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INTERVIEW/030: Vegane Fronten - Gabelhumor ...    Der Graslutscher im Gespräch (SB)


Mit Wortwitz den Zahn des Ressentiments ziehen

Veganes Straßenfest in Hamburg-St. Georg am 5. September 2015


Dem Graslutscher (Jan Hegenberg) bereitet es allem Anschein nach teuflisches Vergnügen, die Aversionsgelüste von Zeitgenossen, die ihren Fleischkonsum im ideologischen Selbstschutz dadurch rechtfertigen, daß sie die Empathie anderer Menschen für Tiere und ihr Eintreten für eine Welt ohne Schlachthöfe als Fußabtreter eigener Selbstvergewisserung mißbrauchen, humoristisch auszukontern. Auf dem Veganen Straßenfest in Hamburg stellte er sein kabarettistisches Programm vor, in dem er sattsam bekannte Klischees von sogenannten Fleischessern gegen Veganer aufs Korn nahm. Wer kennt sie nicht, jene im trüben Schlick unverbesserlicher Ressentiments ausgebrüteten Gesellschaftswitze, die verletzen, diskreditieren und in ihrer Substanz durchaus diskurswürdige Fragestellungen ins Lächerliche ziehen sollen wie beispielsweise: Woran erkennt man einen Veganer auf einer Party? - Keine Sorge, er wird es dir schon sagen!

Hier soll der Eindruck erweckt werden, als hätten Veganer nichts Besseres zu tun, als der von ihrer Lebensweise abweichenden Mehrheitsgesellschaft auf die Nerven zu gehen, in dem sie ihr vorhalten, Fleischverzehr sei ethisch verwerflich und Ausdruck einer gleichgültigen Lebenshaltung. Um die Absurdität des Ganzen aufzudecken, bedient sich der Graslutscher der satirischen Methode, den Witz durch Überspitzung in seiner ganzen Infantilität bloßzustellen, wenn er zum Publikum gewandt fragt: Geht ihr auch zu wildfremden Leuten auf die Party, zaubert ein paar Bilder aus der Tasche hervor und sagt: Hallo, ich bin Veganer, das hier ist mein Haus, mein Boot, mein Auto, meine Pflanzensalami, mein Vitamin B12 und ... meine Avocado.

Darin spiegelt sich die rhetorische Kunstfertigkeit des Narren aus dem klassischen Drama wider, den Witz der Gegenseite an sich selbst abarbeiten zu lassen, bis er erschöpft zu Boden sinkt. Daß mit dieser Art des Disputierens nur bis zu einer bestimmten Grenze kommunikative Inhalte transportiert werden können, das amüsante Spiel mit Worten alles mögliche jedoch keine wirkliche Gesellschaftskritik erweckt, tut nichts zur Sache, geht es dem Graslutscher doch vor allem darum, Risse in den gesellschaftsfähigen Konsens zu treiben. Ein Witz bringt die Lacher nur deshalb auf seine Seite, weil er auf herrschende Gewaltverhältnisse aufsattelt und infolgedessen den Spalt zwischen Menschen vertiefend reproduziert. Ohne diese Grundvoraussetzung verliert der Witz sein lachendes Echo. Denn wollte es jemand wagen, in einem Land von Kannibalen einen Kannibalenwitz zu erzählen, so würde der Applaus kurzerhand im Kochtopf enden.

Als streitbarer Veganer setzt sich der Graslutscher seit einiger Zeit auf Facebook mit Antiveganern und Steakhausenthusiasten auseinander. Im Infight bei Tisch und auf der Party geführter Hardcore-Diskussionen hat er nicht nur gelernt, daß das Gros der bundesdeutschen Bevölkerung ein Weizenmehlbrötchen mit Fleischwurst drauf für eine reichhaltige Mahlzeit hält, daß Chinesen Hunde essen, Spanier Stiere töten und Deutsche Ferkel ohne Betäubung kastrieren. Er hat auch erfahren, daß man einen Veganer daran erkennen kann, daß er auf einer Party inmitten betrunkener Gestalten, die sich mehrfach die Lunge geteert haben, irgendwie erklären muß, warum sein Lebensstil um vieles ungesünder ist als ihrer. Im Anschluß an sein mit zustimmendem Gelächter des zahlreich erschienenen Publikums quittierten Kabarettstückchens beantwortete der Graslutscher dem Schattenblick einige weiterführende Fragen zu seiner satirischen Passion.


