Magazin tierrechte - Ausgabe 1/2017
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V
Ein grundsätzliches Umdenken in Gang setzen
Interview mit Dr. Gerd Ludwig von Christina Ledermann
Dr. Gerd Ludwig ist freier Journalist und Zoologe mit den Schwerpunkten Verhaltenskunde und Tierphysiologie und hat mehrere Ratgeber zur richtigen Haltung und Pflege von Ratten verfasst. Als Chefredakteur der Zeitschrift "Das Tier" beschäftigte er sich auch mit der besonderen Beziehung der Rattenhalter zu ihren Tieren. Dabei stellte er fest, dass die immer noch propagierten Vorurteile gegenüber den Nagern jeder Grundlage entbehren.
Je intensiver man sich mit Ratten befasst, desto besser lernt man ihr liebenswertes und menschenfreundliches Wesen kennen. Ratten sind soziale Tiere, sie brauchen die Gemeinschaft ihrer Artgenossen. Aber auch der vertraute Mensch wird quasi als "externes Gruppenmitglied" akzeptiert. Ihr Zusammenleben wird von einer komplexen Körper- und Lautsprache geprägt. Ratten sind ausgesprochen intelligent, sehr lernfreudig und extrem neugierig (ohne dabei ihre angeborene Vorsicht außer Acht zu lassen). Sie suchen von sich aus die Nähe vertrauter Personen, klettern in den Ärmel oder auf die Schulter, knabbern behutsam am Ohr des Menschen und lassen sich gern herumtragen. Beim Spielen erweisen sie sich als sehr gewitzt, begreifen schnell, wie der Hase läuft und sind immer mit Begeisterung bei der Sache.
Bei meiner ersten Reportage gingen drei Ratten vor mir auf dem Tisch in Habachtstellung. Zwei blieben auf Distanz und beäugten mich aufmerksam, doch die dritte lief auf mich zu, klettere an meinem Arm hoch, setzte sich auf meine Schulter und legte ihren Kopf zur Seite, um mich in Augenschein nehmen zu können.
Der Wagemut des kleinen Kerls (es war ein Weibchen) hat mich sehr verblüfft. Allerdings lebten diese Ratten in enger Bindung mit ihrer Besitzerin, die sich ausgiebig mit ihnen beschäftigte. Normalerweise zeichnen sich auch Ratten in Menschenhand gegenüber Fremden durch Zurückhaltung aus. Bei ihren wild lebenden Verwandten ist das ein wichtiger Wesenszug und in brenzligen Situationen oft genug eine Lebensversicherung.
Angst und Ekel, die manche Menschen angesichts einer Ratte empfinden, sitzen tief. Wild lebende Ratten leben im Verborgenen, nicht selten in der Kanalisation, auf Müllhalden und in ähnlich "anrüchiger" Umgebung. Man bringt sie daher schon seit Jahrhunderten mit Schmutz, Unrat und Krankheitserregern in Verbindung. Häufig wurden Ratten für Epidemien und Seuchenzüge verantwortlich gemacht, etwa Hausratten, die von infizierten Flöhen befallen waren, und so für Übertragung und Ausbreitung des Pest-Erregers sorgten. In Märchen und volkskundlichen Erzählungen wird die Ratte zum Teil als schmutzig, verschlagen und Gefahr bringend dargestellt. In vielen asiatischen Ländern wiederum verehrt man ihre Intelligenz und Tapferkeit: Menschen, die im chinesischen Jahr der Ratte zur Welt kommen, gelten als klug, vorausschauend und charmant.
Wo es zu Massenvermehrungen kommt, können die Nager (sowohl Wander- wie Hausratten) Feldfrüchte, Getreidevorräte und andere Lebensmittel empfindlich dezimieren. Das trifft für unsere Breiten kaum mehr zu, wo die Hausratte fast ausgestorben ist, wohl aber für tropische und subtropische Regionen. Hier stellen Ratten als Überträger von Krankheiten nach wie vor ein Gesundheitsrisiko dar. Die als Haustiere gehaltenen Ratten stammen von den Laborratten ab, diese wiederum von den Wanderratten. Dabei wurden besonders zutrauliche und zahme Tiere zur Zucht eingesetzt. Bei normaler Hygiene im Umgang mit Ratten (regelmäßiges Reinigen des Käfigs, sauberes Trinkwasser, Entfernen alter Essensreste, Händewaschen nach Kontakt mit den Käfigbewohnern und regelmäßiger Gesundheitscheck der Tiere) ist das Risiko sehr gering, dass sich der Mensch mit einer Krankheit infiziert.
Überkommene Vorurteile sind hartnäckig und da viele Menschen den Kontakt mit Ratten scheuen, erscheint es schwierig, hier flächendeckend ein grundsätzliches Umdenken in Gang zu setzen. Was bleibt, ist das Prinzip der kleinen Schritte: Aufklärungsarbeit leisten, wo und wann immer die Sprache auf Ratten oder Mäuse, die unter einem ähnlich schlechten Image leiden, kommt.
