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INTERVIEW/040: Veganes Straßenfest - den Widerspruch verstärken ...    Jürgen Foß im Gespräch (SB)


Jürgen Foß ist Mitbegründer der Tierrechtsorganisation Animal Rights Watch (ARIWA), die in der Bundesrepublik über 30 Ortsgruppen verfügt. Die Hamburger Ortsgruppe organisiert das Vegane Straßenfest [1] seit dem ersten Mal, an dem es vor fünf Jahren in der Hansestadt stattfand. Nach einem Vortrag, in dem Jürgen Foß das mit Hilfe von ARIWA unter dem Dach der Stiftung Tiernothilfe gegründete Projekt Land der Tiere vorstellte, beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zum Veganismus und dem Aktivismus der Tierrechtsbewegung.


Beim Vortrag zum Land der Tiere im Veranstaltungszelt - Foto: © 2019 by Schattenblick

Jürgen Foß
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Foß, Sie sind Mitbegründer der Organisation Animal Rights Watch (ARIWA). Wie ist es zur Entstehung dieser Tierrechtsorganisation gekommen?

Jürgen Foß (JF): Wir haben ARIWA 2004 gegründet. Tanja, meine Lebenspartnerin, und ich waren davor zehn Jahre in Siegen in einem großen Tierheim tätig gewesen, hatten da auch gelebt und die Basics über Tierhaltung mitgenommen. In dieser Zeit wurden wir vegetarisch und vegan. 2004 wollten wir mehr in Richtung Tierrechte unternehmen. Weil das im Tierheim nicht ging, haben wir ARIWA gegründet.

SB: ARIWA hat zu einer Serie von in mehreren deutschen Städten stattfindenden Demonstrationen aufgerufen, auf denen die "Schließung aller Schlachthöfe" gefordert wird.

JF: Ja, das ist eine internationale Kampagne, und wir als ARIWA organisieren die deutschen Demonstrationen.

SB: Wie groß war die Zahl der DemonstrantInnen zu diesem Anlaß in Hamburg?

JF: Etwa 500, 600 Menschen.

SB: "Schließung aller Schlachthöfe" hört sich im ersten Moment radikal an, da man sich kaum vorstellen kann, wie das möglich wäre. Wie kommen Sie dazu, so eine unbescheidene Forderung aufzustellen?

JF: Diese Forderung muß unbescheiden sein, um das Dramatische, das sich hier abspielt, irgendwie zu thematisieren. Da draußen findet ja eine Apokalypse für Tiere statt. Den meisten Menschen ist dies nicht bewußt, weil Politik und Agrarlobby die Situation sehr beschönigen. Da können nur radikale Forderungen etwas ausrichten, und deshalb stellen wir sie einfach in den Raum. Daß das in den nächsten Jahren nicht passieren wird, ist uns klar. Man muß schon ein bißchen polarisieren, wenn man etwas in dieser Sache erreichen will.

SB: Es gab in der Bundesrepublik schon vor 2000 eine Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung, von der heute nicht mehr viel übrig zu sein scheint. Wie kommt es, daß das Vegane Straßenfest Hamburg heute vor allem zu gastronomischen Angeboten und Verkauf veganer Artikel tendiert, während es am Anfang noch den Aktivismus stärker präsentiert hat?

JF: Es gibt schon viele Infostände hier, zudem werden viele Vorträge gehalten, von daher ist der Tierrechtsgedanke und die Information darüber durchaus vertreten. Aber es läuft natürlich darauf hinaus, den Veganismus in die Menschheit zu tragen, und da eignet sich eine direkte Verköstigung am besten. Das ist der Grund, warum auf solchen Festen sehr viel veganes Essen angeboten wird. Wir hatten 2006 das erste vegane Straßenfest Deutschlands ins Leben gerufen, das war damals in Dortmund, das hatte ich seinerzeit noch selbst organisiert. Da war der Grundgedanke, die Menschen, die durch die Dortmunder Fußgängerzone laufen, mit der Tierrechtsidee und dem Veganismus zu konfrontieren und sie eben mit einem, sage ich mal, normal aussehenden Angebot zu locken. Schon damals hörte man nicht mehr die typischen Tierbefreiungssprüche, wie man sie aus den 80ern und 90ern kennt, und heute geht es ein bißchen mainstreamiger zu, würde ich einmal sagen.

