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POLITIK/861: Europa und der Tierschutz - Schwieriges Verhältnis (tierrechte)


Magazin tierrechte - Ausgabe 1+2/2019
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Schwieriges Verhältnis:
Europa und der Tierschutz

von Christina Ledermann und Carolin Spicher


Die Tierschutz-Missstände in der EU sind im Grunde die gleichen wie auf nationaler Ebene. Meist blockieren wirtschaftliche Interessen notwendige Reformen zugunsten der Tiere. Doch dies sollte niemanden davon abhalten, am 26. Mai wählen zu gehen. Denn die EU ist der Schlüssel für mehr Tierschutz und sie hat in der Vergangenheit viel Positives bewirkt.


Misst man die Bedeutung des Tierschutzes an den rechtlichen Vorgaben, müsste der Tierschutz in der EU eine sehr hohe Bedeutung haben. Im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union heißt es in Artikel 13: Den "Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere als fühlende Wesen [werde] in vollem Umfang Rechnung" getragen. Das bedeutet, dass dieser moralische Anspruch allen EU-Rechtsvorschriften zugrunde liegen sollte. Doch dass die Nennung der Tiere in Gesetzestexten nicht automatisch dazu führt, dass sie tatsächlich besser geschützt werden, wissen wir aus leidvoller Erfahrung mit dem Tierschutz im (deutschen) Grundgesetz.


Klaffen auseinander: Anspruch und Wirklichkeit

Obwohl die Umfragen des Eurobarometers immer wieder belegen, dass die EU-Bürger mehr Tierschutz wollen, kam die 2017 veröffentlichte Studie des EU-Parlaments (EP) "Tierschutz in der Europäischen Union" zu dem Ergebnis: Tierschutzpolitik und Gesetzgebung in der EU stagnieren. Die Rechtsvorschriften sind zu industriefreundlich. Die meisten EU-Gesetze behandeln die Tiere nur als Waren, Produkte oder Eigentum. Absichtliche oder kommerziell motivierte Tierquälerei wird durch die bestehenden Gesetze nicht verhindert. Dies habe nicht nur negative Auswirkungen auf die Tiere, es schade auch dem Vertrauen in die Funktionsweise der EU und ihrem Ruf im Ausland.


Gefordert: EU-Tierschutzgesetz

Donald M. Broom, Biologe an der Cambridge University und Autor der Studie, kam jedoch auch zu dem Schluss, dass die EU-Tierschutzpolitik und -gesetzgebung einen positiven Einfluss auf Tiere und die Biodiversität weltweit hat. Eine zeitgemäße Tierschutzgesetzgebung verbessere das Image der EU, da es als Indikator für eine zivilisierte Gesellschaft betrachtet würde. Broom empfiehlt die existierenden sowie alle künftigen EU-Rechtsvorschriften dahingehend zu überprüfen, wie sie sich auf die Tiere auswirken und sie so zu überarbeiten, dass die Ziele der EU erreicht werden. Als zentral betrachtet er die Ausarbeitung eines EU-Tierschutzgesetzes und spezifischer Gesetze für mehrere Tierarten.


Für viele Arten fehlen Vorschriften

Konkret mahnte er an, dass es immer noch keine Rechtsvorschriften für Kaninchen, Enten, Puten, Schafe, Ziegen, Rinder und Fische gäbe. Auch Equiden, Haustiere, Exoten und Wildtiere in Gefangenschaft blieben auf der Strecke. Das zweitwichtigste Tierschutzproblem ist nach seiner Einschätzung das Wohlergehen von Milchkühen. Ihnen folgen Kaninchen und Enten in der Fleischproduktion sowie Tierqualprodukte wie Gänsestopfleber, Pelz und die Wildtierhaltung in Zirkussen. Chancen für mehr Tierschutz sieht er in der Umstrukturierung der Subventionen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) zugunsten von Tierschutzmaßnahmen (mehr dazu S. 7). Außerdem mahnte er an, dass auf EU-Ebene sowie in den Mitgliedsstaaten ausreichend Personal zur Verfügung stehen müsste, um die Gesetze vor Ort durchzusetzen.


Defizite bei Gesetzen und Vollzug

Auch hier haben wir die gleichen Tierschutz-Probleme wie auf nationaler Ebene: Es fehlen umfassende und gerichtsfeste Rechtsvorschriften oder die existierenden weisen zu viele Ausnahmen, Einschränkungen und unbestimmte Rechtsbegriffe auf. Der Grund: Bei der Formulierung von Richtlinien und Verordnungen verhandeln 28 Mitgliedsstaaten mit völlig unterschiedlichen Vorstellungen miteinander. Die im Rat vertretenen Regierungen der Mitgliedsstaaten entscheiden gleichrangig mit dem EP, ob und mit welchem Inhalt ein EU-Gesetz zustande kommt. Das Ergebnis ist oft der kleinste gemeinsame Nenner. Dies drückt das Tierschutzniveau, das den Tiernutzern durch schwammige Formulierungen oft auch noch Hintertüren offenlässt. Andererseits hakt es an der Umsetzung in die nationale Gesetzgebung sowie im nächsten Schritt an der Durchsetzung der Gesetze in den Mitgliedsstaaten.


