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TIERHALTUNG/474: Der Hühnerrebell aus der Heide (PROVIEH)


PROVIEH Heft 4 - Dezember 2008
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Der Hühnerrebell aus der Heide

Von Stefan Johnigk mit freundlicher Unterstützung von Uwe Rasch


Stallhaltung für Hühner ist unnatürlich und eine Qual. Der Biobauer Niels Odefey aus Uelzen weiß das genau und handelt dementsprechend konsequent. Seine Masthühner genießen tagsüber völlige Freiheit auf dem Odefey-Hof, die Nacht verbringen sie in weitläufigen, geschlossenen Ställen, geschützt vor Fuchs, Marder und Iltis. Als die Aufstallungsverordnung im Zuge der behördlichen Vogelgrippe-Hysterie sämtliches Freilandgeflügel in die Ställe verbannte, hielt Odefey dagegen. Mit fachlicher Unterstützung durch den Hühnerexperten Prof. Fölsch (Vorstandsmitglied bei PROVIEH) führte er auf seinem Biohof ein Experiment durch. Die Frage lautete: "Was passiert, wenn man sich an die "Verordnung zur Aufstallung des Geflügels zum Schutz vor der Klassischen Geflügelpest" hält?

400 Junghühner blieben im 50 Quadratmeter großen Küken-Aufzuchtstall, um die Bedingungen konventioneller Bodenhaltung nachzustellen. Weitere 400 Hühner zogen in einen 60 Quadratmeter großen "Bio"-Stall mit einer Art Wintergarten, in den Tageslicht fällt. "Diese Konstruktion ist das Resultat einer EU-Sonderverordnung - eine schlimme Mogelpackung", erklärt Odefey. "Damit gibt man Biobauern während Stallpflicht-Phasen die Möglichkeit, ihr Geflügel und ihre Eier weiter als Bio-Freiland zu deklarieren. Was im Grunde Verbraucherbetrug ist, denn die Hühner dürfen ja keinen Fuß ins Freie setzen." Die übrigen 1000 Hühner durften in Freiheit aufwachsen, wie bei Odefey üblich. Alle drei Gruppen sollten während der dreieinhalbmonatigen Versuchsdauer das gleiche Futter aus biologischem Anbau bekommen: Die Tiere in Bodenhaltung und "Bio"-Stall in unbegrenzter Menge, wie es bei diesen Aufzuchtformen üblich ist. "Andernfalls würden die an eigener Futtersuche gehinderten Tiere vom ersten Tag an übereinander herfallen", so Odefey. Die Freilandhühner bekamen dreimal täglich Futter, aber nie zu viel. Schließlich sollte diese Gruppe ja möglichst langsam wachsen und immer noch genug Appetit haben, um herumzulaufen, Gras zu fressen oder nach Würmern zu suchen. Die Behausungen der Tiere in Bodenhaltung und "Bio"-Stall wurden mit Strohballen, Sitzstangen, Kieselsteinen und Sand eingerichtet, um der Langeweile mangels Auslauf entgegen zu wirken.

Die Ergebnisse bewiesen, zu welcher Tierquälerei die Stallpflicht führt. Gut zwei Monate später hat kaum eines der Hühner in Bodenhaltung noch ein komplettes Federkleid. Das Hinterteil vieler Tiere ist kahl gepickt, die Haut wund und blutig. Je mehr ein Tier bereits verletzt ist, umso mehr wird es von den anderen durch permanentes Hacken gepeinigt. Bereits von der sechsten Woche an hatte im Bodenhaltungsstall das Federpicken begonnen - trotz ständig gefüllten Napfes, berichtet Odefey. "Die Hühner holen sich auf diese Weise tierisches Eiweiß, das sie bei Freilandhaltung in Form von Würmern und Insekten finden." Ab Woche sieben habe er fast jeden Morgen Hühnerkadaver entsorgen müssen. Im "Bio"-Stall setzte der Kannibalismus etwas später ein, kostete am Ende dennoch 35 von 400 Tieren das Leben. Die glücklichen Hühner im Freiland dagegen erfreuten sich bester Gesundheit. Verluste (10 von 1000 Tieren) gab es nur, weil sich auch Habichte gern mal auf ein knackiges Hähnchen stürzen.