Meiner Ansicht nach besteht der Anspruch der Tierrechtsorganisationen mittlerweise darin, mehr Menschen erreichen zu wollen. Das heißt nicht, daß man von seinen Grundsätzen oder von seinen radikalen Forderungen abrückt, wie man an der Forderung zur Schließung aller Schlachthöfe sieht. Aber das Auftreten ist ein anderes geworden. Wir wollen mehr wahrgenommen werden. Ich kenne viele Menschen, die damals in der alten Bewegung, wenn man sie so nennen will, tätig waren, und heute halt in einer anderen Organisation weiterhin tätig sind, nur auf eine andere Art und Weise. Es gibt sicherlich auch viele, die nichts mehr machen, aber das ist im Aktivismus immer so, daß es Phasen gibt im Leben, mal ist man aktiv, dann wieder nicht.

SB: Wie verhält sich das klassische Argument der Tierbefreiung zum heute im sogenannten Lifestyle-Veganismus vorherrschenden Argument, daß vegan eine gesündere Lebensweise sei?

JF: Ja, die Menschen, die das aus gesundheitlichen oder aus Lifestyle-Gründen tun, gibt es tatsächlich. Das ist aber nicht das, was wir vermitteln wollen. Das ist eine Chance für uns, denn diese Menschen haben mit ihrer veganen Ernährung bereits eine Hürde genommen, wir müssen sie nur noch davon überzeugen, daß das, was sie damit tun, gut für Tiere, für die Menschen und für die Erde ist. Das ist eine Zielgruppe für uns, nicht unser Ziel. Das ist eine Zielgruppe, die wir erreichen möchten, um ihnen die ganze Wahrheit zu vermitteln.

SB: In Deutschland kann man die Forderung nach einer durchgängig veganen Lebensweise ohne weiteres vertreten, denn es ist zumindest theoretisch möglich, die hier lebenden Menschen auf dieser Basis gesund und vollwertig zu ernähren. In vielen anderen Ländern ist das nicht möglich. Wie gehen Sie mit sozialen Fragen um, die etwa Menschen betreffen, die sich keine veganen Lebensmittel leisten können oder nur Zugang zu Junkfood haben?

JF: Zum einen gibt es unendlich viele Probleme auf der Welt, man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, sich zu engagieren. Jeder hat seine privaten Erlebnisse und rutscht dann in irgendeine Ecke, wo er sich engagiert, und das ist, glaube ich, auch gut so. Auf diese ganzen Probleme ist Veganismus nicht die Antwort. Veganismus ist ein Baustein unter vielen, um die Welt etwas gerechter zu machen. Wir haben natürlich auch Verteilungsprobleme auf der ganzen Welt, auch in Deutschland, aber weltweit noch viel größere und ganz andere Probleme. Veganismus ist ein Baustein, der diese negativen Entwicklungen abmildert. Veganismus alleine löst diese Probleme aber nicht. Deshalb finden wir es trotzdem wichtig, sich weiterhin zu engagieren und für Tierrechte und Veganismus zu werben, weil es ein Teil vom großen Ganzen ist.

Die Verteilungsprobleme in den ärmeren Ländern sind durch Veganismus nicht zu lösen. Er spielt durchaus eine Rolle beim Landgrabbing gerade im lateinamerikanischen Raum, wenn Kriege geführt werden, wenn um den Zugriff auf Wasser, Ressourcen und Boden gekämpft wird, weil tierische Produkte sehr viele dieser Ressourcen aufbrauchen. Aber man kann nicht sagen, werdet alle vegan, und die Welt ist gut, so ist es natürlich nicht. Es ist nur ein wichtiger Baustein.

SB: Manche VeganerInnen, die ihre Lebensweise zum moralischen Primat erheben, beurteilen ihre unveganen Mitmenschen hart, was unter den Betroffenen ärgerliche Reaktionen auslösen kann, was wiederum nicht heißt, daß sich ihr Ärger nicht auch ohne Anlaß Bahn bricht. Wie gehen Sie damit um?

