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POLITIK/780: Reale Gefahren durch CETA und TTIP (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2016
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Reale Gefahren durch CETA und TTIP

Von Sabine Ohm


Die Befürworter der Handelsabkommen mit Kanada (CETA) und den USA (TTIP) behaupten, dass weder unsere Demokratie noch unsere Tier-, Umwelt- und Verbraucherschutzstandards durch sie gefährdet würden. Wer sich bisher von den pauschalen Versicherungen beruhigen ließ, sollte spätestens jetzt zu zweifeln beginnen. Selbst der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der die deutsche Bundesregierung berät, äußerte sich kritisch gegen TTIP. Was über die Abkommen bisher bekannt wurde, bestätigt unsere schlimmsten Befürchtungen.


Transparenz? Fehlanzeige!

Wie bei CETA soll die Öffentlichkeit auch bei TTIP erst nach Verhandlungsende informiert werden, wenn der Text nicht mehr geändert werden kann. Die Parlamente dürfen nur im Ganzen (mit ja oder nein) über die Abkommen abstimmen. Die Bundesregierung und die EU-Kommission versuchen so lange wie möglich zu verheimlichen, was sie alles zugunsten der Industrieinteressen opfern wollen.

Über CETA, dessen finaler Text erst Anfang März 2016 veröffentlicht wurde, soll das Europäische Parlament noch in diesem Jahr abstimmen - trotz der vielfältigen Kritik daran. Die weiterhin geheimen TTIP-Verhandlungen sollen bis Ende 2016 abgeschlossen werden. Aufgrund der Proteste haben einige Volksvertreter seit Februar 2016 eingeschränkten Zugang zu den TTIP-Originaldokumenten in einem speziell dafür eingerichteten "Leseraum". Der hat mit der von der EU und der deutschen Bundesregierung versprochenen "Transparenz" allerdings wenig zu tun.

Die Nutzungsbedingungen für den "TTIP-Lesesaal" sind einer Demokratie unwürdig: Die Dokumente dürfen nur zu vereinbarten Terminen angeschaut werden, wobei weder eigenes Schreibzeug noch Handys oder Kameras im Saal erlaubt sind. Hinzu kommen permanente Überwachung und Notizenkontrolle beim Ausgang - wie bei einer Klassenarbeit in der Schule. Außerdem darf niemand über das Gelesene sprechen, nicht einmal mit den eigenen Mitarbeitern. Leseraumnutzer bestätigten deshalb bisher nur pauschal, dass der TTIP-Text ihre Befürchtungen nicht entkräftet. Sollten inhaltliche Details nach außen dringen, droht Wirtschaftsminister Gabriel mit einem Disziplinarverfahren und der Schließung des Leseraums.

So können keine Lösungen für das Gemeinwohl öffentlich ausdiskutiert werden, aber die Bundesregierung und die EU-Kommission wollen offenbar gar keinen demokratischen Entscheidungsprozess. Dann hätten wohl weder CETA noch TTIP eine Chance auf Verabschiedung, weil beide Abkommen ganz offensichtlich gegen die Interessen der Bevölkerung verstoßen.


Investorenschutz

Ein gutes Beispiel sind die einseitigen Sonderrechte für internationale Konzerne durch den Investorenschutz in TTIP und CETA. Einen Vorgeschmack geben zahlreiche bereits laufende Verfahren von Großkonzernen gegen europäische Staaten; denn es gibt bereits einige bilaterale Investorenschutzabkommen, die der breiten Öffentlichkeit bisher nicht bekannt waren. Durch TTIP und CETA würde diese Paralleljustiz erst recht institutionalisiert werden.

Auch die im CETA-Text nachverhandelte Version des Investorenschutzes durch einen "Investitionsgerichtshof" beseitigt laut Kritikern nicht alle Hauptprobleme. Laut CETA könnten kanadische Gentechnikfirmen (oder auch US-Klonfleischproduzenten mit Zweigstelle in Kanada) Deutschland oder die EU auf Schadenersatz in Milliardenhöhe verklagen wegen "wahrscheinlich entgangener künftiger Gewinne", falls hier eine Etikettierungspflicht für Gentech- oder Klonprodukte eingeführt werden sollte.

Die Entschädigungsklagen von Konzernen gegen europäische Staaten wegen solcher angeblichen "zukünftigen Gewinneinbußen" aufgrund von Gesetzesänderungen belaufen sich bereits auf über 30 Millionen Euro. Bisher gewinnen fast immer die Unternehmen - und bereichern sich so auf Kosten der Steuerzahler. Die Regierungen und Parlamente hätten dank CETA und TTIP also nur noch die Wahl zwischen zwei großen Übeln: Entweder die Verbraucher schützen trotz hoher finanzieller Risiken durch Schadenersatzklagen, oder gleich klein bei geben, also die Gesetze an den Konzerninteressen ausrichten.

