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POLITIK/471: Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz (PROVIEH)


PROVIEH Heft 2 - Juli 2008
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Arbeitskreise
Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz - die Quadratur des Kreises?

Von Sabine Zentis, Arbeitskreis Tierseuchen


Tierseuchen gibt es schon so lange, wie der Mensch Nutztiere hält. Sie wurden im Mittelalter als eine Strafe Gottes oder Hexenwerk angesehen, mit denen Mensch und Tier leben (oder sterben) mussten, ohne einen direkten Einfluss nehmen zu können.

Nachdem im 19. Jahrhundert die infektiösen Ursachen der Tierseuchen entdeckt worden waren, erkannte man, dass man die hohen wirtschaftlichen Verluste der einzelnen Viehhalter nur durch ein gemeinschaftliches Vorgehen würde eindämmen können. Tierseuchen wurden von nun an staatlich unter Einsatz von veterinärpolizeilichen Maßnahmen bekämpft.

Die Intention der Behörden war dabei in erster Linie eine politische: Die viehhaltenden landwirtschaftlichen Betriebe mussten gesund und produktiv erhalten werden, um der stetig wachsenden Bevölkerung genügend Lebensmittel zur Verfügung stellen zu können. Dazu kam, dass einzelne Tierseuchen, wie zum Beispiel die Tuberkulose des Rindes oder die Tollwut, auf den Menschen übertragbar sind und insofern eine Bedrohung für die Gesundheit der Bevölkerung darstellen.

Am Beispiel der Geschichte der Maul- und Klauenseuche, der bis ins letzte Jahrhundert Millionen von Klauentieren europaweit zum Opfer fielen, kann man erkennen, welchen Nutzen eine Tierseuchenbekämpfung unter Zuhilfenahme aller Möglichkeiten des wissenschaftlichen Fortschritts hat. Durch flächendeckende Impfprogramme wurde diese Seuche in Europa eingedämmt und ausgerottet.

1991 erließ die Europäische Union jedoch aus handelspolitischen Gründen ein Impfverbot gegen die Maul- und Klauenseuche. Von da an wurde die Seuche durch den Handel mit Vieh oder tierischen Erzeugnissen immer wieder von außen eingeschleppt - mit verheerenden Konsequenzen. Die Bilder der Scheiterhaufen in Großbritannien aus dem Jahre 2001 dürften allen unvergesslich sein. Durch das Impfverbot traf das Virus auf eine ungeschützte Population und verbreitete sich rasant. Tiere erkrankten zum Teil schwer; und was die Seuche nicht vermochte, wurde mit Hilfe der "Tierseuchenbekämpfung" durch Keulungen erreicht: ein Massensterben ohnegleichen.

Zum Ende des Jahre 2001 war die Seuche dann "unter Kontrolle"; aber um welchen Preis? Mit dem Virus waren die Herden ganzer Regionen vernichtet worden, unsägliches Leid war den Tieren und den Landwirten zugemutet worden, nur um den Status "Seuchenfrei ohne Impfung" wiederzuerlangen.

Ein ähnliches Bild bot sich beim Ausbruch der klassischen Schweinepest in Nordrhein-Westfalen im Jahre 2006: Hier wurden rund 110.000 Schweine auf 256 Betrieben getötet, nachdem die Schweinepest in nur acht Betrieben festgestellt worden war.

Dass diese Art der Tierseuchenbekämpfung mit massiven Tierschutzproblemen sowie einer nicht zu verantwortenden psychischen Belastung der Landwirte einhergeht, ist bewiesen. Der Grund, warum nicht geimpft wird, liegt nicht darin, dass es keinen sicheren Impfstoff gibt, sondern einzig und allein in den Bedenken des Handels und der Exporteure. Man hat jahrelang erfolgreich Impfungen der Nutztiere verhindert, um den eigenen Markt vor Importen zu schützen und durch den Status "Seuchenfrei ohne Impfung" Handelsvorteile zu haben.

Das hat übrigens mit Verbraucherschutz nichts zu tun: Um rückstandsfreieres Fleisch aus einer Aufzucht mit möglichst wenigen Medikamenten geht es hier nicht. Es wird zum Glück gegen viele andere Krankheiten in den Beständen geimpft, was den großen Vorteil hat, dass die Tiere nicht erkranken und somit auch nicht mit Antibiotika behandelt werden müssen. Daher sind Impfungen auch ein Weg, um die Belastung tierischer Produkte mit Rückständen zu verhindern.

Vergessen wird immer, dass die Landwirte keinerlei Möglichkeiten haben, ihre Tiere vor den Folgen eines immer ausgedehnteren globalisierten Handels und der Reiselust ihrer Mitbürger zu schützen. Viren und Seuchenerreger wandern durch infizierte Tiere oder durch mit dem Erreger behaftete Lebensmittel in ein Land ein. Leider ist die Macht des großen Geldes immer noch stärker als der berechtigte Wunsch, die Tiere vor den Konsequenzen des Handelns anderer zu schützen.

In einem Bereich findet zurzeit aber ein Umdenken statt: Eine kleine Mücke, Trägerin des Blauzungenvirus, hat das geschafft, was der gesunde Menschenverstand nicht vermochte: Sie hat den Widerstand der Impfgegner in der Politik und den Ministerien besiegt. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten soll eine Seuche der Nutztiere in Mitteleuropa mittels eines Impfstoffes eingedämmt und bekämpft werden. Dies soll aus "wirtschaftlichen Gründen" erfolgen - also genau aus den Gründen, aus denen gegen andere Seuchen nicht geimpft wird.

Es gibt zwar noch nicht genug Impfstoff in Deutschland gegen die Blauzungenerkrankung, und die endlosen Einlassungen der Rinderzuchtverbände haben dazu geführt, dass der Impfstoff erst so spät bestellt wurde, dass er in den am schwersten betroffenen Regionen zu spät kommt, um die ersten Erkrankungen zu verhindern. Aber immerhin: Es wird geimpft.

Im Interesse des Tierschutzes und der Landwirte muss auf diesen kleinen Schritt ein größerer folgen: Die Impfung gegen Tierseuchen muss das Mittel der Wahl werden, um übertragbare Krankheiten zu bekämpfen und/oder deren Ausbreitung zu verhindern. Damit wird nicht nur ein wesentlicher Beitrag zum Tierschutz geleistet, indem den Tieren unnötiges Leiden und Krankheit erspart werden, sondern auch die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln gewährleistet.

Wenn aber der bäuerlichen Landwirtschaft mit freilaufenden Hühnern und Schweinen, weidenden Rindern und Schafen der Boden unter den Füßen entzogen wird und Tiere demnächst aus Angst vor Seuchen ungeimpft nur noch in klimatisierten Ställen unter Laborbedingungen gehalten werden können, dann haben wir uns, den Tieren und der Landwirtschaft einen Bärendienst erwiesen.

Die Devise muss sein: gesunde, nach Bedarf durch entsprechende Impfstoffe gegen Seuchen geschützte Tiere und das Recht der Tierhalter auf eine wissenschaftlich begründete und nachvollziehbare Tierseuchenprophylaxe ohne Einflussnahme durch Lobbyisten, denen jede Tierseuche recht ist, um ihre eigenen Taschen auf Kosten der Gesundheit der Tiere zu füllen.

Also: Keulen: Nein, danke; Impfen: Ja, bitte!


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Quelle:
PROVIEH Heft 2, Juli 2008, Seite 32-34
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2008