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TIERHALTUNG/687: Industrielle Tierhaltung - "Es ist bereits weit nach zwölf!" (tierrechte)


tierrechte 4.16 - Nr. 77, Dezember 2016
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Industrielle Tierhaltung: "Es ist bereits weit nach zwölf!"

von Christina Ledermann


Wirksame Strategie & kluge Taktik

In dieser Ausgabe stellt Ihnen das tierrechte-Magazin Persönlichkeiten vor, die sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise für Tiere einsetzen. Sie kommen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen wie Wissenschaft, Behörden, Politik, Rechtswissenschaft, Landwirtschaft, Finanzwirtschaft und Literatur. Sie sind nicht alle klassische TierrechtlerInnen. Darauf kam es und auch nicht an. Wir fanden es entscheidend, dass ihr Engagement wirkt. Dass es das Potenzial hat, etwas für die Tiere zu verändern. Diese Menschen leben uns vor, dass es viele Wege gibt, diese Welt besser zu machen.

Es gibt nur wenige Amtstierärzte, die sich so für Tiere einsetzen wie Dr. Hermann Focke. Über 30 Jahre arbeitete er im Epizentrum der industriellen Tierhaltung. Mutig und kompromisslos kritisierte er die Missstände, legte sich mit der mächtigen Landwirtschaftslobby an und riskierte dafür mehrmals seine berufliche Karriere.


Für ihn ist der Tierarzt zuallererst den Tieren verpflichtet - und nicht der örtlichen Wirtschaftsförderung. Diese Aussage macht Hermann Fockes Ansatz gut deutlich. Weil er bei den Tieren sein wollte, entschied er sich nach dem Studium für eine Laufbahn als amtlicher Tierarzt statt einer wissenschaftlichen Karriere. 1980 wurde er stellvertretender Leiter des Veterinäramtes Vechta. Neun Jahre später wechselte er als Veterinäramtsleiter nach Cloppenburg, die Region mit der höchsten "Nutztierdichte" Europas. Unbequem für die mächtige Landwirtschaftslobby machte er unermüdlich auf die Probleme und Missstände in der industriellen Tierhaltung aufmerksam.


Die Politiker nehmen ökologische und soziale Schäden in Kauf

Das Grundproblem beschreibt er so: Die politisch Verantwortlichen stellten ihr Interesse an der Förderung des Exports von Fleisch und Milch über das Interesse der Öffentlichkeit an ihrer Gesundheit. Dafür nähmen sie massive ökologische und soziale Schäden in Kauf. Focke machte immer wieder Vorschläge für die Verbesserung von Haltungsbedingungen, für bessere Seuchenprophylaxe oder zur Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes - meist ohne Erfolg. Obwohl er selbst an der Reformfähigkeit eines an sich "kranken Wirtschaftssystems" zweifelt, setzte er mehrfach seine berufliche Kariere für Tierschutz-Verbesserungen aufs Spiel. Beispiel: Als das Veterinäramt Cloppenburg im April 1992 Rindertransporte in den Nahen Osten abfertigen sollte, weigerte sich Focke, die Papiere zu unterschreiben, weil eine lückenlose Versorgung der Tiere auf dem langen Transport nicht sichergestellt werden konnte.


Tiertransporte: 20 Stunden bei 50 Grad Celsius

Während andere Amtsveterinäre die Transporte abfertigten, folgte Focke den LKWs auf eigene Kosten. Was er erfuhr, übertraf alle Horrorvisionen. In der kroatischen Hafenstadt Rasa musste er miterleben, wie 270 Rinder nach einer 74-stündigen Reise durch Europa fast 20 Stunden auf den engen Transportfahrzeugen auf ihre Verschiffung warten mussten - ohne Wasser und Futter bei Temperaturen bis zu 50 Grad! Die Presseberichte über die tierschutzwidrigen Transporte führten zu Auseinandersetzungen mit den übergeordneten Behörden. Als Focke einige Jahre später Betrug im Umgang mit der Schweinepest öffentlich anprangerte, leitete die Kreisspitze ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein. Daraufhin wurden ihm alle Befugnisse als Amtsleiter entzogen.


Dringend nötig: ein neues Tierschutzgesetz

Wenig später erkrankte Focke an einem Erschöpfungssyndrom und schied 1998 auf eigenen Antrag vorzeitig aus dem amtlichen Dienst aus, um, wie er selbst sagt, "wieder Tierarzt sein zu können". Trotz der vielen Rückschläge verfiel er nicht in Resignation. Er veröffentlichte drei Bücher zur industriellen Tierhaltung und zum Antibiotikaeinsatz. Darin formuliert er ganz konkrete Forderungen: Deutschland brauche dringend ein neues und eindeutig formuliertes Tierschutzgesetz und deutlich höhere gesetzliche Standards. Diese müssten die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse der Verhaltensbiologie berücksichtigen. Um eine drohende Apokalypse durch die wachsenden Antibiotika-Resistenzen zu verhindern, fordert Focke wesentlich kleinere Gruppengrößen und eine deutliche Reduzierung der Besatzdichten.


Transparente Kennzeichnung von Milch und Fleisch

Zudem müsse man weg von der Fokussierung auf übersteigerte Leistungsparameter. Das Ziel seien gesündere und robustere Tiere. Außerdem spricht er sich für eine aussagefähige und transparente Kennzeichnung von Milch und Fleisch nach dem Vorbild der Eier-Kennzeichnung aus. Mit 75 Jahren ist Hermann Focke immer noch im Dienst der Tiere unterwegs. Er schreibt und referiert auf Veranstaltungen. Es ist mehr als erfreulich, dass Fockes Einsatz nach dieser langen Zeit gewürdigt wurde: Er wurde mit zahlreichen Tierschutzpreisen, dem Preis für Zivilcourage der Solbach-Freise-Stiftung und zuletzt mit dem Niedersächsischen Verdienstorden am Bande ausgezeichnet. Dies ist auch ein Indiz dafür, dass Fockes Wirken nachhaltige Spuren in der Zivilgesellschaft hinterlassen hat.


Ein ausführliches Interview mit Dr. Hermann Focke lesen Sie unter:
www.mag.tierrechte.de/96

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Quelle:
tierrechte 4.16 - Nr. 77/Dezember 2016, S. 6
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
eMail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2017

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