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TIERHALTUNG/568: Massive Förderung der Gruppenhaltung trächtiger Sauen ist notwendig (PROVIEH)


PROVIEH Ausgabe 03/2012
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Massive Förderung der Gruppenhaltung trächtiger Sauen ist notwendig

von Sabine Ohm



Am 01.01.2013 tritt die Pflicht zur Gruppenhaltung tragender Sauen EU-weit in Kraft. Dann müssen alle tragenden Sauen in der Zeitspanne von vier Wochen nach dem Decken bis eine Woche vor dem voraussichtlichen Abferkeln in Gruppen gehalten werden. Das ist ein Fortschritt im Vergleich zur bisher ganzjährigen Kastenstandhaltung.

Das Fachblatt topagrar meldete aber im Juni 2012 in Deutschland hätten "laut internen Statistiken" noch immer mehr als die Hälfte der Betriebe die Gruppenhaltung nicht eingeführt. Große Betriebe schnitten besser ab als kleine: Mit der Gruppenhaltung arbeiteten schon knapp zwei Drittel aller Betriebe mit mehr als 250 Sauen, aber nur 35 Prozent der Betriebe mit weniger als 100 Tieren. In einigen anderen Raufutter sättigt und beschäftigt die Sauen EU-Ländern sieht es nicht besser aus: Kommissar Dalli teilte dem Agrarrat im vergangenen Juni mit, dass mindestens neun Staaten die fristgerechte Umsetzung zum Jahreswechsel verpassen werden. Spanien, Frankreich und Italien sollen laut einiger Schätzungen erst zu 30 bis 40 Prozent umgestellt haben. Die zögerliche Umstellung liegt wohl auch daran, dass EU-Tierschutzvorschriften bisher nicht besonders ernst genommen wurden. So werden beispielsweise die seit 2001 bestehenden Verbote weitestgehend missachtet, den Ferkeln routinemäßig den Schwanz zu kupieren und die Spitzen der Eckzähne abzuschleifen.


Wer Sanktionen vermeiden will, muss jetzt investieren

Die Zeit wird enden, in der Verstöße gegen EU-Tierschutzvorschriften ungestraft bleiben. PROVIEH hat 2009 vor der EU eine Klage gegen Deutschland wegen Nichteinhaltung der Schweinehaltungsrichtlinie in der geltenden Fassung von 2008 angestrengt (siehe PROVIEH Magazin 4/2009). Dank einer EU-weiten Kampagne von Tierschutzorganisationen, darunter auch PROVIEH, gegen die Nichteinhaltung des Batteriekäfigverbotes für Legehennen ab 1. Januar 2012 wurde die EU-Kommission 2011 aktiv. Sie führt seither vermehrte Kontrollen durch und übt starken Druck auf die Nachzügler aus - auch mit entsprechenden Sanktionsandrohungen: Wer gegen eine EU-Vorschrift verstößt und erwischt wird, muss mit einer Agrar-Subventionskürzung rechnen. Das wissen die Tierhalter mittlerweile. Deswegen stehen die Sauenhalter plötzlich unter Zugzwang; denn die EU hat für die Einhaltung der Schweinerichtlinie umfassende Kontrollen ab Anfang 2013 angekündigt.

Viele Ferkelerzeuger sind noch unentschlossen, was sie tun werden. Laut Umfragen denken gerade die kleinen und mittleren Betriebe daran aufzugeben, weil sie sich die Investitionen wegen oft nicht kostendeckender Ferkelpreise bei gleichzeitig steigenden Futter- und Energiepreisen meist nicht leisten können. Oder sie haben keinen Hofnachfolger, so dass die Investition sich nicht lohnt. Dazu stieg der Wettbewerbsdruck in den vergangenen zehn Jahren enorm an durch neue, hoch technisierte Großanlagen etwa im Stile von Alt Tellin mit 10.500 Stammsauen, die sogar - zum Teil heute noch - mit EU-Agrargeldern subventioniert werden.


Der Strukturwandel frisst kleine Betriebe auf

Die Zuchtsauenbestände gingen laut Untersuchungen der Universität Vechta in Deutschland zwischen 1999 und 2010 um fast 12 Prozent von 2,68 auf 2,36 Millionen Zuchtsauen zurück.

