und linker Herrschafts- und Kapitalismuskritik.

Transparent 'Tierbefreiung Hamburg ... weil Tiere keine Ware sind' - Foto: 2014 by Schattenblick

Foto: 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Dennis, könntest du einmal erklären, wofür die Tierbefreiung Hamburg kämpft und mit welchen Aktionsformen ihr dies tut?

Dennis: Unsere Gruppe gibt es seit 2006. Wir machen in Hamburg Tierrechtsarbeit im klassischen Graswurzelsinne, das heißt, wir organisieren uns im Rahmen von Kampagnen wie zum Beispiel die Offensive gegen die Pelzindustrie, die jahrelang Kampagnen gegen pelzverkaufende Modehäuser gemacht hat, oder die LPT-Schliessen-Kampagne gegen das Hamburger Tierversuchslabor LPT in Hamburg-Neugraben. Ansonsten nehmen wir als klassische Tierrechtsgruppe an Protestaktionen zu diversen Themen von Zirkus und Zoo über Fleisch und Mastbetriebe bis hin zur Jagd teil. Als Gruppe setzen wir unter anderem auch ganz bewußt auf die Taktiken des zivilen Ungehorsams, indem wir zum Beispiel Jagdstörungen mitorganisieren und mitmachen oder in Blockadeaktionen gegen Schlachthöfe involviert sind.

Neben all diesen Protestformen ist es uns ebenso wichtig, daß wir uns Handlungsspielräume freischaufeln, in denen wir unmittelbarer und direkter in ökonomische Prozesse eingreifen können, um sowohl symbolisch als auch materiell zum Beispiel einen Schlachtbetrieb lahmzulegen und dafür zu sorgen, daß zumindest für ein paar Stunden dort kein Tier mehr geschlachtet wird. Abgesehen davon führen wir im Rahmen unserer Aufklärungsarbeit regelmäßig Infoveranstaltungen durch. Demnächst steht eine Veranstaltung mit einem amerikanischen Aktivisten an, der gerade eine Tour durch Deutschland macht und über die Repression gegen die Tierrechtsbewegung in den USA sprechen wird.

Ein weiterer wichtiger Fixpunkt für uns als linke Gruppe ist, daß wir Kapitalismus als Gesellschafts- und ökonomische Form eng mit dem Thema Tierausbeutung verknüpfen. Deswegen machen wir Proteste, die sich unmittelbar an ökonomische Akteure adressieren, nehmen aber auch an strömungsübergreifenden linken Kampagnen wie Blockupy teil, wo wir seit zwei Jahren regelmäßig hinfahren. Dies haben wir zum Anlaß genommen, unsere Position zu verschriftlichen, um zum einen die Notwendigkeit von antikapitalistischer Politik in der Tierrechtsbewegung aufzuzeigen und zum anderen die Rolle der Ökonomie in der Tierausbeutung deutlicher hervorzuheben.

Das richtet sich an die Linke insgesamt, weil wir es nicht für vertretbar halten, auf der einen Seite über Kapitalismus und Ausbeutung sowie die Inwertsetzung von Natur zu sprechen, aber auf der anderen Seite die Tiere weder als Unterdrückte und Ausgebeutete noch als Opfer der gesellschaftlichen Struktur oder ebensowenig als Kapitalform mit auf die Agenda zu setzen. Wenn man sich überlegt, welche wirtschaftliche Macht beispielsweise die Fleisch- und Tierversuchsindustrie ausübt, oder wenn man sich vergegenwärtigt, welche Rolle, auch historisch gesehen, die Seßhaftwerdung für die Ausbildung von Agrarproduktion sowie Tierzucht und Tierhandel in der menschlischen Zivilisationsentwicklung gespielt hat, dann kann man nicht über Tiere schweigen. Dieser Denkansatz ist stark im Kommen. Die Aktivisten der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegungen mischen in den verschiedensten Strömungen mit, die einen mehr bei den Marxisten, die anderen mehr bei der Interventionistischen Linken.

Unsere Forderung an sie lautet: Ihr könnt die Tiere in eurer Analyse der gesellschaftlichen Probleme nicht weiter übergehen. Genausowenig darf man über Tiere schweigen, wenn man über ökologische Probleme spricht. Wenn man bedenkt, was für eine enorme Auswirkung die Agrarindustrie auf den Klimawandel hat, dann ist es nicht mehr hinnehmbar, als linke Umweltbewegung die Augen vor dem Thema Fleisch zu verschließen.

