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SCHLACHTEN/061: Schweinisches aus Deutschland (PROVIEH)


PROVIEH Heft 2 - Juni 2010
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Schweinisches aus Deutschland

Von Sabine Ohm, Europareferentin


Die Medienberichte über Missstände in deutschen Schlachtbetrieben im März und April 2010 rüttelten die Öffentlichkeit auf. Gezeigt wurden unter anderem unzureichend betäubte Schweine, die an den Haken am Schlachtband zappelten, während sie gen Brühbad transportiert wurden. Solcherlei gehört nicht nur in Deutschland zum traurigen Alltag - zwar nicht überall, wohl aber auf zu vielen Schlachthöfen. Die in 2009 verabschiedete EU-Schlachtverordnung wird an diesem Missstand kaum etwas ändern. Es sei denn, sie wird nachgebessert, vor allem bei den Durchführungsbestimmungen und den Kontrollen.

Vernünftige Vorschläge gibt es genug. Zum Beispiel gibt es die Möglichkeit der kontrollierten Entblutung. Dabei wird von jedem einzelnen Tier das Blut gesondert aufgefangen und mengenmäßig automatisch gemessen. Ist die nach dem Stich austretende Sturzblutmenge zu gering, schlägt das System akkustisch und visuell Alarm, so dass gleich ein zweiter Schnitt gesetzt werden kann. Eine solche Technik wäre schon für mittelgroße Schlachthöfe rentabel, da Tierblut wertvolle Nebenprodukte (z.B. Farbstoff und Plasma) liefert. Aber Forschungsbedarf besteht bei der Betäubungstechnik trotzdem. Denn selbst die bisher "sanfteste" Methode, bei der die Schweine in kleinen Gruppen in eine Art Gondel getrieben und anschließend in eine CO2-gefüllte Grube abgesenkt werden, ist nicht optimal: CO2 ruft Atemnot und Erstickungsangst hervor. Zudem reizt es die Augen und Schleimhäute der Tiere durch Kohlensäurebildung bei Kontakt mit der dort natürlich vorhandenen Feuchtigkeit (H2O + CO2 = H2CO3). Das brennt. Selbst bei hohen CO2-Konzentrationen von über 90 % in der Grube zappeln die Tiere noch lange, qualvolle Sekunden, wie Videoaufzeichnungen belegen. Deshalb muss nach Alternativen geforscht werden, doch das ist teuer. Deshalb hat PROVIEH bereits bei der EU-Kommission eine Kofinanzierung angemahnt. Einige vielversprechende Ansätze - z.B. durch eine Vorbetäubung mit dem reizlosen und sofort wirksamen Edelgas Argon - gibt es schon, aber sie sind noch nicht serienreif.

In vielen Schlachthöfen - selbst in einigen größeren - wird noch immer die veraltete Elektrobetäubung benutzt: Jedes Schwein wird einzeln aufgebockt und mit Elektroden an Seiten und Bauch versehen. Das ist für Schweine sehr stressreich, denn sie sind ausgeprägte Herdentiere und von Natur aus Flucht- und Beutetiere. Deshalb sind sie besonders empfindlich gegenüber Berührungen an der unteren Körperhälfte. Wenn die Elektroden nicht gut gesäubert und gewartet werden, kann es zu unzureichender Betäubung kommen. Es wäre also wünschenswert, Schlachthöfe ab einer gewissen Größe künftig zur Umstellung auf Gasbetäubung mit Gruppenzutrieb zu verpflichten. Wenn dies allein schon bei den sogenannten "Top 10" der deutschen Schlachtbranche gelänge, wäre schon viel gewonnen, denn sie haben 2009 zusammen einen Marktanteil von 73,2 % aller Schweineschlachtungen (56,2 Mio. in 2009) in Deutschland erreicht. Aber auch für kleinere Schlachtereien müssen schonendere Verfahren gefunden werden - der kreative Geist der Innovationstechniker ist dringend gefordert!

Nachweislich hat der Stress vor der Schlachtung auch negative Auswirkungen auf die Qualität des Fleisches. Nicht nur gibt das Kotelett aus einem gestressten Schwein viel Feuchtigkeit ab und schrumpft dadurch in der Pfanne zusammen; auch der Ebergeruch scheint sich nach ersten Versuchen besonders durch Stress vor der Schlachtung richtig zu entfalten. Aus diesen Gründen ist es wichtig, Transport und Betäubung sowie das Handling der Tiere im Anlieferungsbereich möglichst ruhig und tiergerecht zu gestalten. Hierzu gehören auch die Optimierung von Licht, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Ruhezeit etc.) sowie die regelmäßige Schulung des Personals. Die Zahl der geruchsauffälligen Tiere kann durch diese Maßnahmen offensichtlich erheblich gesenkt werden.

Die Veterinärbehörden sollten zudem künftig nicht nur am Ende des Schlachtprozesses die Fleischbeschauung vornehmen, sondern auch den Anlieferungs- und Betäubungsbereich regelmäßig kontrollieren. Das A und O im Tierschutz sind die wirksame Durchsetzung und Überwachung der geltenden Gesetze sowie (bisher fehlende) abschreckende Sanktionen bei Vertößen. Das gilt ebenso für die Tiertransporte und die EU-Schweinehaltungsrichtlinie aus 2001. Nachdem bei deren Umsetzung in nationales Recht geschlampt wurde, wird in Deutschland zur Zeit millionenfach gegen europäisches Recht verstoßen: Die Tiere bekommen während der gesamten Mastdauer weder ausreichendes noch angemessenes Beschäftigungsmaterial; und den allermeisten Ferkeln wird im Alter von wenigen Tagen verbotener Weise routinemäßig und vorbeugend der Schwanz kupiert, obwohl noch gar kein Problem mit Schwanzbeißen aufgetreten ist! Durch Videoüberwachung im Anlieferungsbereich in Schlachthöfen könnte man das Vorhandensein der Schwänze sowie das Wohlbefinden der Tiere gut dokumentieren. Sind nicht in Parkhäusern, Bahnhöfen, Banken etc. Überwachungskamaras angebracht? Warum soll dies nicht auch zum Schutz der Tiere geschehen?


Quelle:
[1] Siehe dazu auch Heft 2/2009 S. 42


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Quelle:
PROVIEH Heft 2, Juni, 2010, Seite 36-37
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2010