Krasse Unterschiede zwischen den Gruppen zeigten sich auch in der Gewichtszunahme. Die Hühner in Bodenhaltung waren nach acht Wochen 30 Prozent schwerer als die Freilandgockel, die im "Bio"-Stall 15 Prozent. So war knapp die Hälfte der Hühner aus Bodenhaltung bereits nach 10 bis 11 Wochen schlachtreif. Zu diesem Zeitpunkt hatten dort schon 70 von 400 Hühnern ihr Leben gelassen, und Odefey konnte es nicht länger mit ansehen. So entließ er die restlichen geschundenen Kreaturen kurzerhand in seine offenen Freilandställe. "Keines dieser Tiere konnte mehr normal laufen, alle hatten irgendwelche Gebrechen wie verkrümmte Knochen oder falsche Beinstellung." Erst nach fünf Tagen stolperten die ersten Tiere ins Freie.

Auch bei Themen wie Tiertransporten und Schlachtung ist Odefey kompromisslos. Um seinen Hühnern auch das Ende so erträglich wie möglich zu machen und jeden Transport-Stress zu vermeiden, schlachtet Odefey seit vielen Jahren selbst. So konnte er auch die Fleischqualität der Tiere aus dem Aufstallungsversuch direkt vergleichen. Die Leber der Schnellmastgockel aus der Bodenhaltung war hell wie die typische Fettleber einer Legehenne aus Intensivhaltung; die Leber der "Freien" zeigte gesundes Dunkelrot. Das Fleisch der Freilauf-Hühner war deutlich fester als das der Stall-Gockel, welches Odefey als "leicht wabbelig" beschreibt. Auch das Knochengerüst dieser Tiere sei mangels Sonnenlicht sehr labil gewesen. "Ich habe das an meinem Vakuumiergerät getestet," sagt Odefey. "Wenn ich da den gewohnten Druck einstellte, waren die Stallhühner platt."

In zwei Aspekten, gesteht Odefey ein, sei sein Versuch bewusst nicht ganz realistisch gewesen. Bei der konventionellen Bodenhaltung versucht man durch permanentes Kunstlicht die Aggressivität der Tiere im Zaum zu halten. Diese Hühner sehen niemals Tageslicht, aber eben auch nicht mehr so leicht Rot, die Lockfarbe für tierisches Eiweiß. Zehn bis fünfzehn Prozent Verlust sei aber auch bei dieser Haltung von vornherein einkalkuliert, so Odefey.

Hinzu kommt: Beim überwiegenden Teil der industriellen Hühnerproduktion werden die weiblichen Tiere nicht benötigt, weil sie langsamer wachsen und weniger Brustfleisch bilden als die männlichen. Sie werden deshalb bereits am Schlupftag vergast - "jede Woche Millionen von Tiere", sagt Odefey. Schon daher wäre für den Biobauern eine 1:1-Simulation nicht in Frage gekommen.

Was sagt uns das Experiment nun am Ende? Für Odefey ist die Antwort klar: "Alles andere als Freilandhaltung ist Tierquälerei." Experte Prof. Fölsch differenziert: "Mit Stallhaltung zwingen wir die Hühner zum Fehlverhalten. Eine Wintergarten-Lösung wäre akzeptabel, wenn die Hühner mehr Platz hätten. Wirklich artgerecht ist nur konsequente Auslaufhaltung." Sein Rat für Verbraucher: sehr genau hinsehen, welchem Betrieb man sein Vertrauen schenkt. "Auch im Biobereich ist längst nicht alles so, wie es sein sollte."

Der Geflügelindustrie kam die Stallpflicht sehr gelegen. Dort ist geschlossene Massenhaltung Produktionsprinzip. Wettbewerbsnachteile hat nur die Konkurrenz: diejenigen, die wie Odefey für anständige Aufzuchtbedingungen stehen - und deren Kunden nichts anderes erwarten: Freiland- und Biobetriebe. Und die Vogelgrippe? Die Erreger der Geflügelpest habe es schon immer gegeben, sagt Prof. Fölsch, man habe sich früher bloß nicht dafür interessiert. Im Grunde dokumentierten die Behörden mit der Stallpflicht ihre Hilflosigkeit. "Wir dürfen doch nicht ausgerechnet diejenigen Geflügelhalter kriminalisieren, die ihre Tiere wirklich vernünftig behandeln."


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Quelle:
PROVIEH Heft 4, Dezember, 2008, Seite 37-39
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2009