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INITIATIVE/407: Initiative Tierwohl für alle, jetzt! (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2015
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Initiative Tierwohl für alle, jetzt!

Von Sabine Ohm


PROVIEH hat ab 2010 mit einem kleinen Initiativkreis ein Tierwohl-Bonitierungssystem konzipiert, das als Instrument für eine schrittweise Verbesserung des Tierwohls in der breiten Masse der konventionellen Betriebe dienen soll. Schweinehalter sollen dadurch für freiwillige Tierwohlmaßnahmen wie mehr natürliches Licht, offene Tränken, Einstreu und Auslauf einen fairen finanziellen Ausgleich über einen vom Lebensmittelhandel (LEH) finanzierten Tierwohl-Fonds bekommen.

Das Bonitierungssystem wurde unter der Ägide der Branchenorganisation QS ("Qualität & Sicherheit") unter Mitwirkung von PROVIEH ab 2012 weiter ausgearbeitet und läuft seit Anfang des Jahres als "Initiative Tierwohl" (ITW): Seit Januar 2015 zahlen die meisten der TOP 10 des deutschen Lebensmitteleinzelhandels (LEH) je vier Cent pro verkauftem Kilogramm Schweinefleisch in den Fonds der ITW ein (vgl. PROVIEH Magazin 1/2015).

Auch wenn PROVIEH inhaltlich viel Nachbesserungsbedarf sieht und an einer zügigen Weiterentwicklung mitarbeitet, sind wir froh und stolz über diese weltweit einzigartige Brancheninitiative, die ein Meilenstein auf dem Weg zu mehr Tierwohl in den Ställen werden könnte. Doch nun haben wir neue Sorgen.


ITW Opfer ihres Erfolges?

Bis zum Meldeschluss am 28. April 2015 hatten sich über 4.650 Betriebe mit mehr als 25 Millionen Schweinen angemeldet. Diese Betriebe erzeugen also fast die Hälfte der deutschen Schweine 83 Prozent von ihnen hatten schon Zehntausende Euro in Verbesserungen des Tierwohls investiert, um sich auf den Start der Betriebskontrollen ab Mai 2015 vorzubereiten. Aber nur weniger als die Hälfte der Betriebe - 2.142 Betriebe mit insgesamt etwas über 12 Millionen Sauen, Ferkeln und Mastschweinen - zogen ein "Glückslos" und wurden in die ITW aufgenommen. Die übrigen Betriebe mit über 13 Millionen Schweinen stehen für unbestimmte Zeit auf der Warteliste. Das ist aus Sicht von PROVIEH völlig inakzeptabel. Man kann diese Tierhalter nicht einfach auf ihren Kosten sitzenlassen. Bisher weigert sich aber die Branche, mehr Geld in den Tierwohl-Fonds einzuzahlen. Dagegen läuft PROVIEH Sturm.


Frage der Glaubwürdigkeit

Sollten nicht alle angemeldeten Tierhalter einen fairen Ausgleich für ihren höheren Aufwand bekommen, würden der Handel und die gesamte Lebensmittelwirtschaft den Rest an Vertrauen verspielen, nachdem die vielen Preissenkungen und Billigfleischaktionen der letzten Monate ihre Glaubwürdigkeit ohnehin bereits stark unterminiert haben.

Der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik lobte in seinem Gutachten "Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung" vom März 2015 zwar die Initiative Tierwohl als vielversprechendes Modell, forderte aber genau wie PROVIEH eine dringende Aufstockung der Finanzmittel (siehe dazu auch Bericht in diesem Heft).

Tierwohl in den Ställen ist nun mal nicht zum Nulltarif zu haben, und die Verbraucher müssen an den höheren Kosten für mehr Tierwohl beteiligt werden.


Was PROVIEH fordert

Alle noch nicht teilnehmenden Lebensmittelhändler wie Metro, Globus, COOP, Famila, Norma und CITTI sowie weitere große Unternehmen der Branche mit erheblichen Schweinefleischumsätzen wie McDonald's und Burger King müssen der Initiative Tierwohl sofort beitreten und in den Tierwohlfonds einzahlen. Aber selbst wenn sie alle mitmachen, wird das Geld noch immer nicht für alle angemeldeten Betriebe reichen. Deshalb muss auch der Beitrag aller Träger von vier auf ca. acht Cent pro Kilogramm Schweinefleisch verdoppelt werden. Dann wäre der Beitrag für den ITW-Fonds noch immer sehr gering, und die Verbraucher würden den Mehrpreis beim Kauf der Ware kaum spüren - aber allen angemeldeten Bauern könnte die Teilnahme an der ITW gesichert werden. Das wäre doch nur fair!