SB: Der Veganismus liegt im Trend, und sei es als Lifestyle-Veganismus. Viele Supermarktketten haben sich inzwischen auf die Konsumwünsche dieser Verbrauchergruppe eingestellt. Besteht nicht die Gefahr, daß das Thema Tierausbeutung irgendwann auf eine bloße Ernährungsfrage reduziert wird?

D: Wir sehen das sehr ambivalent. Auf der einen Seite wird natürlich niemand sagen, daß es schlecht sei, wenn immer mehr Leute vegan werden. Kritisch wird es jedoch, wenn dieser Prozeß der Popularisierung mit einer Kommerzialisierung des Themas einhergeht. Dann wird der genuin politische Anspruch des Veganismus unsichtbar gemacht und auf einen Lifestyle, schlimmstenfalls auf ein Gesundheitsthema, reduziert. Mir persönlich ist es völlig egal, wie gesund das ist oder ob ich damit jeden Morgen voller Vitalität aus dem Bett springe. Für mich ist Veganismus eine Verweigerungshaltung. Ich bin dagegen, Tiere als Lebensmittel zu betrachten und so zu behandeln.

Auf der anderen Seite kommen durch die Popularisierung eines veganen Lebensstils zwar mehr Leute in die Tierrechtsbewegung, aber proportional gesehen sind es unerheblich wenige, die sich zu diesem Schritt entschließen. Ein guter Genosse hat neulich zu mir gesagt: Die Leute, die das Thema kommerzialisieren, haben uns den Veganismus weggenommen. Das ist vielleicht ein bißchen salopp formuliert, aber es ist etwas Wahres dran. Daher versuchen wir, uns die Kernkompetenz in diesem Bereich wieder anzueignen, indem wir auf Veranstaltungen wie diese gehen und klarmachen: Es geht nicht um einen hippen Lifestyle, sondern um eine Kritik an der Tierausbeutung und eine Solidarität mit den tierischen Mitgeschöpfen. Das sollte der Grund sein, warum man vegan lebt.

SB: In Deutschland gibt es eine lange Tradition der Tierbefreiung, aber erst in den letzten Jahren ist es in Medien wie der Zeit oder anderen großen Zeitungen zu einem vieldiskutierten Thema geworden. In welche Richtung könnte sich das Thema entwickeln, wenn kritische Stimmen wie die euren nicht mehr wahrgenommen werden?

D: Die Ambivalenz bei der ganzen Geschichte ist, daß in den öffentlichen Debatten, auch wenn sich das nicht mit unserem primären Ansatz deckt, so doch zumindest tierethische Fragen eine enorme Rolle spielen. Heute werden Tiere als Opfer gesellschaftlich vermittelter Gewaltverhältnisse sichtbar und kommen in einer Art und Weise auf die Agenda, wie das früher völlig undenkbar war. Daran haben Publizisten wie zum Beispiel Hilal Sezgin einen großen Anteil, wenngleich sie persönlich im Kern einen rein moralphilosophischen Ansatz vertritt. Diese Entwicklung ist an sich positiv. Das Problematische daran ist, daß die Ökonomiekritik völlig rausfällt und das Ganze auf eine Frage des individuell richtigen oder falschen Verhaltens reduziert wird. Das führt dazu, daß sich die Leute als Mensch-2.0-Version empfinden und glauben, bessere Menschen zu sein, weil sie nicht mehr Tiere essen, während die ökonomischen Implikationen völlig außen vor gelassen werden. Man muß begreifen, daß die schiere Anzahl an Veganern relativ wenig daran ändert, wieviele Tiere umgebracht werden.

Gegen dieses Mißverständnis versuchen wir zu intervenieren, um möglichst vielen Leuten klarzumachen, daß es Marktgesetze gibt, die die paar Veganer, die es jetzt mehr gibt, locker ausgleichen. Dann fließen ein paar Subventionen mehr und schon sind die Verluste aus der Bilanz heraus. Der Fleischmarkt wächst überall, außer vielleicht in Europa. Der Export von Fleisch ist geradezu ein Konjunkturmodell. Daher wird über die Kapitalisierung von sogenannten Drittweltländern, die sich etwas vom Reichtum der Industriestaaten abschneiden möchten, regelrecht ein Lebensstil in einer protokolonialen Art und Weise propagiert. Gleichzeitig werden Bedürfnisse geschaffen, die dem westlichen Leitmodell vom fleischessenden, Porsche fahrenden Erfolgsmenschen nachempfunden sind. Wenn man das nicht versteht und Veganismus einfach auf die Frage nach einem Moralbonus auf dem Gewissenskonto reduziert, wird ein zahnloser Tiger daraus.