Im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Der Graslutscher
Foto: © 2015 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Jan, du hattest heute auf dem Veganen Straßenfest einen kabarettistischen Auftritt. Machst du das schon länger?

Graslutscher: Eigentlich nicht, aber mehrere Leute aus meinem Umfeld hatten mir das schon seit einiger Zeit ans Herz gelegt. Ich habe mich lange nicht getraut, auf die Bühne zu gehen oder vielleicht auch nur den Aufwand gescheut, ein Programm zu schreiben. Schließlich erfordert ein Auftritt mehr Überwindung, als einen Artikel ins Netz zu stellen. Irgendwann hat mich der Vegan Street Day Stuttgart gefragt, ob ich nicht Kabarett bei ihnen machen wollte. Weil das eine direkte Anfrage war, habe ich mir gesagt, wenn es in die Hose geht, kann ich immer noch behaupten, daß es ihre Schuld war. Dasselbe Programm, das ich für sie geschrieben hatte, habe ich auch heute hier aufgeführt. Hamburg ist Teil einer Minitour, denn nach der Premiere in Stuttgart hatten mich ein paar vegane Straßenfeste gefragt, ob ich das nicht auch bei ihnen machen könnte. Nach Berlin und Hamburg kommen noch München und zum Abschluß meine Heimatstadt Wiesbaden.

SB: Du hast um die 20.000 Follower auf deinem FB-Blog, in dem du für gewöhnlich zu veganen Themen Stellung nimmst. In letzter Zeit hast du jedoch verstärkt zum Thema Flüchtlinge geschrieben. Wie kam es dazu?

Graslutscher: Zum einen, weil mich das Thema umgetrieben hat, und zum anderen, weil es überall präsent ist. Ich habe beim Schreiben meiner Veganerartikel keine Ruhe mehr gefunden, weil ich nebenbei immer Berichte über die Flüchtlinge gelesen habe. Deswegen habe ich mir gesagt, okay, jetzt schreibe etwas über die Flüchtlinge, damit es aus dir rauskommt. Nur so kann ich mit mir selbst klarkommen. Ich glaube, der Anteil zwischen veganen und Flüchtlingsthemen ist mittlerweile ungefähr 50:50.

SB: In deinem Kabarett hast du einerseits Vorurteile und Fremdreflektionen über Veganer aufgegriffen wie zum Beispiel, daß sie sich als bessere Menschen empfinden würden oder durch ihre Abgrenzung zu Fleischessern quasi Rassisten seien. Andererseits wird der Veganismus als etwas Unpolitisches gelebt, das keine Rückschlüsse auf andere Bereiche des Lebens zuläßt. Wie gehst du mit diesem Widerspruch um?

Graslutscher: Auch wenn es viele machen, finde ich es schwierig, Veganismus und Politik voneinander zu trennen, weil es gewisse Werte beinhaltet, die zum klassischen linken Spektrum dazugehören. Beides darf man nicht entkoppeln. Das soll aber nicht heißen, daß Veganer keine rechte Gesinnung haben können. Dennoch ist es für mich persönlich nicht schlüssig, wenn jemand von sich sagt, er sei Rassist, aber sich gleichzeitig vegan ernährt, weil ihm die Tiere leid tun. Meines Erachtens kann man sich nicht gegen Tierleid einsetzen und nebenbei Brandsätze in Asylunterkünfte schmeißen. Das paßt nicht unter einen Hut.

SB: In der Bild-Zeitung wurde vor einiger Zeit empört berichtet, daß auf einem alljährlich stattfindenden Fleischmarkt in China 40.000 Hunde geschlachtet und für den Verzehr verkauft werden. Nach diesem Bericht haben Tierfreunde auf Facebook Chinesen rassistisch diskriminiert und nach drakonischen Strafen gerufen bis dahin, daß man die Hundeschlachter vierteilen müßte. Wie bewertest du solche Reaktionen?