Auch die in TTIP vorgesehene "Regulatorische Zusammenarbeit" ist nicht vom Tisch. Laut Vertragsentwurf soll die "Entstehung neuer Handelshemmnisse" nach Abschluss des TTIP-Abkommens unter anderem dadurch verhindert werden, dass Wirtschaftslobbyisten frühzeitig Einfluss auf Gesetzesvorhaben nehmen dürfen, noch bevor diese den Parlamentariern vorgelegt werden. Den Handelsinteressen von Konzernen zuwiderlaufende Gesetzesentwürfen hätten keine Chance mehr - laut US-Vorschlag sollen Lobbyisten nicht nur Bedenken äußern können, sondern auch rechtliche Mittel einsetzen, wenn sie ihre Einwände "nicht ausreichend berücksichtigt" sehen. Das wäre ein unzumutbarer Eingriff in die demokratisch legitimierte Gesetzgebung und in die Gestaltung unser aller Lebensbedingungen.


Wo bleibt der Tierschutz?

Zu den großen Verlierern von TTIP und CETA würden laut verschiedener Studien auch die europäischen Landwirte gehören. Allein Kanada wurden in CETA bereits zollfreie Exportquoten von über 50.000 Tonnen Rind- und 80.000 Tonnen Schweinefleisch zugestanden. Die US-Farmer sollen dank TTIP ein Vielfaches davon in die EU ausführen dürfen. Viele europäische Landwirte sehen die Abkommen daher inzwischen kritisch. Ihre Verbandsvertreter bejubeln dagegen immer noch angebliche Exportchancen (siehe Bericht in diesem Heft).

PROVIEH ist gegen eine Handelsliberalisierung für tierische Erzeugnisse. Denn anders als in der EU gibt es weder in den USA noch in Kanada Tierschutzgesetze. Dort produzieren vor allem Großkonzerne zehntausende Tiere in industriellen Massentierhaltungsanlagen. Zudem mästen sie die Tiere mit in der EU illegalen Leistungsförderern wie Wachstumshormonen, Beta-Blockern und Antibiotika (siehe Infobox). Das ist dort erlaubt und senkt die Kosten. Auch niedrigere Arbeits- und Umweltschutzstandards verbilligen ihre Fleischproduktion. Hohe Importe aus Nordamerika würden die europäischen Landwirte deshalb ruinieren.

Nachzuweisen sind die in der EU illegalen Substanzen im Fleisch zudem nur schwer. Durch die sehr geringe Kontrolldichte von drei bis vier Prozent aller Importfleisch-Chargen ist die Gefahr groß, dass uns solch mit Leistungsförderern produziertes "Hormonfleisch" untergejubelt wird. Wie dies wirksam verhindert werden soll, konnten uns bisher weder die EU-Kommission noch die deutschen Politiker erklären - weil sie genau wissen, dass dies faktisch unmöglich ist.


Bürgerkritik ignoriert

Die Kritik ist den Regierenden offensichtlich egal, entkräften können sie kein einziges unserer Argumente. Auch die selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA mit weit über 3,2 Millionen Unterschriften aus 23 Ländern, die PROVIEH tatkräftig unterstützte, ignorieren sie. Stattdessen soll Deutschland sich schon "mit 75 Prozent Verhandlungserfolg zufrieden geben". Aufgrund der Übermacht der Industrielobby (Automobile, Maschinenbau etc.) ist mehr als wahrscheinlich, dass Landwirtschaft, Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz mit zu den 25 Prozent Verlierern zählen würden. PROVIEH wird sich daher weiter vehement gegen TTIP und CETA und für neue, demokratische Vertragsverhandlungen einsetzen.


INFOBOX
 
Hormonfleisch? Nein, danke!

Versuche mit hormonbelasteter Babynahrung in China zeigten deutliches Brustwachstum schon bei Kleinstkindern. Der EU-Ausschuss für öffentliche Gesundheit stufte 1999 "Masthilfe" durch Hormone als gesundheitsgefährdend ein, da sie potentiell erbgutschädigend und/oder krebserregend wirken. Die USA und Kanada bezweifeln dies und reagierten auf das Hormonfleisch-Importverbot der EU mit hohen Strafzöllen. Die wollen sie nur ganz aufheben, wenn die EU in den TTIP-Verhandlungen nachgibt. Tierschutzbedenken wie schwere Verhaltensstörungen sind ihnen egal. Die Schweiz erlaubt den Import von Hormonfleisch, aus Angst vor Strafzöllen. Offenbar wird es dort vor allem über Großmetzgereien und die Gastronomie an ahnungslose Verbraucher verkauft. Das könnte uns in der EU auch bald passieren.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2016, Seite 36-38
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2016

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