JF: Ja, der Effekt ist mir bekannt. Natürlich gibt es diese Menschen, aber sie sind sehr wenige. Der weitaus größere Effekt ist der, daß sich unvegane Menschen selbst bei sachlicher Diskussion sehr schnell persönlich angegriffen fühlen, obwohl man das gar nicht möchte. Das geschieht auch, wenn man sachlich bleibt, weil sie nicht vegan leben.

Meine Idealvorstellung wäre, daß man sich als Gesellschaft zusammensetzt und sich fragt: Wie kriegen wir alle Menschen auf dieser Welt satt? Wie können wir das schaffen, ohne anderen dabei weh zu tun? Wenn mir dann jemand eine andere Lösung als Veganismus vorschlägt, sage ich nicht nein, aber ich kenne sie nicht. Aber man kann oftmals sehr schwer darüber reden, weil Menschen sich häufig persönlich angegriffen oder irgendwie ertappt fühlen, obwohl das nicht so gemeint ist. Wir wollen nicht sagen: Hey, du bist schlecht, du bist nicht vegan, sondern: Hey, laßt uns mal überlegen, wie wir dieses Kind da schaukeln.

SB: Die Klimapolitik ist an einem Punkt angelangt, an dem es um konkrete Regulationen geht und die Frage des Konsums von Tierprodukten verstärkt in den Fokus rückt. Der berüchtigte Veggie-Day der Grünen ist ja nach hinten losgegangen, weil sie plötzlich als Verbotspartei galten. Sollte es in Zukunft zu erheblichen Preiserhöhungen für Tierprodukte kommen und etwa der Liter Kuhmilch 1,50 Euro kosten, während Hafermilch für 50 Cent erhältlich wäre - was meinen Sie, hätte das für gesellschaftliche Folgen?

JF: Ich glaube, das würde die Gesellschaft als gar nicht so schlimm erachten, wie es im Moment vielleicht zu erwarten wäre. Ich glaube, wenn das Problem von der Politik endlich einmal angemessen und breit thematisiert würde, dann könnten wir relativ bald einen gesellschaftlichen Konsens herstellen. Ich glaube, diese Konfliktsituation, die man hier manchmal an Infoständen hat oder die leider im Netz sehr weit verbreitet sind, werden auf beiden Seiten nur von sehr wenigen Menschen provoziert, die aber sehr laut sind. Ich glaube, die meisten Menschen sehen das gar nicht so emotional, als wenn ihnen etwas von ihrem Teller weggenommen würde. Wenn die Argumente stimmen, wenn das Angebot stimmt, wenn es finanzierbar ist, dann glaube ich nicht, daß viele Menschen Probleme damit hätten.

SB: Bei Ihrer Präsentation zum Land der Tiere haben Sie, so habe ich es verstanden, versucht, das einzelne Tier für sich selbst als Subjekt zu zeigen, dem auf der anderen Seite die Entindividualisierung der Massenproduktion gegenübersteht. Setzen Sie betont darauf, Menschen zu erreichen, indem dem Tier eine Art Subjektqualität, also etwas Unverwechselbares, gegeben wird?

JF: Das ist eigentlich der Kern vom Land der Tiere. Wir machen mit ARIWA eher etwas, das ich konfrontativere Arbeit nennen würde, wenn wir die gequälten Tiere in den Ställen zeigen. Mit dem Land der Tiere wollen wir auf die Individuen eingehen und die Frage aufwerfen, ob man überhaupt das Recht hat, Tiere, zu welchen Zwecken auch immer und wie auch immer man sie vor der Schlachtung hält, zu töten. Wir versuchen, diese Tiere aus der Anonymität zu holen, indem wir den Leuten, die zu uns kommen, aber auch den Medien ihre Geschichte erzählen. Da geht es nicht nur um die rationale Sicht wie beim Thema Tierrechte, wir sprechen auch das Emotionale an, weil, wie ich glaube, Mitgefühl ein sehr wichtiger Punkt bei alledem ist. Wir sprechen auch über das Empathieverhalten der Menschen. Wie ist meine Empathie ausgeprägt, hört sie beim Hund auf oder ist sie auf die Schweine übertragbar, wo ziehe ich meine Grenze? Das hat viel mit Emotion zu tun und die wollen wir auch wecken.

SB: Herr Foß, vielen Dank für das Gespräch


Fußnote:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/tiere/report/trbe0015.html

31. Juli 2019


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