SB: Nicht selten wird die Moral zum Dreh- und Angelpunkt hitziger Debatten, in denen sich Fleischkonsumenten von Leuten, die Tierverbrauch ablehnen, unter normativen Druck gesetzt fühlen. Kann es im Sinne einer emanzipatorischen Aufklärung förderlich sein, wenn Veganer bei Nichtveganern ein Schuldbewußtsein zu erwecken versuchen?

D: Ich will die Moralfrage gar nicht so negativ bewerten, wenn Leute auch auf dieser Ebene Veränderungsprozesse durchmachen. Ich habe eher ein Problem damit, wenn soziale Stratifikationen nicht mehr mit in die politische Praxis oder Perspektive hereingenommen werden und man nicht verstehen will, daß es verschiedene Lebensumstände gibt, die verschiedene Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Ich muß anders damit umgehen, wenn ich es mit einem mittelständischen, halbwegs gutverdienenden Menschen zu tun habe, der sich frei entscheidet, auf Bioprodukte umzusteigen, als wenn ich es mit prekarisierten Leuten aus der Arbeiterklasse zu tun bekomme, die beispielsweise in einem Fleischkonzern für vier Euro die Stunde arbeiten und von daher eine andere Art von Wahlfreiheit haben.

Natürlich hat jeder Mensch eine individuelle Freiheit, und es ist ein Trugschluß, immer zu behaupten, Veganismus wäre eine Wohlstandsattitüde. Das ist es nicht. Ich glaube nicht, daß es in Westeuropa Menschen gibt, die sich nicht vegan ernähren könnten, wenn sie wollten. Ich glaube jedoch, daß jeder Mensch eine Verantwortung dafür hat, was er aus seinem Leben macht. Trotzdem habe ich eine andere Art des politischen Herangehens, wenn ich mich mit Leuten auseinandersetze, die in der sozialen Stufenleiter ganz unten sind oder schlicht in miserablen Lohnverhältnissen stehen. Sie haben einfach andere Sorgen. Insofern relativiert sich da die Moralfrage ein wenig, weil es dann primär um soziale Gerechtigkeit geht.

Das bedeutet zum einen, die Menschen aus der Lohnabhängigkeit zu befreien, und zum anderen, eine Kollektivierung von Betrieben voranzutreiben und gleichzeitig über die Übernahme der ökonomischen Akteure die Produktion tiefgreifend zu verändern. Auf einer Veranstaltung sagte einmal ein Aktivist, wir müssen die Schweineställe erst besitzen oder uns aneignen, bevor wir sie abschaffen können. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Es geht nicht darum, allen Menschen den Veganismus aufzuschwatzen, sondern man muß auch versuchen, die gesellschaftlichen Strukturen so umzugestalten, daß man es der Fleischindustrie schwer macht, daß ihre Ideologie immer auf dem Eßtisch landet, und gleichzeitig Rahmenbedingungen schaffen, in denen alternative Lebenskonzepte auch bezahlbar werden.

SB: Ein Artikel in der Zeit war vor kurzem mit dem Titel "Die Vegane Armee Fraktion" überschrieben, was den Eindruck einer extremistischen Bedrohung erweckte. Wie empfindest du diese Art der medialen Aufbauschung des Themas?

D: Der Artikel war schlecht recherchiert. Wir hatten mit dem Autor vorher Kontakt gehabt, weil er uns interviewen wollte. Daraus ist dann aber nichts geworden, weil er mit anderen Leuten ein Interview geführt hat. Man hat gemerkt, daß er ein bestimmtes Konzept im Kopf hatte, das er unbedingt durchsetzen wollte. Daher war es ihm relativ egal, was für Antworten er im Interview erhielt. Er hat sich das herausgenommen, was in sein Konzept paßte, und alles andere verworfen. Vegane Armeefraktion steht analog zur Rote-Armee-Fraktion und soll wohl nahelegen, daß radikale Veganer am liebsten Bomben werfen würden. Das ist albern, vor allem weil Veganer wie auch Tierbefreier bei ihren Aktionen darauf achten, daß weder Menschen noch Tiere zu Schaden kommen.

SB: Dennis, vielen Dank für das Gespräch.

Aufruf zur Demo gegen das Tierlabor LPT am 11. Oktober 2014 um 12:00 Uhr am Neugrabener Marktplatz - Foto: 2014 by Schattenblick

Foto: 2014 by Schattenblick



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8. Oktober 2014