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TIERVERSUCH/491: Tierversuchsrichtlinie - bei der Umsetzung alles für die Tiere rausholen (tierrechte)


tierrechte Nr. 55, Februar 2011
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Tierversuchsrichtlinie: Bei der Umsetzung alles für die Tiere rausholen

Von Christiane Baumgartl-Simons


Die lang und heiß umkämpfte Neuauflage der EU-Tierversuchsrichtlinie ist seit November 2009 in Kraft. Die einzelnen Mitgliedstaaten haben nun bis November 2012 Zeit, um national zu regeln, wie die Anforderungen ab Januar 2013 anzuwenden sind. Der Bundesverband wird sich in diesem Prozess für ein Maximum an Tierschutz einsetzen.


Deutschland hat in den nächsten beiden Jahren alle Hände voll zu tun, um die Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates, kurz "Versuchstierrichtlinie" genannt, umzusetzen. Die Mitgliedstaaten dürfen höhere Anforderungen als in der Richtlinie vorgesehen nur dann vorschreiben, wenn diese bereits vor Inkrafttreten des EU-Regelwerks - am 9. November 2009 - gültig waren. Nachträglich sind nationale Alleingänge nicht mehr erlaubt, um laut EU-Kommission Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Diese Einschränkung bei der Umsetzung einer Richtlinie ist neu. Sie entspricht der Tierschutzpolitik von CDU/CSU und FDP, die eine 1:1-Umsetzung europäischer Tierschutzstandards in nationales Recht anstrebt.


Leistungsstarken Vollzug einfordern

Umso mehr sind wir gefordert, einen leistungsstarken Vollzug politisch einzufordern, um ein Maximum an Schutz für die Tiere zu sichern. Deutschland muss in Sachen Vollzug der Versuchstierrichtlinie ordentlich aufrüsten, denn bei allen Unzulänglichkeiten, die wir der neuen Richtlinie zu Recht anlasten, setzt sie dennoch im Hinblick auf die Genehmigungsverfahren und öffentliche Transparenz der Versuche neue und höhere Anforderungen als zuvor.

Als erstes wird sich der Bundesverband dafür einsetzen, dass die neue EU-Richtlinie per Gesetz in Deutschland eingeführt wird. Denn, anders als bei einer Verordnung, muss ein Gesetz von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden, was die Gefahr des Durchwinkens der Rechtsbestimmungen verringert. Mindestens ebenso wichtig wie die Frage der Rechtsform ist der qualifizierte Vollzug der Vorschriften durch die Bundesländer. Dies sollte bereits bei der Prüfung der Tierversuchsanträge geschehen. Neu ist, dass ab 2013 alle Versuche genehmigt werden müssen, anzeigepflichtige Experimente wird es dann nicht mehr geben. Neu ist auch, dass die Behörden der Öffentlichkeit Teilinformationen aus den beantragten Experimenten zur Verfügung stellen müssen und eine rückblickende Bewertung der Tierversuche insbesondere im Hinblick auf das Erreichen des Versuchsziels sowie der Schmerz- und Leidensbelastungen erstellt werden muss.


Unerlässlich: ein nationales Kompetenzzentrum

Diese neuen Maßnahmen setzen nicht nur voraus, dass die zuständigen Vollzugsbehörden personell angemessen ausgestattet sind, was bekanntermaßen zurzeit nicht der Fall ist. Zusätzlich muss sichergestellt werden, dass die Beamten den aktuellen Wissensstand insbesondere in Bezug auf anwendbare Ersatzverfahren und einheitliche ethische Beurteilungskriterien über die Unerlässlichkeit des Versuchsvorhabens verlässlich und umfassend abrufen können. Unverzichtbar ist ebenfalls ein angemessener Austausch der Behörden, aber auch der Wissenschaftler, um den notwendigen Wissenstransfer zu gewährleisten.

Für einen ordnungsgemäßen Vollzug der EU-Richtlinie ist daher die Einrichtung eines nationalen Kompetenzzentrums eine Grundvoraussetzung. Dort sind alle notwendigen Wissensstände zur Beurteilung der Tierversuchsanträge aktuell bereitzuhalten, um anfragenden Behördenvertretern, Wissenschaftlern oder auch Mitgliedern der Tierversuchskommissionen Auskunft zu erteilen. Bisher gibt es in Deutschland eine Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch (ZEBET), die im Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin (BfR) angesiedelt ist. In der derzeitigen personellen Ausstattung ist ZEBET dieser umfangreichen Aufgabe nicht gewachsen. Hier ist eine Aufstockung in Verbindung mit einer Neuorganisation unentbehrlich. Ohne ein solches Wissenszentrum ist die qualifizierte Umsetzung der EU-Tierversuchsvorschriften durch die Vollzugsbehörden nicht möglich.

Für die Durchsetzung der EU-Vorschriften zur Chemikalientestung (REACH) war es sogar möglich, eine EU-Behörde (ECHA) in Helsinki ins Leben zu rufen, die sich im Wesentlichen mit der Prüfung vorhandener und neu zu erstellender Sicherheitsdaten für Chemikalien beschäftigt. Wir erwarten von den Mitgliedstaaten jetzt eine ebenso große Verantwortung gegenüber dem gesetzlichen Auftrag, Versuche an schmerz- und leidensfähigen Tieren zu reduzieren und im Land zügig die nötigen Voraussetzungen zur Anwendung der Tierversuchsrichtlinie durch ein angemessen ausgestattetes Wissenszentrum zu schaffen.


PR-Kampagne für Tierversuche: die Baseler-Erklärung

Wie notwendig die Unterstützung der Vollzugsbehörden durch ein solches Kompetenzzentrum ist, unterstreicht die "Baseler Erklärung": Am 29. November 2010 starteten 80 tierexperimentell arbeitende Wissenschaftler auf einem Kongress in Basel eine Öffentlichkeitskampagne, um ihren Tiereinsatz zu rechtfertigen. Außer Selbstverständlichkeiten enthält die Baseler Deklaration einen elementaren und zugleich entlarvenden Mangel. Mit keinem Wort bekennen und verpflichten sich die Wissenschaftler dazu, zur Entwicklung neuer und tierleidfreier Forschungsmethoden aktiv beizutragen. Schon während der zweijährigen Beratungszeit des Richtlinienentwurfs schafften es einschlägige Forscherkreise durch ihre fleißige Lobbyarbeit, den Tierschutz im Richtlinienentwurf zu reduzieren. Deshalb kam beispielsweise auch ein Verbot der Affenversuche nicht durch.


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Quelle:
tierrechte - Nr. 55/Februar 2011, S. 6-7
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2011