Im gleichen Zeitraum schieden etwa 33.300 Sauenhalter aus, über 80 Prozent davon kleine Höfe mit unter 50 Sauen. Betriebe mit weniger als zehn Sauen werden ab 2008 zwar nicht mehr gezählt, was den statistischen Vergleich etwas verzerrt, aber klar erkennbar ist dennoch: Die durchschnittliche Betriebsgröße stieg von 1999 bis 2010 rasant an: 1999 standen noch etwa 33 Prozent der Sauen in Betrieben mit unter 20 Tieren, rund 40 Prozent in Beständen mit 20 bis 49 Sauen, um die 18 Prozent in Betrieben mit 50 bis 99 Sauen, gut zehn Prozent in Betrieben mit 100 bis 199 Sauen und nur 2 bis 3 Prozent in Betrieben mit über 200 Sauen (davon keine mit über 500 Sauen). Diese Verhältnisse haben sich bis 2010 nahezu umgekehrt: knapp über 30 Prozent der Sauen standen nun in Betrieben mit über 500 Sauen, weitere gut 30 Prozent in Betrieben mit 200 bis 500 Sauen, rund 22 Prozent in Betrieben mit 100 bis 199 Sauen, nur noch knapp 10 Prozent in Betrieben mit 50 bis 99 Sauen und sogar nur sieben Prozent in Betrieben mit weniger als 50 Sauen - davon ein Prozent in Betrieben mit unter 20 Sauen.

Doch mit Bestandsaufstockungen und neuen Großbetrieben wird die durch die drohenden Betriebsaufgaben entstehende Lücke im Ferkelangebot künftig kaum zu schließen sein. Dafür sorgen auch Bürgerinitiativen (auch von PROVIEH unterstützt) und die anstehende Änderung des Baurechtes, die die Bauvorhaben erschweren.

In der Vergangenheit konnte der Rückgang der Betriebs- und Sauenzahlen dadurch wettgemacht werden, dass die Zahl der im Mittel abgesetzten Ferkel je Sau und Jahr von 1999 bis 2010 um drei Ferkel je Sau und Jahr auf durchschnittlich rund 23 Ferkel gesteigert wurde. Aber diese "Produktivitätssteigerung" kann nicht beliebig fortgesetzt werden.


Die Zucht auf mehr Leistung ist ausgereizt

Die Tendenz zu weniger Sauen in größeren Beständen und zu immer mehr Ferkeln pro Sau und Jahr lässt sich nicht fortsetzen. Die Sauen werden schon jetzt über ihre Leistungsgrenze hinaus strapaziert. Konnte die Leistung einer Sau bis in die 1990er Jahre noch um rund 0,1 abgesetztes Ferkel pro Jahr züchterisch gesteigert werden, so explodierte die weitere Leistungssteigerung im letzten Jahrzehnt auf 0,5 bis 1 Ferkel pro Sau und Jahr. In heutigen Spitzenbetrieben werden schon über 25 Ferkel bis teilweise 30 Ferkel pro Sau und Jahr abgesetzt (mit Altersgenossen zur Ferkelaufzucht umgestallt). Zu dieser Steigerung trug auch die Zunahme der Wurfhäufigkeit von durchschnittlich 1,8 Würfen pro Jahr (vor 30 Jahren üblich) auf heute über 2,3 Würfe pro Jahr bei.

Doch die zu vielen Ferkel pro Sau haben zu einem Problem geführt. Eine Sau hat in der Regel nur 12-14 funktionsfähige Zitzen, bekommt pro Wurf aber bis zu 17 Ferkel. Dann kann die Sau nicht mehr alle von ihnen ausreichend säugen. Das bringt viele Schwierigkeiten mit sich, unter anderem eine mangelhafte Ausbildung des Immunsystems der Ferkel, Krankheitsverbreitung durch Umsetzen "überzähliger" Ferkel an andere "Ammensauen, sich schlecht entwickelnde Kümmerer und hohe Ferkelverluste. Vor allem bei dänischen Sauen kommen zwar zuchtbedingt schon bis zu 20 funktionsfähige Zitzen vor, die sich in ihrer Milchleistung allerdings stark unterscheiden. Ein Zuviel an Ferkeln pro Wurf bleibt also auch in diesen Fällen ein Problem. Nicht überraschend sind daher die alarmierenden Ferkelverlustzahlen aus einer Schweizer Studie mit 50.000 Sauen (Suisag 2008): In Würfen bis 14 Ferkel wurden nur 11,8 abgesetzt, in Würfen bis 17 Ferkel nur 12,2 - selbst bei Sauen mit 16 Zitzen!

Wegen Überforderung leiden auch die Gesundheit und die Fruchtbarkeit der Sauen, so dass sie spätestens nach vier bis fünf Würfen - also nach nur rund zwei Jahren Zuchtleistung - "gemerzt" (entsorgt) werden. Nur ein Viertel der Sauen gelangt heutzutage aus Altersgründen in die Schlachtung.

