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TIERHALTUNG/716: Lahme Sau! (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2017
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Lahme Sau!

von Ann-Kathrin Bäcker


Medizinische Einblicke: Technopathien des Bewegungsapparates beim Schwein

Mit dem Begriff Technopathie meint man haltungsbedingte Erkrankungen, Verletzungen beziehungsweise Verhaltensstörungen eines Tieres. Hierunter findet man auch verschiedene, teils häufig vorkommende Erkrankungen des Bewegungsapparates. Doch wieso kommt es eigentlich zu einer Häufung dieser Probleme?


Etabliertes Haltungssystem - etablierte Erkrankungen

Konventionelle Haltungssysteme werden vielen Bedürfnissen der Tiere nicht gerecht. Dies zeigt sich nicht nur in problematischen Verhaltensweisen. Auch am Schlachthof und bei der Bestandsbetreuung tragen typische Befunde dieser Diskrepanz Rechnung.

Krankhafte Veränderungen des Bewegungsapparates sind nicht nur häufig, die Zusammenhänge mit der Haltung sind auch vielfältig. Dabei spielen besonders folgende Aspekte eine wichtige Rolle:

• Zu geringes Platzangebot

• Beschaffenheit der Böden beziehungsweise Untergründe

• Zuchtausrichtung

• Fütterung

Um die Entstehung dieser Krankheiten zu verstehen, empfiehlt es sich, die arttypischen Eigenschaften der Tiere anzusehen: Der Bewegungsapparat des Schweines ist für einen weichen Boden und eine ausdauernde Bewegung ausgelegt. Wenn ein Haltungssystem erheblich von diesen Bedürfnissen abweicht, überfordert es die körperliche Anpassungsfähigkeit der Tiere. Dadurch können krankhafte Veränderungen entstehen.


Knorpel braucht Bewegung!

Eine artgemäße Bewegung ist eine wichtige Voraussetzung für gesunde Gelenke. Dies hat folgenden Hintergrund:

Zwischen den Knochenauflageflächen der Gelenke befindet sich der Gelenkknorpel. Er schützt den Knochen vor Reibung und stellt die normale Bewegung der Gelenke sicher. Der Knorpel dieser Gelenke besitzt jedoch keine eigenen Blutgefäße, die ihn mit "Nahrung" versorgen. Benötigte Nährstoffe gelangen daher durch eine einfache Art des Stofftransportes - der Diffusion - zu den Knorpelzellen. Hierbei verteilen sich die benötigten Stoffe anhand eines Konzentrationsgefälles. Dies kann man sich vorstellen wie einen Tropfen Tinte, der in ein Wasserglas gegeben wird. Die kleinen Farbpartikel verteilen sich und lassen mit der Zeit eine hellblaue Abfärbung des Wassers erkennen.

Im Gelenk ist dieser Vorgang etwas komplizierter. Um den Nährstofftransport zu gewährleisten, werden kleine, wechselnde Druckverhältnisse benötigt, so wie sie bei der normalen Bewegung des Tieres auftreten. Die Bewegung des Schweins gewährleistet also die Ernährung des Knorpels. Ein geringes Platzangebot lässt die für den Knorpel nötige Bewegung jedoch nicht ausreichend zu.

Gleichzeitig federt ein harter Boden die beim Laufen entstehenden Stöße kaum ab. Dadurch kommt es auch hier zu einer stärkeren Belastung des Bewegungsapparates. Die so vorgeschädigten Gelenke sind anfällig für verschiedene Formen von Gelenkentzündungen.

Diese Problematik wird durch das zucht- und fütterungsbedingte rasante Wachstum der Tiere verstärkt: Knochen, Knorpel und Gelenke entwickeln sich langsamer als das schnell wachsende Muskel- und Fettgewebe. Normalerweise wäre die Skelettentwicklung der Tiere erst mit drei bis vier Jahren abgeschlossen. Während dieser Entwicklung wirken, durch das schnelle Wachstum, jedoch bereits starke Muskelzugkräfte und eine erhöhte Körpermasse auf die noch unausgereiften Knochen ein. Dabei kommt es an den Wachstumsfugen und Gelenken zu höheren Druck- und Zugbelastungen, welche häufig zu Knorpeldegenerationen und dem Krankheitsbild der Osteochondrose (Knochen-Knorpel Krankheit) führen, einer für das Tier sehr schmerzhaften Erkrankung.


Schmerzen durch zu lange Klauen

Die Betonspaltenböden sind für den an weichen Untergründen angepassten Bewegungsapparat des Schweines oftmals zu hart, jedoch führt die geringe Bewegung der Tiere trotzdem schnell zu einem Missverhältnis zwischen Klauenwachstum und Abrieb. Das Klauenhorn wächst am Tag etwa 0,3 Millimeter, durch die Bewegung der Tiere kommt es eigentlich zum Abrieb des Horns. Bei eingeschränkter Bewegung ist dieser Abrieb jedoch zu gering und es entstehen leicht Schnabel- oder Stallklauen. Dabei wird das Horn im vorderen Bereich der Klaue länger, wodurch sich. der Belastungsschwerpunkt weiter nach hinten, in Richtung Ballenbereich, verlagert. Die Ballenregion ist für eine derartige Belastung jedoch nicht geeignet und es kommt zu einer Uberlastung des Aufhängeapparates und zu Quetschungen des Ballenhorns beziehungsweise der darunter liegenden, schmerzempfindlichen Lederhaut. Meist sind die Hintergliedmaßen betroffen.

Bei sehr schmalen oder abgerundeten Bodenauftrittsflächen kommt ein weiteres Problem hinzu. Die Fehlbelastung der Klauen wird noch verstärkt, wenn das Gewicht beim Auffußen über zu kleine Anteile der Klaue auf den Boden übertragen wird. Diese punktuellen Druckbelastungen können auch im Bereich der Sohle zu Quetschungen und Blutergüssen führen. Aber auch ohne die Bildung von Stallklauen kann es zu einer quetschungsbedingten, nicht infektiösen Entzündung der Lederhaut kommen. Diese Gefahr besteht beispielsweise dann, wenn auf einen harten, einstreulosen Boden umgestellt wird.

Wenn es im Verlauf der Stellungsveränderungen zu einer Durchtrittigkeit kommt, steigt zudem die Gefahr von Afterklauenverletzungen. Die Afterklauen werden dabei weiter abgesenkt und können so in den Betonspalten eingeklemmt werden. Entzündungen und durch Keimeintrag bedingte Komplikationen können weitere Schmerzen verursachen.

Schmerzhafte Veränderungen des Bewegungsapparates führen unter anderem auch zu vermehrtem Liegen. Dies verstärkt jedoch die bestehende Problematik und ruft weitere Erkrankungen hervor. Aktuell wird untersucht, welche weiteren Faktoren bei der Krankheitsentstehung von entzündlichen Klauenerkrankungen eine Rolle spielen. Zusätzlich zu den geschilderten Problemen scheinen Genetik und eine Stoffwechselüberlastung in Zusammenhang mit der Fütterung eine sehr große Rolle zu spielen. Studien hierzu werden derzeitig durchgeführt.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2017, Seite 24-26
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. November 2017

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