EU kann Mitglieder zu mehr Tierschutz zwingen

Trotz der berechtigten Kritik an der EU-Tierschutzpolitik ist die EU dennoch der Schlüssel für mehr Tierschutz. Denn sie erlässt verpflichtende Verordnungen und Richtlinien, die von den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden müssen. Betrachtet man die Mitgliedsstaaten, wird schnell klar, dass aufgrund der großen nationalen Unterschiede der Weg zu einem einheitlichen europäischen Tierschutzverständnis weit ist. Doch die EU kann entscheidend dazu beitragen, das Schutzniveau in tierschutzpolitisch eher unterentwickelten Ländern aufzuwerten.


Tierversuche: Deutschland muss nachbessern

Beispiel Tierversuche: In ihrem Erwägungsgrund schreibt die EU-Tierversuchsrichtlinie als letztendliches Ziel fest, Verfahren mit lebenden Tieren vollständig durch Alternativen zu ersetzen. Bis dahin muss, nach dem Willen der EU, für die eingesetzten Tiere ein möglichst hohes Schutzniveau gewährleistet werden. Da Deutschland die Tierversuchsrichtline nicht korrekt in deutsches Recht umgesetzt hatte, leitete die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Die Bundesregierung muss nun nachbessern und unter anderem das immens wichtige eigenständige Prüfrecht der Genehmigungsbehörden gewährleisten (mehr dazu S. 14). Auf diesem Weg trägt die EU konkret dazu bei, den Schutz der Tiere in den Mitgliedsstaaten voranzubringen.


Parlament zentral bei Gesetzgebung

Eine zentrale Bedeutung hat dabei das EU-Parlament, denn es hat erheblichen Einfluss auf die Gesetzgebung. Neue Rechtsvorschriften wie Verordnungen oder Richtlinien werden zunächst von der EU-Kommission erarbeitet. Die Entwürfe legt die Kommission dann dem EP und dem Ministerrat zur Beratung und Abstimmung vor. Gesetze können nur erlassen oder geändert werden, wenn der Rat und das EP dem von der EU-Kommission vorgelegten Gesetzentwurf zustimmen. Im Rahmen dieser Beteiligung kann das EP Gesetzentwürfe verbessern und - falls nötig - ablehnen. Das EP verfügt zudem über ein politisches Initiativrecht, das es ihm ermöglicht, Berichte zu erarbeiten und Entschließungen zu verabschieden. Dies ist wichtig, um Diskussionen anzustoßen und Entwicklungen voranzubringen. Es veranstaltet zudem Experten-Anhörungen zu aktuellen Themen oder Gesetzesinitiativen und kann auf diesem Wege politische Debatten beeinflussen. Federführend bei den Tierschutzthemen sind der Umwelt- und Landwirtschaftsausschuss.


Tierfreundliche Positionen: Das EU-Parlament

Die Stärke der Fraktionen macht sich auch hier in der Zusammensetzung der Ausschüsse bemerkbar. Der Agrarausschuss wird derzeit von den Konservativen dominiert, die als (agrar-)industriefreundlich gelten. In der Vergangenheit hat das EP dennoch mehrfach tierfreundliche Positionen eingenommen. So forderte der EU-Agrarausschuss Ende Januar, den Tierschutz bei Lebendtier-Transporten zu verbessern. In dem Umsetzungsbericht bemängelten die Parlamentarier, dass die 2005 gefasste EU-Tiertransportverordnung unzureichend umgesetzt wird (mehr dazu S. 22). Die EU-Kommission hat sich bei den Tiertransporten jedoch kein Ruhmesblatt verdient. Sie beharrte letztes Jahr noch darauf, den Export lebender Tiere aus der EU nicht einschränken zu wollen.


Landwirtschaft: Ausschuss für mehr Tierschutz

Hoffnung auf Verbesserungen macht auch die Stellungnahme des Umweltausschusses im EU-Parlament (ENVI) zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ab 2021. Der Ausschuss forderte Mitte Februar genau das, was Tier- und Umweltschutzverbände seit Jahren wollen: eine andere Subventionspolitik. Nach dem Willen des ENVI sollen künftig 15 Milliarden Euro des EU-Agrarbudgets in den Natur- und Artenschutz fließen. Damit sich tatsächlich etwas ändert, müssen die formulierten Tierschutzziele jetzt allerdings dringend konkretisiert werden. Ob dieser positive Kurs weiterverfolgt wird, liegt im Agrarausschuss und im Plenum des zukünftigen EU-Parlaments.


Meilenstein: Verbot von Tierversuchs-Kosmetik

Ein fraglos wichtiger Meilenstein im Kampf gegen die Tierversuche war das 2013 in Kraft getretene EU-weite Vermarktungsverbot für an Tieren getestete Kosmetika. Ein Erfolg, für den viele Organisationen und Tierversuchsgegner gemeinsam gekämpft hatten. Das EP sprach sich zudem letztes Jahr für ein weltweites Verbot dieser Versuche aus. Die Abgeordneten forderten die Bildung einer Allianz, um im Rahmen der Vereinten Nationen ein internationales Übereinkommen gegen Tierversuche für kosmetische Mittel zu erreichen. Das Verbot soll nach dem Willen des EU-Parlaments noch vor 2023 in Kraft treten.