Normalerweise lassen sich Ratten kaum blicken. Sieht man jedoch tagsüber Ratten im Haus oder Garten, ist das meist ein Indiz für eine große Rattenpopulation. Auch Kothinterlassenschaften (Kotbällchen) und Nagespuren deuten auf eine große Population hin. Um Ratten fernzuhalten ist Vorbeugen der beste und sicherste Weg: Lichtschächte, Türspalten, Risse im Mauerwerk, offener Zugang zu Keller und Dachboden, nicht mit Gittern gesicherte Wasserabläufe im Keller und in der Waschküche begünstigen das Eindringen. Ratten können hervorragend klettern und die Wanderratte ist darüber hinaus eine gute Schwimmerin.
Essensreste sollten grundsätzlich nicht in der Toilette entsorgt werden, Rohre und Leitungen lassen sich relativ einfach mit einem engmaschigen Gitter sichern. Offene Mülltonnen und offen gelagerte Lebensmittel ziehen die Nager ebenso an wie ein unzureichend belüfteter Komposthaufen mit Fleisch- und ähnlichen organischen Essensresten.
Ja! Der Lebendfalle sollte beim Fang von Einzeltieren grundsätzlich der Vorzug gegenüber einer Schlagfalle gegeben werden. Ratten benutzen ein mehr oder minder festes Wegenetz, das man an ihren Kotspuren erkennen kann, so dass man mit hier positionierten Fallen oft Erfolg hat. Allerdings lernen die Tiere sehr schnell und meiden dann die Falle. Das gefangene Tier setzt man dann in größerer Entfernung außerhalb bewohnter Bereiche wieder aus.
Bei einer größeren Population reicht der Einsatz von Fallen nicht aus. Bevor man zur Giftkeule greift, schaffen eventuell Hausmittel Abhilfe. Als bewährtes "Hausmittel" erweisen sich nach wie vor Katzen. Allerdings gibt es auch Miezen, die um die wehrhaften Ratten einen großen Bogen machen. Ausgebuffte Bauernhofkatzen lassen sich aber auch von bissigen Ratten nicht abschrecken. Ätherische Öle, Pfeffer oder Terpentin beleidigen die empfindliche Nase der Ratte, was dazu führen kann, dass sich die Nager in eine geruchsneutralere Umgebung verziehen.
Ratten sind soziale Tiere. Sie brauchen den ständigen Kontakt mit ihren Artgenossen. Solo gehaltene Ratten verkümmern, sie entwickeln Neurosen und werden krank. Doch auch die Nähe des vertrauten Menschen ist ihnen wichtig. Für den Rattenhalter ist der tägliche intensive Umgang mit seinen Tieren Pflicht. Ihre angeborene Neugier und der Spieltrieb sind ideale Voraussetzungen für Such- und Kombinationsspiele und kleine Jobs, bei denen die Nager ihre Intelligenz und ihre schnelle Auffassungsgabe beweisen können.
Der Käfig muss mehrere Schlaf- und Schutzhäuschen bieten (am besten auf verschiedenen Etagen). Treppen, Leitern und Seile animieren zum Klettern, waagerecht gespannte Taue zum Balancieren. Hängematten sind der ideale Platz für die Siesta und auf einer Schaukel demonstriert die Ratte Fitness und Körperbeherrschung. Röhren und Tunnel wollen erkundet werden, eine Buddelkiste mit Zeitungspapier befriedigt den Wühltrieb und eignet sich zum Nestbau. Eine Toilettenecke (z. B. mit einer Kleintiertoilette) wird meist gut angenommen und sorgt für Sauberkeit im Käfig. Futter und Trinkwasser (in der Nippeltränke) gibt es täglich frisch, und wenn die Einstreu regelmäßig ersetzt wird, ist die Haltung der Nager so gut wie geruchsfrei.
Auch Tieren, die in einem großzügigen Käfig untergebracht sind, sollten den täglichen Freilauf im Zimmer genießen können, um hier auf aufregende Entdeckungstouren zu gehen. Ohne Aufsicht darf man ihnen Auslauf allerdings nicht genehmigen.
Eine reine Weibchengruppe ist ideal, weil es hier nur selten Dissonanzen zwischen den Gruppenmitgliedern gibt. Bei gleichstarken Männchen kommt es häufiger so lange zu Kämpfen, bis schließlich die Rangfolge geklärt ist. Um unerwünschten Nachwuchs zu vermeiden, darf man ausschließlich kastrierte Rattenböcke mit Weibchen vergesellschaften. Bei guter Pflege können Ratten zwei bis maximal drei Jahre alt werden.
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Quelle:
Magazin tierrechte - Ausgabe 1/2017, S. 16-17
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
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Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2017
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