Graslutscher: So etwas kommt sehr oft vor. Ich habe noch viel Schlimmeres gelesen, beispielsweise, daß zur Selbstjustiz aufgerufen wurde. Das ist schon hart an der Grenze. Klar spricht da der Zorn aus den Leuten, weil sie empört sind, aber letzten Endes passiert so etwas auch bei uns, nur eben hinter verschlossenen Türen.

SB: Haustiere sind als geliebte Wesen allgegenwärtig. Nicht minder domestiziert sind sogenannte Nutztiere, doch wird deren alltägliche Normalität weitgehend ignoriert. Wenn allein im größten Schlachthof der Bundesrepublik Tag für Tag 40.000 Schweine in einer für sie nicht anders als als Katastrophe zu bezeichnenden Realität enden, dann ist das so unspektakulär wie der morgendliche Verkehrsstau auf dem Weg zur Arbeit. Hat diese Form der Ausblendung für dich Methode?

Graslutscher: Ganz sicher. In meinem Blog bringe ich solche Vergleiche oft an, weil sie so offensichtlich sind. Gerade in Deutschland sind viele Leute geradezu hundeverrückt. Sie gehen mit ihren Hunden zum Frisör oder kaufen ihnen irgendwelche Leibchen. Teilweise stellen sie ihnen Futter hin, das teurer ist als das Essen auf ihrem eigenen Teller, aber gleichzeitig sagen sie, das Schicksal der Schweine ist mir egal. Die Albert-Schweitzer-Stiftung hat viele Informationsbroschüren herausgegeben, die aufzeigen, wie kognitiv entwickelt Schweine im Vergleich zu Hunden sind. Im Grunde gibt es da keinen Unterschied. Ein Schwein ist sogar intelligenter als viele Hundearten und hat ebenso soziale Interessen.

SB: Du nimmst diese Art von Auseinandersetzung zwischen Fleischessern und Veganern in deinem Kabarett satirisch so sehr auf die Spitze, daß es mitunter die Züge eines Kulturkampfes hat. Was treibt dich dazu?

Graslutscher: Ich tue es, weil die Argumente in den meisten Debatten unter den Tisch fallen. In dem Moment, wo alle nur noch aufschreien und in Fleischesser und Veganer unterscheiden, findet kein Austausch mehr statt. Ich habe keineswegs den Anspruch, zu jedem Thema immer richtig zu liegen - jeder macht Fehler. Es gibt hundert Bereiche, über die man diskutieren könnte, nur darf die Diskussion dann nicht auf ein ganz niedriges Level herunterrutschen. Sie hätte dann weder einen Erkenntniswert noch ginge von ihr eine Überzeugungskraft aus. Am Ende geht man mit einem gekränkten Ego auseinander, weil man sich Schimpfwörter an den Kopf geworfen hat. Deswegen klingt das, was ich sage, oft flapsig, aber ich kann es nur deshalb machen, wenn ich es nicht an mich heranlasse. Vor einem Auftritt schaue ich mir drei, vier Tage keine expliziten Schlachthofbilder an, weil mich das zu sehr aufwühlen würde und ich Abstand brauche, um einigermaßen sachlich bleiben zu können. Ich habe die Bilder dann zwar noch im Hinterkopf, aber der Eindruck ist nicht so stark. Auf diese Weise kann ich mich dann über das Thema lustig machen, ohne verbittert zu argumentieren.

SB: Du nimmst in deinem satirischen Kabarett oft Situationen auf den Arm, in denen Veganer unter Rechtfertigungszwang geraten. Hast du diese Erfahrungen selbst machen müssen?

