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INITIATIVE/351: PROVIEH-Kampagne gegen die Verstümmelung von Ferkeln erfolgreich (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN, Ausgabe 04/2010
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

PROVIEH-Kampagne gegen die Verstümmelung von Ferkeln erfolgreich

Von Sabine Ohm


Die Schweineerzeuger in Nordrhein-Westfalen (NRW) schäumen: Das Landesagrarministerium will dem routinemäßigen Schwanzkupieren per Erlass ein Ende setzen. Laut Entwurf dürfen Schwänze künftig nur noch gekürzt werden, wenn der bestandsbetreuende Hoftierarzt eine Bescheinigung ausstellt, dass er mit dem Mäster für konkrete Verbesserungen der Haltungsbedingungen gesorgt hat zur Vermeidung von Schwanzbeißen.

Dieser Erlass käme jährlich mindestens 12,5 Millionen Schweinen auf den über 11.000 Schweinemastbetrieben in NRW zugute. PROVIEH begrüßt diese Initiative, warnt aber vor der Gefahr von Augenwischerei und vor Blanko-Attesten. Die europäische Richtlinie zum Schutz der Schweine erlaubt schon jetzt kein routinemäßiges Schwanzkürzen. Diese Richtlinie wurde in Deutschland bisher nicht umgesetzt, und die Aufsichtsbehörden sahen weg. Künftig müssen also, wie in der Richtlinie vorgesehen, sämtliche Möglichkeiten zur Verbesserung der Haltungsbedingungen ausgeschöpft werden, bevor der Hoftierarzt eine Bescheinigung ausstellt. Insbesondere muss ausreichend viel und angemessenes Beschäftigungsmaterial bereit gestellt werden.

In den einschlägigen Blättern kritisieren die Kommentatoren, die Umsetzung der Richtlinie sei unter den herrschenden Bedingungen der Schweineproduktion nicht möglich. In der Tat, dichtes Gedränge auf Vollspaltenböden und eine hängende Kette als Spielzeug reichen zur Vermeidung von Schwanzbeißen nicht aus. Genau deshalb kämpft PROVIEH vehement gegen die weit verbreitete tierquälerische Massentierhaltung und hat bei der EU Klage gegen den deutschen Verstoß gegen die Schweinehaltungsrichtlinie eingereicht. Schweine sind inzwischen als fühlende Wesen anerkannt (siehe Vertrag von Lissabon) und sind laut wissenschaftlichen Studien auch hoch intelligent. Das wollen die Profiteure der gegenwärtigen Schweinehaltung nicht wahrhaben und verteidigen ihr Handeln fadenscheinig mit möglichem Tierleid, das bei ungekürzten Schwänzen durch Schwanzbeißen auftreten könnte. Bei der Suche nach Alternativen zeigten sie sich bisher phantasielos: Dabei haben Forscher längst gezeigt, dass die häufig eingesetzten Eisenketten, Gummischläuche, Bälle und Plastikspielzeuge für die Mastschweine schnell zu langweilig oder zu schmutzig werden und dann nach einigen Tagen als Spielzeuge nicht mehr angenommen werden.

In Finnland, Schweden, Norwegen und Litauen sind Schwanzkupieren und Eckzähnekürzen seit Jahren verboten. Britische Forscher haben in den letzten Jahren in umfassenden Studien für kommerzielle Haltungssysteme die wichtigsten Risikofaktoren für Schwanzbeißen und die Art geeigneter Beschäftigungsmaterialien identifiziert. Ihre Ergebnisse wurden im November 2010 auf dem 2. Workshop der EU-Kommission zur Verbesserung der Schweinehaltungsbedingungen vorgestellt, an dem auch PROVIEH teilnahm. In den Workshops waren sich die Experten in drei wichtigen Punkten einig:

1. Die Einhaltung der EU-Richtlinie muss in fast allen Schweine erzeugenden EU-Ländern deutlich verbessert werden. Als wirksamste Mittel wurden finanzielle Anreize bzw. Unterstützung der Betriebe bei der Verbesserung der Haltungssysteme und die Verhängung von Geldbußen bei Nichteinhaltung der EU-Richtlinie genannt.

2. Die guten Erfahrungen und Forschungsergebnisse aus Vorreiterländern wie Schweden und Großbritannien sollten besser genutzt und verbreitet werden, damit man in anderen Ländern nicht unnötig bei null anfängt.

3. Geeignete Beschäftigungsmaterialien, die das Schwanzbeißen reduzieren, sollten die folgenden Kriterien erfüllen, die sich nach Prüfung von über 70 verschiedenen Typen als günstig erwiesen: Die Materialien sollten vom Schwein zerkaut und verdaut werden können oder verformbar und zerstörbar sein. Geruchsneutrale Materialien schnitten schlechter ab als solche, die Gerüche verströmen. Vorteilhaft sind Einstreu oder Raufen mit viel qualitativ hochwertigem Stroh und bewegliche Vorrichtungen, die von den Schweinen manipuliert werden können und durch Anstubsen z.B. Pilzkompost oder einzelne Futterpellets ausgeben oder herunterfallen lassen. Durch Beachtung dieser Kriterien bei der Umgestaltung von Ställen können Verhaltensstörungen wie Schwanzbeißen weitgehend vermieden werden.

Schweine sind von Natur aus neugierig. Sie stöbern gerne mit ihrer Schnauze und wühlen auf der Suche nach Fressen. Sie brauchen eine sinnvolle Beschäftigung, die ihre Aufmerksamkeit dauerhaft wach hält und ihren Fressinstinkt befriedigt. Auf Vollspaltenböden ist alles dies nicht möglich. Jetzt sind Erzeugerverbände und Beratungseinrichtungen gefragt, die Studienergebnisse zur schnellstmöglichen Umsetzung an die Mäster zur Umsetzung weiterzugeben, und die Behörden müssen die Umsetzung der EU-Richtlinie strenger kontrollieren. Dann könnte es den Schweinen endlich besser gehen.


Sabine Ohm, Europareferentin


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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN, Ausgabe 04/2010, S. 32-33
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Mai 2011