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ABWASSER/260: Kommt die vierte Reinigungsstufe? (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1061, vom 28. April 2015 - 34. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

RiSKWa: Kommt die vierte Reinigungsstufe?


Was soll die vierte Reinigungsstufe alles leisten? Das war einer der Hauptdiskussionspunkte auf der der Abschlussveranstaltung der BMBF-Fördermaßnahme "Risikomanagement von neuen Schadstoffen und Krankheitserregern im Wasserkreislauf" (RiSKWa) am 10. und 11. Febr. 2015. Zwölf Forschungsverbünde, die unter dem RiSKWa-Dach über drei Jahre gearbeitet hatten, stellten im Berliner E-Werk u.a. die Verfahren vor, mit denen man Spurenstoffe im Kläranlagenabfluss eliminieren kann. Wie in anderen Projekten hatte sich auch bei RiSKWa herauskristalliert, dass sowohl unterschiedliche Aktivkohleverfahren als auch unterschiedliche Verfahren der Ozonung eingesetzt werden können.

In Berlin wurde allerdings deutlich, dass sowohl der Einsatz von Aktivkohle als auch von Ozon nicht nur Stärken, sondern jeweils auch Schwächen aufweist. Mit keinem der beiden Verfahren wird es gelingen, die Spurenstoffe völlig zu eliminieren. Am Wirkungsvollsten wäre eine Kombination beider Verfahren - was allerdings die Kosten so weit erhöhen würde, dass die ohnehin nur schwach ausgeprägte Akzeptanz für die vierte Reinigungsstufe noch weiter leiden dürfte. Kritischer Punkt beim Ozoneinsatz ist die Bildung von "Transformationsprodukten": Die Oxidation von Mikroverunreinigungen erzeugt "Metabolite", die teilweise toxischer sein können als die Ausgangssubstanzen. Der Ozonung muss deshalb immer ein biologisch aktiver Sandfilter nachgeschaltet werden. Dort können die u.U. problematischen "Bruchstücke" aus der Ozon-Oxidation dann biologisch weiter abgebaut werden.

In Berlin wurde jedoch die Befürchtung artikuliert, dass auch im Sandfilter nicht alle möglicherweise problematischen Transformationsprodukte einem Endabbau bis zur Mineralisierung unterliegen könnten. Offenkundig wurde auf dem RiSKWa-Symposium zudem, dass es nicht reicht, nur die Spurenstoffe zu eliminieren. Auch pathogene Mikroorganismen sollten in einer vierten Reinigungsstufe eliminiert werden. Hier hat die Ozonung einen Vorteil gegenüber dem Aktivkohleeinsatz. Die Oxidationskraft von Ozon reicht aus, um die Mikroorganismen um eine Log-Stufe zu reduzieren. Allerdings wurde dieser Eliminationsgrad in Berlin als nicht ausreichend angesehen. Der Anspruch an die vierte Reinigungsstufe, Krankheitserreger um mehrere Log-Stufen zu reduzieren, wurde in Berlin von einigen Diskutanten als zu weitgehend eingestuft. Zielführender könnte es sein, der vierten Reinigungsstufe eine Desinfektionsstufe als fünfte Reinigungsstufe nachzuschalten.

Nachstehend einige weitere Infos vom Berliner
RiSKWa-Abschlusssymposium. Den Zugang zu allen
Teilprojekten von RiSKWa finden die LeserInnen
des BBU-WASSERRUNDBRIEFS über www.riskwa.de

Ozonung: Relative Anreicherung von antibiotikaresistenten Bakterien

In mindestens zwei Forschungsverbünden des RiSKWa-Projektes hat es sich überraschenderweise gezeigt, dass es beim Einsatz von Ozon zu einer relativen Anreicherung von antibiotikaresistenten Bakterien kommt. Zwar nimmt insgesamt der Gesamtbestand von Bakterien deutlich ab. Bei den Bakterien, die die Ozonbehandlung überleben, steigt allerdings der relative Anteil der antibiotikaresistenten Bakterien. In Berlin wurden hierzu Hypothesen als Erklärungsversuch vorgetragen. Der Einbau von Antibiotikaresistenzen könne zu einer höheren Stresstoleranz führen, so dass die fitgemachten Bakterien auch gegenüber Ozon weniger anfällig sein könnten als die "Normal-Bakterien". Wie man das Vorkommen von antibiotikaresistenten Bakterien im Kläranlagenabfluss unter hygienischen Gesichtspunkten bewerten soll, war in Berlin strittig diskutiert worden. Unklar blieb, inwieweit die Ausschwemmung von antibiotikaresistenten Bakterien und von Resistenzgenen in die Oberflächengewässer eine Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen können. Prof. Dr. Martin Exner errinnerte die über fünfhundert TeilnehmerInnen der RiSKWa-Abschlussveranstaltung an den § 41 des Infektionsschutzgesetzes. Dort heißt es in Abs. 1:

"Die Abwasserbeseitigungspflichtigen haben darauf hinzuwirken, dass Abwasser so beseitigt wird, dass Gefahren für die menschliche Gesundheit durch Krankheitserreger nicht entstehen." Eine Operationalsierung dieser allgemeinen Vorgabe ist allerdings noch nicht erfolgt. Die in Abs. 2 vorgesehenen Rechtsverordnungen hat noch kein Bundesland erlassen: "Die Landesregierungen werden ermächtigt, bezüglich des Abwassers durch Rechtsverordnung entsprechende Gebote und Verbote zur Verhütung übertragbarer Krankheiten zu erlassen."