Das Fazit der Überzüchtung sieht düster aus: 2010 haben von den ca. 63,5 Millionen in Deutschland geborenen Ferkeln nur ca. 52 Millionen die Schlachtreife erreicht. Jedes fünfte Tier erlebte das Mastende also nicht. Abgesehen von der Frage, ob derartig hohe Verluste ethisch vertretbar sind, ist eine weitere Verringerung der Sauenbestände also kaum noch - wie bisher - durch höhere Leistungen der Tiere auszugleichen.


Ferkelimporte sind kein Ausweg

Laut Schätzung der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft mbH (AMI) haben deutsche Mäster im Jahr 2011 insgesamt knapp zehn Millionen Ferkel importiert: 6,3 Millionen aus Dänemark und 3,7 Millionen Ferkel aus den Niederlanden. Daraus ergeben sich drei Probleme. 1. Anders als in Deutschland ist zum Beispiel in Dänemark die "Stabilisierung" der Verdauungstätigkeit durch die Verabreichung des umwelttoxischen Zinkoxids an Ferkel üblich und erlaubt. Dadurch konnte der Antibiotika-Einsatz in Dänemark zwar reduziert werden, aber wenn dänische Ferkel in Deutschland eingestallt werden, müssen sie zwangsläufig erst einmal mit Antibiotika behandelt werden, weil sie ohne Zinkoxid dem Infektionsdruck nicht gewachsen sind. 2. Wegfallende deutsche Kapazitäten können unsere Nachbarn ohnehin künftig kaum ausgleichen, da sie an ökologische Grenzen stoßen. Eine wachsende Abhängigkeit vom Ausland ist aber auch gar nicht wünschenswert, denn sie erfordert Ferkeltransporte - teilweise über lange Strecken. Die bergen die Gefahr der Verbreitung von Tierseuchen und mindern die Unabhängigkeit bei der Umsetzung von Standards und Gesetzen. 3. Selbst bei einer durchaus wünschenswerten Verringerung der Mastbestände in Deutschland rückt die Selbstversorgung mit Ferkeln aus tierfreundlichen Beständen in immer weitere Ferne, weil zu viele kleine und mittlere Betriebe aufgeben.


Ist den kleinen und mittleren Sauenhaltern zu helfen?

Um die Grundlagen der heimischen Erzeugung zu stärken und den "Nachschub" an gesetzestreu produzierten Ferkeln mittel- und langfristig zu sichern, ist es wünschenswert, in Deutschland möglichst viele Betriebe mit bis zu 200 Sauen zu erhalten.

Deshalb ruft PROVIEH die Bundesländer auf, vor allem kleine und mittlere Sauenhalter zu unterstützen, die ihren Betrieb gern zukunftsfähig gestalten würden, aber nicht die Mittel dazu haben. In solchen Fällen könnten die Länder bereitstehende EU-Fördermittel des ELER-Programms in Millionenhöhe anfordern, um tierfreundliche Sauenhaltung zu fördern. Wie eine solche Haltung tierfreundlich und kostengünstig eingerichtet werden kann, dafür gibt der anerkannte Schweinefachmann Rudolf Wiedmann sehr gute Tipps (siehe Infobox). Alles, was über den gesetzlichen Mindeststandard hinausgeht, ist nach EU-Recht förderungswürdig. Für geeignete Maßnahmen und Förderprogramme zur Sauenhaltung wird es allerhöchste Zeit, denn 2013 steht fast vor der Tür.


INFOBOX

Rudolf Wiedmann zeigt in seinem Buch "Gruppenhaltung tragender Sauen", dass kostengünstiges Wirtschaften und Tierschutz kein Widerspruch sein müssen. Er vergleicht gängige Haltungsverfahren nach tiergerechten Kriterien wie der gleichzeitigen, ungestörten, individuell abgestimmten Fütterung. Er gibt umfangreiche Tipps zu Größe und Zusammenstellung einer Sauengruppe, zu Minimierung von Rangordnungskämpfen, zu Gestaltung von Funktionsbereichen, zu Liegekomfort und zu Beschaffenheit von Raufutter und Beschäftigungsmaterial. Auf knapp 100 Seiten beschreibt er Praxisfälle der Umstellung auf Gruppenhaltung. Und er warnt davor, nur die unzureichenden gesetzlichen Mindestanforderungen einzuhalten: Zu geringe Platzangebote, zu große Spaltenweiten und Perforation im Liegebereich bewirken Stress, Verletzungen und verfrühte Abgänge.

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Quelle:
PROVIEH Ausgabe 03/2012, Seite 18-21
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2012