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POLITIK/784: Was müsste ein staatliches Tierschutzlabel leisten? (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2016
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Was müsste ein staatliches Tierschutzlabel leisten?

Von Sabine Ohm


Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt lässt seit April 2016 verschiedene Optionen für ein staatliches Tierschutzsiegel prüfen. Aber was kann und muss es leisten, damit es deutlich erkennbar den Tieren nützt? Dafür müssen aus Sicht von PROVIEH drei elementare Bedingungen erfüllt sein:

1. Die Anforderungen müssen den Tieren in der Praxis mehr Tierwohl bringen, als durch gesetzliche Mindeststandards vorgeschrieben ist.

2. Das staatliche Tierschutzlabel muss das ganze und nicht nur das halbe Leben erfassen. Es wäre also Verbrauchertäuschung, wenn zum Beispiel bei Schweinen nur die Mast unter besseren Tierschutzbedingungen verliefe, nicht aber die Haltung der Muttersauen und ihrer Ferkel.

3. Bei einem staatlichen Tierschutzsiegel muss der Staat gewährleisten, dass die Tierschutzkriterien vollständig eingehalten werden. Deshalb dürfen Betriebe, die für ein staatliches Siegel produzieren, nicht von privaten Zertifizierern überprüft werden, die sich ihre Dienste vom zertifizierten Betrieb bezahlen lassen. Diese Praxis ist trotz offensichtlicher Interessenkonflikte bei allen privaten Labeln bisher üblich. Das birgt unter anderem die Gefahr, dass die Kontrollen zu lax durchgeführt werden, damit die Zertifizierer nicht ihre Kunden und die privaten Siegelinhaber (Verbände) nicht ihre Erzeuger und die Siegelgebühren verlieren. Daher wäre eine unabhängige staatliche Überwachung unerlässlich für die korrekte Einhaltung aller von einem staatlichen Siegel geforderten Bestimmungen.

Wie weit wir derzeit noch von der Einführung eines verlässlichen staatlichen Tierschutzlabels entfernt sind, sei im Folgenden am Beispiel der Schweinehaltung veranschaulicht.

Auch über zwanzig Jahre nach dem Inkrafttreten des EU-weiten Verbots wird bei fast allen konventionell gehaltenen Schweinen der Ringelschwanz kurz nach der Geburt vorsorglich abgeschnitten, weil er sonst abfaulen könnte oder von den Buchtengenossen an- beziehungsweise sogar abgebissen würde (siehe Heft 1/2013). Das passiert bei Fehlern in der Schweinehaltung und einseitiger Zucht auf maximale Leistung, ohne den Bedürfnissen der Schweine ausreichend Rechnung zu tragen.

Bisher kaum beachtet werden auch andere Vorschriften der EU Richtlinie 2008/120/ EG, für deren Einhaltung PROVIEH seit Jahren kämpft, teils auf dem Rechtswege (siehe auch Bericht in diesem Heft). Dazu gehört erstens der ständige Zugang zu ausreichendem, angemessenem Beschäftigungsmaterial wie Heu, Stroh oder anderen organischen Materialien für Mastschweine, Ferkel und Sauen. Stattdessen hängt heute meist nur eine Eisenkette oder Plastikspielzeug im Stall. Zweitens müssten die Sauen vor der Geburt der Ferkel auch Material zum Nestbau bekommen, was praktisch nirgends der Fall ist. Drittens dürfen den Ferkeln die angeborenen spitzen Eckzähne nicht routinemäßig gekürzt werden, wie heute fast überall noch üblich. Viertens müssen laut Gesetz alle Schweine einen "physisch und temperaturmäßig angenehmen Liegebereich" haben. Stattdessen liegen momentan die allermeisten Schweine in Deutschland auf kalten Betonvollspaltenböden, durch deren Schlitze ständig Ammoniakdunst aus ihren eigenen Exkrementen aus dem sogenannten Güllekeller aufsteigt.

Für die staatlichen Vollzugsbehörden gibt es also noch sehr viel Nachholbedarf bei der Durchsetzung der bestehenden Tierschutzvorschriften in der Schweinehaltung. Für ein staatliches Tierschutzsiegel kann es aber nicht reichen, wenn nur die bestehenden Rechtsvorschriften eingehalten werden; denn dafür hat der Staat ohnehin zu sorgen.

Durch ein staatliches Siegel sind die weit verbreiteten Probleme in der "Nutz"tierhaltung aus Sicht von PROVIEH jedenfalls nicht zu beheben - aber auch nicht allein durch strengere Kontrollen. Denn für mehr Tierschutz fehlt den Tierhaltern das Geld (vgl. Heft 1/2016).

Die Verbraucher sagen in Umfragen zwar, sie seien bereit mehr für Tierschutz zu bezahlen. In der Praxis fehlt es aber bisher an der nötigen Transparenz. Kaum jemand weiß, was unter welchem Siegel wie produziert wird.

PROVIEH hält deshalb eine staatliche Kennzeichnung aller tierischen Erzeugnisse nach der Herkunft und Haltungsform analog zur Eierkennzeichnung (0, 1, 2, 3) für den besseren Weg. Als notwendig erachten wir auch die Einführung einer staatlichen Tierwohlabgabe zur Finanzierung von Investitionen in den Tierschutz, deren Bedarf vom Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik auf drei bis fünf Milliarden Euro geschätzt wurde. Dadurch würden die Konsumenten einen gerechten Beitrag zur Verbesserung der Tierhaltung leisten, ohne dass es zu Wettbewerbsverzerrungen käme. Bis dahin könnte durch eine Umwidmung von Brüsseler Agrarsubventionen - weg von den Flächenprämien hinein in die "zweite Säule" - schon ab 2017 viel mehr Geld für Tierwohl bereitgestellt werden. Mit diesen Maßnahmen könnte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt nicht nur endlich für die Einhaltung der geltenden Gesetze sorgen, sondern jetzt die Weichen stellen für nachhaltige, tierfreundliche Nutztierhaltung.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2016, Seite 9-11
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2016

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