Ringelschwanzprämie

Die Beitragserhöhung ist auch deshalb nötig, weil ab Anfang 2016 im Rahmen der ITW eine Prämie für intakte Ringelschwänze gezahlt werden soll. Auch dafür wird Geld gebraucht. PROVIEH ist an der nicht unkomplizierten Ausarbeitung des Kriterienkataloges für das "Ringelschwanzpaket" der ITW beteiligt. Auf das Schwanzkupieren zu verzichten hatte sich in der Praxis der konventionellen Betriebe bisher als eine komplexe und aufwändige Aufgabe herausgestellt, die aber nicht unlösbar ist.

PROVIEH hat dank intensiver Facharbeit unter anderem gemeinsam mit dem Landwirtschaftsministerium von Nordrhein-Westfalen (NRW) in Feldstudien und Projekten ein vielversprechendes, schlüssiges Ausstiegskonzept aus dem Schwanzkupieren mit erarbeitet. Dabei spielen gute Beratung und ein gesunder Stoffwechsel durch Raufutter und mehr Rohfaser im Futter, bessere Wasserversorgung und ein verbessertes Stallklima eine zentrale Rolle. Es wird im Rahmen der "Gemeinsamen Erklärung NRW zum Kupierverzicht" gerade in die Praxis umgesetzt (vgl. Heft 1/2014).

Spätestens ab Januar des kommenden Jahres muss also Geld da sein für alle Tierhalter, die schon Schweine mit intakten Ringelschwänzen halten oder aus dem Kupieren aussteigen wollen, nicht nur solche, die bereits in die ITW aufgenommen wurden.


Fazit

Die Schweinehalter haben gezeigt, dass sie erheblich mehr Tierwohl in ihren Ställen umsetzen wollen, als die Branche bisher zu finanzieren bereit ist. Jetzt müssen die Unternehmen beweisen, dass es ihnen wirklich ernst ist mit dem Tierwohl, und deshalb müssen sie gemeinsam das nötige Geld aufbringen. Sie sollten deutsche Herkunft bevorzugen und eine umfassende Herkunftskennzeichnung auch für Wurst und andere Verarbeitungswaren einführen. Nur so werden die Verbraucher den gerechten Preis für die höheren Tierwohlstandards anerkennen und bezahlen. Andernfalls kann das System auf Dauer nicht funktionieren. Die heimischen Bauern würden sonst durch die höheren Tierwohlanforderungen in unserem Land ruiniert. Die über 3,2 Millionen Tonnen Schweinefleisch, die die Deutschen jedes Jahr verzehren, werden jetzt schon zunehmend aus billigeren Erzeugerländern mit schlechteren Haltungsbedingungen und Kontrollen importiert (siehe Infobox). Damit ist niemandem gedient, nicht den Bauern, nicht den Erzeugern, nicht den Verbrauchern, und am wenigsten den Tieren!


Was tun?

PROVIEH hat die Top 100 Unternehmen der Lebensmittelbranche und des Handels zur Nachfinanzierung des Tierwohl-Fonds aufgefordert. Falls dies nicht geschieht, planen wir bereits gezielte Aktionen - analog zur Kampagne zur Abschaffung der Ferkelkastration ab 2009 (wir berichteten). Parallel dazu setzen wir uns im dafür zuständigen Beratungsausschuss der Initiative Tierwohl vehement für die notwendige inhaltliche Weiterentwicklung der ITW ein, damit sie für noch mehr substantielle Verbesserungen des Tierwohls in den Ställen sorgen kann. Dabei gilt: Geiz ist nicht geil, schon gar nicht auf Kosten des Tierwohls!

INFOBOX
 
Unfairer Wettbewerb bedroht Initiative Tierwohl

Trotz unserer Bemühungen wurde bei der letzten EU-Agrarreform 2013 das schwammige EU-Subventionskriterium "Förderung der Wettbewerbsfähigkeit" nicht aus der sogenannten "2. Säule" gestrichen. In Ländern wie Spanien wird massiv der Bau von Tierfabriken zur Billigproduktion für den Export subventioniert. Tierwohl? Fehlanzeige. Einhaltung gesetzlicher Standards wie des Ringelschwanz-Kupierverbots? Keinerlei Anstalten. Einige deutsche Supermarktketten und Fleischverarbeiter importieren das billige Fleisch nun pünktlich zur Grillsaison in rauen Mengen und drücken damit die Preise in Deutschland so tief, dass die Bauern hierzulande keine kostendeckenden Erlöse erzielen können. So wird die Initiative Tierwohl unterlaufen, die Glaubwürdigkeit der Branche verspielt.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2015, Seite 14-16
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
Telefax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
Internet: www.provieh.de
 
PROVIEH erscheint viermal jährlich.
Schutzgebühr: 2 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. September 2015

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