Plan fordert mehr pflanzliches Eiweiß

Ebenfalls ein Erfolg war die 2004 eingeführte verpflichtende Haltungskennzeichnung von Schaleneiern, an der sich Klöckner & Co. bei ihrer Tierwohlkennzeichnung ein Beispiel nehmen sollten, sowie das EU-weite Verbot der Legebatterien ab 2012. Zu begrüßen ist auch, dass das Klonen von Tieren zur Nahrungsmittelproduktion in der EU bisher verboten ist. Sehr positiv ist der "EU-Proteinplan 2018", der die Erzeugung und Verwendung von in der EU erzeugtem pflanzlichem Protein, insbesondere aus Leguminosen, unterstützt. Es geht darin zwar auch darum, Europa unabhängig von Futtermittelimporten zu machen, doch der Bericht fordert auch eine verstärkte Vermarktung und Produktion von pflanzlichen Eiweißquellen für den menschlichen Verzehr.


Entwicklung stagniert

Doch trotz dieser positiven Beispiele stagniert die Entwicklung in vielen anderen Bereichen. Neben den genannten Defiziten bei Gesetzen und Vollzug fehlt beispielsweise noch immer ein konkretes Verbot von Primaten-Versuchen. Die langsame Anerkennung von neuen tierfreien Testverfahren bremst die Reduktion von Tieren, die für Unbedenklichkeitsprüfungen von Chemikalien im Rahmen des REACH-Programms sterben müssen und in der aktuellen Verordnung für neuartige Lebensmittel werden Tierversuche als Prüfmethode angegeben. Auch bezüglich der tierquälerischen Ferkelkastration, deren Ende über eine Million Bürger forderten, ist die Kommission noch immer nicht aktiv geworden.


Zu wenig Effekt: EU-Tierschutzstrategien

In der Theorie klingen die Initiativen der Kommission nach viel Engagement. Sie verabschiedete in der Vergangenheit mehrere Tierschutzstrategien und Aktionspläne und gründete 2017 eine EU-Tierschutzplattform. In den Tierschutzstrategien waren zunächst noch konkrete Gesetzesvorhaben, wie Verbesserungen der Haltungsbedingungen von Rindern und Puten oder kürzere Tiertransportzeiten, vorgesehen. Doch die versprochenen Gesetze stehen noch immer aus. Vorteil der neu gegründeten Tierschutzplattform soll eine bessere Zusammenarbeit und Vernetzung aller Akteure sein. Dies klingt gut, eröffnet aber die Gefahr, dass zwar Treffen und Gespräche stattfinden, konkrete Tierschutz-Verbesserungen aber weiter hinausgezögert werden. Vorwand ist hier oft, dass weitere wissenschaftliche Belege für das Leiden der Tiere in den aktuellen Haltungssystemen benötigt würden.


Zukunftsaufgabe: Tierschutz konsequent weiterentwickeln

Es ist zwar grundsätzlich positiv, dass die Kommission neue Instrumente wie Referenzzentren für Schweine, Kaninchen oder Pelztiere schafft, doch sie muss auch ihrem eigenen Anspruch gerecht werden. Diese Zentren dürfen nicht dazu dienen, tierquälerische Haltungsformen festzuschreiben. Der Europäische Rechnungshof hat empfohlen, die Tierschutzstrategien in diesem Jahr zu bewerten. Das ist sinnvoll, wenn daraus Konsequenzen folgen. Ob Tierschutzstrategie oder Referenzzentrum - die Instrumente müssen messbare Verbesserungen für die Tiere bringen, sonst sind sie ihren Namen nicht wert. Die EU muss die Ergebnisse ihrer eigenen Studien ernst nehmen. Wenn die bestehenden Gesetze und Instrumente Tierquälerei nicht verhindern, schadet dies dem Vertrauen in die Funktionsweise der EU. Angesichts der aktuellen Krise sollte dies ein zusätzlicher Ansporn sein, die Ansätze für mehr Tierschutz konsequent weiterzuentwickeln.

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Der Tierschutz im Vertrag von Lissabon

"Bei der Festlegung und Durchführung der Politik der Union in den Bereichen Landwirtschaft, Fischerei, Verkehr, Binnenmarkt, Forschung, technologische Entwicklung und Raumfahrt tragen die Union und die Mitgliedsstaaten den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere als fühlende Wesen in vollem Umfang Rechnung; sie berücksichtigen hierbei die Rechts- und Verwaltungsvorschriften und die Gepflogenheiten der Mitgliedsstaaten insbesondere in Bezug auf religiöse Riten, kulturelle Traditionen und das regionale Erbe." (Art. 13 AEUV)
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Quelle:
Magazin tierrechte - Ausgabe 1+2/2019, S. 4-6
Menschen für Tierrechte
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Mühlenstr. 7a, 40699 Erkrath
Telefon: 0211 / 22 08 56 48, Fax. 0211 / 22 08 56 49
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
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Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2019

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