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SCHLACHTEN/059: EU-Schlachtrichtlinie - kein großer Wurf (PROVIEH)


PROVIEH Heft 4 - Dezember 2008
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Änderungsvorschlag der Kommission zur EU-Schlachtrichtlinie:
Kein großer Wurf

Von Sabine Ohm und Stefan Johnigk


Zum Zeitpunkt ihrer Tötung sollen Tiere nicht unnötig leiden - so weit zumindest herrscht in der EU nahezu Einigkeit. Wie das aber gewährleistet werden soll und welche Vorgehensweisen bei der Tötung und Schlachtung von Tieren zulässig sind, regelt die EU-Kommission in der EU-Schlachtrichtlinie [93/119/EC]. Diese muss allerdings dringend verbessert werden. Am 17.09.2008 legte die Kommission daher einen Änderungsvorschlag zur Schlachtrichtlinie vor. PROVIEH hat dazu gegenüber dem Bundeslandwirtschaftsministerium kritisch Stellung genommen - hier ein Auszug:

Künftig sollen in allen europäischen Schlachthäusern bei Schlachtungen strengere Regeln zur Überwachung der Wirksamkeit der Betäubung gelten, und jedes größere Schlachthaus muss einen Tierschutzbeauftragten beschäftigen. Das wäre grundsätzlich zu begrüßen, wenn nicht die Frage der Umsetzbarkeit bliebe. In hochtechnisierten industriellen Schlachthöfen werden extrem viele Tiere pro Zeiteinheit getötet - bis zu 1.800 Schweine oder 8.000 Hühner pro Stunde. Es bleibt völlig offen, wie bei so hohen Schlachtraten in einem industriellen Schlachthof die Einhaltung hoher Tierschutzstandards gewährleistet und kontrolliert werden kann. Außerdem sind viele der zugelassenen Betäubungsverfahren aus Tierschutzsicht mangelhaft, weil sie den Tieren vor und während des Betäubungsvorgangs Qualen und Stress erzeugen.

Die Elektrobetäubung von Hühnern im Wasserbadbetäuber zum Beispiel ist heute noch immer das gebräuchlichste Verfahren zur Geflügelbetäubung in gewerblichen Schlachtbetrieben. Die Vögel werden bei vollem Bewusstsein in die Schlachtbügel eingehängt, was den Tieren Stress, Schmerz und Verletzungen zufügt, und das Eintauchen der Köpfe in das Betäubungsbad kann nicht in allen Fällen garantiert werden. So gelangen viele Hühner bei vollem Bewusstsein in den weiteren Schlachtprozess. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hatte bereits in einem Gutachten von 2004 empfohlen, den Einsatzes von Wasserbadbetäubern bei Geflügel einzustellen. Trotzdem erlaubt der Verordnungsvorschlag die Wasserbadbetäubung auch weiterhin, weil alternative Verfahren als weniger wirtschaftlich gelten. PROVIEH meint, dass ethische Gesichtspunkte Vorrang haben müssen vor wirtschaftlichen Erwägungen.

Zum Thema Schächten schweigt sich der Verordnungsvorschlag gänzlich aus. Dabei werden in den meisten EU-Mitgliedsstaaten Millionen von Schafen, Ziegen und Rindern jährlich noch immer in völlig unnötiger Weise ohne jede Betäubung rituell geschächtet. In Schweden, Island und Lichtenstein ist Schächten ohne Betäubung bereits verboten. Selbst in muslimisch geprägten Ländern wie der Türkei und dem Libanon bekommen die Tiere schon seit Jahren vielerorts eine nicht tödliche Elektrokurzzeitbetäubung, so dass die religiösen Gebote in vollem Umfang eingehalten werden. Auch jüdische Tierschutzorganisationen fordern seit langem die Einführung einer Elektrokurzzeitbetäubung. Es ist daher überhaupt nicht begründbar, warum in Europa betäubungsloses Schächten auch weiterhin zugelassen werden soll.

Auch bei einem weiteren Missstand schafft der Verordnungsentwurf keine Abhilfe: Noch immer werden in europäischen Brütereien jährlich über 350 Millionen Eintagsküken als "Ausschussware" verworfen und bei vollem Bewusstsein geschreddert oder vergast. Dieses Schicksal trifft die Brüder der auf Hochleistung gezüchteten Legehennenrassen und die Schwestern der Masthuhnrassen. PROVIEH kritisiert massiv, dass die bereits in der Entwicklung befindlichen Techniken zur Vermeidung solcher Massenvernichtungen nicht mit Vorrang gefördert werden. Geforscht wird z.B. an den Universitäten in Leipzig und Dresden, wo man durch Analyse bestimmter Hormone und Enzyme in der den Hühnerembryo umgebenden Flüssigkeit versucht, das Geschlecht der Embryonen so früh wie möglich festzustellen. So könnten bebrütete Eier des "unerwünschten" Geschlechts noch vor dem Schlupf der Küken aussortiert werden. Das soll vor allem billig sein, ganz nach Wunsch der drei Legehennen-Multis mit Sitz in der EU, die gut 90 % des weltweiten Kükenmarktes beherrschen: Nicht mehr als 2-3 Eurocent pro Ei will man sich das Verfahren höchstens kosten lassen.

Ein zweiter Forschungsansatz zielt darauf ab, mittels molekulargenetischer Tests noch vor dem künstlichen Brutvorgang das Geschlecht zu bestimmen. Gelänge das, dann könnte die Industrie die aussortierten Eier sogar noch gewinnbringend verkaufen. Dieses Projekt wird mit Mitteln der deutschen Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung gefördert.

Auch die EU-Kommission erwägt, solche Forschungsansätze voran zu treiben - andererseits propagiert sie seit kurzem mit dem Slogan "Bio - gut für die Natur, gut für dich" die Vorzüge ökologischer Agrarerzeugnisse. Doch Fördergelder für die Wiederbelebung von ökologisch vorteilhaften Zweinutzungsrassen, die sowohl als Legehennen als auch zur Mast verwendet werden könnten, sind rar. Während in Indien bereits erfolgreich Zweinutzungshühner gezüchtet werden (siehe Bericht zum Giri Raja Huhn im Heft 03/2008), scheuen Zuchtbetriebe in der EU noch vor den Investitionskosten und der langen Entwicklungszeit von mehreren Jahren zurück. Die einseitige Konzentration auf Renditeerwartungen blockiert die Suche nach Alternativen.

Es liegt nun in der Hand von Ilse Aigner, der neuen Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, sich für eine Beseitung der genannten Misstände einzusetzen. In diesem Sinne wünscht PROVIEH der gelernten Elektrotechnikerin und CSU-Obfrau für Technikfolgenabschätzung, dass sie gegen die Verlockungen der Agrarindustriellen und Intensivtierhaltungs-Technologen mehr Widerstandskraft aufbringt als ihr Vorgänger Horst Seehofer.


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Quelle:
PROVIEH Heft 4, Dezember, 2008, Seite 34-36
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2009