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TIERVERSUCH/658: Mini-Organismus ersetzt Tierversuche (tierrechte)


tierrechte 3.15 - Nr. 72, September 2015
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Neues aus der Wissenschaft
Mini-Organismus ersetzt Tierversuche


Forscher befassen sich seit Längerem mit der Entwicklung neuer, humanspezifischer Methoden zum Ersatz von Tierversuchen. Eine revolutionäre Entwicklung ist die sogenannte Human-on-a-Chip-Technologie, ein künstlicher Mini-Organismus, der die wesentlichen Organreaktionen des menschlichen Organismus nachbildet. Der Mini-Organismus könnte in naher Zukunft dazu beitragen, viele Tierversuche abzuschaffen.


Die Wissenschaft begründet die Notwendigkeit von Tierversuchen vor allem damit, dass die Wirkung von Substanzen nur im Gesamtorganismus beurteilt werden kann. Bisher war die praxisreife Nachbildung des gesamten Stoffwechsels von Mensch oder Tier eine unüberwindbar große Hürde für die tierversuchsfreie Forschung. Dies könnte mit der neuen Human-on-a-Chip-Technologie hinfällig werden. Denn die Forschung ist heute in der Lage, mit sogenannten Organoiden - das sind kleinste organähnliche Gebilde aus menschlichen Zellen - die Reaktion eines menschlichen Organs auf eine Substanz zu simulieren: eine wissenschaftliche Revolution. Mehrere verschiedene Organoide eingebaut in moderne Mikrosysteme, sogenannte Organ-on-a-Chip-Modelle, ermöglichen darüber hinaus die Untersuchung der Wirkungen der nachgebildeten menschlichen Organe untereinander.


Großes Potential für die tierversuchsfreie Forschung

Im Bereich der mehrwöchigen Giftigkeitstests könnten diese Modelle schon bald den meisten Tieren das Leben retten. Auch die Pharmaindustrie hat ein großes Interesse an komplexen Humanmodellen, um die Wirkungen einer pharmazeutischen Substanz im menschlichen Gewebe simulieren zu können. Auf einer Tagung des Center for Alternatives to Animal Testing (CAAT) Europa am 11. Juni in Berlin, an dem Dr. Christiane Hohensee vom Bundesverband teilnahm, wiesen Vertreter der Pharmaindustrie darauf hin, dass Krankheitsmodelle in Form genetisch veränderter Tiere für die Vorhersage möglicher toxikologischer Ereignisse im Menschen untauglich seien. Überhaupt ginge die Verwendung von Tieren in der Pharmaforschung zurück, sie würde von den Behörden aber immer noch eingefordert. Die Möglichkeiten, die die neuen Organ-on-a-Chip-Modelle bieten, gehen aber weit über die Testung von Medikamenten hinaus. Sie könnten auch auf dem riesigen Feld der Grundlagenforschung eingesetzt werden und den Einsatz von tierquälerischen Krankheitsmodellen mit gentechnisch veränderten Tieren beenden.


Sichere Daten für Computermodelle

Wichtig ist die neue Technologie auch, um verlässliche Daten für Computer-Vorhersagemodelle zu liefern. Diese digitalen Modelle ermöglichen, die Gefährdungswirkung von Substanzen vorherzusagen. Bisher stammen die Datengrundlagen noch aus Tierversuchen. Da die Ergebnisse aus Tierversuchen aufgrund der physiologischen Unterschiede nicht oder nicht zuverlässig auf den Menschen übertragen werden können, ist die Reaktion des menschlichen Körpers auf eine potenziell toxische Substanz auch auf dieser Computerbasis ungenau. Auch aus diesem Grund treiben die Wissenschaftler die Organ-on-a-Chip-Technologie voran. Besonders weit ist die neue Technologie in den USA. Dort haben die Forschungsgelder einen Innovationsschub in diesem Bereich erzeugt. Das Wyss Institute von der Harvard Universität in Boston hat bereits mehrere Krankheitsmodelle auf dem Chip entwickelt. Neben einem Lungenödem auf dem Chip arbeitet die Forschungseinrichtung an einem Raucherlungenmodell. Weitere vielversprechende Ansätze sind die Darmschleimhaut auf dem Chip und das Modell einer entzündlichen Darmerkrankung.


Tierversuche in der Giftigkeitsforschung ablösen

Aber auch in Deutschland sind Forschungserfolge zu vermelden. Das Berliner Unternehmen ProBioGen hat sich die Integration des Immunsystems in die kleinen Chipplattformen zur Aufgabe gemacht. Äußerst vielversprechend ist der Forschungsstand des Berliner Unternehmens TissUse. Seit 2014 sind die Wissenschaftler des Unternehmens in der Lage, vier Miniorgane (Darm, Leber, Niere und Haut) auf einem Chip über kleinste Mikrokanäle zu verbinden ("ADME-Chip"). Ab 2018 sollen mindestens zehn der wichtigsten Organe auf dem Chip vereint sein. Diese Technologie ist geeignet, um den Tierversuch in der Giftigkeitsforschung abzulösen. Dies waren nach offizieller Versuchstierstatistik 2013 fast 70.000 Tiere (67.783). InVitro+Jobs, das zweisprachige Wissenschaftsportal des Bundesverbandes, stellte die Forschungserfolge von TissUse im Rahmen der regelmäßig erscheinenden "Arbeitsgruppe im Portrait" vor.

Ausführliche Berichte und das Interview mit Dr. Reyk Horland von TissUse lesen Sie auf:
www.invitrojobs.de

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Quelle:
tierrechte 3.15 - Nr. 72/September 2015, S. 14
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
eMail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
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Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2015

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