Graslutscher: Jeder kennt ein paar Veganer, die sehr sendungsbewußt sind und dieses Thema immer wieder auf den Tisch bringen. Das mag ich persönlich überhaupt nicht. Man unterhält sich über ganz alltägliche Themen und plötzlich kommt jemand und hält dem anderen dessen Fleischkonsum vor. Ich halte das nicht für effektiv und glaube auch nicht, daß man aus einer solchen Situation heraus irgend etwas Positives erreichen kann. Dennoch meine ich, daß nur wenige Veganer einen solchen Missionseifer an den Tag legen. Die meisten machen das in ihrer Anfangsphase durch. Wenn man länger vegan lebt, dann merkt man selber, daß man damit nicht weiter kommt. Ich vermeide solche Gespräche gern, wenn ich auf einer Party bin, weil ich einfach nur Spaß haben und abschalten möchte. Wenn aber der Gastgeber sagt, hier Jan, die drei Salate kannst du essen, ich habe sie extra vegan gemacht, ist das erst einmal total nett, weil er an mich gedacht hat. Aber kaum hört das jemand, fragt er sofort nach: Wie, das ist etwas Veganes? Und dann geht der Zirkus erst richtig los. Wenn einer damit anfängt, steigen andere mit ein, und plötzlich ist man in der klassischen Situation.

SB: Worauf würdest du ein solches Verhalten zurückführen? Nun könnte man annehmen, daß Menschen, die Fleisch und Milch konsumieren, möglicherweise aufgrund der Berichterstattung zu den Themen Tierleid und Massentierhaltung verunsichert sind und ein schlechtes Gewissen haben und auf Veganer reagieren, weil diese für sich Konsequenzen gezogen haben.

Graslutscher: Ich glaube, daß die allermeisten Leute den Anspruch haben, ein guter Mensch zu sein. Es gibt nur wenige, denen es wurscht wäre, was andere über sie denken. In aller Regel wollen Menschen Akzeptanz erfahren. Wenn ihnen jedoch vorgeführt wird, daß sie in einem bestimmten Aspekt ihres Lebens auf der falschen Seite stehen, dann versuchen sie, das vor sich selber zu rechtfertigen oder ein Argument zu finden, um das zu entkräften. Das ist meines Erachtens die Grundlage fast aller Diskussionen um den Veganismus. Es klingt jetzt ein bißchen selbstgerecht, wenn ich sage, siehst du, da sitzen die Fleischesser mit ihrem schlechten Gewissen. Aber ich kenne das aus eigener Erfahrung. Als ich selbst noch Fleisch gegessen oder als Vegetarier Milchprodukte konsumiert habe, fühlte ich mich unwohl, wenn das Thema angeschnitten wurde. Ich habe entweder versucht, das Thema schnell zu wechseln, oder Ausreden zu finden wie beispielsweise, daß ich immer nur Bioprodukte esse. Ich glaube, das hat durchaus den Charakter einer Selbstbeschäftigung, vielleicht gar nicht so sehr, um den anderen zu überzeugen, sondern um von sich selber sagen zu können: Ich bin nicht der Schlechte.

SB: Zum Thema Veganismus im Kabarett fällt mir nur Hagen Rether ein, der es in seinen Programmen aufgreift. Kennst du noch andere Personen, die speziell in diesem Spannungsfeld Stellung beziehen?

Graslutscher: Ja, beispielsweise Patrick Schönfeld, der das Poetry Slam nennt und zumindest ähnliche Aspekte beackert. Dann wäre da noch die Poetry-Slammerin Gabriele Busse, die das sogar als Hauptthema hat und mit einem richtigen Programm auf Tour geht, so mit Eintritt und nicht wie ich jetzt für ein paar Essensgutscheine. Sie arbeitet außerdem mit musikalischer Untermalung, spielt ein bißchen Gitarre dazu. Hagen Rether, der das Thema in sein Programm einbaut, finde ich übrigens total cool.

SB: Jan, vielen Dank für das Gespräch.


Der Graslutscher beim Auftritt - Foto: © 2015 by Schattenblick

Der tierverbrauchenden Mehrheitsgesellschaft aufs Maul geschaut
Foto: © 2015 by Schattenblick


Zum Veganen Straßenfest 2015 im Schattenblick:

BERICHT/011: Vegane Fronten - Nicht nur der Verzehr ... (SB)
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BERICHT/012: Vegane Fronten - Der Pelzraub-Renaissance die Stirn bieten ... (SB)
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INTERVIEW/029: Vegane Fronten - Heimstatt für verbrauchte Leben ...    Verena Delto im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/tiere/report/trin0029.html

5. Oktober 2015


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