Im Hinblick auf die antibiotikaresistenten Bakterien gab Prof. Exner ein Mal mehr den großen Mahner: Der Vorsitzende der Trinkwasserkommission erinnerte das Auditorium daran, dass die neuen Krankheitserreger teilweise ein extrem hohes Infektionspotenzial aufweisen würden: "Da läuft ein Tsunami auf uns zu!" Die antibiotikaresistenten Erreger aus Ländern mit katastrophalen Sanitär- und Hygienebedingungen drohten, sich auch bei uns festzusetzen. "Indien versorgt die Welt mit antibiotikaresistenten Erregern." Die Konsequenzen eines Zuendegehens wirksamer Antibiotika wurden von Exner im Hinblick auf die dann drohende Sterblichkeit "größer als die Folgen des Klimawandels" eingestuft. Der Bonner Hygieniker betonte des Weiteren, dass man in den letzten Jahren erkennen musste, dass neue Krankheitserreger, die bislang im Trinkwasserpfad keine Rolle gespielt hatten, "sich eben doch über die Wasserverteilung verbreitet oder sich dort eingenistet hätten".

SchussenAktivPlus - Das Mysterium der antiöstrogenen Aktivität

Neben vielen anderen Projekten wurde auf dem Berliner RiSKWa-Abschlussymposium auch die Untersuchung des Bodenseezuflusses Schussen vorgestellt. An der Schussen wurde u.a. analysiert, wie sich der Einbau einer vierten Reinigungsstufe auf einer Großkläranlage auf die Wasserqualität, auf die Fische und das Makrobenthos (Fischnährtiere) auswirkte. In das Projekt waren 21 Projektpartner - darunter auch zwei Abwasserverbände - involviert gewesen. In die Schussen leiten 19 kommunale Kläranlagen sowie insgesamt über 200 Mischwasserentlastungen ein. Projektziele von SchussenAktivPlus waren u.a. die Bewertung von Technologien und Technologiekombinationen für Abwasser-, Mischwasser- und Regenwassereinleitungen zur gleichzeitigen Minderung von Spurenstoffen und Keimen. Auch bei SchussenAktivPlus konnte gezeigt werden, dass sich das Keiminventar durch die vierte Reinigungsstufe um eine Log-Stufe reduzieren lässt. Der relative Anteil der resistenten Keime nahm auch in diesem Projekt bei der Anwendung der Ozonung zu.

Ein weiteres erstaunliches Phänomen, das sich auch in einigen anderen RiSKWa-Projekten gezeigt hatte, sorgte an der Schussen ebenfalls für Irritationen: Zwar nahm im Gefolge der Inbetriebnahme der vierten Reinigungsstufe die östrogene Aktivität ab, die antiöstrogenen Potenziale nahmen aber zu. Auf welche Stoffe die Zunahme der antiöstrogenen Aktivität zurückzuführen ist, harrt weiterer Untersuchungen. Etwas enttäuschend war zunächst, dass man nur bei 20 Prozent der untersuchten Parameter in der Schussen nach dem Kläranlagen-Ausbau positive Signale detektieren konnte. Zurückgeführt wurde der vergleichsweise schwache Erfolg darauf, weil oberhalb der ausgebauten Kläranlage noch zahlreiche weitere, nicht ausgebaute Kläranlagen liegen und weil es zudem diffuse Einträge gibt. Diese Einträge dämpfen vermutlich den positiven Effekt der vierten Reinigungsstufe. Zudem hatte man von der Inbetriebnahme der Vierten Stufe auf der Großkläranlage Ravensburg-Weingarten nur 15 Monate Zeit für das Erfolgsmonitoring. Im Monitoring konnte erwartungsgemäß gezeigt werden, dass die polaren Spurenstoffe überwiegend über die Kläranlagen, während die Keime überwiegend aus den Mischwasserentlastungen in die Schussen gelangen. Nach dem Ausbau der Kläranlage verbessert sich erwartungsgemäß der Saprobienindex.

Vorgetragen wurde die Schussenbilanzierung von Frau Prof. Dr. Rita Triebskorn von der Uni Tübingen. Die Professorin heimste den größten Heiterkeitserfolg auf dem RiSKWa-Abschlusssymposium mit ihrem Kostenvergleich für den Bau einer vierten Reinigungsstufe ein. Die Investitionskosten würden zehn Euro pro angeschlossenem Einwohner betragen - das wäre auf dem Stuttgarter Wasen gerade mal eine Maß Bier. Im Vergleich mit den Milliardenkosten für Stuttgart 21 würden sich die Geldausgaben für die Sanierung des Schusseneinzugsgebietes noch viel mehr relativieren.

Mehr Infos unter: www.schussenaktivplus.de

Die Schussen - der best untersuchte Bodenseezufluss

Um den Zustand der Schussen und ihrer Lebensgemeinschaften im Detail zu erfassen, wurden u.a. 164 Stoffe im Abwasser, im Oberflächenwasser und in Biota untersucht. Auf dem Untersuchungsprogramm standen des Weiteren resistente und nichtresistene Bakterien sowie Viren. Vorgenommen wurden darüber hinaus Modellrechnungen für mögliche Maßnahmen im Schusseneinzugsgebiet und wie sich diese Maßnahmen voraussichtlich auswirken werden: Welche Wirkung findet man in den Labortests - und welche Effekte findet man tatsächlich im Freiland? Dazu wurde ein aktives und passives Monitoring von Fischen und Makrobenthosfauna praktiziert. Auf der Basis eines fünfjährigen aktiven Monitorings konnten 68.000 Datenbankeinträge erstellt werden. Als Referenzgewässer für die vergleichsweise hoch belastete Schussen wurde die benachbarte Argen herangezogen. Dieser Bodenseezufluss weist eine deutlich geringere Belastung an Spurenstoffen auf. Im Vergleich zur anthropogen weniger belasteten Argen war in der Schussen ein geringerer Schlupferfolg von Gewässerorganismen nachweisbar.

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1061
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2015

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